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=== Jüdisches Gemeindeleben um 1927 === | === Jüdisches Gemeindeleben um 1927 === | ||
Im Jahr [[1927]] besuchte der Journalist [[w:Otto Abeles|Otto Abeles]] die Siebengemeinden und veröffentlichte seine Reiseberichte in Form der Artikelserie ''Altes und neues Judentum im Burgenland'' in der ''Wiener Morgenzeitung''.<ref> | Im Jahr [[1927]] besuchte der Journalist [[w:Otto Abeles|Otto Abeles]] die Siebengemeinden und veröffentlichte seine Reiseberichte in Form der Artikelserie ''Altes und neues Judentum im Burgenland'' in der ''Wiener Morgenzeitung''.<ref>{{WiWi|Wiener Morgenzeitung}}</ref> In Heft 2878 vom 3. März 1927<ref>[http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/2981905 Goethe Universität Frankfurt am Main - Wiener Morgenzeitung 1927], Webseite sammlungen.ub.uni-frankfurt.de, abgerufen am 12. Februar 2015</ref> erschien der Bericht von seinem Besuch in Kobersdorf. Dieser Artikel wirkt aus heutiger Sicht wie eine Zeitkapsel, in der eine Welt beschrieben wird, die längst versunken ist. Zwischen den Zeilen ist aber bereits das drohende Unheil, dass einige Jahre später über die Juden Europas hereinbrechen sollte, herauszulesen: | ||
{{Zitat|''Die Schutzjuden von Kobersdorf:'' Das bedächtige Zügle hält in anmutiger Gegend. Reiche, dichte Waldbestände, im Hintergrund Berge, überragt von der [[w:Burgruine - Landsee|Ruine Landsee]], die sich romantisch gegen den Himmel abhebt. Dann Fußwanderung durch ein blitzblankes, ausgedehntes Dorf mit gepflegten Bauernhäusern. Der Weg durch die Gemeinde [[Weppersdorf]] zieht sich, das Ziel der Wanderung liegt weit drüben im Tale. Ein ländliches Fahrzeug holt mich ein, nimmt mich auf, ein Reisender mit seinen Musterkoffern sitzt bereits oben. Er stammt aus Kobersdorf und so ergeben sich die ersten Beziehungen zu Schicksal und Menschen dieser siebenten und letzten von den ''Schiweh-Khilles'', welche ich besuche. Der Bauer am Kutschbock duzt den jüdischen Kaufmann, den er von Kindesbeinen an kennt und wendet sich - er hat wohl gehört, dass wir über jüdische Dinge sprechen - ganz unvermittelt an mich: "Wir haben immer gut mit den Juden gelebt und die Juden mit uns. Hier gibt es keine Unterschiede." Mein Nachbar will mich aufklären, dass diese heftig vorgebrachte Bemerkung wohl auf die neuen Versuche Bezug hat, Judenhass zu säen und den wirtschaftlichen Boykott zu organisieren. Ich kann ihn leider unterbrechen und auf meinen bisherigen burgenländischen Erfahrungen hinweisen. Ich bin im Bilde. Überall das nämliche Lied von der antisemitischen Beamtenschaft, von den hakenkreuzlerischen Organen der Verwaltungs-, Finanz- und Polizeibehörden. Es ist immer peinlich, wenn die einfachen Leute ihre freundschaftlichen Beziehungen zu den Juden bekräftigen. Solche Beteuerungen sind schon der Keim des Stimmungswechsels und man muss befürchten, dass die Vorstöße der Antisemiten nicht dauernd den Widerstand der nichtjüdischen Bevölkerung finden...}} | {{Zitat|''Die Schutzjuden von Kobersdorf:'' Das bedächtige Zügle hält in anmutiger Gegend. Reiche, dichte Waldbestände, im Hintergrund Berge, überragt von der [[w:Burgruine - Landsee|Ruine Landsee]], die sich romantisch gegen den Himmel abhebt. Dann Fußwanderung durch ein blitzblankes, ausgedehntes Dorf mit gepflegten Bauernhäusern. Der Weg durch die Gemeinde [[Weppersdorf]] zieht sich, das Ziel der Wanderung liegt weit drüben im Tale. Ein ländliches Fahrzeug holt mich ein, nimmt mich auf, ein Reisender mit seinen Musterkoffern sitzt bereits oben. Er stammt aus Kobersdorf und so ergeben sich die ersten Beziehungen zu Schicksal und Menschen dieser siebenten und letzten von den ''Schiweh-Khilles'', welche ich besuche. Der Bauer am Kutschbock duzt den jüdischen Kaufmann, den er von Kindesbeinen an kennt und wendet sich - er hat wohl gehört, dass wir über jüdische Dinge sprechen - ganz unvermittelt an mich: "Wir haben immer gut mit den Juden gelebt und die Juden mit uns. Hier gibt es keine Unterschiede." Mein Nachbar will mich aufklären, dass diese heftig vorgebrachte Bemerkung wohl auf die neuen Versuche Bezug hat, Judenhass zu säen und den wirtschaftlichen Boykott zu organisieren. Ich kann ihn leider unterbrechen und auf meinen bisherigen burgenländischen Erfahrungen hinweisen. Ich bin im Bilde. Überall das nämliche Lied von der antisemitischen Beamtenschaft, von den hakenkreuzlerischen Organen der Verwaltungs-, Finanz- und Polizeibehörden. Es ist immer peinlich, wenn die einfachen Leute ihre freundschaftlichen Beziehungen zu den Juden bekräftigen. Solche Beteuerungen sind schon der Keim des Stimmungswechsels und man muss befürchten, dass die Vorstöße der Antisemiten nicht dauernd den Widerstand der nichtjüdischen Bevölkerung finden...}} | ||
{{Zitat|Aber alle trüben Gedanken verscheucht der freundliche Anblick der gar malerisch gelegenen Kehillah Kobersdorf. Wer den Begriff "Schutzjudentum" schon durch die Siedlung der Juden, also durch Anschauungsunterricht erklärt haben will, lasse sich durch die jämmerliche Bahnverbindung nicht abschrecken und gönne sich den Tagesausflug hierher. Da ist eine uralte Burg mit mächtigen Festungstürmen, ein Rundbau aus dem [[12. Jahrhundert]], ein untersetzter, stämmiger Kraftkerl, tief eingerammt in die Hügellandschaft. Und jenseits des Burggrabens, auf erhöhtem Geländer der Kranz der Judenhäuser, jedes einzelne mit seiner Front der Burg zugewendet. Das altersgraue, bräuende Mauerwerk im Zentrum und der Ring von Judenhäuschen, überragt von der Synagoge und dem Einkehrgasthaus - hier konnten sich die Urgroßväter sich fühlen, hier hatte man sich (für ein tüchtiges Stück Geld natürlich) unmittelbar unter die Obhut des Herren begeben, hier schwebte schützend die eiserne, bewehrte Ritterfaust überm Judendach.}} | {{Zitat|Aber alle trüben Gedanken verscheucht der freundliche Anblick der gar malerisch gelegenen Kehillah Kobersdorf. Wer den Begriff "Schutzjudentum" schon durch die Siedlung der Juden, also durch Anschauungsunterricht erklärt haben will, lasse sich durch die jämmerliche Bahnverbindung nicht abschrecken und gönne sich den Tagesausflug hierher. Da ist eine uralte Burg mit mächtigen Festungstürmen, ein Rundbau aus dem [[12. Jahrhundert]], ein untersetzter, stämmiger Kraftkerl, tief eingerammt in die Hügellandschaft. Und jenseits des Burggrabens, auf erhöhtem Geländer der Kranz der Judenhäuser, jedes einzelne mit seiner Front der Burg zugewendet. Das altersgraue, bräuende Mauerwerk im Zentrum und der Ring von Judenhäuschen, überragt von der Synagoge und dem Einkehrgasthaus - hier konnten sich die Urgroßväter sich fühlen, hier hatte man sich (für ein tüchtiges Stück Geld natürlich) unmittelbar unter die Obhut des Herren begeben, hier schwebte schützend die eiserne, bewehrte Ritterfaust überm Judendach.}} |