Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439-1440)''' sind ein autobiographischer Bericht aus der Mitte des 15. Jahrhundert über die Auseinandersetzungen um die Nachfolge von [[Ladislaus Postumus]] als ungarischer König. Sie gelten heute als die ältesten deutschsprachigen Frauenmemoiren<ref group="A">Die ältesten, erhaltenen Frauenmemoiren dürften die "Autobiographie" der Adeligen Leonor Lopez de Cordoba (* ca. 1360; † um / nach 1400) sein. Sie sind in kastilischer Sprache abgefasst und wurden um 1400 niedergeschrieben beziehungsweise diktiert, vgl. vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 55.</ref>.<ref name ="eichinger13">vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 13</ref>
[[File:A magyar Szent Korona elorzása Visegrádról.jpg|thumb|Der "Raub" der Stephanskrone in einer historistischen Darstellung aus dem Jahr 1864. Ganz so vordergründig dramatisch, wie hier dargestellt, dürfte es bei dem "Raub" jedoch keineswegs zugegangen sein, da dieser erst Monate später bei der Krönung "publik" wurde. Nach der Beschreibung der Beteiligten Helene Kottannerin war die Donau außerdem zu dieser Zeit zugefroren, was mit Blick auf die Jahreszeit glaubwürdig wirkt. Als Transportmittel war sie nach eigener Aussage mit einem Schlitten unterwegs und nicht mit dem Boot.]]
'''Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439-1440)''' sind ein autobiographischer Bericht aus der Mitte des 15. Jahrhundert über die Auseinandersetzungen um die Nachfolge von [[Ladislaus Postumus]] als ungarischer König. Sie gelten heute als die ältesten deutschsprachigen Frauenmemoiren<ref group="A">Die ältesten, erhaltenen Frauenmemoiren dürften die "Autobiographie" der Adeligen Leonor Lopez de Cordoba (* ca. 1360; † um / nach 1400) sein. Sie sind in kastilischer Sprache abgefasst und wurden um 1400 niedergeschrieben beziehungsweise diktiert, vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 55.</ref>.<ref name ="eichinger13">vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 13</ref>
   
   
== Autorenschaft ==
== Autorenschaft ==
Die Autorenschaft von [[Helene Kottannerin]] wird als gesichert betrachtet. Es wird allerdings ausgegangen, dass sie die "Denkwürdigkeiten" nicht selbst niedergeschrieben, sondern einer schreibkundigen Person diktiert hat.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 15f.</ref><ref name ="opll166">vgl. [[w:Ferdinand Opll|Ferdinand Opll]]: ''Leben im mittelalterlichen Wien.'' Böhlau Verlag, Wien / Köln / Weimar, 1998, ISBN 3-205-98913-9, S. 166</ref>
Die Autorenschaft von [[Helene Kottannerin]] wird als gesichert betrachtet. Es wird allerdings davon ausgegangen, dass sie die "Denkwürdigkeiten" nicht selbst niedergeschrieben, sondern einer schreibkundigen Person diktiert hat.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 15f.</ref><ref name ="opll166">vgl. [[w:Ferdinand Opll|Ferdinand Opll]]: ''Leben im mittelalterlichen Wien.'' Böhlau Verlag, Wien / Köln / Weimar, 1998, ISBN 3-205-98913-9, S. 166</ref>


== Handlung ==
== Handlung ==
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== Personen ==
== Personen ==
=== Hauptpersonen ===
=== Hauptpersonen ===
Die Hauptpersonen in den "Denkwürdigkeiten" sind die Erzählerin Helene und Königin Elisabeth.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 47</ref> Beide Frauen werden jedoch erst nach dem Tod des Königs zu Hauptfiguren. Vorher nimmt Helene Kottannerin immer Bezug den König. Nach der Geburt von Ladislaus rückt dieser in den Mittelpunkt des Interesses. Die Frauen sind aber trotzdem die Hauptakteurinnen.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 47f.</ref>  
Die Hauptpersonen in den "Denkwürdigkeiten" sind die Erzählerin Helene und [[Elisabeth von Luxemburg|Königin Elisabeth]].<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 47</ref> Beide Frauen werden jedoch erst nach dem Tod des Königs zu Hauptfiguren. Vorher nimmt Helene Kottannerin immer Bezug auf den König. Nach der Geburt von Ladislaus rückt dieser in den Mittelpunkt des Interesses. Die Frauen sind aber trotzdem die Hauptakteurinnen.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 47f.</ref>  


In den "Denkwürdigkeiten" wird Königin Elisabeth als intelligente Frau dargestellt, die über die politische Situation bestens informiert ist, auch wenn sie sich in Öffentlichkeit und bei Verhandlungen eher zurückhält. Sie weiß, was für sie auf dem Spiel steht und versucht innerhalb ihrer Möglichkeiten zu handeln. Da bei vielen Fürsten noch nicht feststeht, für wen sie Partei ergreifen werden, kann die Königin auf diese nicht bauen. Um die Krönung ihres noch ungeborenen Sohnes erfolgreich durchführen zu können und von den meisten ungarischen Adeligen begünstigte Eheprojekt mit dem polnischen König zu vereiteln, das die Rechte ihres Sohnes gefährdet hätte, ist sie zu heimlichen Vorgehen gezwungen. Nur wenige Personen haben ihr Vertrauen, mit denen sie sich allerdings berät.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 49f.</ref> In den "Denkwürdigkeiten" finden sich keine Hinweise dafür, dass die Königin herrschsüchtig gewesen wäre. Sie ist hier eine verfolgte und relativ schutzlose Frau, die tapfer versucht, so gut es geht, eine schwierige Lage zu meistern. Zumindest zu dem Zeitpunkt, als die "Denkwürdigkeiten" enden, deutet sich an, dass Elisabeth den Kampf um die Nachfolge ihres Sohnes verloren hat.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 51</ref>
In den "Denkwürdigkeiten" wird Königin Elisabeth als intelligente Frau dargestellt, die über die politische Situation bestens informiert ist, auch wenn sie sich in Öffentlichkeit und bei Verhandlungen eher zurückhält. Sie weiß, was für sie auf dem Spiel steht und versucht innerhalb ihrer Möglichkeiten zu handeln. Da bei vielen Fürsten noch nicht feststeht, für wen sie Partei ergreifen werden, kann die Königin auf diese nicht bauen. Um die Krönung ihres noch ungeborenen Sohnes erfolgreich durchführen zu können und ein von den meisten ungarischen Adeligen begünstigtes Eheprojekt mit dem polnischen König zu vereiteln, das die Rechte ihres Sohnes gefährdet hätte, ist sie zu heimlichen Vorgehen gezwungen. Nur wenige Personen haben ihr Vertrauen, mit denen sie sich allerdings berät.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 49f.</ref> In den "Denkwürdigkeiten" finden sich keine Hinweise dafür, dass die Königin herrschsüchtig gewesen wäre. Sie ist hier eine verfolgte und relativ schutzlose Frau, die tapfer versucht, so gut es geht, eine schwierige Lage zu meistern. Zumindest zu dem Zeitpunkt, als die "Denkwürdigkeiten" enden, deutet sich an, dass Elisabeth den Kampf um die Nachfolge ihres Sohnes verloren hat.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 51</ref>


Die Erzählerin Helene selbst ist in den "Denkwürdigkeiten" eine zupackende und tatkräftige Frau, wie die Vorbereitungen zur Ausführung des "Kronenraubes" und die Szene, wo Feuer ausbricht, zeigen. Ihre Entscheidungen und Ratschläge zeigen sie als vernünftige und umsichtige Person. Mehrmals trifft sie auch  eigenständige Entscheidungen, dies auch gegen den Willen der Königin, wenn sie zum Beispiel eine Frau von der Plintenburg mitnimmt, di sie eigentlich hätte entlassen sollen, oder bei der Reise beziehungsweise Flucht nach Ödenburg als Verantwortliche für König Ladislaus bestimmt, dass den Bauern das Vieh zurückgegeben wird, das ihr Gefolge zusammengetrieben hatte.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 50</ref> Für Helene ist das Göttliche und Religiöse stark präsent. Wiederholt sucht sie Hilfe bei Gott und im Gebet, dies besonders im Zusammenhang mit dem "Kronenraub". In einer Notlage gelobt sie später eine Wallfahrt. Vieles, was gelingt, wird von ihr dem Wirken Gottes zugeordnet. Wiederholt sorgt sich Helene um ihr Seelenheil.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 50, S. 60f., S. 62 und S. 88</ref>
Die Erzählerin Helene selbst ist in den "Denkwürdigkeiten" eine zupackende und tatkräftige Frau, wie die Vorbereitungen zur Ausführung des "Kronenraubes" und die Szene, wo Feuer ausbricht, zeigen. Ihre Entscheidungen und Ratschläge zeigen sie als vernünftige und umsichtige Person. Mehrmals trifft sie eigenständige Entscheidungen, dies auch gegen den Willen der Königin, wenn sie zum Beispiel eine Frau von der Plintenburg mitnimmt, die sie eigentlich hätte entlassen sollen, oder bei der Reise beziehungsweise Flucht nach Ödenburg als Verantwortliche für König Ladislaus bestimmt, dass den Bauern das Vieh zurückgegeben wird, das das königliche Gefolge zusammengetrieben hatte.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 50</ref> Für Helene ist das Göttliche und Religiöse stark präsent. Wiederholt sucht sie Hilfe bei Gott und im Gebet, dies besonders im Zusammenhang mit dem "Kronenraub". In einer Notlage gelobt sie später eine Wallfahrt. Vieles, was gelingt, wird von ihr dem Wirken Gottes zugeordnet. Wiederholt sorgt sich Helene um ihr Seelenheil.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 50, S. 60f., S. 62 und S. 88</ref>


=== Frauen und Männer ===
=== Frauen und Männer ===
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== Merkmale ==
== Merkmale ==
Die "Denkwürdigkeiten" erzählen nicht nur eine spannende Geschichte, sondern geben auch interessante Einblicke in die Lebensgewohnheiten an einem Hof aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 72</ref> So ist der Hof der Königin zum Beispiel mobil, ständig ist sie mit ihm auf Reise. Zu Lebzeiten des Königs reisen dieser und sie oft getrennt, ihr tatsächliches Zusammensein an einem Platz ist immer nur für wenige Tage oder Wochen bezeugt, was offensichtlich den damaligen Gewohnheiten entspricht und nicht nur Merkmal einer unglücklichen Ehe sein dürfte.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 73</ref> Auffällig ist auch, dass selbst die Königin niemals in einem Raum alleine anzutreffen ist, sondern stets von Menschen, gewöhnlich Frauen umgeben ist. Selbst nachts teilt sie ihr Gemach mit anderen Frauen.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 50, S. 60f. und S. 73f.</ref> Aus heutiger Sicht fällt außerdem auf, dass in den "Denkwürdigkeiten" das Göttliche und Religiöse stark präsent ist. Für erfolgreiche Taten wird Gott gedankt, in schwierigen Situationen wird er um Hilfe gebeten. Wenn Menschen nicht mehr weiter wissen, wirkt er Wunder. Handlungen werden als Teile eines göttlichen Planes gerechtfertigt. Mit Hilfe des Glaubens werden nicht nur wichtige Ziele, sondern auch alltägliche Anforderungen bewältigt.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 57</ref>
Die "Denkwürdigkeiten" sind der seltene Fall einer Geschichtsquelle mit einer weiblichen Perspektive.<ref name ="rogge254">vgl. [[w:Jörg Rogge|Jörg Rogge]]: ''Nur verkaufte Töchter?''. Überlegungen zu Aufgaben, Quellen, Methoden und Perspektiven einer Sozial- und Kulturgeschichte hochadeliger Frauen und Fürstinnen im deutschen Reich während des späten Mittelalters und am Beginn der Neuzeit. In: Cordula Nolte – [[w:Karl-Heinz Spieß|Karl-Heinz Spieß]] – Ralf-Gunnar Werlich (Hrsg.): ''Principes''. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter. Interdisziplinäre Tagung des Lehrstuhls für allgemeine Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften in Greifswald in Verbindung mit der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen vom 15.-18. Juni 2000 (= Residenzforschung. Bd. 14). Jan Thorbecke Verlag, Stuttgart, 2002. ISBN 3-7995-4514-X. S. 254</ref> Sie erzählen nicht nur eine spannende Geschichte, sondern geben auch interessante Einblicke in die Lebensgewohnheiten an einem Hof aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 72</ref> So ist der Hof der Königin zum Beispiel mobil, ständig ist sie mit ihm auf Reise. Zu Lebzeiten des Königs reisen dieser und sie oft getrennt, ihr tatsächliches Zusammensein an einem Platz ist immer nur für wenige Tage oder Wochen bezeugt, was offensichtlich den damaligen Gewohnheiten entspricht und nicht nur Merkmal einer unglücklichen Ehe sein dürfte.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 73</ref> Auffällig ist auch, dass selbst die Königin niemals in einem Raum alleine anzutreffen ist, sondern stets von Menschen, gewöhnlich Frauen umgeben ist. Selbst nachts teilt sie ihr Gemach mit anderen Frauen.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 50, S. 60f. und S. 73f.</ref> Aus heutiger Sicht fällt außerdem auf, dass in den "Denkwürdigkeiten" das Göttliche und Religiöse stark präsent ist. Für erfolgreiche Taten wird Gott gedankt, in schwierigen Situationen wird er um Hilfe gebeten. Wenn Menschen nicht mehr weiter wissen, wirkt er Wunder. Handlungen werden als Teile eines göttlichen Planes gerechtfertigt. Mit Hilfe des Glaubens werden nicht nur wichtige Ziele, sondern auch alltägliche Anforderungen bewältigt.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 57</ref>


Die "Denkwürdigkeiten" sind in deutscher Sprache abgefasst. Helene Kottannerin erzählt ihre Geschichte in der Ich-Form. Die Rechtmäßigkeit des Handelns der Königin und ihre eigene Leistung bei der Realisierung sind besonders herausgearbeitet.<ref name ="eichinger11"/> Auch wenn die "Denkwürdigkeiten" heute als "Memoiren" eingestuft werden, dürfte es sich bei ihnen ursprünglich um keine Memoiren gehandelt haben, sondern eher um eine Rechtfertigungsschrift im Hinblick auf Verdienste, die Helene Kottanner bei der Sicherung der Nachfolge von Ladislaus Postumus als ungarischer König geleistet hatte.<ref name ="opll166"/> Da der Anfangsteil und der Schlussteil der "Denkwürdigkeiten" fehlen, bleibt offen, warum Helene Kottannerin diese "Denkwürdigkeiten" verfasst oder jemanden diktiert hat. Ebenfalls ist offen, für welche Rezipientengruppe ihr Bericht bestimmt war.
Die "Denkwürdigkeiten" sind in deutscher Sprache abgefasst. Helene Kottannerin erzählt ihre Geschichte in der Ich-Form. Die Rechtmäßigkeit des Handelns der Königin und ihre eigene Leistung bei der Realisierung sind besonders herausgearbeitet.<ref name ="eichinger11"/> Auch wenn die "Denkwürdigkeiten" heute als "Memoiren" eingestuft werden, dürfte es sich bei ihnen ursprünglich um keine Memoiren gehandelt haben, sondern eher um eine Rechtfertigungsschrift im Hinblick auf Verdienste, die Helene Kottanner bei der Sicherung der Nachfolge von Ladislaus Postumus als ungarischer König geleistet hatte.<ref name ="opll166"/> Da der Anfangsteil und der Schlussteil der "Denkwürdigkeiten" fehlen, bleibt offen, warum Helene Kottannerin diese "Denkwürdigkeiten" verfasst oder jemanden diktiert hat. Ebenfalls ist offen, für welche Rezipientengruppe ihr Bericht bestimmt war.


== Datum der Niederschrift  ==
== Datum der Niederschrift  ==
Die genaue Entstehungszeit ist bisher nicht eindeutig geklärt. Nach Hinweisen im Text sind die "Denkwürdigkeiten" nach dem Tod von [[w:Elisabeth von Luxemburg|Königin Elisabeth]] († 1442) und vor dem Tod von König Ladislaus († 1457) entstanden. Dass im Text die Rechtmäßigkeit von Ladislaus' Anspruch auf die ungarische Krone sehr häufig hervorgehoben wird, spricht für eine Entstehung vor dem Tod des [[w:Königreich Polen|polnischen Königs]] [[w:Władysław III. (Polen und Ungarn)|Wladislaw III.]] († 1444). Erst nach diesem wurde Ladislaus als ungarischer König tatsächlich anerkannt. Die "Denkwürdigkeiten" dürften daher zwischen 1442 und 1444 verfasst worden sein.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 11f.</ref>
Die genaue Entstehungszeit ist bisher nicht eindeutig geklärt. Nach Hinweisen im Text sind die "Denkwürdigkeiten" nach dem Tod von Königin Elisabeth († 1442) und vor dem Tod von König Ladislaus († 1457) entstanden. Dass im Text die Rechtmäßigkeit von Ladislaus' Anspruch auf die ungarische Krone sehr häufig hervorgehoben wird, spricht für eine Entstehung vor dem Tod des [[w:Königreich Polen|polnischen Königs]] [[w:Władysław III. (Polen und Ungarn)|Wladislaw III.]] († 1444). Erst nach diesem wurde Ladislaus als ungarischer König tatsächlich anerkannt. Die "Denkwürdigkeiten" dürften daher zwischen 1442 und 1444 verfasst worden sein.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 11f.</ref>


== Historisch belegte Fakten ==
== Historisch belegte Fakten ==
"Der Raub der Stephanskrone" beziehungsweise deren heimliche Wegschaffung aus der Plintenburg ist historisch belegt und findet sich auch in den Berichten von anderen Zeitgenossen, so zum Beispiel bei [[w:Pius II.|Enea Silvio Piccolomini]] oder [[w:Jan Długosz|Johann Dlugosz]]. Die dortigen Beschreibungen legen nahe, dass es damals Gerüchte darüber, wie die Stephanskrone aus der Plintenburg verschwand, gegeben haben dürfte, dass jedoch konkrete Details nicht bekannt waren. Die "Denkwürdigkeiten" sind der einzige Augenzeugenbericht von diesem politischen Geschehnis.
"Der Raub der Stephanskrone" beziehungsweise deren heimliche Wegschaffung aus der Plintenburg ist historisch belegt und findet sich auch in den Berichten von anderen Zeitgenossen, so zum Beispiel bei [[w:Pius II.|Enea Silvio Piccolomini]] oder [[w:Jan Długosz|Johann Dlugosz]]. Die dortigen Beschreibungen legen nahe, dass es damals Gerüchte darüber, wie die Stephanskrone aus der Plintenburg verschwand, gegeben haben dürfte, dass jedoch konkrete Details nicht bekannt waren. Die "Denkwürdigkeiten" sind der einzige Augenzeugenbericht von diesem politischen Geschehnis.


Nach den "Denkwürdigkeiten" fand der "Der Raub der Stephanskrone" in der Nacht vom 20. auf den 21. Februar 1440 statt. Er wurde von Helene Kottannerin in die Wege geleitet, die ihn zusammen mit einem ungarischen Adeligen und dessen Knecht<ref group="A">Die Identität der beiden Männer ist bis heute nicht wirklich geklärt. Nach den Hinweisen in den "Denkwürdigkeiten" muss der unbekannte Adelige jedoch jemand gewesen sein, der ebenfalls zum Hof der König gehört hat.</ref> ausführte. Inwieweit die einzelnen Details wirklich zutreffen, lässt sich nicht überprüfen, doch wirkt die Beschreibung insgesamt glaubwürdig und in sich schlüssig. Nach den "Denkwürdigkeiten" brach Helene Kottannerin am 20. Februar 1440 von Komorn mit einem Auftrag der Königin ganz offiziell zur Plintenburg auf, wo sie übernachtete. Nach dem nächtlichen Einbruch in die Schatzkammer, der glücklicherweise nicht bemerkt wurde, erfolgte am Folgetag ganz offiziell die gemeinsame Rückreise mit der Krone.
Nach den "Denkwürdigkeiten" fand der "Der Raub der Stephanskrone" in der Nacht vom 20. auf den 21. Februar 1440 statt. Er wurde von Helene Kottannerin in die Wege geleitet, die ihn zusammen mit einem ungarischen Adeligen und dessen Knecht<ref group="A">Die Identität der beiden Männer ist bis heute nicht wirklich geklärt. In der Sekundärliteratur wird gewöhnlich davon ausgegangen, dass zumindest der Name des Adeligen in den "Denkwürdigkeiten" mit Rücksicht auf seine persönliche Sicherheit weggelassen wurde, vgl. Franz Theuer: ''Der Raub der Stephanskrone'', 1994, S. 114. Nach den Hinweisen in den "Denkwürdigkeiten" muss der unbekannte Adelige jedoch jemand gewesen sein, der ebenfalls zum Hof der Königin oder des Königs gehört hat. Er sprach offensichtlich Ungarisch, konnte aber kein Deutsch, was die Kommunikation zwischen ihm und Helene Kottannerin, die nach eigener Angabe Ungarisch zwar verstand, aber nicht sprechen konnte, wesentlich erschwerte, vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?'', 1994, S. 70.</ref> ausführte. Inwieweit die einzelnen Details wirklich zutreffen, lässt sich nicht überprüfen, doch wirkt die Beschreibung insgesamt glaubwürdig und in sich schlüssig. Nach den "Denkwürdigkeiten" brach Helene Kottannerin am 20. Februar 1440 von Komorn mit einem Auftrag der Königin ganz offiziell zur Plintenburg auf, wo sie übernachtete. Nach dem nächtlichen Einbruch in die Schatzkammer, der glücklicherweise nicht bemerkt wurde, erfolgte am Folgetag ganz offiziell die gemeinsame Rückreise mit der Krone.


Die übrigen Geschehnisse, die Helene Kottannerin erzählt, sind, soweit überprüfbar, historisch zulässig. Die einzige tatsächliche Abweichung von historischen Fakten betrifft ein Detail der Krönung, wo die Verfasserin das Fehlen weiterer wichtiger Krönungsinsignien verschweigt, vermutlich mit Absicht, da deren Fehlen die Symbolik der Rechtmäßigkeit der Krönung trotz der Verwendung der Stephanskrone ein wenig beeinträchtigt hätte.
Die übrigen Geschehnisse, die Helene Kottannerin erzählt, sind, soweit überprüfbar, historisch zulässig. Die einzige tatsächliche Abweichung von historischen Fakten betrifft ein Detail der Krönung, wo die Verfasserin das Fehlen weiterer wichtiger Krönungsinsignien verschweigt, vermutlich mit Absicht, da deren Fehlen die Symbolik der Rechtmäßigkeit der Krönung trotz der Verwendung der Stephanskrone ein wenig beeinträchtigt hätte.


== Politischer Hintergrund ==
== Politischer Hintergrund ==
Nach dem Tod von [[Sigismund (HRR)|Kaiser Sigismund]], der in seine Position als ungarischer König erst durch die Eheschließung mit der ungarischen Königin [[w:Maria (Ungarn)|Maria]] (als ungarischer "König" Herrscherin aus eigenem Recht), seiner ersten Ehefrau, beziehungsweise als ihr Mitregent und Nachfolger gelangt war, galt seine Tochter Elisabeth aus seiner zweiten Ehe als "domina naturalis regni". Die Legitimität der Nachfolge ihres Sohnes Ladislaus als ungarischer König wäre durch sie gewährleistet gewesen. Allerdings hatte sie letztlich auf die gemeinsame Königskrönung mit ihrem Ehemann Albrecht verzichtet und sich mit der "Königinnenkrönung" begnügt. Nachdem Tod Albrechts versuchte sie, den Rechtsanspruch ihres Sohnes zu wahren.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 13f.</ref>, während der Großteil des ungarischen Adels eine andere Nachfolgelösung unterstützte.
Nach dem Tod von [[Sigismund (HRR)|Kaiser Sigismund]], der in seine Position als ungarischer König erst durch die Eheschließung mit der ungarischen Königin [[w:Maria (Ungarn)|Maria]] (als ungarischer "König" Herrscherin aus eigenem Recht), seiner ersten Ehefrau, beziehungsweise als ihr Mitregent und Nachfolger gelangt war, galt seine Tochter Elisabeth aus seiner zweiten Ehe als "domina naturalis regni". Die Legitimität der Nachfolge ihres Sohnes Ladislaus als ungarischer König wäre durch sie gewährleistet gewesen. Allerdings hatte sie letztlich auf die gemeinsame Königskrönung mit ihrem Ehemann Albrecht verzichtet und sich mit der "Königinnenkrönung" begnügt. Nach dem Tod Albrechts versuchte sie, den Rechtsanspruch ihres Sohnes zu wahren.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 13f.</ref>, während der Großteil des ungarischen Adels eine andere Nachfolgelösung unterstützte.


== Überlieferung und Rezeptionsgeschichte ==
== Überlieferung und Rezeptionsgeschichte ==
Die "Denkwürdigkeiten" sind nur in einer Handschrift erhalten, die sich heute in der [[w:Österreichische Nationalbibliothek|Österreichischen Nationalbibliothek]] befindet.<ref>vgl. {{Czeike|3|584}}</ref> Diese war bis Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend unbekannt. Die erste Mitteilung von ihrem Vorhandensein datiert aus dem Jahr 1834.<ref name ="Eichinger18">vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 18</ref> Eine erste gedruckte Ausgabe wurde 1846 publiziert. Erst danach begann die wissenschaftliche Auswertung dieser Geschichtsquelle.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 14f.</ref>. Bei dieser fällt auf, dass besonders in der älteren Forschung bei den Interpretationen, welche die Erzählerin und Verfasserin betreffen, wertende Aussagen gemacht wurden, die keineswegs durch die "Denkwürdigkeiten" belegt sind, aber dafür Rückschlüsse auf den jeweiligen Zeitgeist geben. Die Fakten wurden diesem angepasst oder mit Blick darauf ausgelegt.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 19-28</ref>
Die "Denkwürdigkeiten" sind nur in einer Handschrift erhalten, die sich heute in der [[w:Österreichische Nationalbibliothek|Österreichischen Nationalbibliothek]] befindet.<ref>vgl. {{Czeike|3|584}}</ref> Diese war bis Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend unbekannt. Die erste Mitteilung von ihrem Vorhandensein datiert aus dem Jahr 1834.<ref name ="Eichinger18">vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 18</ref> Eine erste gedruckte Ausgabe wurde 1846 publiziert. Erst danach begann die wissenschaftliche Auswertung dieser Geschichtsquelle.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 14f.</ref>. Bei dieser fällt auf, dass besonders in der älteren Forschung bei den Interpretationen, welche die Erzählerin und Verfasserin betreffen, wertende Aussagen gemacht wurden, die keineswegs durch die "Denkwürdigkeiten" belegt sind, aber dafür Rückschlüsse auf den jeweiligen Zeitgeist geben. Die Fakten wurden diesem angepasst oder mit Blick darauf ausgelegt.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 19-28</ref>


Während die ältere Forschung ihr Augenmerk auf die historischen Umstände und Auswirkungen des "Kronenraubes" richtete, werden in der neueren Forschung eine ganze Reihe weiterer Details aus dieser Geschichtsquelle genutzt.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 13 und S. 14</ref> Im 20. Jahrhundert waren die "Denkwürdigkeiten" besonders für die feministische Geschichtsforschung von großem Interesse.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 25ff.</ref> Ende des 20. Jahrhunderts wurden sie auch als wichtige Geschichtsquelle für die Erforschung der Alltags- und Mentalitätsgeschichte entdeckt.<ref name ="opll166"/>
Während die ältere Forschung ihr Augenmerk auf die historischen Umstände und Auswirkungen des "Kronenraubes" richtete, werden in der neueren Forschung eine ganze Reihe weiterer Details aus dieser Geschichtsquelle genutzt.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 13 und S. 14</ref> Im 20. Jahrhundert waren die "Denkwürdigkeiten" besonders für die feministische Geschichtsforschung von großem Interesse.<ref>vgl. Beatrix Eichinger: ''Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S. 25ff.</ref> Ende des 20. Jahrhunderts wurden sie auch als wichtige Geschichtsquelle für die Erforschung der Alltags- und Mentalitätsgeschichte entdeckt.<ref>vgl. [[w:Ferdinand Opll|Ferdinand Opll]]: ''Leben im mittelalterlichen Wien.'' Böhlau Verlag, Wien / Köln / Weimar, 1998, ISBN 3-205-98913-9, S. 167</ref>


== Literatur ==
== Literatur ==
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* Stephan Ladislaus Endlicher (Hrsg.): ''Aus den Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin 1439. 1440''. Verlag Engelmann, Leipzig, 1846 [http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10008749_00001.html digital]
* Stephan Ladislaus Endlicher (Hrsg.): ''Aus den Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin 1439. 1440''. Verlag Engelmann, Leipzig, 1846 [http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10008749_00001.html digital]
* [[w:Gustav Freytag|Gustav Freytag]] (Hrsg.): ''Vom Mittelalter zur Neuzeit (1200-1500)'' (= ders. (Hrsg.): ''Bilder aus der deutschen Vergangenheit''. Bd. 2,1). Leipzig, 1887, S. 353-372
* [[w:Gustav Freytag|Gustav Freytag]] (Hrsg.): ''Vom Mittelalter zur Neuzeit (1200-1500)'' (= ders. (Hrsg.): ''Bilder aus der deutschen Vergangenheit''. Bd. 2,1). Leipzig, 1887, S. 353-372
* Karl Mollay (Hrsg.): ''Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439-1440)'' (= Wiener Neudrucke 2). Wien, 1971, S. 9 - 35
* Karl Mollay (Hrsg.): ''Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439-1440)'' (= Wiener Neudrucke 2). Österreichischer Bundesverlag für Unterricht, Wissenschaft und Kunst, Wien, 1971, ISBN 3-215-72208-9, S. 9 - 35
* Daniel Kufner: ''Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439-1440)'', 2015 (Übertragung ins Neuhochdeutsche) [https://services.phaidra.univie.ac.at/api/object/o:425704/diss/Content/get pdf]
* Daniel Kufner: ''Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439-1440)'', 2015 (Übertragung ins Neuhochdeutsche) [https://services.phaidra.univie.ac.at/api/object/o:425704/diss/Content/get pdf]


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== Anmerkungen ==
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