Adolf Kaipel im Zweiten Weltkrieg: Unterschied zwischen den Versionen
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Anfang Feber [[1939]] erreichte ihn ein Brief seines Bruders Samuel, in dem dieser über die Zustände in der Heimat berichtete: | Anfang Feber [[1939]] erreichte ihn ein Brief seines Bruders Samuel, in dem dieser über die Zustände in der Heimat berichtete: |
Version vom 23. Oktober 2014, 11:39 Uhr
Der Riedlingsdorfer Adolf Kaipel, geboren am 19. Mai 1915, war einer von sechsundneunzig Riedlingsdorfer Gefallenen des 2. Weltkrieges. Seine Zeit in der Deutschen Wehrmacht ist durch eine Vielzahl von Briefen, welche die Zeit überdauert haben, gut dokumentiert.[1] Adolf Kaipel unterschrieb viele seiner Briefe mit Heil Hitler, zumal er in den 1930er-Jahren als illegaler Nationalsozialist sogar einige Wochen im Ständestaat inhaftiert war. Andererseits ist aus vielen seiner Briefe, vor allem in jenen, die an der Front geschrieben wurden, eine große Friedenssehnsucht zu spüren. So ist sein Schicksal exemplarisch für das vieler Österreicher, natürlich nicht aller, zu sehen.
Einberufung und Ausbildung
Adolf Kaipel wurde Anfang Dezember 1938 zur 2. Kompanie des Infanterie-Regiments 131 nach Lundenburg/Breclav einberufen. Das IR 131 gehörte zur 44. Infanterie-Division, welche im Zuge der Sudetenkrise ab 1. Oktober 1938 neue Garnisonsstandorte im Sudetenland besetzte.[2]
Am 4. Dezember 1938 schrieb Adolf Kaipel einen Brief an seine Verwandten in Riedlingsdorf.
„Meine Lieben!“
„Seid nicht bös, daß ich mir mit meinem Schreiben solange Zeit ließ. Wir sind erst am 2. an Ort und Stelle gekommen. Von Stockerau wurden wir nach Mistelbach und am anderen Tag von Mistelbach nach Lundenburg/Südmähren ehemals Tschechoslowakei gebracht, wo wir vorläufig eingestellt wurden. Es ist alles überfüllt und ich habe vielleicht Aussicht auf eine Dienstenthebung. Sollte es nicht zutreffen, so werden wir uns sicher zu Weihnachten treffen. Wir sind nun wieder gebunden und doch muß man alles leichter nehmen. Lundenburg ist eine schöne Stadt und ich freue mich schon darauf, wenn einmal der Ausgang gestattet ist. In einer ...schule sind wir untergebracht, vorläufig. Auch eine Kaserne hinterließen die Tschechen vier Stock hoch, was den Deutschen zu hoch ist, darum wird nächstes Jahr eine neue gebaut. Viel Neues kann ich Euch nicht schreiben, sondern muß den Vers in Umwandlung treffen "Tröste Dich, alles vergeht". Sollte irgendetwas Dringendes zu Hause eintreffen, so bitte ich um umgehende Weiterleitung. Seid vorläufig herzlich gegrüßt und sei nicht traurig Mutter, Gottes Auge wacht.“
„Heil Hitler. Euer Adolf Kaipel.“
Anfang Feber 1939 erreichte ihn ein Brief seines Bruders Samuel, in dem dieser über die Zustände in der Heimat berichtete:
„Lieber Bruder, am 9.2. haben wir unsere Musterung gehabt. Alle 13er (Anmerkung: Geburtsjahrgang 1913) sind tauglich gewesen. Wir Bauern haben bis Herbst Aufschub, die Arbeiter müssen innerhalb einer ganz kurzen Zeit einrücken. Die 14er sind auch alle eingerückt und in Oberwart und Pinkafeld ist alles voll mit Soldaten. Die werden sehr scharf hergenommen. Lieber Bruder, es wäre fast anders gekommen, denn wenn ich nicht soviel geredet hätte, hätte auch ich sofort gehen müssen, aber bis zum Herbst geht es sich sicher aus. Der Mühl Adolf ist ganz untauglich. Wir grüßen Dich nochmals auf das Herzlichste. Schreibe uns bald wieder wie es Dir geht.“
„Mit Gruß Samuel. Heil Hitler.“
Im gleichen Monat erhielt er von seinem besten Freund, Hans Nicka, einen Brief, welcher ebenfalls die Zustände in der Ortschaft Riedlingsdorf beschrieb (Inhalt gekürzt):
„Lieber Kamerad! Nach langer Zeit komme ich doch einmal dazu, Dir einige Zeilen zu schreiben....Und lieber Kamerad, das ist noch nicht die ganze Arbeit, dann habe ich in der Ortsgruppe immer zu tun und obendrauf habens mir jetzt vor 14 Tagen noch die Ortsleitung der NSV angehängt. Wenn man sich auch dagegen wehrt, bekommt man nur zur Antwort, ein Parteigenosse sagt zu nichts nein, es gibt nur ein Ja. Du wirst es ja selber wissen, wenn jemand mit einer Arbeit kommt, so sage ich selten nein. Dem K. habens die NSV entzogen, weißt es ohnehin wie er es immer gemacht hat, meistens betrunken usw. Es wäre mir lieber gewesen, wenn jemand anderer gewesen wäre, aber über diesen Beruf wagt sich niemand...Lieber Kamerad sonst ist in der Ortsgruppe ein großes Durcheinander, es sind nur immer Streitigkeiten und Raufereien. Wer früher unsere besten Kameraden waren, sind heute die schlechtesten. Näheres wird Dir ja sowieso Dein Bruder geschrieben haben. Lieber Kamerad, sei nicht bös, daß ich nicht geschrieben habe, es ging mit bestem Willen nicht. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder. Heil Hitler! Dein Kamerad Johann.“
Zerschlagung der Rest-Tschechei
Die rege Ausbildung der Rekruten bei den neu aufgestellten Einheiten des deutschen Heeres wurde jäh unterbrochen, als für den 14. März 1939 der Sondermobilmachungsfall Schneeglöckchen bekanntgegeben wurde. Nachdem Hitler bereits im Oktober 1938 das Sudetenland besetzen ließ, sollte nun die Zerschlagung der Rest-Tschechei erfolgen. Auch die Einheiten der 44. Infanterie-Division wurden in Marsch gesetzt und überschritten am Morgen des 15. März die Demarkationslinie bei Lundenburg. Die Einheiten des IR 131 (mit Adolfs 2. Kompanie) bildeten die Vorhut der Division. Der Einmarsch verlief friedlich und nur das schlechte Wetter machte den deutschen Soldaten schwer zu schaffen. Das Tagesziel wurde aber trotz der widrigen Umstände erreicht und bereits am nächsten Tag stießen die vordersten Einheiten der 44. Infanterie-Division auf deutsche Truppen, die von Schlesien aus in die Tschechei einmarschiert waren. Die Division stellte daher ihren Vormarsch ein und nach einigen Tagen der Ruhe verlegte man die Einheiten wieder in ihre Friedensstandorte zurück. Die Deutsche Wehrmacht hatte noch einmal Glück gehabt, denn ein Teil der eingesetzten Verbände befand sich noch mitten in der Ausbildung. So hatten vor allem die Soldaten, welche die schweren Waffen bedienen sollten, in ihrer kurzen Ausbildung noch keinen einzigen scharfen Schuss abgegeben.[3]
Am 30. März schrieb Maria, die Adolf Kaipels Schwester, an ihnen einen Brief, der hier gekürzt wiedergegeben wird:
„Lieber Bruder!“
„Haben Deinen Brief mit großer Freude erhalten und danken Gott, der Euch froh und gesund geleitet hat. Lieber Bruder, Du kannst Dir nicht vorstellen, welche Sorgen wir gehabt haben, wie wir von dieser Unruhe erfaßt wurden. Um 7 Uhr ist die Irma herüber gelaufen und hat gesagt, daß um 1/2 8 Uhr eine wichtige Sondermeldung gesendet wird. Wir ahnten nicht worum es sich handelt und wir waren sehr gespannt, als wir horchten. Wir weinten bei jedem Wort, denn wir dachten gleich, daß es mit Euch jetzt geschehen ist. Die Mitzerl ist weinend zur Schule gegangen und ich mußte ihr viel zureden: "Der liebe Gott wird den Adolferl schon schützen." Damit hat sie sich getröstet. Die Mutter ist vor Angst krank geworden. Erst auf Deine Karte hin ist sie aufgestanden. Die Hausfrau ist weinend in die Kirche gegangen, um weinend für ihre Lieben zu beten. Lieber Bruder, Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie hart es zu Hause ist, wenn man einen Freund an einem solchen Ort hat. Von der Hausfrau müssen jetzt wieder zwei Söhne einrücken. Jetzt sind es also schon vier Söhne dieser Mutter. Du kannst Dir denken, daß kein Tag vergeht, an dem nicht von Euch gesprochen wird. Auch sehen wir jeden Tag viermal singend unsere Soldaten vorbeimarschieren. Da sehen wir Euch immer im Geist mit dabei. Die Mutter sagt, daß sie Dich jeden Tag im Radio singen hört. Also kurz und gut wir danken Gott und unserem Führer, die alles so weißlich geordnet haben.“
Am gleichen Tag schrieb Adolf einen Brief mit Absendeort Absendeort gab er Wessely an seine Verwandten in Riedlingsdorf.
„Liebe Mutter!“
„Gott zum Gruß und Dir zur Freude schreibe ich Dir diese paar Zeilen und bitte um Entschuldigung mit meinem lang erwarteten Schreiben so lange gewartet zu haben. Es ist doch so schön, auch für einen Soldaten, an die Heimat zu denken. Ich weiß, liebe Mutter, daß Du Dir Sorgen machst ... Daß Du glücklich warst, wenn sich Deine Kinder um Dich scharrten und Dein Glück teilten. Nun hatte das Schicksal es anderes gewollt. Laß aber die Sorgen, Mutter. Ich weiß, daß es schwer ist. Man kann schließlich mit dem Schicksal der Vorsehung nicht rechnen. Es heißt sich zu fügen. Auch die Ostern kommen näher. Es scheinen schöne Ostern zu werden, aber nicht daheim wo deutsche Lieder gesungen werden sondern im Herzen der Tschechei. Es ist mir hier ganz gut gegangen. Sind notdürftig in einem Meierhof untergebracht. Lieber Mutter, der Samuel schrieb mir. Was wird das Jahr 1939 noch alles bringen? Als der Bruder den Brief schrieb, bereiteten wir uns schon vor und am Mittwoch, Ihr werdet erst wach geworden sein, eilten wir mit unseren Waffen unseren Brüdern in der Tschechei zur Hilfe. Man weiß nicht und es ist auch fraglich, ob es so bleibt. Es ging ein rauher Wind, kleine Schneeflocken spielten sich um unseren ... und ... aber mit festem Schritt zog die Infanterie auf der Straße dahin mit dem Lied "Graue Soldaten ziehen auf der Straße, weit von der Heimat entfernt." Erst dann versteht man den Sinn von Liedern, wenn man wirklich diese Umstände miterleben muß. Was steht uns noch bevor und was werden wir noch erleben müssen, und das alles um die Heimat vor einer Verwüstung zu schützen. Wenn der Führer befiehlt und wir folgen, kann vor einem deutschen Heer kein Schranken gesetzt werden. Im Gegenteil, wir werden das Vordringen derer unterbinden. Nun muß ich mein Schreiben schließen. Neuigkeiten kann ich Euch nicht schreiben. Schreibt mir viele Neuigkeiten. Mit herzlichen Grüßen an die Mutter und alle Euer Adolf Kaipel“
Auch dieser Brief enthält sowohl ein Bekenntnis zu den Zielen Adolf Hitlers als auch Beschwichtigungen für die Angehörigen zuhause.
Letzte Kriegsvorbereitungen
Die Monate Mai und Juni wurden bei der 44. Infanterie-Division wieder intensiv für die Ausbildung der Rekruten genutzt. So machten die Soldaten Bekanntschaft mit einigen österreichischen und deutschen Truppenübungsplätzen (z.B. Döllersheim/Allentsteig). Anfang Juni verlegte die Division in den Raum Fridek-Mistek an die polnische Grenze, wo Feldbefestigungen angelegt und taktische Übungen abgehalten wurden. Besonders wertvolle Erfahrungen sammelte die Divisionsführung dabei beim Transport der Einheiten durch die Bahn, schließlich wurden für die Verlegung einer Infanterie-Division bis zu 75 Güterzüge benötigt. Nach dieser Ausbildungszeit an der Grenze ging es wieder zurück in die Friedensstandorte und viele Soldaten erhielten noch einmal Urlaub.[4]
Während dieser Ausbildungszeit, am 21. Mai, schrieb Adolf Kaipel diesen Brief an seine Verwandten:
„Meine Lieben!“
„Wir sind seit gestern wieder in Lundenburg. Haben einen Marsch hinter uns, den wir Gott sei Dank überstanden haben. In drei Marschtagen mußten wir 165 km meistern, die sehr müde Glieder hinterließen. Am vorletzten Tag hatten wir auf freiem Feld unter einem Zeltdach nur drei Stunden Schlafpause und um 12 Uhr nachts war plötzlich Alarm. Wir krochen aus unserem Zeltdach, rein in die Stiefel, bauten das Zeltdach ab, packten unseren Tornister und nach 35 Minuten waren wir schon über alle Dächer. Ich glaube, mancher der langsam spannt, kommt nicht einmal mit dem Schauen mit. Seid nicht bös, daß ich leider nicht kommen kann, was mir selbst sehr unangenehm ist, da ich noch fest hoffte zu den guten Kirschen zurückzukommen. Bis ich komme, werden sie leider nicht mehr sein. Es ist jetzt 3/4 1 Uhr. Wir kommen erst vom Bierabend, wo es sehr heiter war. Die Urlauber bleiben gleich auf und ich gehe schlafen. Gebt meinem Kameraden für mich, wenn es möglich ist, eine Kirschenstrudel mit und seid nicht böse wegen der Wäsche. Ob ich komme, bevor wir an die polnische Grenze verlegt werden, ist noch fraglich, obwohl es mir versprochen wurde. So grüße ich Euch auf das Herzlichste. Euer Adolf Kaipel.“
Polenfeldzug
Am 1. September 1939 begann um 4.45 Uhr der Überfall auf Polen und somit der 2. Weltkrieg. Die 44. Infanterie-Division überschritt als Teil der 14. Armee, die zur Heeresgruppe Süd gehörte, die Grenze. Gegen Mittag hatte sie durch einen Artillerieangriff ihren ersten Toten, der zufälligerweise ausgerechnet ein Unteroffizier aus Adolf Kaipels 2. Kompanie war. Bis zum 7. September stieß die Division bis Krakau vor. Am 15. September überschritt das IR 131 über eine Kriegsbrücke den San und marschierte dabei an Hitler vorbei, der mit seinem Stab den Übergang beobachtete. Während die Deutsche Wehrmacht weiter nach Osten vordrang, zerfiel die polnische Armee immer mehr. Es kam dabei aber immer wieder zu schweren Kämpfen, vor allem dann, wenn eingeschlossene polnische Einheiten mit dem Mute der Verzweiflung gegen die deutschen Divisionen anrannten. Auch das IR 131 wurde am 18. und 19. September in heftige Kämpfe verwickelt, die 60 Soldaten das Leben kosteten. Am 18. war die Panzerjäger-Kompanie des Regiments als Vorhut nach Jasniska, ein Dorf rund 14 km nordwestlich von Lemberg, vorgedrungen. Wie sich bald herausstellte unterbrach sie dadurch den Rückzugsweg einer polnischen Division, sodass am nächsten Tag das ganze Infanterie-Regiment 131 antreten musste um die eingeschlossenen Kameraden zu befreien und die durchbrechenden polnischen Einheiten gefangen zu nehmen. Dieser blutige Kampf fand auch in den Briefen von Adolf Kaipel seinen Niederschlag:
Lieber Bruder! Habe Deine Karte mit Freuden erhalten. Sitze nun auf einem Büschel Stroh mit einem Bleistift und Papier, um auf Deine gütigen Worte zu antworten. Glaube mir, es ist ein Gefühl, das man erst begreift, wenn man es selbst erlebt hat, wie wunderbar es ist, wieder Heimatpost zu bekommen. Bruder, die Tage werde ich nicht vergessen und bin dennoch glücklich, daß Euch nicht auch noch dasselbe Schicksal trifft. Wie doch das Leben ein Traum ist, dies ist mir erst jetzt richtig bewußt geworden. Vergiß nicht das Lied 'Ich hat einen Kameraden'. Niemals ruhig auf einem Platz, immer vorwärts. Jeden Tag 35 bis 40 km auf den Beinen, dazu das Geknatter der Maschinengewehre, das Knallen der Geschütze und das Getöse der Kanonen. Am Wegesrand die Gräber, die Verwundeten und Toten, brennende Häuser. Kein anderer Wunsch kann einen befallen, die himmlische Vorsehung möge unser Gebet erhören und wieder Friede auf Erden senden. Lieber Bruder, mache Du das Deinige und mache das Meinige, nicht jeder für sich, nein es soll gemeinnützig sein, denn die vorderste Linie kennt keinen Eigennutz. So grüßt Dich, Deine Frau und Kinder aus dem fernen Galizien Adolf.
Liebe Schwester, Schwager und Nichten! Deine Worte, liebe Schwester, die mir einige Tränen kosteten, las ich der galizischen Nachtkälte beim Schein der Feldküche. Ihr seid so gut zu mir und ich sehe Dich, Sepp, Mitzerl und die Kleine in ihrem Wagen vor mir wie wir damals Abschied genommen haben. Immer wieder fragte ich mich, als ich in der Marschkolonne mitmarschierte, ob ich wirklich nur für das Vaterland ausersehen bin. Alles half nichts, wir mußten vor. Liebe Schwester, ich tröstete mich damit, daß ich so viele Menschen zu Hause habe, die mir so lieb sind wie mein eigenes Leben, für die ich gerne kämpfe. Wenn ich heute an Dich schreibe, liebe Schwester, so bitte ich Dich innigst, steh der Mutter bei. Tröste Sie und rede Ihr so manches aus. Ich komme doch wieder, es ist unnötig sich Gedanken zu machen. Ob nun auch England alles daransetzt den Frieden uns zu nehmen, der liebe Gott wird unser Gebet erhören und friedlich dem Führer sein Werk vollenden lassen. Eine Viertelstunde zu früh marschierten wir durch Jaroslaw an die Front, sonst hätten wir die Gelegenheit gehabt, den Führer zu sehen und an ihm vorbeizumarschieren. Tun wir das beste, beten wir zu Gott. Er möge der Welt den Frieden geben. Schreibe mir bald, liebe Schwester, und verzeih, daß ich nicht mehr schreibe, doch mündlich werden wir uns viel zu erzählen haben. Auf ein baldiges Wiedersehen mit den besten Grüßen aus Galizien. Euer Adolf.
Liebe Mutter! Gott zum Dank und Dir zur Freude sollen diese wenigen Zeilen gelten. Verzeih, wenn die Antwort auf Deine lieben Worte so lang ausblieb. Habe Deinen Brief erst am 19. (Anmerkung: Gefecht in Jasniska) erhalten. Ich werde diesen Tag nicht vergessen, er war doch so wichtig. Nach schwerem Ringen mit hungrigem Magen in den späten Abendstunden gab mir ein Kamerad von der Mutter einen Brief. Worte, die so gottvertraut waren, gaben mir frischen Mut. Kränke Dich nicht, liebe Mutter, lenke weiterhin Dein Vertrauen auf Gott. Deine Worte, Dein Gebet stand mir im schwersten Ringen bei. Die himmlische Vorsehung wird uns doch erhören und endlich wieder den Frieden auf Erden senden. Wir mußten große Strapazen aushalten. 600 km zu Fuß in Polen nordöstlich von Lemberg war unser letztes Gefecht. Das Gebiet ist nun bereits russisch. Es ist eine arme Gegend, so arm wie unsere Heimat vor 100 Jahren war. Alles ist leer, man kann nichts kaufen. So muß man sich mit dem Kommiß begnügen. Zu Hause geht es anders zu, Erdäpfel graben, Felder abräumen und vielleicht ein wenig Most machen. Samuel soll einen guten Most machen. Möge uns doch das Wiedersehen glücklicher machen als der Abschied. Wer dachte sich, daß sich so eine große Lücke auftut, die hoffentlich, Gott sei Dank, schon überwunden ist. So grüße und küsse ich Dich in weiter Ferne. Auf ein baldiges Wiedersehen. Adolf
Lieber Bruder und Schwägerin! Nach schweren Tagen, die Ihr, wie ich glaube, auch nicht leicht befunden habt, schreibe ich einige Zeilen. Wer hätte geglaubt, daß sich so grauenhafte Klüfte auftun, als wir voneinander Abschied nahmen. Oft, wenn ich in eisig kalter Nacht Wache stand, oder wenn nach unmenschlichem Marsch meine Glieder auf hartem Stein ein Quartier fanden, dann lieber Bruder sah ich Dich weinend, die Mutter und die Mitzerl in meiner Begleitung und den Adolf unschuldig in seinem Wagen liegen. Ich mußte fort als Soldat im Kampf für mein Vaterland. Kameraden, die mit mir oft zum Appell antraten, die wehmütig von ihren Lieben Abschied nahmen, wurden aus dem Leben gerissen, wie das Lied, das Du oft gesungen hast, lautet "Er nahm die Büchse, schlug sie an den Baum und sprach das Leben ist ja nur ein Traum." Lieber Bruder, der liebe Gott möge uns den Frieden senden. Er möge diese Zustände abwenden, denn Dir soll dieses Schicksal nicht beschieden sein. Ich wäre unglücklich gewesen, wenn sich auch einer meiner Brüder in dieser Lage befunden hätte. Viel hätte ich zu erzählen, aber schreiben kann man so etwas nicht. Mach Du in der Familie das Deine, lieber Bruder, und ich mach das Meine für Volk und Vaterland. Wir befanden uns acht Kilometer vor Lemberg, das heute bereits russisches Gebiet ist. Gott sei Dank sind wir nun im Quartier in der Nähe von Jaroslaw, um uns einigermaßen zu erholen. So grüßt und küßt Euch alle aus dem fernen Galizien. Euer Adolf
Lieber Bruder! Vor allem Gott sei Dank, daß wir wieder ein Lebenszeichen von Dir erhalten haben. Lieber Bruder, auf Deinen Brief haben wir schon mit Schmerzen gewartet. Wir haben ihn am 1. am Erntedanktag nachmittags erhalten. Die Mutter war am Vormittag in der Kirche. Es wäre alles schön gewesen, man mußte dem lieben Gott wirklich danken, aber der Gedanke an Dich, lieber Bruder, schmerzte uns bitterlich. Alle haben eine Antwort erhalten. Nur wir nicht. Es war fast nicht mehr auszuhalten. Die Mutter sagte: "Komm schnell herunter, wenn Du vom Adolf etwas hörst." Am Nachmittag sagte die Hausfrau, daß sie schon wieder einen Brief (Anmerkung: von einem ihrer vier eingezogenen Söhne) erhalten habe. Ich stand hinter dem Holzstoß und sagte weinend unter Tränen, daß Du nicht mehr lebst. Aber wenn die Not am größten ist, dann ist Gottes Hilfe am nächsten. Der Briefträger kam in dem Moment, in dem ich das gesagt habe. Es sagte, daß Du lebst! Stelle Dir vor, welche Freude! Die Traurigkeit wurde in Freude verwandelt. Ich lief mit dem Brief in die Küche und mußte mich, bevor ich den Brief las, erst recht ausweinen. Die Mitzerl strampelte vor Angst und weinte und schrie: "Mutti! Was ist dem Adolf geschehen?" Wir machten uns auf der Stelle, wie vom Feind getrieben, auf dem Weg zur Mutter. Und dann, lieber Bruder, haben wir erst recht den Erntedanktag gefeiert. Lieber Bruder, wir werden nicht aufhören mit dem Bitten und Beten, bis wir Dich wieder in unsere Arme schließen können. Der liebe Gott soll Dich beschützen und behüten, wohin Du gehst und wo Du stehst. Unsere Herzen, lieber Bruder, bluten um Dich und um alle, deren Lieben auf dem Felde blieben. Es sind wohl noch viele undankbare Menschen hier. Aber wir werden alles aushalten und durchstehen, wenn nur Ihr gesund bleibt. Es wird wohl wenig gearbeitet. Kleider und Lebensmittel gibt es genau nach Karte, aber Menschen, die ein Herz haben, erdulden es, wenn es heißt 'zum Schutze unserer Soldaten'. Lieber Bruder, auch vom Herrn Pfarrer werden alle, die seiner Kirche angehören, ein Schreiben bekommen. Er betet jeden Sonntag für Euch in der weiten Ferne. Die Bekannten leben alle noch, aber von denen aus der Kaserne, die mit dem ersten Zug abgegangen sind, sind drei gefallen. Der Hartnagel und noch zwei andere. Auch von unseren Nachbardörfern ist hie und da einer gefallen. Lieber Bruder, sonst kann ich Dir nicht viel schreiben. Lasse bald wieder von Dir hören, auch wenn es nur eine Karte mit drei Worten ist. Zum Schluß noch viele Grüße von uns allen an Dich, lieber Bruder. Deine Schwester, Schwager und Nichten.
Der Name meines Vaters ist Czeslaw Wojtczak. Er wurde 1919 in der Stadt Witkowo geboren. 1937 meldete er sich freiwillig zur polnischen Armee mit dem Ziel nach dem Ende seines Militärdienstes eine Stelle als Zöllner zu bekommen. Es war damals sehr schwer in Polen eine Arbeit zu bekommen und er wollte nicht wie sein Vater Bauer werden. Nach seiner Ausbildung wurde er zu einer Infanterieeinheit versetzt, deren Auftrag es war, die Grenze zur Sowjetunion zu schützen.
Am 1. September 1939 brach der Krieg aus, als Adolf Hitler in Polen einmarschierte. Mein Vater erinnert sich von der Invasion durch einen höheren Offizier gehört zu haben, der sie informierte, daß sie sehr bald gegen den Feind kämpfen würden. Dies war einige Tage nachdem der Krieg ausgebrochen war. Seine Einheit war zu dieser Zeit ungefähr in der Mitte zwischen Przemysl und Lwow (Lemberg), in der Nähe von Jasniska. Sehr bald wurde es klar, daß es eine Schlacht mit den Deutschen geben würde, als sie von Artillerie und Flugzeugen angegriffen wurden.
Am Morgen des 12 oder 13 September 1939 (ich kann mich nicht genau erinnern, welches Datum mein Vater mir genannt hat) kam die Einheit meines Vaters, nachdem sie während der Nacht ein schweres Bombardement durch deutsche Bomber und Artillerie erdulden mußte (mein Vater sagte, daß es so schrecklich war, daß sogar Atheisten in seiner Einheit nach Jesus Christus um Rettung flehten), aus einem Waldgebiet in der Umgebung von Jasniska und fuhr zwischen die deutschen Linien. Mein Vater und sein Freund Adam bedienten eines der Maschinengewehre dieser Einheit. Sie wußten, daß sie vielleicht nicht den kommenden Tag überleben werden und haben daher ihre persönlichen Daten ausgetauscht. Sie haben sich einander versprochen, daß sie im Fall des Todes die jeweilige Familie benachrichtigen würden. Der Kampf begann und bald flogen Geschosse durch die Luft. Sehr bald wirkte sich die Überlegenheit der Deutschen an Feuerkraft und Mannschaftsstärke aus und immer mehr polnische Soldaten fielen. Mein Vater und Adam hatten auf die Deutschen von einem Platz hinter einem Baum gefeuert, aber Adam meinte, daß es besser wäre die Stellung nach vor zu verlegen, um ein besseres Schußfeld zu bekommen. Mein Vater dachte, daß dies eine schlechte Entscheidung ist, aber trotzdem folgte er seinem Freund. Wie es sich herausstellte, war es richtig, daß er Zweifel hatte, denn kurz nachdem sie sich nach vor bewegten, wurde Adam in den Kopf getroffen und war sofort tot. Mein Vater hatte kaum Zeit den Schock über den Tod seines Freundes zu verarbeiten, als auch ihn ein Geschoß traf, das ihn in die Hüfte traf, durch den Körper ging und bei der anderen Hüfte wieder austrat. Es war eine besonders schwere Wunde und mein Vater glaubte, daß er sterben muß. Tatsächlich wäre er wahrscheinlich gestorben, wenn die Wunde nicht behandelt worden wäre. Wie auch immer, als das Feuer eingestellt wurde, und das was von den polnischen Kräften übriggeblieben war entweder gefangengenommen oder entkommen (oder getötet) war, näherte sich ein deutscher Soldat mit seinem Gewehr im Anschlag. Er muß sehr überrascht gewesen sein, als mein Vater ihm trotz seiner Schmerzen in Deutsch mitteilte (eine Sprache, die er in Silesia/Schlesien gelernt hatte, als seine Familie dort lebte, während mein Großvater in den Kohlenminen arbeitete). Er bat um Wasser und medizinische Hilfe. Der Deutsche, nachdem er für einen Moment gezögert hatte, sagte schließlich so etwas wie 'das ist eine gute Zeit mich um einen Gefallen zu bitten. Du hast erst vor wenigen Minuten auf mich geschossen.' Dennoch hängte er sein Gewehr um und irgendwie halb geschleppt und halb getragen brachte er meinen Vater zu einem deutschen Feldlazarett. Er sah den Deutschen nie mehr wieder.
Einige Tage später marschierten die Russen in Polen ein. Die Deutschen zogen sich aus der Gegend um Lemberg zurück und ließen meinen Vater in russischer Hand. Er war immer noch sehr böse verletzt und konnte sich nicht bewegen. Ironischerweise hat diese Wunde vermutlich sein Leben gerettet, da Offiziere, die sich in Lemberg ergeben haben, eventuell in Katyn ermordet und einfache Soldaten in Arbeitslager nach Sibirien verschickt worden sind.
Er verblieb in russischer Hand bis ungefähr April/Mai 1941. Es dauerte eine lange Zeite bis er sich von seiner Verwundung erholt hatte. Dann wurde er mit einigen anderen verwundeten Soldaten ausgetauscht und fiel wieder zurück in deutsche Hände. Er konnte schließlich nach Hause gehen. Seine Familie hatte bis zu diesem Zeitpunkt geglaubt, daß er bei den Kämpfen getötet worden sei. Nachdem er einige Zeit als Zwangsarbeiter bei der Eisenbahn gearbeitet hatte (die Deutschen hatten die Invasion in Rußland vorbereitet), wurden er und seine gesamte Familie nach Österreich deportiert. Er verbrachte den Rest des Krieges in Österreich, an einem Ort genannt Oberefellach (vermutlich Obervellach/Kärnten), um für einen Bauern mit dem Namen Franz Pacher zu arbeiten. Es war dort, wo er meine Mutter traf, die auch als Sklavenarbeiterin von Südpolen deportiert worden ist.
Am Ende des Krieges übernahmen die Briten den Teil von Österreich wo er gelebt hatte. Er wurde in das polnische Kontingent in der Britischen Armee einberufen und nach Italien geschickt, wo er meine Mutter heiratete. In der Folge ging er 1948 nach England und als die Kommunisten in Polen die Macht übernommen hatten zog er es vor nicht zurückzukehren und unter den Kommunisten zu leben (obgleich seine Eltern und sein Bruder zurückgingen). Er lebt noch immer in England. Er ist nun wieder verheiratet, seit meine Mutter 1978 an Krebs gestorben ist. Er ist immer noch gesund (er ist gerade vom Urlaub aus Frankreich zurückgekommen), obwohl er 1993 eine Herzattacke hatte, von der er sich total erholt hat. Er hat einen Sohn und ein Enkelkind, die in Austalien leben, und einen Sohn (mich) und zwei Enkelkinder in den USA. Sein Bruder lebt in Malbork, Polen (Eigenartig genug, hat mein Onkel nach dem Krieg eine deutsche Frau geheiratet, deren Mann an der Russischen Front vermißt ist). Eine Enttäuschung seines Lebens ist, daß er niemals sein Versprechen an Adam erfüllen konnte und dessen Eltern erzählen konnte, was mit ihrem Sohn passiert ist, weil er zuerst in sowjetischer Hand, dann weil er unter der deutschen Herrschaft nicht in Polen reisen konnte und dann weil er nach Österreich deportiert wurde. Nach dem Krieg, natürlich, waren die Kommunisten an der Macht und es war schwer genug mit der eigenen Familie Kontakt aufzunehmen. Nun hat er alle Informationen verloren und Adams Eltern sind wahrscheinlich schon tot.
Ich glaube mein Vater ist ein wundervoller Mann und ich danke Gott (und dem unbekannten deutschen Soldaten, der ihm geholfen hat), der es ihm erlaubt hat zu überleben und solange zu leben.
Richard Wojtczak
Einzelnachweise
- ↑ Nachlass Adolf Kaipel
- ↑ Friedrich Dettmer, Otto Jaus, Helmut Tolkmitt: Die 44. Infanterie-Division. Reichs-Grenadier-Division Hoch- und Deutschmeister 1938–1945., Seite 18, Verlag Austria Press, Wien 1969
- ↑ Friedrich Dettmer, Otto Jaus, Helmut Tolkmitt: Die 44. Infanterie-Division. Reichs-Grenadier-Division Hoch- und Deutschmeister 1938–1945., Seite 22 und 23, Verlag Austria Press, Wien 1969
- ↑ Friedrich Dettmer, Otto Jaus, Helmut Tolkmitt: Die 44. Infanterie-Division. Reichs-Grenadier-Division Hoch- und Deutschmeister 1938–1945., Seite 23, Verlag Austria Press, Wien 1969