Strafprozess gegen Martha Bernklau: Unterschied zwischen den Versionen
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Die Verhandlung leitete Oberlandesgerichtsrat ''Brodfeld'' als Einzelrichter. Die Klage vertrat Staatsanwalt ''Ettmayer'', die Verteidigung ''Brigg''. Brigg beantragte den Ausschluss der Öffentlichkeit; der Richter lehnte dies ab.<ref>{{ANNO|nfp|14|05|1924|11|Eine mörderische Ehe|HERVORHEBUNG=Bernklau}}</ref> Martha Bernklau wurde aus der Untersuchungshaft in den Gerichtssaal geführt und war den ganzen Prozesstag über am Weinen. Sie erklärte, ihre Mutter habe sie zu der Strafanzeige gegen den Vater durch Drohungen und Schläge gezwungen. | Die Verhandlung leitete Oberlandesgerichtsrat ''Brodfeld'' als Einzelrichter. Die Klage vertrat Staatsanwalt ''Ettmayer'', die Verteidigung ''Brigg''. Brigg beantragte den Ausschluss der Öffentlichkeit; der Richter lehnte dies ab.<ref name=nfp>{{ANNO|nfp|14|05|1924|11|Eine mörderische Ehe|HERVORHEBUNG=Bernklau}}</ref> Martha Bernklau wurde aus der Untersuchungshaft in den Gerichtssaal geführt und war den ganzen Prozesstag über am Weinen. Sie erklärte, ihre Mutter habe sie zu der Strafanzeige gegen den Vater durch Drohungen und Schläge gezwungen. | ||
* Richter: ''Sie waren damals 17 Jahre alt und hatten sich einem lasterhaften Lebenswandel ergeben.'' | * Richter: ''Sie waren damals 17 Jahre alt und hatten sich einem lasterhaften Lebenswandel ergeben.'' |
Version vom 19. Mai 2024, 13:26 Uhr
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Der Strafprozess gegen Martha Bernklau und ihre Mutter Franziska Bernklau fand am 13. Mai 1924 in Wien statt. Die Anklage lautete auf Verleumdung nach § 209 Strafgesetz. Martha Bernklau hatte ihren Vater Nathan Bernklau wegen der Anstiftung zu „schweren sittlichen Verfehlungen“, also Vergewaltigung und Inzest angezeigt. Das Oberlandesgericht sprach die Mutter frei und verurteilte die 18jährige Martha Bernklau zu vier Monaten strengen Arrests. Der Vater trat in dem Prozess als Zeuge auf. Das Verfahren gab einen Einblick in eine von Brutalität und Zerrüttung gezeichnete Familie und beschäftigte weite Teile der österreichischen Presse.[1][2][3]
Der Prozess
Die Verhandlung leitete Oberlandesgerichtsrat Brodfeld als Einzelrichter. Die Klage vertrat Staatsanwalt Ettmayer, die Verteidigung Brigg. Brigg beantragte den Ausschluss der Öffentlichkeit; der Richter lehnte dies ab.[4] Martha Bernklau wurde aus der Untersuchungshaft in den Gerichtssaal geführt und war den ganzen Prozesstag über am Weinen. Sie erklärte, ihre Mutter habe sie zu der Strafanzeige gegen den Vater durch Drohungen und Schläge gezwungen.
- Richter: Sie waren damals 17 Jahre alt und hatten sich einem lasterhaften Lebenswandel ergeben.
- Martha Bernklau (weinend): Was sollte ich tun? Der Vater und die Mutter haben mich davongejagt, und deswegen war ich gezwungen, auf die Straße zu gehen.
Die Mutter, Franziska Bernklau, gab an, mit der Tochter seit zwei Jahren kein Wort mehr gesprochen zu haben und dies auch in Zukunft so halten wolle.
- Richter: Was ist der Grund Ihrer schweren Abneigung gegen Ihre Tochter?
- Franziska Bernklau: Ihr lasterhaftes Leben, das sie trotz aller Ermahnungen nicht aufgegeben hat.
- Richter: Wenn sie auf Abwege geraten ist, so kann sie sich bei ihren Eltern dafür bedanken.
Der Richter vernahm den Vater, Nathan Bernklau, als Zeugen. Auf die Frage, warum er seine Tochter rausgeworfen hatte, antwortete er, sie sei abends immer ausgegangen, sei dabei „an ihrem Leiden erkrankt“, worauf er sie des Hauses verwies.
- Richter: Sie waren wegen der Beschuldigungen ihrer Tochter und ihrer Mutter dreimal in Untersuchungshaft, einmal drei, einmal fünf Monate, zuletzt drei Wochen.
- Nathan Bernklau: Und völlig unschuldig, weswegen ich mich auch dem Strafverfahren anschließe, weil ich Ersatz für diese Unbill begehre.
Auch seine neue Lebensgefährtin war anwesend und erlitt einen Ohnmachtsanfall.
- Richter: Wer wird nun eigentlich das junge Mädchen übernehmen?
- Nathan Bernklau: Ich übernehme sie, wenn sie das Ehrenwort gibt, sich anständig aufzuführen.
Die Antwort führte zu Heiterkeit im Gerichtssaal.[5]
Das Pressecho war erheblich. Am Tag darauf, dem 14. Mai 1924, berichteten fast alle österreichischen Zeitungen darüber.
Hintergrund
Martha Bernklau wuchs bei einer Pflegemutter auf, bis sie 1914 im Alter von acht Jahren zu ihrer Mutter kam. Die Ehe der Eltern war 1913 geschieden worden, nachdem die Mutter dem Vater Vitriol (Schwefelsäure) ins Gesicht geschüttet hatte. Sie wurde zu sechs Monaten Kerkerhaft verurteilt. Wieder frei, erstattete sie Strafanzeige gegen ihren Ex-Ehemann, der ihr angeblich nach dem Leben trachtete. Nathan Berklau kam drei Monate in Untersuchungshaft. Die Mutter unternahm zwei weitere Versuche, mit Nathan Bernklau abzurechnen und wurde dafür erneut verurteilt.
1922 warf die Mutter die 17jährige Martha aus der Wohnung. Das Mädchen verbrachte eine Zeitlang auf der Straße und zog zu ihrem Vater. Dort erkrankte Martha an einer Geschlechtskrankheit, wurde von der Sittenpolizei unter dem Verdacht der Prostitution aufgegriffen und kam ins Rudolfsspital. Nach einem Besuch ihrer Mutter im Krankenhaus erstattete diese Anzeige gegen den Vater wegen „Blutschande“. Der Vater wusste von der Anzeige nichts, wollte die Tochter in der Klinik besuchen und wurde vom behandelnden Arzt abgewiesen. Wenige Tage später kam er in Haft.
1923 zeigte der Vater die Mutter und Tochter wegen Verleumdung an. Der Strafprozess am 13. Mai 1924 sprach die Mutter frei und verurteilte Martha Bernklau zu vier Monaten Haft.[6] Das Gericht hielt abschließend alle Anschuldigungen gegen den Vater für nichtig.
Einzelnachweise
- ↑ Ein trauriges Familienbild. In: Die Stunde, 11. August 1923, S. 3 (online bei ANNO).
- ↑ Vor dem Richter: Die Geschichte einer Familie. In: Der Tag / Der Wiener Tag, 14. Mai 1924, S. 7 (online bei ANNO). und Folgeseite
- ↑ Die Artikel betrachteten nicht das Leid der Tochter. Drei Beispiele von Überschriften: Schwere Beschuldigungen gegen den eigenen Vater (Die Stunde), Die Anzeige gegen den Vater – Ein düsteres Familienbild (Kleine Volks-Zeitung), Den Vater verlemdet – Furchtbares Familienleben (Illustrierte Kronen Zeitung)
- ↑ Eine mörderische Ehe. In: Neue Freie Presse, 14. Mai 1924, S. 11 (online bei ANNO).
- ↑ Das Urteil. In: Illustrirtes Wiener Extrablatt, 14. Mai 1924, S. 8 (online bei ANNO).
- ↑ ANNO, Neue Freie Presse, 1924-05-14, Seite 11. Abgerufen am 17. Mai 2024.