Wiener Schreibpädagogik
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Die Wiener Schreibpädagogik ist ein von Gerwalt Brandl entwickeltes schreibdidaktisches Konzept, das von den sprachkritischen Verfahren der literarischen Moderne (Surrealismus, Dadaismus, Oulipo, Wiener Gruppe, James Joyce, Gertrude Stein, Arno Schmidt etc.) ausgeht.
Geschichte
Die Methoden der Wiener Schreibpädagogik wurden in den 1980er und 1990er Jahren von Gerwalt Brandl im polycollege Stöbergasse entwickelt[1] und ab 1997 gemeinsam mit Christine (Christa) Brauner zum Lehrgang Wiener Schreibpädagogik erweitert. Das dreisemestrige Curriculum bildet bis heute den Ausgangspunkt der schreibpädagogischen Ausbildung - Lehrgang Schreibpädagogik - des Berufsverbands Österreichischer SchreibpädagogInnen (BÖS)[2]
Öffentlich in Erscheinung trat die „Schreibwerkstatt Stöbergasse“ bzw. die „Wiener Schreibpädagogik“ im Rahmen von Lesungen[3]. 2002 erschien die Anthologie „vom wortfall vom sammeln"[4], die Texte von Schreibwerkstatt-TeilnehmerInnen und die zugehörigen Schreibanimationen enthält. Im Vorwort dieser Anthologie nennt Gerwalt Brandl seine Methode erstmals „Wiener Schreibpädagogik“.
Die Methode
Die literarische Moderne hat das Vertrauen in die Eindeutigkeit der Sprache und in ihre Fähigkeit, die Wirklichkeit nachzubilden, verloren. Die neuen literarischen Verfahren nutzen die Sprache als Material, losgelöst von Inhalten: Sprachexperimente, Auflösung der Grenzen zu anderen Künsten (visuelle Poesie, konkrete Lyrik, Lautgedichte), Hinwendung zum Unbewussten und zum Zufall.
Die Wiener Schreibpädagogik geht - in Anlehnung an die Verfahren der literarischen Moderne - nicht von inhaltlichen Vorgaben oder Themen aus. Die Schreibvorschläge (Schreibanimationen) leiten dazu an, Ausgangsmaterial durch Sprachspiele, freie Assoziation, Dekonstruktion des alltäglichen Sprachgebrauchs etc. zu generieren. In einem zweiten Schritt wird dieses Sprachmaterial bearbeitet, neu kombiniert, verfremdet und entweder direkt in einem Text verwendet oder es dient als Grundlage für ein freies Spiel der Fantasie, als Titel oder unausgesprochene Botschaft.
Diese Art des Schreibens, das sich nicht mehr auf ein Objekt bezieht (“Ich schreibe (über) etwas“), sondern nur auf sich selbst („Ich schreibe“), nennt Gerwalt Brandl in Anlehnung an Roland Barthes „intransitives Schreiben“.[5]
Damit gewährleistet die Wiener Schreibpädagogik einerseits einen niederschwelligen Zugang zum literarischen Schreiben, was für die Erwachsenenbildung und die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sehr wichtig ist. Der 1997 ins Leben gerufene Ausbildungslehrgang Wiener Schreibpädagogik ging darüber hinaus. Er war zum einen AutorInnen-Ausbildung, andererseits befähigte er die AbsolventInnen, die aus unterschiedlichen Berufsfeldern kamen, durch die ergänzende pädagogische Ausbildung, Schreiben in einer über die Alltagssprache hinaus gehenden Form in öffentlichen und gemeinnützigen Bildungsinstitutionen zu unterrichten.
In der Ausschreibung des Verbandes Wiener Volksbildung aus dem Jahr 2004 wurden die Ziele des Lehrgangs Wiener Schreibpädagogik folgendermaßen definiert: „Ausbildung und Weiterentwicklung von literarischer, kommunikativer, methodischer und didaktischer Kompetenz“, „die Fähigkeit, Gruppen und Einzelne in ihrem schöpferischen Prozess zu begleiten und zu fördern, Schreibgruppen und Workshops zu leiten“ und langfristig: „Schreibpädagogik als Beruf zu installieren.“[6]„Wir lehren schreibend zu erfahren, dass Sprache eine Art Organismus ist, der seine eigenen Ansprüche stellt. Innerhalb der Dynamik der Worte und Sätze erfahren die Teilnehmer, was Sprache ist und kann, und wo Sprache Grenzen setzt“[7], sagt die Autorin und Schreibpädagogin Petra Ganglbauer. Sie wirkte wesentlich an der Erweiterung und Umgestaltung des Lehrgangs Wiener Schreibpädagogik zum Lehrgang Schreibpädagogik des Berufsverbands Österreichischer SchreibpädagogInnen mit und übernahm dessen Leitung von Christa Brauner. Nach Sophie Reyer und Barbara Rieger kehrt Petra Ganglbauer 2020 als Lehrgangsleiterin zurück.
Literatur
- Viktor Billek, Gerwalt Brandl, Christine Brauner et al.: Polycollege „Schreibwerkstatt Stöbergasse“. In: Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Heft 172. 1994. S. 26-28
- Gerwalt Brandl, Chrsita Brauner, Irene Wondratsch (Hg.): vom wortfall vom sammeln. Literarische Arbeiten und Schreibanimationen der Schreibwerkstätten Stöbergasse 1984 - 2000. Edition Volkshochschule. Verband Wiener Volksbildung. Wien 2002. ISBN 3-900700-44-X
- Hund im Saturn. Zeitung des WISS - 2, Dezember 1994
- Marlen Schachinger: Werdegang. AutorInnen zwischen autodidaktischer und institutioneller Ausbildung. Dissertation der Universität Wien. 2012 http://othes.univie.ac.at/19280/1/2012-03-12_8905229.pdf
- Anita C. Schaub: Die Sprache ist ein Organismus, Wiener Zeitung, 28.Juli 2007, Beil. extra. S.8
- Wondratsch: Achtung bissige Bytes! Kreatives Schreiben im Unterricht zum Thema Arbeitswelt. Hrsg.: AK Wien und AK Steiermark - Arbeitswelt und Schule. Wien 1999. ISBN: 3-7063-0390-6
Weblinks
- http://archiv.vhs.at/vhsarchiv_suche.html?result=1&id=42923&count=14
- https://adulteducation.at/de/weiterbildung/1266
- https://www.bös.at/
- https://www.diepresse.com/1285248/schreibhandwerk-auf-den-punkt-gebracht
- http://aws.arbeiterkammer.at/assets/uploads/Achtung_Bissige_Bytes_2010_online.pdf
- https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20020927_OTS0042/alte-schmiede-anleitungen-zum-schreiben
Einzelnachweise
- ↑ Viktor Billek, Gerwalt Brandl, Christine Brauner et.al.: Polycollege "Schreibwerkstatt Stöbergasse". Volkshochschule Margareten. In: Die österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung.. Nr. 172, Wien 1994, S. 26-28.
- ↑ BÖS. Unsere Geschichte. Abgerufen am 10.12.
- ↑ https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20020927_OTS0042/alte-schmiede-anleitungen-zum-schreiben
- ↑ vom wortfall vom sammeln. Edition Volkshochschule, Wien 2002, ISBN 3-900799-44-X.
- ↑ Marlen Schachinger: Werdegang. a.a.O., S. 473.
- ↑ Volksbildungshaus Wiener Urania, Kursprogramm 2004: https://adulteducation.at/de/weiterbildung/1266
- ↑ Anita C. Schaub: Die Sprache ist ein Organismus. In: Wiener Zeitung. Beilage extra, 28. Juli 2007, S. 8.