Prozesskostenrisiko

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Als Prozesskostenrisiko wird das Kostenrisiko einer Partei in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren bezeichnet, wenn die Klage oder das Verfahren oder die Beteiligung am Verfahren (z. B. als Privatbeteiligter) vollständig abgewiesen würde. In vielen Verfahren in Österreich gilt der Grundsatz, dass die unterlegen Partei der obsiegenden Partei die Kosten zu ersetzen hat. In wenigen Verfahren (z. B. im Außerstreitrecht) gibt es die Möglichkeit, dass das Entscheidungsorgan die Kosten nach freiem Ermessen aufteilt bzw. zuspricht.

Im Sinnspruch (lat.): Coram iudice et in alto mare in manu dei soli sumus (dt.: Vor Gericht und auf hoher See sind wir allein in Gottes Hand, engl.: On the high seas and before the court, one's fate is in Gods hand) wird deutlich, dass Recht, Gerechtigkeit oder auch nur Fairness oft nur ein Zufallsprodukt sind und damit auch die Entscheidung darüber, ob und wer die Prozesskosten zu tragen hat (dies auch im Außerstreitverfahren).

Zugang zum Recht

Die Kosten für ein gerichtliches oder behördliches Verfahren und die Möglichkeit, dass die unterliegende Partei diese zur Gänze tragen muss, wird als eine Schranke für die Geltendmachung von Ansprüchen gesehen. Gerade bei kleinen Beträgen in gerichtlichen und behördlichen Strafverfahren sind die Kosten z. B. für die anwaltliche Vertretung rasch höher als der Strafbetrag selbst, wodurch bei einem Unterliegen der Betroffene neben der Strafe auch noch z. B. die eigenen Anwaltskosten zu tragen hat. In Österreich wird in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen bei geringen Strafen die Beigebung eines Verfahrenshelfer von Gerichten oder Behörden verweigert, weil angeblich keine Aussicht auf erfolgreiche Geltendmachung bestehe. Es ist nicht ungewöhnlich in Österreich, dass das Gericht bzw. die Behörde, welche im Fall selbst entscheidet, auch über die Beigebung eines Verfahrenshelfers entscheidet.

Gerade bei materiell schlechter gestellten Personen kann ein negativer Verfahrensausgang, wenn nicht den finanziellen Ruin, so doch eine erhebliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation zur Folge haben. Selbst bei guten Prozessaussichten bleibt immer ein Restrisiko, so dass regelmäßig solche Personen auf die Geltendmachung ihrer Ansprüche verzichten.

Dieser Gegensatz, zwischen dem verfassungsrechtlich und grundrechtlich gewährten Recht auf Zugang zum Recht, kann durch dieses Prozesskostenrisiko, welches in der Regel im besten Fall nur minimiert werden kann, nicht aber eliminiert, teilweise konterkariert werden.

Grundsätzlich ist der Zugang zum Recht vom Staat zu gewährleisten und darf er nicht (finanzielle) Schranken errichten, durch welche es dem Normalbürger erschwert oder verwehrt wird, dieses Recht auf Zugang zum Recht in Anspruch zu nehmen. Dies wird auch in bestimmten Facetten vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Stassburg bei der Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), vor allem unter Bezug auf Artikel 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), so gesehen. Einschränkungen des Zugangs zum Recht (auch durch finanzielle Hürden) sind demnach zwar grundsätzlich zulässig, jedoch nur dann, wenn sie

Der Staat muss jedenfalls dafür Sorge tragen, dass dem Normunterworfenen der Zugang zum Gericht nicht aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen verwehrt wird. Dies geschieht in Österreich bzgl. der wirtschaftlichen Hürden vor allem durch die Möglichkeit der Verfahrenshilfe.

Milderung des Prozesskostenrisikos

Eine Milderung des Prozesskostenrisikos erfolgt durch die Verfahrenshilfe. Diese bedeutet eine Befreiung von den Gerichtskosten, den Kosten für einen Sachverständigen und auf Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands (Verfahrenshelfer) für den Antragsteller. Die Kosten sind, wenn sich die wirtschaftliche Situation einer Partei innert drei Jahren verbessert, dem Staat zurückzuzahlen.

Wird im Verfahren nicht obsiegt, sind die Kosten der Gegenseite dennoch von der unterlegene Partei zu tragen. Die Verfahrenshilfe deckt diese Kosten der Gegenseite nicht ab.

Abwälzung des Prozesskostenrisikos

Eine gänzliche Abwälzung des Prozesskostenrisikos kann zum Beispiel durch eine:

Prozesskostenfinanzierung

Die Prozesskostenfinanzierung ist eine relativ neue Einrichtung in Europa und spezielle Unternehmen finanzieren ein Verfahren, wenn sie dafür vom erstrittenen Klagsbetrag einen Anteil erhalten (z. B.: 50%). Diese Variante ist in der Praxis bei den Fällen anwendbar, in denen ein ausreichend hoher Klagsbetrag erstritten werden kann, der für einen solchen Prozesskostenfinanzierer lukrativ erscheint. Kleinen Verfahren sind in der Regle für einen Prozesskostenfinanzierer uninteressant, da alleine der Aufwand für die Prüfung der Erfolgsaussichten den möglichen finanziellen Erfolg überschreitet.

Rechtschutzversicherungen

Rechtschutzversicherungen sind eine inzwischen weit verbreitete Möglichkeit sich vor dem Prozesskostenrisiko zu schützen. Rechtschutzversicherungen übernehmen im Rahmen des Versicherungsvertrages die Aufwendungen für die Gerichtskosten, den Rechtsvertreter des Versicherungsnehmers, einen oder mehrere Sachverständige und die Kosten der Gegenseite (soweit vom Gericht zugesprochen), wenn das Verfahren verloren wird.

Rechtschutzversicherungen stellen daher eine weitaus effektivere Möglichkeit dar, den Normunterworfenen den Zugang zum Recht zu gewährleisten. Da dieses System der Rechtschutzversicherung auf der Solidarität der Versicherungsnehmer basiert, ist es jedoch für den Betroffenen nicht kostenlos wie die Verfahrenshilfe, sondern er und die anderen Versicherungsnehmer finanzieren den Rechtschutz mit den Versicherungsbeiträgen in der Regel über Jahre hinweg vor.

Erfolgshonorar

Die Vereinbarung eines Erfolgshonorars mit einem Rechtsanwalt ist in Österreich nur in sehr begrenztem Maße zulässig und darf keinesfalls das gesamte Entgelt der anwaltlichen Vertretung umfassen. Es ist dies auch eine für den Normalbürger eher selten mögliche Variante.

Prozesskostenhinderniss Aktorische Kaution

Für ausländische Kläger vor einem österreichischen Gericht stellt die Aktorische Kaution (Prozesskostensicherheitsleistung) unter Umständen eine relevante Hürde für den Zugang zu Recht dar. Es ist dies jedoch grundsätzlich kein besonderes Prozesskostenrisiko, da diese Sicherheitsleistung lediglich die Kosten der Rechtsvertretung der Gegenseite umfasst, die bei einem Verlust des Verfahrens jedenfalls bezahlt werden müsste. Dennoch kann auch dieses Rechtsinstitut - insbesondere Personen mit schwacher finanzieller Grundlage - davon abhalten, ihr Recht in einem ausländischen Staat geltend zu machen.

Beispiele

Zivilverfahren

Wird von einem Streitwert von 1000 Euro ausgegangen und sehr konservativ gerechnet, so betragen die Gerichtskosten in einem einfachen Zivilverfahren etwa 70 Euro und jede Stunde des eigenen Rechtsanwaltes kostet vor Gericht etwa 170 Euro und mehr. Ein einfaches Gerichtsverfahren dauert ohne weiteres 2 bis 3 Stunden, so dass alleine für die eigene Rechtsvertretung etwa Euro 500 Euro anfallen. Wird das Verfahren verloren, so sind auch die Kosten der Gegenseite von ebenfalls etwa 500,- zu tragen. Musste ein Sachverständiger beigezogen werden, sind hierfür ohne weiteres weitere 500 bis 2500 Euro zu rechnen.

Selbst wenn das Verfahren in erster Instanz gewonnen wird, kann sich dies in zweiter Instanz ohne weiteres wieder ändern. Legt somit die unterlegene Partei ein Rechtsmittel ein, so sind für die zweite Instanz mindestens dieselben Kosten wie für das Verfahren in erster Instanz (jedoch meist ohne Sachverständigenkosten) zu rechnen. Der ursprüngliche Streitwert von Euro 1000 ist somit bereits rasch alleine durch die Gerichtskosten und die Rechtsanwaltskosten (Verfahrenskosten) überschritten.

In der Praxis kann davon ausgegangen werden, dass sich im einfachen Zivilverfahren erst bei einem Streitwert erst ab Euro 4000 eine tragbare Relation zwischen den Verfahrenskosten und dem Prozesskostenrisiko einstellt, sofern keine Rechtschutzversicherung die Kosten übernimmt.

Verwaltungsstrafverfahren

Wird bei einer Übertretung nach dem Verwaltungsstrafgesetz (VStG) z. B. wegen Unterschreitung des Mindestabstandes auf der Autobahn zum vorderen Fahrzeug eine Strafe von 150 Euro verhängt, so ist alleine zur Geltendmachung der Rechte, falls ein Anwalt beigezogen werden muss, was aufgrund der komplizierten Rechtsprechung hierzu meist erforderlich ist, mit Anwaltskosten von mindestens 500 Euro zu rechnen. Das Prozesskostenrisiko ist dabei den meisten Personen zu hoch und sie bezahlen die Strafe. Das Recht auf Zugang zum Recht ist zwar gegeben, wird jedoch durch die Komplexität der Rechtsprechung zu bestimmten Sachverhalten soweit erschwert, dass dieses Grundrecht in der Regel in der Praxis kaum mehr wahrgenommen wird.

Ganz besonders kam dieser Effekt bei der rechtswidrigen Verhängung von Verwaltungsstrafen nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz und den hierzu erlassenen Verordnungen zum Tragen. Obwohl von vielen Juristen und auch Richtern des Bundesverwaltungsgerichts auf die Rechtswidrigkeit dieser Strafen frühzeitig hingewiesen wurde, wurden diese weiter von der Exekutive mit Billigung der österreichischen Bundesregierung unter Sebastian Kurz verhängt und von vielen Personen auch bezahlt, die nun grundsätzlich keinen Anspruch mehr hätten, diese Strafen zurückzuerhalten, obwohl inzwischen der Verfassungsgerichtshof die Rechtswidrigkeit der hierzu erlassenen Verordnung und damit vieler dieser Strafen festgestellt hat. (siehe: Chronologie der Corona-Krise in Österreich).

Literatur

  • Jobst-Hubertus Bauer: Das Prozesskostenrisiko und die Möglichkeiten seiner Begrenzung im sozialen Rechtsstaat, Dissertation, Freiburg im Breisgau 1976.
  • Herrmann Arnd: Probleme des Prozesskostenrisikos unter besonderer Berücksichtigung des Armenrechts, Dissertation, Kiel 1973.

Einzelnachweise

  1. Siehe: Entscheidung 6289/73 vom 9. Oktober 1979 idS Airey vs. Irlande; Entscheidung 8225/78 vom 28. Mai 1985 idS Ashingdane vs. Royaume; Entscheidung 14003/88 vom 27. August 1991 idS Philis vs. Grèce; Entscheidung 38212/97 vom 30. Oktober 1998 idS F.E. vs. France; Entscheidung 40031/98 vom 19. September 2000 idS Gnahoré vs. France; Entscheidung 68490/01 vom 12. Juli 2007 idS Stankov c. Bulgarie; Entscheidung 20656/03 vom 25. September 2007 idS Loncke vs. Belgique; Entscheidung des EGMR 72118/01 vom 15. November 2007 idS Khamidov vs. Russie.