Schesa-Murbruch
Schesa-Murbruch (auch: Schesa, Schesabruch, Schesatobel-Murbruch, Murbruch Schesatobel, Murbruchkessel Schesatobel oder gleichgesetzt mit dem ganzen Schesatobel als solches) bezeichnet einen der größten Murgänge in Europa (Murbrüche werden auch als Mure, Murgang, Gisse oder Rüfe bezeichnet), der in der Gemeinde Bürserberg in Vorarlberg liegt.
Lage und Ausmaß
Der Murbruch liegt ziemlich in der Mitte der Gemeinde Bürserberg, etwa 900 Meter westlich des Ortszentrums 47.1361069.759124 Zur nordöstlich gelegenen Ill sind es rund 3500 Meter Luftlinie.
Die höchste Kante des Murbruchs liegt (2020) auf etwa 1430 m ü. A. und fällt auf eine Länge von rund 1200 Metern um 150 Meter ab. Der Murbruch hat eine sichtbare Breite an offenen Gestein von etwa 650 Metern. Die heute noch sichtbare offene Fläche des Murbruchs beträgt weit über 500.000 m², ein Teil davon wurde nach dem Abtragen des Lockergesteins und Schlamm wieder renaturiert durch Begrünung und Aufforstung.
Vor Beginn des Abbaus des Materials war der Murbruch etwa 600.000 m² groß, 1800 Meter lang und rund 700 Meter breit und hatte eine Höhe bis zu 200 Meter.[1]
Entstehungsgeschichte
Der Schesa-Murbruch entstand nach der Teilung der Gemeinden Bürs und Bürserberg im 18. Jahrhundert, als ab 1796 etwa 15 Hektar Wald geschlägert wurden. Über die Gründe für diese großflächigen Schlägerungen gibt es verschiedene Überlieferungen. Dadurch kam der gesamt Hang zuerst langsam in Bewegung. 1802 wurde die erste Hangbewegung festgestellt, 1810, 1811, 1819 und 1820 weitere. 1823 erfolgte ein großer Murgang, durch den das Gebiet des Bürser Außerfeldes einschließlich des Bauernhofes Reinegg schwer in Mitleidenschaft gezogen bzw. zerstört wurde. 1864 drängte eine weitere Mure die Ill in Richtung Nüziders ab. 1876, 1879, 1880 und 1885 kam es immer wieder zu großen und kleinen Murgängen. Der Murgang von 1885 verlegte auch das Bett der Ill und dies führte zu großflächigen Überschwemmungen. Dieser Schemmkegel ist auch im heutigen Ausmaß noch weitgehend sichtbar. Zu Beginn der 20. Jahrhunderts wurde eine staatliche Verbauung von Wildbächen in ganz Vorarlberg begonnen, 1889 des Schesa-Murbruches, da Österreich-Ungarn sich im Zuge der Rheinregulierung gegenüber der Schweiz verpflichtet hatte, das Geschiebe aus den Zuflüssen des Rheins durch geeignete Verbauungen zurückzuhalten.[2][3][4] 1907 kommen 200.000 m³ in Bewegung.
1916 werden russische Kriegsgefangene eingesetzt, die den Russendamm und den Russenkanal auf der Alpe Burtscha errichteten, um das Gebiet zu sichern bzw. zu entlasten. Die Verbauungen gehen auch nach dem Ersten Weltkrieg weiter voran.[5]
Seit den 1950er-Jahren wird der Schesa-Murbruch daher bergmännisch und gewinnbringend abgebaut. 1966 (Martins-Rutschung) kamen wiederum an der Ostseite etwa 500.000 Kubikmeter talwärts in Bewegung und es drängte sich eine dauerhafte Sicherungsmaßnahme auf. Diese wurde im massiven kontrollierten Kiesabbau mit Anlegung von Terrassen und Abflachung der Böschungsschräge gefunden.[6][7] Aufgrund der Verunreinigung des vorhandenen Gesteins mit feinen Sedimenten sind etwa 30% nicht verwertbar und müssen deponiert werden. Die Deponie dieser Schlämme bedingt immer wieder neue Lösungsansätze.
Bis heute wurden ca. 70 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln aufgewendet, um den Hang zu stabilisieren und die unterliegenden Siedlungen und Verkehrsverbindungen zu sichern. Im Gesamten sind bis heute etwa 40 bis 50 Millionen Kubikmeter Gestein und Schlamm in Bewegung geraten.[8] Die seit 1899 errichteten, mehr als 100, Geschiebesperren aus Mauerwerk und Beton haben die damalige Sohle um durchschnittlich etwa 40 Meter (bis zu 70 Meter) angehoben und etwa 2,5 Millionen m³ Material zurückgehalten. Durch die Sicherungsmaßnahmen wurde die Besiedlung nach 1950 wieder zum Schesa-Murbruch ausgedehnt.
Urzeittiere
Im Juli 1859 fand Christian Ganahl ein ihm unbekanntes Stück, welches er für Holz hielt. Im Jänner 1860 erkannte ein Drechsler dieses als ein Stück Elfenbein. Es handelte sich um einen Mammutzahn. Der Textilfabrikant John Douglas erwarb das Stoßzahnfragment am 12. März 1860 und schenkte ihn dem Vorarlberger Landesmuseum. Es kam in weiterer Folge zu mehreren Funden von Mammutteilen im Bereich des Schesatobel (z. B. Ende Mai 1860 durch Walburga Küng und Xaver Stunz) Am 26. Mai 1860 wurde ein beinahe vollständiger Stoßzahn durch Ignaz Neßler aus Bürserberg gefunden. Weitere Stoßzahnfragmente wurden entdeckt, zuletzt 1997 von einem Baggerfahrer beim Kiesabbau.[9]
Geologie
Der geologische Bruchkessel Schesa-Murbruch dokumentiert einerseits eindrucksvoll die Auswirkungen, die menschliche Eingriffe in die Natur haben können. Andererseits war diese großflächige Abholzung nur die Beschleunigung eines Prozesses, der früher oder später auch aus anderen Ursachen, wenn vielleicht auch hunderte oder tausende Jahre später, erfolgt wäre. Die geologischen Ursache des Murgangs sind komplex. Das Gebiet der Schesa ist Teil der so genannten „Arosazone", die aus weichen, erosionsanfälligen Gesteinen (Gips, Mergel, Konglomerate) aufgebaut ist. Es liegen daher ungünstige Verbindungen von labilen Grundgesteinen, tektonischen Einflüssen und eiszeitlichen Ablagerungen vor, welche durch den Einfluss der Gebirgsbildung (Tektonik) - extreme Auffaltung und Zerscherung - zusätzlich geschwächt wurden. Während der letzten Eiszeit sperrten die Gletscher des Walgau hier zusätzlich Moränen auf, die nur noch einer initialen Auslösung bedurfte, um den Prozess des Murgangs in Gang zu setzen. Ein Murgang weißt deutlich mehr Energie auf, als z. B. ein Hochwasser und hat daher ein erheblich höheres Schadenspotential. Der Prozess ist nicht abgeschlossen, solange nicht alle Lockermassen abgetragen sind.[10] Der obere Bruchrand rückt immer noch jährlich um mehr als 10 cm talaufwärts. Die durchgeführten Rückböschungen mit Begrünungen und Aufforstungen sind dabei aus heutiger Sicht eine wichtige Maßnahme, um weitere Murenabgänge zu verhindern.
Murabgang-Versuch
Das Gebiet des Schesa-Murbruchs wurde vom Institut für Alpine Naturgefahren der Universität für Bodenkultur in einem Versuch eine künstliche Mure ausgelöst, um bessere Schutzbauten erforschen zu können. Dazu wurde ein Staubecken angelegt, mit welchem die künstliche Mure ausgelöst wurde. Dabei sollte sowohl die Kraft der Mure, die Höhe der Mure, die Geschwindigkeit und die Materialmenge erfasst werden. Es kam dabei zu einer relativ hohen Fließgeschwindigkeit von bis zu sechs Meter pro Sekunde (21,6 km/h) und beim Aufprall großer Felsbrocken wurde ein Druck von bis zu acht Tonnen pro Quadratmeter gemessen. Aus einem abfließenden Kubikmeter Wasser wurden etwa zehn Kubikmeter Lockermaterial.[11]
Verwertung
Kiesgewinnung
Die wirtschaftliche Verwertung des im Schesa-Murbruch befindlichen Materials erfolgt durch das Abtragen von lockerem Gestein. Dies hat den Vorteil, dass die öffentliche Hand nicht noch mehr Steuermittel zur Stabilisierung des Gebietes aufwenden muss und gleichzeitig eine Versorgung der Region mit Baurohstoffen stattfindet, die ansonsten ungenützt wären. Die Verwertung wurde einem Unternehmen übertragen der Fa. Zech Kies GmbH. Diese ließ 1994/1995 ein rund 3,2 Kilometer langes Förderband errichten, mit welchem das Material vom Berg ins Tal abtransportiert und gleichzeitig elektrische Energie gewonnen wird.[6][12]
Aus dem Schesa-Murbruch werden jährlich etwa eine Million Tonnen Rein-Material gewonnen. Die Fa. Zech Kies GmbH ist damit der führende Kiesversorger in Vorarlberg.[13] Dies entspricht einer täglichen Abbauleistung von rund 5000 Tonnen Rohmaterial.[7]
Schlammdeponierung
Durch den Abbau des Murganges fallen unverwertbare Schlämme an, die deponiert werde müssen. Bis zu 30% des Rohmaterials ist nicht verwertbar. Dies sind rund 100.000 m³ pro Jahr.
Förderband
Das installierte unterirdische Förderband von rund 3,2 Kilometer Länge befördert das Rohmaterial über 450 Meter Höhenunterschied in die Aufbereitungsanlage in Nüziders. Durch die Abwärtsbewegung des Rohmaterials werden jährlich bis zu 150.000 Kilowattstunden (kWh) elektrische Energie umgewandelt.
- Technische Daten
- Gesamtlänge: 3200 m,
- Höhenunterschied: 450 m,
- Bandgeschwindigkeit: 2,09 m/s,
- Breite des Förderbandes: Band 1 und 2: 800 mm, Band 3, 4 und 5: 1.000 mm,
- Förderleistung: Band 1 und 2: 400 t/h, Band 3, 4 und 5: 600 t/h,
- Energiegewinnung: 400 KWh
- Antrieb: 5 Elektroantriebe mit einer installierten Gesamtleistung von 562 kW.[14]
Literatur
Markus Zimmermann: Murgänge erkennen und bewerten. In: Björn Oddson (Hrsg.): Instabile Hänge und andere risikorelevante natürliche Prozesse: Nachdiplomkurs in angewandten Erdwissenschaften. Birkhäuser Verlag, Basel 1996, ISBN 3-7643-5472-0, S. 183–196 (online).
Weblinks
Schesa-Murbruch – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien auf Wikimedia Commons
Einzelnachweise
- ↑ Reinhard Decker, Bürserberg: Eine Berggemeinde im Brandnertal, google books.
- ↑ Staatsvertrag zur Rheinregulierung
- ↑ Vorarlberger Landtag, Bregenzer Tagblatt vom 23. September 1908, Nr. 218, S. 1 f.
- ↑ Die Wildbachverbauung im österreichischen und schweizerischen Rheingebiet, Österreichische Monatszeitschrift für den öffentlichen Bundesdienst, 1907, Ausgabe 3, S. 48.
- ↑ Geschichte, Webseite: Gemeide Bürserberg.
- ↑ 6,0 6,1 KR Herbert Zech: Ein Leben für Kies & Sand, Webseite: allerhand-magazin.at vom 27. August 2018.
- ↑ 7,0 7,1 Rohstoffabbau extrem, Webseite: zeppelin-cat.de vom 2. April 2019.
- ↑ Exkursion des Geschichtsvereins ins Schesatobel, vol.at vom 4. Juni 2009.
- ↑ J. Georg Friebe: Eiszeitgiganten auf Sommerfrische, Webseite: themavorarlberg.at vom September 2016.
- ↑ Phänomen Schesatobel„200-jährige" Naturkatastrophe oder Abtrag der Alpen im „Zeitraffer", Webseite: naturgefahren.at vom 11. Dezember 2012.
- ↑ Künstliche Mure für bessere Schutzbauten, Webseite: ORF.at.
- ↑ Schesatobel: Kampf gegen Natur geht weiter, Webseite: orf.at vom 14. Mai 2014.
- ↑ Die Zechgruppe, Webseite: zechgruppe.at.
- ↑ Schesa-Murbruch, Webseite: zechkies.at.
47.1343869.756878Koordinaten: 47° 8′ 4″ N, 9° 45′ 25″ O