Innsbrucker Hexenprozess
Der Innsbrucker Hexenprozess ist eine gerichtliche Verhandlung, die im Sommer und Herbst 1485 in Innsbruck durchgeführt wurde. Er gilt als der erste große Hexenprozess im heutigen Österreich. Nur wenige Tage, nachdem die Hauptverhandlung im Oktober 1485 eröffnet worden war, wurde er abgebrochen und in der Folge nicht mehr weitergeführt. Die angeklagten Frauen wurden freigelassen, der Inquisitor in den darauf folgenden Monaten zur Abreise genötigt. Wegen seines Verlaufs und Ausgangs, der von der historischen Forschung als ungewöhnlich eingestuft wird, ist dieser Hexenprozess im 21. Jahrhundert recht bekannt geworden.
Die Ausgangssituation
Der Dominikanerpriester und Inquisitor Heinrich Kramer hatte zu Beginn der 1480er-Jahre im Südwesten des Heiligen Römischen Reiches zahlreiche Hexenverfolgungen initiiert und war dabei auf starken Widerstand gestoßen. Deshalb bemühte er sich für seine weiteren Verfolgungen um die Unterstützung und Förderung höherer Stellen. Am 5. Dezember 1484 veröffentlichte Papst Innozenz VIII. (Giovanni Battista Cibo) († 1492) die päpstliche Bulle "Summis desiderantes affectibus", die als sogenannte "Hexenbulle" bekannt wurde und als Grundlage für Hexenprozesse Verwendung fand. Heinrich Kramer gilt als Verfasser ihres Textes. Er nutzte sie in den nächsten Jahren bei seinen Aktivitäten als Hexenverfolger zur Legalisierung und verwendete sie auch für sein berüchtigstes Buch, den Hexenhammer.[1] Auf Heinrich Kramers "demütige Bitte" hin ließ Erzherzog Siegmund "der Münzreiche" für ihn am 8. Dezember 1484 ein Dokument ausstellen, worin er ihm in allen seinen Ländern für ein ganzes Jahr lang Sicherheit und freies Geleit gewährte, um dort dem päpstlichen Auftrag nachkommen zu können und so Hexen, Unholde, Zauberer und andere "Mängel des heiligen christlichen Glaubens" ausfindig zu machen und nach dem geistlichen Recht abzustrafen. Der Erzherzog beauftragte in diesem Schreiben seine weltlichen Amtsträgern und seine Untertanen mit Nachdruck, Heinrich Kramer beständig zu schützen, ihn bei seiner Tätigkeit nicht zu behindern, niemandem das zu erlauben und auch niemanden dabei zu unterstützen.[2]
Das Verfahren
Im Juli 1485 suchte Heinrich Kramer Bischof Georg (II.) von Brixen auf. Dieser förderte seine Unternehmung nicht nur dadurch, dass er die päpstliche "Hexenbulle" ordnungsgemäß in seiner Diözese publizieren ließ, sondern er gewährte Personen, die an den Hexenverfolgungen mitwirken wollten einen vierzigtägigen Ablass.[3] Ende Juli reiste Heinrich Kramer nach Innsbruck weiter, wo er Predigten hielt und erste Befragungen und Untersuchungen durchführen ließ. Bis Ende August 1485 waren bereits ca. 50 Personen der Hexerei verdächtigt.[4] Bei der Zeugenbefragung, die Heinrich Kramer im August und September 1485 vornahm, fällt auf, dass die Befragten sich bei ihren belastenden Aussagen auf den Schaden bezogen, der ihnen durch Hexerei angeblich zugefügt war. Beschuldigung wie der Teufelspakt, Hexenritte und Ähnliches finden sich nicht.[5] Auffällig ist außerdem, dass die meisten der Befragten nicht bereit waren, ihre Aussagen zu beeiden.[6]
Obwohl Heinrich Kramer selbst bei seinen Verhören und Zeugenbefragungen Unkorrektheiten einräumt, wurde er noch in der zweiten Septemberhälfte des Jahres 1485 von Bischof Georg unterstützt. Dabei stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest, dass viele erhobene Verdachtsgründe auf bloßen Gerüchten beruhten.[3] Anfang Oktober wurden sieben Frauen verhaftet.[7] In den Wochen bis zur Hauptverhandlung ließ Heinrich Kramer gegen diese einen sogenannten "processus informativus" vornehmen, sozusagen die Vorstufe zum eigentlichen Gerichtsverfahren. Trotzdem er dabei abermals rechtlich fragwürdig vorging, gibt es keine Hinweise dafür, dass die Folter tatsächlich angewendet worden war. In der zusammenfassenden Anklageschrift wird sie allerdings vorgeschlagen.[8]
Bischof Georg machte während den Untersuchungen keineswegs von seinen Mitspracherechten, die im Schreiben von Erzherzog Siegmund ausdrücklich festgelegt waren, irgendeinen Gebrauch. Stattdessen entschuldigte er sein Nichterscheinen mit seiner Krankheit und übertrug Heinrich Kramer ausdrücklich jene Gewalt, die ihm als Bischof zugestanden hätte.[3] Der Erzherzig entband den Fürstbischof allerdings nicht von der ihm brieflich bestätigten Pflicht, mit dem Inquisitor zusammenzuarbeiten. Er forderte von diesem noch Anfang Oktober, als Kramer bereits mehrere Frauen hatte verhaften lassen, dieser selbst nachzukommen oder sich durch einen Kommissar vertreten zu lassen.[9]
Die Hauptverhandlung
Die Hauptverhandlung dauerte vom 29. - 31. Oktober 1485 vor einem Gerichtshof, der sich aus mehreren Geistlichen und zwei Notaren zusammensetzte. Heinrich Kramer fungierte als Ankläger.[10] Er eröffnete den ersten Verhandlungstag, den 29. Oktober 1485, indem er eine der Angeklagten offiziell vorführen ließ und diese selbst befragte. Die Fragen und die Art seiner Befragung hatten Proteste des bischöflichen Kommissärs zur Folge, der sogar damit drohte, die Verhandlung zu verlassen. [10] Es kam es zu einer ersten Unterbrechung, gegen Mittag wurde die Verhandlung fortgeführt. Eine Beschwerde des Juristen Johannes Merwart, der erst zu diesem Zeitpunkt als Beobachter und Verteidiger der Angeklagten zugezogen worden war, hatte zur Folge, dass die Verhandlung auf den 31. Oktober 1485[A 1] vertagt wurde. Seine Beschwerde basierte auf Vorkommnisse vor und während des Prozesses, die Johannes Merwart als Verfahrensfehler auslegte. Heinrich Kramer hatte den Angeklagten Fragen gestellt, die nicht in seiner Kompetenz als Inquisitor lagen und diese waren bei ihren Verhören außerdem nicht zu den in den Zeugenaussagen gemachten Vorwürfen befragt worden. Zudem war die Inhaftierung der Angeklagten erfolgt, noch ehe der Prozess gegen sie eingeleitet worden war. Der Hauptpunkt betraf allerdings den Umstand, dass die Zeugenvernehmungen und alle Aktenaufzeichnungen ohne öffentlichen Notar vorgenommen worden waren. Er forderte außerdem Einsicht in die päpstliche Bulle und beschuldigte den Inquisitor daraufhin, dass er sich auch nicht an die dort angeführte Vorgehensweise gehalten hätte. Er forderte sogar dessen Verhaftung.[11]
Die Verhandlung wurde am 31. Oktober 1485 fortgeführt. Johannes Merwart konnte seine Forderung nach einer Prüfung des Vorgehens des Inquisitors gegen die Angeklagten gegen Heinrich Kramer durchsetzen, was zur Folge hatte, dass die Beschwerdepunkte anerkannt und daher bisherige Prozessverfahren für null und nichtig erklärt wurde.[12] Die sieben inhaftierten Frauen wurden an den beiden Folgetagen freigelassen, dies allerdings unter der Auflage, dass sie sich für eine weitere Untersuchung oder zur Leistung einer "kanonischen" Reinigung dem Gericht erneut zu stellen hatten. Außerdem mussten sie Bürgen stellen.[13] Die Möglichkeit einer Wiederaufnahme oder Fortsetzung des Verfahrens wäre also durchaus gegeben gewesen, was auch erklärt, warum Heinrich Kramer sich danach noch mehr als 11 Wochen in Innsbruck aufhielt, wo er Naterial für einen neuen Prozess sammelte.[14]
Der weitere Verlauf
"De facto" war der Innsbrucker Hexenprozess mit der Freilassung der Angeklagten und dem vorläufigen Abbruch des Prozessverfahrens beendet. Der Prozess wurde in der Folge nicht weitergeführt oder erneut eröffnet. Noch am 31. Oktober 1485 erklärte sich Erzherzog Siegmund bereit, sämtliche Kosten, welche dem Inquisitor und seinem Gefolge entstanden waren sowie die Kosten der Einkerkerung und Bewachung der Angeklagten zu begleichen. Er stellte aber klar, dass er seine Kasse die Kosten, die aus einer Fortführung dieses Prozesses oder aus einem weiteren Prozess entstehen würden, nicht mehr übernehmen werde.[15]
Heinrich Kramer blieb weiterhin in Innsbruck, wo er Material für einen neuen Hexenprozess sammelte. Noch Anfang Februar 1486 äußerte sich Bischof Georg positiv über sein Vorgehen bei den Hexenverfolgungen.[3]
Historische Bedeutung und Folgen
Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485 war nicht nur der erste große Hexenprozess im heutigen Österreich, er sollte zumindest im Bundesland Tirol der letzte große Hexenprozess bleiben. Um 1586/87 publizierte Heinrich Kramer sein berüchtigtes Buch "Malleus Maleficarum", besser bekannt als der Hexenhammer. Die Publikation gilt heute als Folge seiner Erfahrungen mit dem Innsbrucker Hexenprozess.[16]
Beteiligte Personen (Auswahl)
- Heinrich Kramer († um 1505), auch bekannt als Heinrich Institoris oder Heinrich von Schlettstadt, Dominikaner, Inquisitor, Autor des Buches "Malleus maleficarum (publiziert 1586)
- Erzherzog Siegmund von Österreich, Graf von Tirol, besser bekannt als "Siegmund der Münzreiche", war als Tiroler Landesfürst, der für Innsbruck zuständige Herrscher. Nachdem er Heinrich Kramer zunächst unterstützte, dürften er oder seine Räte durch die Einbeziehung des Juristen Johannes Merwart für den Abbruch des Prozesses gesorgt haben. Dadurch, dass er Bischof Georg nicht von seiner Pflicht entband, gemeinsam mit dem Inquisitor den Prozess durchzuführen, durch die Übernahme der bis Ende Oktober 1485 angefallenen Prozesskosten und mit der Aberkennung des Schutzes für den Inquisitor beeinflusste er den Ausgang des Prozesses wesentlich und verhinderte so dessen Fortführung oder den Beginn eines weiteren Prozesses.[8]
- Georg Golser († 20. Juni 1489, in Brixen), 1464–1488 Fürstbischof von Brixen, war als solcher der für die Stadt Innsbruck zuständige Bischof, der Heinrich Kramer zunächst ebenfalls unterstützte. Er korrespondierte während des Prozesses mehrmals mit dem Landesfürsten. Vom Prozess selbst hielt er sich fern und bestellte Sigmund Saumer, damals Pfarrer von Axams, zu seinem Stellvertreter.[4] Auffällig ist, dass sich dieser wie auch Leute des Erzherzogs an den Befragungen kaum beteiligten.[17] Georg Golser wurde durch die Forschungsarbeiten von Hartmann Ammann Inbegriff eines Gegners der Hexenverfolgungen stilisiert, was von den meisten neueren Arbeiten wie zum Beispiel der Neuen Deutschen Biographie unhinterfragt übernommen wurde. Nach Manfred Tschaikner wurde seine Bedeutung für den Innsbrucker Hexenprozess und seine tatsächlichen Aktivitäten stark überschätzt.[18]
- Johann Kantner, päpstlicher Notar aus der Diözese Utrecht, führte die meisten Verhöre zusammen mit Heinrich Kramer. Bei den Verhören wurde Heinrich Kramer von einigen Dominikanern unterstütz, die namentlich belegt sind, so Wilhelm Beringer, Heinrich Hoffmann, Wolfgang von Basel, Caspar von Freiburg und Magister Johann von Bosbach und außerdem durch den Minoriten Johann Rosenbart und den "Schirmaister" Paul Cael (Caal).[17]
- Der Minorit Johann Rosenbart war ein früherer Kaplan von Erzherzog Siegmund, er könnte vielleicht in Vertretung von diesem an einigen Verhören teilgenommen haben.[9]
- Johannes Merwart war ein Jurist, der als juristischer Beobachter und Verteidiger der Angeklagten nach Beginn der Hauptverhandlung im Oktober 1485 zu dieser überraschend zugezogen worden war. Nach neueren Forschungsergebnissen erfolgte seine Beteiligung an dem Prozess durch Erzherzog Siegmund "dem Münzreichen" und dessen Ratgeber.
- Im Innsbrucker Hexenprozess wurden offiziell sieben Frauen angeklagt, die alle in Innsbruck ansässig waren: Barbara Selachin, Barbara Hufeysen, Rosina Hochwartin, ihre Mutter Barbara Röslin, Agnes Witwe Peter-Sneider, Barbara Pflieglin und Helena Scheuberin.[7] In den Verhörprotokollen wird außerdem die getaufte Jüdin Ennel Notterin als Gefangene genannt.[19]
War der Innsbrucker Hexenprozess tatsächlich ein Hexenprozess?
Literatur
- Hartmann Ammann: Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485. In: Ferdinandeum Zeitschrift 1890, Folge 3, Heft 34. S. 31ff. digital
- Manfred Tschaikner: Hexen in Innsbruck? Erzherzog Sigmund, Bischof Georg Golser und der Inquisitor Heinrich Kramer (1484-1486). In: Der Schlern 88, Juli / August 2014, Heft 7/8, S. 84-102 digital
- Manfred Tschaikner: Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485 und die Gegner des Inquisitors Heinrich Kramer: Erzherzog Sigmnund, Dr. Johannes Merwart und Bischof Georg Golser. In: Tiroler Heimat 82, 2018, S. 191-219 digital[A 2]
Einzelnachweise
- ↑ vgl. Manfred Tschaikner, in: Tiroler Heimat 82, 2018, S. 195
- ↑ vgl. Manfred Tschaikner, in: Tiroler Heimat 82, 2018, S. 196
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 vgl. Manfred Tschaikner, in: Tiroler Heimat 82, 2018, S. 198
- ↑ 4,0 4,1 vgl. Der Innsbrucker Hexenprozess, Prezi.COM, abgerufen am 25. Dezember 2020
- ↑ vgl. Hartmann Ammann: Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485, S. 26f.
- ↑ vgl. Hartmann Ammann: Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485, S. 25
- ↑ 7,0 7,1 vgl. Hartmann Ammann: Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485, S. 31
- ↑ 8,0 8,1 vgl. Manfred Tschaikner, in: Tiroler Heimat 82, 2018, S. 199
- ↑ 9,0 9,1 vgl. Manfred Tschaikner, in: Tiroler Heimat 82, 2018, S. 200
- ↑ 10,0 10,1 vgl. Hartmann Ammann: Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485, S. 66
- ↑ vgl. Hartmann Ammann: Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485, S. 67-70
- ↑ vgl. Hartmann Ammann: Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485, S. 70
- ↑ vgl. Hartmann Ammann: Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485, S. 71 und S. 72
- ↑ vgl. Hartmann Ammann: Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485, S. 75
- ↑ vgl. Hartmann Ammann: Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485, S. 71f.
- ↑ vgl. Manfred Tschaikner, in: Tiroler Heimat 82, 2018, S. 191
- ↑ 17,0 17,1 vgl. Hartmann Ammann: Der Innsbrucker Hexenprozess von 1485, S. 32
- ↑ vgl. Manfred Tschaikner, in: Tiroler Heimat 82, 2018, S. 192. Auf den Folgeseiten findet sich ein Überblick zu Georg Golser und seiner Wahrnehmung in der historischen Forschung seit Hartmann Ammann.
- ↑ vgl. Manfred Tschaikner, in: Tiroler Heimat 82, 2018, S. 199, Fußnote 55