Wiener Neustädter Blutgericht (1522)

Das "Wiener Neustädter Blutgericht" fand 1522 in Wiener Neustadt stand und beendete die Auseinandersetzung von Erzherzog Ferdinand (I.) von Österreich, dem späteren Kaiser Ferdinand I., mit den Ständen des Herzogtums Österreich "unter der Enns"[A 1], bei denen sich besonders die Stadt Wien[A 2] hervorgetan hatte.

Der "Aufstand der "österreichischen" Landstände

Die Verwaltungsreformen von Kaiser Maximilian I.

Ende des 16. Jahrhunderts hatte Kaiser Maximilian I. in seine "Erblande" wesentliche Verwaltungsreformen vorgenommen, darunter die Schaffung von Behörden, die on bezahlten Beamten kollegial geführt wurden und in seinem Namen als Landesfürst die laufenden Regierungsgeschäfte in den "Erblanden" kollegial besorgten. Für die Herzogtümer Österreich "ob der Enns" und "unter der Enns", Steier[A 3], Kärnten[A 4] und Krain war sein "Regiment der fünf niederösterreichischen Lande" zuständig, das seinen Sitz in der Stadt Wien hatte. Als sich Maximilian in Wiener Neustadt aufhielt, erließ er am 20. November 1517 eine neue Wiener Stadtordnung (das Wiener "Stadtrechtsprivileg"). In diesem übertrug er seinem "niederösterreichischen Regiment" die nachträgliche Bestätigung der Wiener Ratswahl, verbunden mit dem Recht, nicht genehme Mandatare durch andere zu ersetzen. Außerdem sollte nun jedes Jahr ein anderer Bürgermeister gewählt und die Wiederwahl eines Kandidaten erst nach drei Jahren gestattet werden. Diese Ordnung bedeutete eine wesentliche Einschränkung der bisherigen Wiener Stadtrechte.

Die Entmachtung des "Regiments der fünf niederösterreichischen Lande"

Nach dem Tod von Kaiser Maximilian I. (1519) wurde sein Enkel, der spätere Kaiser Karl V., sein Nachfolger als Landesfürst in den Ländern und Herrschaften, die sich zum Teil oder zur Gänze in der heutigen Republik Österreich befanden. Allerdings hatte sich Karl zuvor außerhalb von diesen aufgehalten, zudem hatte es für ihn zunächst Priorität, die Nachfolge im Heiligen Römischen Reich zu sichern. Der Umstand, dass Karl V. nicht sofort vor Ort war oder Maßnahmen setzen ließ, welche in Bezug auf seine zukünftige Herrschaft in den "österreichischen" Ländern für Klarheit gesorgt hätten, schuf eine politisch instabile Lage, welche die Landstände des Herzogtums Österreich "unter der Enns" stärkte und dazu ermutigte, ihre eigenen Interessen nachhaltig zu behaupten und bereits verlorene Machtpositionen zurückzugewinnen. Letztlich wurde versucht, eine eigene Landesordnung zu schaffen, die eine Regierung der Landstände etabliert hätte.

Die oppositionellen Mitglieder der "österreichischen" Landstände, denen es gelungen war, in der Stadt Wien die Macht zu übernehmen, widersetzen sich dem "niederösterreichischen Regiment".[1] Als führende Persönlichkeit dieses sogenannten "neuen Regiments" galt Martin Siebenbürger, Bürgermeister der Stadt Wien.[1] In der Folge wurde das "niederösterreichischen Regiment" aus der Stadt Wien, wo es seinen Sitz hatte, verjagt, und an seiner Stelle bildeten die Landstände Ausschüsse, welche die politische Macht übernahmen. Sie sollten diese provisorisch bis zur tatsächlich Regierungsübernahme von Karl V. oder seinem Bruder Ferdinand I.[2]

Einsetzung des "Obersten Regiments" durch Karl V.

Eine aus diesen Ausschüssen gebildete Abordnung verhandelte von 6. November bis 16. Dezember 1519 in Barcelona mit Karl V. um die Anerkennung des "neuen Regiments" und die Zusage auf die Bildung einer neuen Regierung in den "österreichischen Erblanden". Karl V. setzte ein "oberstes Regiment" ein, dass am 27. Juli 1519 mit der Vertretung von ihm und seinem Bruder Ferdinand bis zur Ankunft im gesamten Reich betraut wurde. Die Entmachtung des "alten Regiments" in den "österreichischen Erblanden" wurde von ihm still schweigend gebilligt. Das "oberste Regiment" nahm im Jänner und Februar 1520 die Treuegelöbnisse der Herzogtümer Kärnten, Steier und Österreich "ob der Enns" entgegen. Im Juli 1520 leisteten auch die Herzogtümer Österreich "unter der Enns" und Krain ein Treuegelöbnis. Daraufhin wurden die provisorischen ständigen Ausschüsse im September und Oktober aufgelöst.[2]

Das "Wiener Neustädter Blutgericht"

Der Prozess vor dem "Wiener Neustädter Blutgericht"

Im April 1521 übertrug Karl V. seinem Bruder Ferdinand I. die Regentschaft über die "österreichischen Erblande". Dieser setzte dort im Juni 1521 eine neue Regierung, den "Hofrat" ein, der seinen Sitz nicht mehr in Wien, sondern stattdessen in Graz hatte.[2] Nach dessen Ankunft in den den "Österreichischen Erblanden" wurde Ferdinand von den Landständen der Herzogtümer Steier, Kärnten, Krain und Österreich "ob der Enns" anerkannt.[2]

Die Landstände des Herzogtums Österreich "unter der Enns" forderten allerdings eine gerichtliche Untersuchung der Verfehlungen des "alten Regiments". Aus ihrer Sicht war dessen Vertreibung berechtigt gewesen. Indirekt ging es dabei um die Anerkennung ihrer politischen Forderungen nach dem Tod von Kaiser Maximilian gegangen, wozu Ferdinand als neuer Landesfürst nicht bereit war. Nach seinem Eintreffen im Herzogtum Österreich rief er in Wiener Neustadt ein Gericht ein, das unter der Bezeichnung "Wiener Neustädter Blutgericht" in die Geschichte eingegangen ist, und forderte die an der Entmachtung des "Alten Regiments" Beteiligten auf, vor diesem zu erscheinen. Der Prozess wurde vom 10. bis 16. Juli 1522 unter Ferdinands Vorsitz mit landfremden Beisitzern geführt, die Anklage gegen die Führer der Ständeopposition von 1519 vertrat Dr. Johann Schneitpeck, die Verteidigung übernahm Dr. Viktor Gamp. Das am 23. Juli gefällte Urteil ging allerdings auf die Frage, ob das alte Regiment Verfehlungen begangen hätte, nicht wirklich ein, sondern stellte lediglich fest, dass die Erhebung von 1519, unbeschadet ihrer Motive, rechtswidrig gewesen wäre. Die "Wortführer" wurden für Aufruhr und Aneignung des landesfürstlichen Guts, also der unerlaubten Verwaltung von Landeseinkünften während der provisorischen Herrschaft in den Jahren 1519 und 1520 für schuldig befunden. Es endete mit der Verurteilung von diesen, wobei acht Todesurteile wegen Hochverrats gefällt wurden.[2]

Die Vollstreckung der Urteile

Am 9. August 1522 wurden die Adeligen Michael (I.) von Eytzing und Hans (VIII.) von Puchheim als Mitglieder des "unterennsischen" Ständeausschusses auf dem Wiener Neustädter Hauptplatz enthauptet[1]. Am 11. August 1522 folgte dann die Enthauptung des Wiener Bürgermeisters Martin Siebenbürger, der früheren Wiener Bürgermeister Friedrich Piesch und Hans Rinner und der Wiener Ratsherren Stefan Schlagindweit und Martin Flaschner. Alle fünf waren Bürger von Wien und hatten zum Teil dem "revolutionären Bürgerausschuss" von 1519 und zum Teil dem "ständigen Ausschuss" angehört[1]. Vier weitere Wiener Bürger: Sigmund Stainern, Michel Lungl, Wolfgang Schmidinger und Kaspar Reuter, erhielten hohe Geldstrafen.[2]

Schon am 7. August 1522 wurde das Gremium der Hausgenossen und am 16. August 1522 auch das Kollegium der Genannten aufgelöst. Am 18. Dezember 1522 ordnete Ferdinand an, dass der Rat der Stadt Wien, der bisher jedes Jahr neu zu wählen gewesen wäre, vorläufig im Amt bleiben sollte. Am 12. März 1526 erließ er eine neue Stadtverfassung für Wien, welche die Handwerker, die an Kopfzahl die Mehrheit des Bürgertums bildeten und revolutionärer Agitation angeblich stets zugänglich gewesen wären, von der Wahl in den inneren Rat ausschloss.[2]

Diverses

Eine weitere Hinrichtung, die ebenfalls am 9. August 1522 stattfand, betraf den Wiener Ratsherren Hans Schwarz, der wegen des Vergehens der Münzprägung zum Feuertod verurteilt worden war, aber dann zum Tod durch das Schwert begnadigt wurde. Er wurde auf der Richtstätte bei der "Spinnerin am Kreuz", die sich damals noch außerhalb der Stadtmauern von Wiener Neustadt befand, hingerichtet.[1]

Historische Einschätzung

Mit dem "Wiener Neustädter Blutgericht" demonstrierte der neue Herrscher Ferdinand seine Macht und stellte so klar, dass er eine Machtminderung keineswegs hinzunehmen bereit war. In der ständischen Erhebung nach dem Tod von Kaiser Maximilian spielte die Stadt Wien ein letztes Mal eine politische Rolle, in der es seine Macht als Landstand ausspielen konnte.

Ein Vergleich mit der politischen Lage und Entwicklung in anderen Ländern im ausgehenden Mittelalter und der beginnende Neuzeit zeigt, dass es sich bei dem "Aufstand", der mit dem "Wiener Neustädter Blutgericht" endete, um eine Auseinandersetzung zwischen Landesfürst und Landständen, Adel und Städte handelte, ein Konflikt, der für diese Zeit charakteristisch ist und der im Herzogtum Österreich letztlich zugunsten des Landesfürsten entschieden wurde. Für die historische Forschung dürfte die Einschätzung und Beurteilung des "Wiener Neustädter Blutgerichtes" stark davon abhängig sein, für welche Seite die Historikerin oder der Historiker Partei selbst ergreifen oder welche politischen, wirtschaftlichen und sozialen Tendenzen gerade vorherrschen.

Erinnerungen an das "Wiener Neustädter Blutgericht" von 1522

  • In Wiener Neustadt erinnert an das "Wiener Neustädter Blutgericht" ein in der Südost-Ecke des "Grätzels" am Stadtplatz in den Boden eingelassener Stein mit der Jahreszahl 1522.[3] Der Standort des Schafotts auf dem Hauptplatz von Wiener Neustadt ist noch heute durch eine besondere Pflasterung markiert.[2] Im März 2018 wurde außerdem am "Grätzelhaus" eine Gedenktafel angebracht, einerseits zur Erinnerung an die Gründung von Wiener Neustadt im Jahr 1192 und andererseits im Gedenken an die Hinrichtungsstelle des "Wiener Neustädter Blutgerichts".[4]

Ausstellungen

  • "Ferdinand I. - Herrscher zwischen Blutgericht und Türkenkriegen". Sonderausstellung, Stadtmuseum in Wiener Neustadt, 26. September 2003 - 6. Jänner 2004[5]

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 vgl. "Wiener Neustädter Blutgericht" 1522, Gedächtnis des Landes Niederösterreich.AT, abgerufen am 2. Dezember 2018
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7 vgl. Felix Czeike (Hrsg.): Wiener Neustädter Blutgericht. In: Historisches Lexikon Wien. Band 5, Kremayr & Scheriau, Wien 1997, ISBN 3-218-00547-7, S. 638.
  3. vgl. Stadtspaziergang, Zeitgeschichte-WN.AT, abgerufen am 2. Dezember 2018
  4. vgl. Peter Zezula. In: Mein Bezirk.AT, 29. März 2018 online, abgerufen am 2. Dezember 2018
  5. vgl. Presseaussendung, 9. September 2003, OTS.AT, abgerufen am 2. Dezember 2018

Anmerkungen

  1. Im 15.Jahrhundert waren aus dem Herzogtum Österreich die Teilherzogtümer Österreich "ob der Enns" (heute im Wesentlichen: Oberösterreich) und Österreich "unter der Enns" (heute im Wesentlichen: Niederösterreich) entstanden. Zum Herzogtum Österreich "unter der Enns" gehörten im 16. Jahrhundert das heutige Bundesland Wien und Teile des heutigen Bundeslandes Niederösterreich.
  2. Wien war damals die größte Stadt im Herzogtum Österreich. Sie gehörte zu den Landständen des Herzogtums und behauptete sich im 15. Jahrhundert endgültig als Hauptstadt des Herzogtums Österreich "unter der Enns". Unter den Babenbergern war Wien seit Herzog Heinrich (II.) von Österreich ("Heinrich Jasomirgott") gewöhnlich der Sitz des Herzogs von Österreich. Wien gehörte zu den wichtigsten Residenzen der Habsburger, wurde aber erst im 17. Jahrhundert endgültig die Hauptstadt ihres Reiches.
  3. Das Herzogtum Steier(mark) umfasste damals im Wesentlichen das heutige Bundesland Steiermark sowie Teile des heutigen Sloweniens und der heutigen Bundesländer Niederösterreich (Grafschaft Pitten mit Wiener Neustadt).
  4. Das Gebiet des Herzogtums Kärnten umfasste damals im Wesentlichen die meisten Teile des heutigen Bundeslandes Kärnten. Einige Teile des heutigen Bundeslandes standen zu dieser Zeit aber noch unter der Herrschaft des Erzstiftes Salzburg und kamen erst im 18. Jahrhundert endgültig unter die Herrschaft der Habsburger als Herzöge von Kärnten.