Piefke
Das Wort Piefke ist in Österreich eine umgangssprachlich verwendete, meist abwertend gemeinte Bezeichnung für die Einwohner Deutschlands.
Merkmale und Rezeption
Ein Piefke wird hierzulande – abgesehen vom differierenden Wortschatz – anhand seiner Intonantion (Sprachfärbung)[1][2] definiert. In erster Linie handelt es sich dabei um die als „abgehackt“ empfundene Sprechweise mit melodisch geringerem Tonumfang und zugleich abrupten Lautstärkeschwankungen bei der Betonung einzelner Silben.
Damit assoziiert man in Österreich einen herrischen Befehlston, der – zumindest bei älteren Generationen – Erinnerungen an das Dritte Reich hervorruft; generell erklingt solche Redeweise zumindest als Merkmal eines sich überlegen fühlenden Besuchers. Sie vermittelt eine Melange all jener Eigenschaften, welche den Bewohnern Deutschlands zugeschieben werden: Besserwisserei, „Gründlichkeit“ (statt „Schlamperei“) und den Mangel an Gespür für Zwischentöne. Gefördert wird derlei nicht zuletzt von deutschen Touristen, die ihrem Selbstverständnis im Ausland oft die höhere Kaufkraft zugrundelegen.
Deutsche vergegenwärtigen sich überdies selten, welchen Einfluß ihre schiere zahlenmäßige Überlegenheit auf den Sprachraum hat. Von Buchübersetzungen über Filmsynchronisationen bis hin zur Werbung auf den allgegenwärtigen deutschen Privatsendern verdrängt ihr spezifisches Idiom sukzessive örtliche Ausdrucksweisen und Dialekte, in der Schweiz ebenso wie in Österreich. Die Folge ist ein zunehmend empfundener Identitätsverlust, der Deutschen als Form der Kolonialisierung angelastet wird.
Dem Österreicher ist dabei zumeist durchaus bewußt, einem Klischee zu folgen. Es hindert ihn auch nicht daran, im persönlichen Einzelfall herzliche Freundschaft mit Deutschen zu schließen; die Apostrophierung als Piefke verwendet er dann nicht mehr, weiß jedoch ggf. eine entsprechende Selbstironie zu schätzen (siehe auch: Schmäh). Das unsensibel Polternde wird dann ebenso verziehen wie der im Vergleich etwas grobe Humor.
Bayern werden im Allgemeinen von der Bezeichnung Piefke ausgenommen. Ähnliches galt (und gilt, teilweise) auch für Ostdeutsche. In ersterem Falle wegen des gemeinsamen Sprachhintergrundes; in letzterem Falle ist die Begründung komplexer. Wurde die DDR früher schlicht nicht mit „Deutschland“ identifiziert, ist es heute eine Art von Solidarisierung unter Parias - dem hiesigen Piefke entspricht der dortige Besserwessi. Nicht zufällig entstand das lautmalerische Pendant „Ösi“ nach der Prägung des Wortes Ossi.
Neben Parallelen im Sprachgebrauch („Tischler“ statt „Schreiner“, etc.) liegt dem Österreicher zudem der oft subversive Humor Ostdeutscher näher als das lautstark Schenkelklopfende der beiderseitigen Nachbarn.
Wortherkunft
Der Familienname Piefke stammt aus dem deutschen Osten beziehungsweise dem slawischen Raum.[3] Der mit piwo ('Bier') zusammenhängende altpolnische Familienname Piwka ist in einem lateinischen Krakauer Dokument von 1390 mit Pifka und in einem deutschen Lemberger Dokument von 1445 mit Piwke wiedergegeben. Daraus wird geschlossen, dass Piwka von deutschen Ostsiedlern eingedeutscht wurde und die Urform von Piefke ist.[4][5]
Piefke wurde in den 1840er Jahren auch als Name einer Witzfigur verwendet.[6] 1882 greift Wilhelm Busch die Bezeichnung in diesem Sinn für seine Geschichte Plisch und Plum auf. Mister Pief nennt Busch den ebenso steifen wie dummen Engländer, der die beiden Hunde erwirbt.
Seine Funktion als Symbol für den typischen korrekten Preußen dürfte der Name aber vor allem seit der Niederlage des Deutschen Bundes mit Österreich gegen Preußen im Deutschen Krieg 1866 innehaben. Das verdankt er wohl nicht zuletzt dem bekannten preußischen Militärmusiker Johann Gottfried Piefke, der den Königgrätzer Marsch zur Feier des preußischen Sieges in der Entscheidungsschlacht komponierte und der auch bei der Siegesparade anwesend war und dirigierte. In dieser Zeit fixiert sich auch die despektierliche Nuance in Preuße, vergleichbar dem zweihundert Jahre älteren Schimpfwort Schwede aus dem Dreißigjährigen Krieg.
Über die Begriffsprägung im heutigen Sinn gibt es wenigstens zwei Hypothesen, die jedoch in den Bereich der Volkslegenden einzuordnen sind und sich historisch nicht belegen lassen:
Hypothese von Joachim Schneider
Am 31. Juli 1866 fand nach Ende des preußisch-österreichischen Krieges (Deutschen Krieges) im Marchfeld bei Gänserndorf ca. 20 km vor Wien eine große Parade mit dem 3., 4. und Teilen des 2. Armeekorps vor König Wilhelm I. von Preußen statt. Neben Johann Gottfried Piefke – genannt „August“ – dirigierte auch sein Bruder Rudolf (1835–1900) ein Musikkorps. Unter den herbeigeeilten Wienern soll sich der Ruf „Die Piefkes kommen“ verbreitet haben und zum Sinnbild für 50.000 marschierende Preußen geworden sein.
Im September 2009 wurde zu Ehren Johann Gottfried Piefkes in Gänserndorf das weltweit erste Piefke-Denkmal errichtet. Durch die „Klangskulptur aus Cortenstahl“, die einen Plattenspieler darstellen soll, will die Stadt den Begriff „Piefke“ rehabilitieren.
Hypothese von Peter Wehle
Peter Wehle[7] führt die Bezeichnung „Piefke“ auf die Erstürmung der Düppeler Schanzen im Deutsch-Dänischen Krieg zurück. Dort waren Preußen und Österreicher Waffenbrüder. Der Preuße Piefke sei ein sehr „preußischer“ Preuße gewesen, der auf seine österreichischen Mitstreiter einen derart nachhaltigen Eindruck hinterlassen habe, dass sein Name zum Sinnbild des zackigen und ruppigen Preußen geworden sei.
Medien
In den frühen 1990er Jahren erregte Felix Mitterers Piefke-Saga, die zuerst im österreichischen, später auch im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, auf beiden Seiten der Staatsgrenze erhebliches Aufsehen und sorgte für teils heftige Diskussionen über das Verhältnis zwischen Deutschen und Österreichern. Die Idee zur Serie ging auf einen nicht weniger kontrovers diskutierten Artikel „Wer braucht die Piefkes?“ einer österreichischen Wochenzeitschrift zurück.
Äquivalente Bezeichnungen
Literatur
- Anton Karl Mally: Warum werden die Bundesdeutschen von Österreichern »Piefke(s)« genannt? In: Der Sprachdienst, Jahrgang 54, Heft 5, 2010, S. 147-157.
- Hubertus Godeysen: Piefke. Kulturgeschichte einer Beschimpfung, Wien-Klosterneuburg, 2010
- Otto Back et al.: Österreichisches Wörterbuch – auf der Grundlage des amtlichen Regelwerks, 41. neu bearb. Aufl.; öbv hpt Verlagsg., 2009, S. 494.
- Duden. Die deutsche Rechtschreibung; Mannheim 2009, S. 834.
Weblinks
- Artikel von Joachim Riedl (ZEIT Online)
- „Piefke raus! Deutsche Studenten in Wien“ (SPIEGEL Online)
Einzelnachweise
- ↑ Otto Back et al.: Österreichisches Wörterbuch – auf der Grundlage des amtlichen Regelwerks (neue Rechtschreibung), hrsg. im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur; Redaktion: Herbert Fussy et. al., 41. neu bearb. Aufl., öbv hpt Verlagsg., 2009, S. 494.
- ↑ Duden. Die deutsche Rechtschreibung. Das umfassende Standardwerk auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln. Hrsg. von der Dudenredaktion. Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim [u. a.] 2009, S. 834.
- ↑ Wie Pifky oder Pifkowski; Hans Bahlow: Deutsches Namenslexikon.
- ↑ Anton Karl Mally: Piefke. Nachträge. In: Muttersprache. Zeitschrift zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache. Bd. 94, Jg. 1983/84, 3−4, Wiesbaden, April 1984, S. 313–327, hier: S. 314f.
- ↑ Konrad Kunze: dtv-Atlas Namenkunde. 1998, S. 170: Mit Bier wird der Name auch hier in Zusammenhang gebracht.
- ↑ Kunze: dtv-Atlas Namenkunde. 1998, S. 181
- ↑ Peter Wehle: Die Wiener Gaunersprache, 1977, S. 79; Peter Wehle: Sprechen Sie Wienerisch?, 1980, S. 27.