Letzte Verhandlungen auf Schloss Gödöllö

Václav Klofáč verhandelte im Hofzug mit Karl
Salon im k.u.k. Hofsalonzug

Tamás Erdődy bzw. die Autoren seiner Memoiren berichten von der Reise nach Debrecen und Schloss Gödöllö in zwei unterschiedlichen Kapiteln, sodass der Eindruck entsteht, dass es sich hier um zwei separate Reisen gehandelt hat. Tatsächlich begann der letzte Rundreise von Karl als ungarischer König Karl IV. am 22. Oktober 1918 in Wien, um zuerst in Debrecen ein Universitätsgebäude zu eröffnen und um anschließend nach Schloss Gödöllö weiterzufahren, jenem Schloss, welches Ungarn 1867 als Krönungsgeschenk Franz Joseph I. und seiner Frau Elisabeth geschenkt hatte.[1]

Wie Erdődy in seinen Memoiren berichtet, stieg in Meidling der tschechische Politiker Václav Klofáč in den k.u.k. Hofsalonzug um mit Karl auf der Strecke bis zum Ostbahnhof über die aktuelle politische Lage zu diskutieren. Einige Tage zuvor hatte bereits eine provisorische tschechoslowakische Regierung mit den Alliierten den Entwurf der Unabhängigkeitserklärung verhandelt, welche dann eine Woche später in Kraft trat und den Zerfall der österreichischen Hälfte Österreich-Ungarns einläutete. Wie allgemein bekannt war, befand sich Klofáč, der während des Krieges zeitweilig wegen Hochverrates inhaftiert war, auf der Reise in die Schweiz um dort Vertreter der provisorischen tschechoslowakischen Regierung zu treffen.[2] Erdődy kommentierte den Abschluss dieser Episode in seinen Memoiren folgendermaßen:[3]

„Man näherte sich dem Ostbahnhof, der Kaiser verabschiedete sich von Klofáč: "Sorgen Sie, daß, nach dem Blute auf den Schlachtfeldern, alles, was weiter geschieht, ohne Blutvergießen geschieht." Klofáč versprach es und verließ den Hofzug, statt in den Kerker konnte er sich ins Ausland begeben.“

Die Fahrt nach Gödöllö war begleitet von trüben, regnerischen Herbstwetter, das die ohnehin schon düstere Stimmung weiter verschlechterte. In den Wäldern rund um Gödöllö trieben sich Deserteure herum, die Erdődy als Grüne Kader bezeichnete, die sich zu Banden zusammengeschlossen hatten und die Zivilbevölkerung und auch das Schloss selbst bedrohten. Zu dessen Sicherheit standen die Maschinengewehr-Eskadron des k.u.k. Husarenregiment 7 sowie junge Freiwillige des Honvéd bereit, die dann in den nächsten Nächten tatsächlich mehrmals von der Schusswaffe Gebrauch machen mussten, wenn Verdächtige dem Schlosse zu nahe kamen.[4]

In den nächsten Tagen forderte der Stadtkommandant von Budapest, Géza Lukachich von Somorja, ein Träger des Ritterkreuzes des Militär-Maria-Theresien-Ordens,[5] Tamás Erdődy telefonisch auf, bei Karl umfangreiche Vollmachten für ihn zu erwirken, um die "immer unhaltbarer werdende" Lage in der Stadt in den Griff zu bekommen. Laut Erdődy standen in Budapest einige Infanterie-Regimenter, die sich aus loyalen Soldaten aus Bosnien und den bäuerlichen Gegenden Ungarns zusammensetzten, die jedem Befehl Lukachichs gefolgt wären und binnen Stundenfrist die Opposition ausgeschaltet hätten. Lukachich von Somorja schickte zusätzlich noch einen Kurier mit einer schriftlichen Aufforderung, aber Karl blieb bei seiner ablehnenden Meinung auf Zivilisten schießen zu lassen:[6]

„Aber der König sagte "nein". Ich hatt' es gewusst. Seine wahrhaft fromme Gesinnung, die tief in dieser Seele verankerte Religiösität verbot es der Apostolischen Majestät, neue Pfeiler seiner Herrschaft zu errichten, bei deren Bau man zum Betongemenge statt Wasser Blut verwendet hätte! Leider.“

Erdődy machte sich selbst ein Bild von der Lage und fuhr für einige Stunden in das nahe Budapest, um die Aussagen von Lukachich von Somorja über die Zustände in der Stadt bestätigt zu sehen.

In den nächsten Tag war Schloss Gödöllö Schauplatz von Verhandlungen zwischen Karl und den Vertretern verschiedener politischer Richtungen mit dem Ziel zumindest Ungarn für die Habsburger zu sichern. So sprach Karl mit konservativen Politikern wie Albert von Apponyi, Julius Andrássy oder Johann Hadik, Vertreter radikaler Strömungen wie Michael Károlyi oder der Sozialdemokratie wie Siegmund Kunfi.[7]

Als die Nachrichten aus Wien immer schlimmer wurden, so stand der Zerfall der Armee im Raum und Sozialdemokratien wie Viktor Adler, Karl Renner oder Karl Seitz forderten vor Tausenden Menschen die Abdankung Karls, entschloss sich das Kaiserpaar nach Wien zurückzukehren. Um dies nicht als Zeichen für einer Flucht aus Ungarn aussehen zu lassen, fasste man den schweren Entschluss die Kinder in Gödöllö zu belassen.[8][9]

Der schwer bewachte Hofzug benötigte für die Strecke Gödöllö - Wien das Dreifache der normalen Reisezeit, weil man unterwegs Anschläge auf den Zug oder Sabotageaktionen auf die Gleisanlagen befürchtete. Als der Zug auf dem Wiener Ostbahnhof einfuhr, warteten schon die Hofautos auf das Kaiserpaar mit dem die Fahrt nach Schönbrunn weiterging. Bei der Abfahrt der Autokolonne entlud sich die Wut zahlreicher über Wochen des Hungers und der Angst, hervorgerufen auch durch die in dieser Zeit in Wien grassierenden Spanischen Grippe, in Form von Anpöbelungen und Beleidigungen durch zahlreiche Schaulustige, ehe man ohne weitere Zwischenfälle Schönbrunn im Westen Wien erreichte.[10]

Einzelnachweise

  1. ANHANG 1 – REISEN DES ERZHERZOG THRONFOLGERS CARL FRANZ JOSEPH, Webseite elisabethkovacs.com, abgerufen am 11. Februar 2021
  2.  Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 154 bis 155.
  3.  Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 156.
  4.  Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 154, 156 bis 158.
  5. Lukachich von Somorja, Géza Baron, Webseite apis.acdh.oeaw.ac.at, abgerufen am 12. Februar 2021
  6.  Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 158 bis 159.
  7.  Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 162 bis 163.
  8.  Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 164.
  9. Die letzten Tage der Monarchie, Webseite habsburger.net, abgerufen am 12. Februar 2021
  10.  Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 164 bis 167.