Flucht vor der Räteregierung

Béla Kun (um 1922)
Endgültige Gebietsabtretungen Ungarns

Nach der Abreise der Kaiserfamilie war für Tamás Erdődy Wien zu einer fremden Stadt geworden, sodass er sich entschloss nach Ungarn zurückzukehren. Dort hatte sich in der Zwischenzeit viel verändert. Einerseits hatten sich schon im Zuge des Zusammenbruches Teile der Länder der ungarischen Krone von Ungarn losgesagt und sich den neu entstandenen Staaten wie der Tschechoslowakei angeschlossen, andererseits hatten Truppen dieser Staaten Gebiete des ungarischen Teiles der Habsburgermonarchie besetzt und somit militärische Fakten geschaffen.[1] Dieser Belastung hielt die noch von Karl eingesetzte Regierung nicht stand. Michael Károlyi, zuerst Ministerpräsident und seit dem 11. Jänner 1919 Präsident der Republik Ungarn war, übertrug die Regierungsverantwortung Béla Kun, dessen Räteregierung in der Folge Banken, Großindustrie, Mietshäuser und größere Betriebe verstaatlichte. Auch Grundbesitzer, die mehr als über 100 Joch Land besaßen, wurden enteignet. Außerdem fielen in den 133 Tagen des Bestehens der Räteregierung rund 600 Personen dem sogenannten Rotem Terror zum Opfer, den auch Erdődy in seinen Memoiren erwähnte.[2]

Auch für ihn selbst hatte diese neue politische Konstellation massive Konsequenzen. Die Räteregierung enteignete nicht nur Erdődy, sondern sein Haus in Köszeg war von staatlichen Plünderern aufgesucht worden, die wohl auch vor ihm nicht Halt gemacht hätten. Zumindest wurde ihm diese Informationen auf dem Dienstweg als Gendarm zugetragen. Tamás Erdődy hatte sich nämlich als ehemaliger Offizier der Gendarmerie nach seiner Rückkehr nach Ungarn zu dieser gemeldet und war aufgrund der Bestimmungen der Räteregierung als "Gendarm auf Probezeit" aufgenommen worden.[3]

Als Erdődy erfuhr, dass die Regierung nach ehemaligen Aristokraten und Offizieren suche, setzte er zusammen mit zwei Kollegen einen länger geplanten Fluchtplan in die Tat um. Die drei Männer hatten dabei einen Helfer in der Befehlshierarchie der Gendarmerie, der ihnen Befehle ausstellte, sodass sie sich der österreichischen Grenze näher konnten ohne dabei Verdacht zu erregen. Vermutlich bei Sinnersdorf erfolgte der Grenzübertritt, denn die Drei begaben sich umgehend zum Gendarmeriekommando Friedberg, wo sie ihre Waffen abgaben. Anschließend ging es nach Aspang weiter, wo sich ihre Wege trennten. Als Erdődy bei seiner Wohnung in der Landskrongasse ankam, war sein Bargeldbestand auf den Wert einer Straßenbahnfahrkarte geschrumpft, wie seinen Memoiren zu entnehmen ist.[4]

Einzelnachweise

  1.  Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 185.
  2.  Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 186.
  3.  Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 187.
  4.  Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 188.