Tamás Erdődy
Tamás Graf Erdődy (* 1. Juli 1887 in Rotenturm an der Pinka; † 20. April 1931 in Güns, heute Ungarn) war ein kaiserlicher Geheimkurier, Bürgermeister von Rotenturm und Ordonanzoffizier beim 5. Armeekommando.
Leben
Tamás Erdődy war der Sohn von Gyula Graf Erdődy von Monyókerek und Monoszló aus der Rotenturmer Linie der Erdődy. Seine Mutter war Emilie, geborene Gräfin Széchenyi, eine Nichte Gyulas. Gyula Erdődy war Großgrundbesitzer und durch sein Erbe Mitglied im ungarischen Reichstag. Tamás wurde gemeinsam mit Erzherzog Karl (dem späteren Kaiser) großgezogen. Er war Privatschüler und legte seine Prüfungen am königlichen Obergymnasium in Steinamanger (Szombathely) ab. Später besuchte er das Gymnasium in Raab. Tamás Onkel, Nikolaus Széchenyi, war von 1901 bis 1911 Bischof von Raab.
Sein Leben widmete Tamás zunächst dem Feuerwehrwesen. So wurde er im Jahr 1908 Kommandant der Feuerwehr Rotenturm. Auch sein Vater zählte schon zu den Gründern und Kommandanten dieser Wehr.[1]. Zeitweise war er auch Bürgermeister von Rotenturm. 1908 wurde er Leutnant der Reserve beim k.u.k. Husarenregiment Nr. 9 in Ödenburg, 1914 war er Ordonanzoffizier beim 5. Armeekommando. Von Oktober 1915 bis September 1916 diente er an der Front in Galizien, danach in den Dolomiten. Als er 1915 verwundet wurde, erfolgte eine Versetzung zur Feldgendamerie. Da sein Vater schwer erkrankte, wurden er und sein Bruder Lajos von der Front beurlaubt. Erzherzog Karl, welcher mit Tamás aufgewachsen ist, besuchte die Familie Erdődy gerne zu Jagdausflügen.
Werdegang
Kriegseinsatz
Einberufung und Verwundung - Juli und August 1914
Am 26. Juli 1914 erhielt Tamás Erdődy seine Einberufung zum Husarenregiment 9 nach Zagreb, wo er am Abend des nächsten Tages eintraf.[2] Zwei Tage später erfolgte am 28. Juli 1914 die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an das Königreich Serbien. Da wiederum zwei Tage später das Deutsche Kaiserreich und das Russische Kaiserreich in den Krieg eintraten, entwickelte sich der lokale Balkankonflikt binnen weniger Tage zu einem Weltkrieg.
Während das ebenfalls in Zagreb stationierte k.u.k. Infanterieregiment „Dankl“ Nr. 53 bereits am 31. Juli an die Front abrückte, dauerte es beim Husarenregiment 9 bis zum 4. August ehe das Regiment mit der Bahn nach Brčko verlegt werden konnte, wo es am Abend des nächsten Tages ankam. Nachdem das Reiterregiment einige Tage in diesem Raum verbrachte, marschierte es ab 13. August in das rund 30 km südöstlich gelegene Zabrđe vor, um dann am 15. August die Drina zu überschreiten. Für den 17. August 1914 enthält Tamás Erdődys Tagebuch einen Eintrag, der besagt, dass ein Soldat gehängt und zwei weitere erschossen wurden, weil sie durch Selbstverstümmelung versucht hatten, sich dem Kriegseinsatz zu entziehen.[3]
Am 19. August begleitete Erdődy den vorrückenden Tross, als sie von serbischen Truppen in ein Gefecht verwickelt wurden, bei dem ein k.u.k. Soldat fiel. Tamás Erdődy selbst erhielt einen Unterarmschuss, der auch die Knochen verletzte. Am 20. August musste er daher im Spital in Brčko versorgt werden, ehe es über Zagreb zurück in die Heimat ging, wo er am 22. August ankam, ab 24. August wurde er dann in häusliche Pflege entlassen, um seine Verwundung auszukurieren.[4]
Ordonanzoffizier im Reservespital und Kommandierung zum Roten Kreuz - Oktober 1914 bis Oktober 1915
Als die Verwundung halbwegs kuriert war, meldete sich Erdődy freiwillig für eine Verwendung im Reservespital Szombathely, in dem er die nächsten Monate verbrachte um die Versorgung der von der Front zurückkommenden Verwundeten mitzuorganisieren. Dazu wurden ihm auch kriegsgefangene Offiziere aus Serbien und Russland unterstellt, mit denen er ein gutes Verhältnis pflegte. Gleich nach seinem Dienstantritt trug er in sein Tagebuch ein, dass im Spital an der Ruhr erkrankte Soldaten lagen, von denen viele starben. Ab 18. Oktober traten vermehrt auch Cholera- und Tetanus-Fälle auf. Ende Oktober kamen zudem die ersten Verwundeten ins Spital, die sich an der Front die Füße erfroren hatten. Am 20. Oktober brach im Dachbereich des Spitals ein Feuer aus, dessen Löschung einigen Soldaten unter der Leitung von Erdődy noch vor dem Eintreffen der Feuerwehr gelang.[5]
Mit Stichtag 2. Dezember 1914 erfolgte seine Beförderung zum Oberleutnant.[6]
Am 10. Feber 1915 erhielt Tamás Erdődy eine Beorderung zum Roten Kreuz nach Budapest, wo er in den ersten Tagen zu einem Dienst an einem Bahnhof eingeteilt war, um dort durchkommende Lazarettzüge abzufertigen.[7] Mitte März 1915 wurde ihm die Verantwortung über einen Eisenbahnzug, dem Spitalszug 36, übertragen, der ein Fassungsvermögen für 80 liegende und 300 sitzende Kranke besaß. Mit diesem Krankenzug holte er in den nächsten Monaten Tausende Verwundete von der Galizienfront, darunter auch immer wieder Deutsche, und brachte sie meist in die Spitäler von Miskolc und Debrecen. Lemberg, Miskolc und Budapest waren häufige Ziele die angefahren wurden. Einmal ging die Fahrt (4. Juni 1915) auch nach Berlin, wo am Bahnhof Berlin-Charlottenburg dem Deutschem Roten Kreuz deutsche Verwundete übergeben wurden. Bei diesen Fahrten musste der Spitalszug oft Frontbereiche aufsuchen, die noch von den Spuren der vorangegangenen Gefechte gekennzeichnet waren. Wo Gefallene, tote Pferde und zerstörtes Kriegsgerät die Geleise säumten. Zwischendurch blieb aber auch immer wieder Zeit für Stadtbesichtigungen und kurze Jagdausflüge.[8]
Dienst beim Kavalleriekorps Lehmann
Am 12. Oktober erhielt Erdődy schließlich eine Einberufung zur 2. Kavallerietruppendivision.[9] Eine mehrwöchige Fahrt führte ihn schließlich nach Luzk, wo er Feldmarschalleutnant Georg von Lehmann, dem Kommandanten des Kavalleriekorps Lehmann, vorgestellt wurde, dem auch die 2. Kavallerietruppendivision unterstellt war. Zwei Tage später trat er beim Kriegsgericht der Division seinen Dienst als Schriftführer an. Da das Kavalleriekorps in einer Reservestellung lag, konnte Tamás Erdődy in den Folgewochen die Annehmlichkeiten nutzen, welche das Fronthinterland einem Offizier in seiner Stellung bieten konnte.[10] Am 12. Dezember wurde die 2. Kavallerietruppendivision im Großraum Luzk verlegt, dies bedeutete auch für Erdődy einen mühsamen Marsch über aufgeweichte Wege in der winterlichen Landschaft der Ukraine. Er selbst musste in den nächsten Tagen immer wieder dienstliche Fahrten nach Luzk und Kowel unternehmen.[11]
Am 21. Dezember 1914 begann die Verlegung des Kavalleriekorps Lehmann, dem die 2., 4. und 7. Kavallerietruppendivision war, aus der Reservestellung rund um Luzk in Richtung Süden in den Raum Brody.[12] Während die 2. Kavallerietruppendivision abmarschierte, erfolgte die Versetzung Tamás Erdődys zum Kommando des Kavalleriekorps Lehmann. Bei der Fahrt zum Korpskommando sah er zufällig auch das Wrack des nach Feindbeschuss bei Luzk notgelandeten Zeppelins LZ 39. In den nächsten Tagen übernahm er die Aufgabe die Kraftfahrzeuge des Korpsstabes nach Kowel zu verlegen, denn von dort erfolgte der Abtransport per Bahn nach Lemberg. Anschließend organisierte Erdődy die Überfuhr des Korps-Fuhrparks von Lemberg nach Złoczów, wo der Korpsstab im dortigen Gymnasium am 28. Dezember 1915 eine Bleibe gefunden hatte.[13] Am 2. Jänner wurden dem Korps zuerst die 4. und 7. Kavallerietruppendivision, am 9. Jänner dann auch die 2. Kavallerietruppendivision entzogen. Tamás Erdődys Soldatenleben bestand in dieser Zeit aus der Durchführung von Verhaftungen von Personen, die der Spionage und des Hochverrats verdächtig waren, und von gelegentlichen Jagdausflügen mit Offizierskameraden im Fronthinterland bei klirrender Kälte von unter minus 20 Grad.[14]
Am 21. Jänner 1916 war Erdődy für die Hinrichtung eines von ihm zehn Tage zuvor wegen Hochverrates verhafteten Vorstandes einer Umlandgemeinde von Złoczów verantwortlich. Sein Tagebuch enthält dazu folgenden Eintrag:[15]
„21./I. Heute habe ich am Rinelz (?) den Uikelaj Barek mit Beihilfe des Stadtschinders von Złoczów im Beisein zahllosen Publikums aufgehängt.“
Den Feber 1916 verbrachte Tamás Erdődy als Fronturlauber zuhause sowie in Wien und Budapest.[16] Wieder zurück bei seiner Dienststelle wurde er mit den Agenden eines landwirtschaftlichen Referenten betraut und war für einige Tage auch stellvertretender Kommandant einer Gendarmerie-Abteilung, ehe das eintrat, was Erdődy schon seit langem befürchtet hatte, nämlich die Auflösung des Kavalleriekorps Lehmann. Am 26. März 1916 hieß es daher Abschied nehmen von Feldmarschalleutnant Georg von Lehmann, der in der Folge mit der Ausbildung sämtlicher Ersatzkörper der Heereskavallerie und der k.k. Landwehr betraut wurde.[17][18]
Etappendienst im Raum Złoczów/Lemberg - April bis September 1916
An Tamás Erdődys Soldatenleben änderte sich zunächst nicht viel. Neben der Erledigung kleinerer dienstlichen Aufgaben hinsichtlich seiner Funktion als landwirtschaftlicher Referent und Gendarmeriebeamter, genoss er die Annehmlichkeiten eines Offiziers in der Etappe und unternahm mit verschiedenen Offizierskameraden weiterhin zahlreiche Jagdausflüge ins Umland von Złoczów. Bei einer dieser Jagden begleitete er am 19. April den Erzherzog Wilhelm Franz von Habsburg-Lothringen, mit dem es auch in den darauffolgenden Wochen immer wieder zu privaten Treffen kam.[19]
Den Juni 1916 konnte Tamás Erdődy wieder zuhause als Fronturlauber verbringen, ehe es wieder zurück nach Lemberg ging. Dort erhielt er die Information, dass sein Gendarmerie-Kommando als selbständige Gendarmerie-Abteilung dem Kommando der k.u.k. 2. Armee unterstellt wurde. Dies bedeutete für Erdődy vorerst ein Ende des schönen Etappenlebens, weil er nun mit seinen Gendarmen immer wieder auf Streifengängen unterwegs war. Grund für diese Änderung der Verwendung war vermutlich die am 4. Juni 1916 losgebrochene Brussilow-Offensive, wo besonders nördlich der k.u.k. 2. Armee der russischen Armee ein tiefer Einbruch in die Front gelang. So war der Raum rund um Luzk, in dem sich Erdődy noch im Dezember 1915 aufgehalten hatte, an den Gegner verloren gegangen. Jagdausflüge gehörten nun der Vergangenheit an, vielmehr befand sich Tamás Erdődys Kommando hinter einer unruhig gewordenen Front, wo Artillerieduelle nun zum Alltag gehörten.[20]
Der 21. Juli 1916 brachte eine neue Aufgabe für Erdődy, der nun in Lemberg für die Überwachung des Bahnverkehrs verantwortlich zeichnete, wo er im Fronthinterland die Züge kontrollierte und Verhaftungen vornahm, wenn die entsprechenden Marschpapiere nicht in Ordnung waren. Am 5. September 1916 überraschte ihn ein Befehl, der seine Versetzung von der Galizienfront zum Landesverteidigungskommando Tirol an die Südfront zu Italien anordnete.[21]
Einsatz im Trentino - September 1916 bis Feber 1917
Am 7. September 1916 meldete sich Tamás Erdődy von seiner alten Dienststelle ab und fuhr per Bahn in der Folge über Wien, Innsbruck und Bozen nach Trient, wo er in Erfahrung bringen konnte, dass er dem Rayonskommando Südtirol zugeteilt worden war. Am 13. September traf er schließlich in Vezzano ein und stellte sich dort seinem Vorgesetzten General der Infanterie Ludwig Koennen-Horák von Höhenkampf,[22] dem Kommandanten des Rayons Südtirol, vor.[23] Nachdem die ersten Tage an der neuen Front für Erdődy relativ ruhig verliefen, wurde er am 21. September zum Kommandanten der Stabskompanie und des Standortes ernannt. In dieser Funktion konnte Tamás Erdődy in den nächsten Monaten immer wieder sein großes Organisations- und Improvisationstalent unter Beweis stellen, wobei die ersten Aufgaben die Aufstellung einer Militärfeuerwehr und die Errichtung einer Pferdefleisch-Selcherei darstellten.[24] Im Oktober folgten der Bau einer Wasserleitung sowie die Errichtung von Ställen für Schlachtvieh, um die Versorgung für die Front sicherzustellen. Zu seinen Aufgaben als Gendarmerie-Offizier gehörte es auch Todesurteile des Kriegsgerichtes zu vollstrecken, wie die Erschießung eines Deserteurs am 21. Oktober 1916.[25]
Nach dem Tod Kaiser Franz Joseph I. am 21. November 1916 erfolgte am 29. die Vereidigung der Truppen auf den neuen Kaiser Karl I., wobei Erdődy die angetretenen Soldaten kommandierte. Am 27. November erhielt er noch zusätzlich die k.k. Standschützen-Kompanie Vezzano unterstellt, sodass Tamás Erdődy nun rund 500 Mann unter seinem Kommando vereinigte. Die unterstellten Soldaten wurden in weiterer Folge zum Bau der Talstation einer Materialseilbahn und einer Zufahrtsstraße eingesetzt. Mitte Dezember zerstören Schnee- und Steinlawinen die Verbindungstraße und die Telefon- und Telegraphenleitungen nach Trient, sodass Erdődy mit seinen Leuten unter großer Lawinengefahr diese Verbindungen wieder herstellen muss.[26]
Zum Jahreswechsel 1916/17 trat Tamás Erdődy einen Heimaturlaub an, um seinen Vater zuhause in sehr schlechter gesundheitlicher Verfassung vorzufinden. Unter dem Gesundheitszustand des Vaters litt auch die Landwirtschaft, sodass Erdődy in Budapest sich bemühte einen längeren Urlaub zu erwirken, um die Dinge zuhause in Ordnung zu bringen. Sein Vater verstarb schließlich gegen Monatsende ohne ein Testament hinterlassen zu haben, sodass Erdődy im Zuge eines zweiten Urlaubs versuchte die Verlassenschaft zu regeln.[27]
Am 4. Februar 1917 traf ein Telegramm ein, dass sich Tamás Erdődy umgehend in Baden in der Militärkanzlei des Kaisers zu melden hatte, somit endete sein Kriegsdienst im Hinterland der Südfront.[28]
1931 veröffentlichten die beiden Autoren Paul Szemere und Erich Czech im Amalthea-Verlag in Wien die Memoiren von Tamás Erdődy unter dem Titel Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten, wobei sie Erdődy in der Ichform seine Geschichte in den Jahren 1916 bis 1921 erzählen lassen. Während dieser sich laut seinen Tagebüchern im Fronthinterland aufhielt, um die Versorgung der Fronttruppen aufrechtzuerhalten, vermitteln die Memoiren den Eindruck, als hätte sich Tamás Erdődy mit seiner Kompanie unmittelbar an der Front befunden. Vergleicht man einzelne Passagen der Memoiren mit den Tagebüchern, dann sind Textstellen wie die folgende als reine Fiktion zu werten:[29]
„Über ein Jahr stand ich mit meiner Kompanie an der Tiroler Front, war dreimal verwundet worden und war nicht weiter als bis ins Feldspital zurückgegangen.“
Sixtus-Affäre
Am 5. Februar 1917 meldete sich Tamás Erdődy in Baden um in der Militärkanzlei des Kaisers seinen neuen Dienst anzutreten.[30]
Da Tamás Erdődy ein enger Vertrauter von Kaiser Karl I. war, wurde er in der Zeit von März bis Mai 1917 von diesem betraut, mehrmals als Geheimkurier in die Schweiz zu fahren, um Briefe an zwei Brüder von Kaiserin Zita, Sixtus und Xavier von Bourbon-Parma, zu überbringen, mit denen der österreichische Kaiser hinter dem Rücken des deutschen Verbündeten Verhandlungen für einen Sonderfrieden mit der Entente einläuten wollte. Diese Bemühungen scheiterten nicht nur, sondern wuchsen sich im April 1918 zur sogenannten Sixtus-Affäre aus, die letztendlich das Ende von Österreich-Ungarn beschleunigte.
Erste Fahrt in die Schweiz - 8. bis 15. Feber 1917
Am 8. Februar traf Tamás Erdődy zum ersten Mal auf Kaiser Karl I., der ihn fragte, ob er für ihn in einer sehr wichtigen Mission in die Schweiz fahren könne. Erdődy bejahte diese Frage und wurde dadurch zu einer Schlüsselfigur in der sogenannten Sixtus-Affäre. Karl weihte ihn daraufhin ein, "dass es sich um mit Frankreich angefangene Friedensverhandlungen handle."[31]
Er stand nun vor dem Problem sich mitten im Krieg Zivilkleidung und einen entsprechenden Pass zu organisieren. Nachdem diese Dinge erledigt waren, musste er noch den k.u.k. Minister des Äußeren Ottokar Czernin aufsuchen, der ihm eine versiegelte Kuriertasche übergab. Anschließend meldete er sich wieder beim Kaiserpaar und erhielt von Kaiserin Zita einen Stadtplan von Neuchâtel ausgehändigt, auf dem diese handschriftlich die Strecke zwischen dem Bahnhof und der Rue de Pomier 7 eingezeichnet hatte,[32] wo Erdődy die Brüder der Kaiserin, Sixtus und Xavier von Bourbon-Parma, aufsuchen und ihnen zwei Briefe des Kaisers übergeben sollte. Karl machte ihn darauf aufmerksam, dass außer Erdődy, Zita und Karl nur Außenminister Czernin von der Existenz der Briefe etwas wüsste.[33]
Tamás Erdődy fuhr noch am 8. Februar vom Westbahnhof mit dem Abendzug über Innsbruck und Feldkirch in Richtung Schweiz, wo er zunächst in Zürich übernachtete. Am 10. Februar traf er in Bern den österreichischen Gesandten, Oberst von Einem, dem er die versiegelte Kuriertasche übergab, die ihm Ottokar Czernin ausgehändigt hatte. Der Oberst, der den Grund von Erdődys Reise nicht kannte, warnte den Kurier, dass die Schweiz ein Tummelplatz von feindlichen Agenten sei, die zum Zwecke der Informationsbeschaffung auch vor Mord nicht zurückschrecken würden. Den 12. Februar nutzte er für einen Ausflug nach Interlaken, ehe Erdődy am 13. als "Herr Waldmayer, Kaufmann aus Bregenz" mit dem Zug nach Neuchâtel weiterfuhr, um dort die beiden Bourbonen-Prinzen in der Rue de Pomier zu treffen. Mit einem Antwortschreiben der beiden trat er wieder den Rückweg an, der ihn über Zürich, Bern, Innsbruck und Salzburg in der Nacht von 15. auf den 16. Februar wieder zurück nach Wien führte, wo er am nächsten Morgen auf Kaiser Karl traf, um ihm das Schreiben seiner beiden Schwäger auszuhändigen.[34][35]
Zweite Fahrt in die Schweiz - 19. bis 25. Feber 1917
Mit einem Antwortschreiben Karls brach Tamás Erdődy am 19. Feber neuerlich nach Neuchâtel auf. Dabei bemerkte er, dass er bereits ab Baden von einem Mann verfolgt wurde, der ihm schon auf seiner letzten Reise in die Schweiz aufgefallen war. In Neuchâtel sprach dieser Verfolger einen jungen Mann an, der sich in weiterer Folge Erdődy gegenüber als sehr aufdringlich erwies, und diesem seine Dienste anbot, die Tamás Erdődy aber umgehend ablehnte. Am 21. Feber übergab er Karls Antwort an Sixtus und Xavier von Bourbon-Parma und man vereinbarte, dass im Falle einer positiven Antwort der Entente auf Karls Schreiben folgender Telegrammtext über Oberst von Einem an Erdődy geschickt werden würde:[36]
„Erwarte dich am x.-ten. Grüsse Bertrand.“
Nachdem Tamás Erdődy das Haus verließ, in dem das Treffen mit den Prinzen stattgefunden hatte, kam es zu einem kleinen Handgemenge mit jenem jungen Mann, der sich bereits zuvor als aufdringlich erwiesen hatte, bei dem Erdődy aber als Sieger hervorging und so seinen Verfolger erfolgreich abschütteln konnte. Ohne weitere Zwischenfälle ging es dann wieder, nach einer Zwischenstation in Bern, zurück nach Wien, wo er am Morgen des 25. Febers ankam.[37]
In den 1931 erschienen Memoiren fand diese Reise keine separate Erwähnung. Vermutlich aus dramaturgischen Gründen wurde das Handgemenge mit dem Verfolger mit Erdődys erster Reise vermischt.
Dritte Fahrt in die Schweiz - 13. bis 16. März 1917
Am 13. März erhielt Tamás Erdődy ein Telegramm mit folgendem Text, worüber er umgehend den Kaiser informierte:[38]
„Bertrand erwartet dich am 20.igsten Grüsse: [Unterschrift unleserlich]“
Am Abend des 16. März brach Tamás Erdődy neuerlich in die Schweiz auf, um, nach einer Zwischenstation in Bern, am 19. März nach Genf weiterzureisen, wo er am Abend dieses Tages Sixtus und Xavier von Bourbon-Parma ein Schreiben Karls zu übergab. Am nächsten Tag traf auch Oberst von Einem in Genf ein, wo er zusammen mit Erdődy das k.u.k. Generalkonsulat aufsuchte, um zwei Pässe lautend auf "Josef Pfister, Kaufmann aus Brünn" (für Xavier) und "Ingenieur Stefan Blattner aus Prag" (für Sixtus) ausstellen zu lassen. [39]
Noch am 20. März kehrten Tamás Erdődy und Oberst von Einem nach Bern zurück, während die beiden Prinzen getrennt von ihnen bis nach Freiburg im Üechtland fuhren und dort übernachteten. Am 21. März fuhren dann Erdődy und die beiden Bourbonen-Prinzen im gleichen Zug, aber in unterschiedlichen Abteils, weiter in Richtung Grenze. Auch der Grenzübertritt erfolgte getrennt, während nämlich Erdődy bei Feldkirch die Grenze passierte, wurden Sixtus und Xavier von Bourbon-Parma vom Landesverweser des Fürstentums Liechtenstein, Leopold Freiherr von Imhoff,[40] übernommen und über das Fürstentum in die Monarchie geschleust, wo sie von Tamás Erdődy wieder in Empfang genommen wurden und anschließend gemeinsam nach Wien weiterreisten. Am Abend des 22. März fand die abenteuerliche Reise ein Ende und die beiden Prinzen verbrachten die Nacht in Erdődys Wohnung in der Landskrongasse 5.[41]
In den 1931 erschienen Memoiren wurde diese dritte Reise ganz anders dargestellt. Demnach wurde am 15. März 1917 Tamás Erdődy zum Kaiser befohlen, der ihm eröffnete, dass er neuerlich in die Schweiz zu fahren habe. Dieses Mal sollte er aber nicht als Kurier einen Brief übermitteln, sondern die Brüder Zitas, getarnt als Ingenieure Bertrand, von Genf nach Wien schmuggeln. Die Reise führte ihn zunächst wieder nach Bern, wo ihm General von Einem, der zwar den Auftrag Erdődys, nicht aber die Identität der zu schmuggelnden Personen kannte, den Auftrag erteilte, im Genfer k.u.k. Generalkonsulat zwei Pässe abzuholen.[42] Am 21. März fuhr Erdődy nach Genf weiter und nachdem er General von Einems Auftrag erledigt hatte, bemerkte er, dass ihn wieder wer beobachtete und verfolgte. Um seine Verfolger abzuschütteln unternahm er dieses Mal eine richtige Maskerade. Zum Zwecke der Tarnung war er mit verschiedenen Pässen, darunter auch mit dem eines Maschinisten ausgestattet. In einem Versatzamt, das er zufällig fand, versetzte er Anzug und Mantel und kaufte sich stattdessen das gebrauchte Arbeitsgewand eines Maschinisten. Dann mischte er sich unter die einheimischen Arbeiter indem er sich bis spät in die Nacht in ein Lokal setzte, um dann weit nach Mitternacht einem Polizisten, den er zufällig auf der Straße antraf, eine erfundene Geschichte aufzutischen, der ihn daraufhin in eine Notschlafstelle lotste. Am nächsten Morgen ging Erdődy, nachdem er seine alte Kleidung wieder ausgelöst hatte, zurück in sein Hotel, wo er in Erfahrung bringen konnte, dass sich tatsächlich jemand nach ihm erkundigt hatte. Er erhielt somit eine Bestätigung dafür, dass einerseits seine Tarnstrategie Erfolg gehabt hatte und andererseits er wieder beschattet wurde.[43] Um die Mittagszeit ging er in das Hotel der beiden Bourbonen-Prinzen, die wenig später eintrafen. Im Hotelrestaurant kam es zu einer lebhaften und freizügigen Diskussion zwischen den Dreien, bei der Erdődy zum ersten Mal die Tragweite seiner Mission und deren Bedeutung für den weiteren Kriegsverlauf bewusst wurde.[44] Gegen Abend bestiegen Erdődy und die vermeintlichen Ingenieure Bertrand den Nachtzug nach Wien. Weil der Zug nach dem Grenzübertritt berstend voll war und andere Reisende in das Abteil der drei drängten, musste Erdődy, um die Identität der beiden Prinzen zu wahren, zum ersten und zum einzigen Male Gebrauch vom Offenen Befehl machen,[45] der ihm für Notfälle ausgestellt worden war:[46]
„Sämtliche Militär und Zivilbehörden haben den Anforderungen des Oberleutnants Thomas Grafen von Erdődy so nachzukommen, als ob Seine k.und k.Apostolische Majestät diesbezüglich einen Befehl erteilt hätten.“
Hinsichtlich der Entwicklungen der nächsten Tagen stimmen Tagebücher und Memoiren wieder mehr überein, wobei laut Tagebücher ein weiterer Bruder Zitas, René von Bourbon-Parma mit von der Partie war und mit seinem Auto Erdődy und seine beiden Brüder nach Schloss Laxenburg brachte. Tamás Erdődy hatte zuvor mit dem Burghauptmann ausgemacht, dass sie das Schloss über einen Hintereingang betreten sollten. Über eine kleine Rundstiege, die damals den Namen Blaue Stiege trug und heute aufgrund dieser historischen Begebenheit Sixtus-Stiege genannt wird, begaben sie sich in den ersten Stock, wo das Kaiserpaar schon auf sie wartete. Während Karl, Zita, Sixtus und Xavier sich zurückzogen, hielt Tamás Erdődy vor dem Zimmer Wache, um zu beobachten, dass auch Außenminister Ottokar Czernin später zu den Verhandlungen stieß. Nachdem diese vorüber waren, fuhren Erdődy, Sixtus und Xavier von Bourbon-Parma wieder zurück in die Landskrongasse gebracht, wo die Prinzen neuerlich übernachteten. Am nächsten Tag ging es dann wieder mit René von Bourbon-Parma zurück nach Schloss Laxenburg zu neuen Verhandlungen, bei denen Erdődy wieder persönlich Wache hielt. [47][48]
Am 25. März (laut den Memoiren am 24. März) fuhr Tamás Erdődy mit Zitas Brüdern Sixtus und Xavier mit der Bahn wieder in Richtung Schweizer Grenze. Am 26. März verabschiedete er sich von den beiden, die von Leopold Freiherr von Imhoff wieder übernommen und in die Schweiz geschmuggelt wurden.[49]
Weitere Reisen in die Schweiz im April und Mai
Am 22. April war Tamás Erdődy erneut mit Briefen für Sixtus und Xavier von Bourbon-Parma in die Schweiz unterwegs. Der Treffpunkt befand sich dieses Mal in der Stadt Zug am Zugersee, wo Erdődy am 24. April auf die Prinzen traf. Zwei Tage später fuhr er mit der Antwort der Entente wieder zurück nach Wien, wo er am 28. ankam.[50][51]
Während Erdődy mit den Antwortbriefen von Sixtus und Xavier von Bourbon-Parma wieder zurück nach Wien fuhr, begaben sich die Prinzen nach Neuchâtel, um dort auf die Antwort von Karl zu warten. Diese kam am 5. Mai 1917 in Form eines Briefes, den wieder Tamás Erdődy überbrachte. Sixtus entschloss sich darauf mit Erdődy nach Wien zu begeben, während sein Bruder Xavier in der Schweiz blieb. Am 8. und 9 Mai verhandelte Sixtus in Schloss Laxenburg mit seiner Schwester Zita und seinem kaiserlichen Schwager. Am 9. Mai kam es dann zur Übergabe des berühmt gewordenen zweiten Kaiserbriefes, welcher Mitteilungen über ein italienisches Friedensangebot und die Bereitschaft Österreich-Ungarns für Friedensverhandlungen enthielt. Außerdem enthielt dieser Brief eine von Ottokar Czernin eigenhändig verfasste Beilage, in dem dieser Bedingungen für Friedensverhandlungen formuliert hatte. Am 10. Mai begleitete Tamás Erdődy Sixtus von Bourbon-Parma wieder in Richtung Schweiz.[52][53]
Bei seiner letzten Fahrt in die Schweiz machte Erdődy wieder Station bei General von Einem in Bern, der ihn davor warnte, dass er eventuell entführt werden würde, weil er aufgrund seiner Nähe zu Kaiser Karl I. besonders interessant für feindliche Geheimdienste wäre. Tatsächlich wollte ihn sein Kontaktmann, der Besitzer jener Villa in Neuchâtel in der es zum ersten Aufeinandertreffen mit den Bourbonen-Prinzen gekommen war, dazu bewegen, an die französische Grenze zu fahren, um dort den angeblich wartenden Sixtus von Bourbon-Parma die mitgeführten Briefe persönlich zu übergeben. Da aber im Vorfeld der Übergabe, die in der Schweizer Stadt Biel hätte stattfinden sollen, ausgemacht war, dass der Kontaktmann die Briefe übernehmen sollte, brach Erdődy die Übergabe ab und fuhr unverrichteter Dinge wieder nach Wien zurück. Mit dieser letzten, erfolglosen, Fahrt in die Schweiz endeten Tamás Erdődys Kurierdienste in der sogenannten Sixtus-Affäre.[54]
Die Affäre
Eine Rede von Ottokar Czernin am 2. April 1918 vor dem Wiener Gemeinderat brachte die Affäre schließlich ins Rollen, an deren Ende der Ruf und das Ansehen des Kaisers stark beschädigt waren und Österreich-Ungarn endgültig nur mehr zu einem Anhängsel des übermächtigen deutschen Verbündeten degradiert wurde.
Ottokar Czernin zitierte Tamás Erdődy in diesen Krisentagen zu sich und forderte von ihm, dass er den Kaiser zum Abdanken auffordern solle. Nachdem sich dieser weigerte, verlangte Czernin mit folgenden Worten von Erdődy, dass er die ganze Verantwortung der Affäre auf sich nehmen solle:[55]
„Wenn du dich weigerst, bin ich ein toter Mann. Mir bleibt dann nichts mehr übrig als die Pistole...also?“
Erdődy, dem die aktive Rolle von Czernin in dieser Geschichte natürlich bewusst war, warf dem Außenminister seine Pistole auf den Tisch und verließ dessen Büro. Der Minister nahm sich aber nicht das Leben, sondern trat am 14. April von seinem Amt zurück.
Am 12. Mai 1918 begleitete Tamás Erdődy Kaiser Karl I. auf einer Fahrt in das Hauptquartier der deutschen Heeresleitung in der belgischen Stadt Spa, wo es zu einem Aufeinandertreffen mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. kam.[56] Diese Fahrt wurde von der Presse als Canossa-Gang gewertet und führte dazu, dass sich Österreich-Ungarn dem verschärften Kriegskurs des Deutschen Reiches beugen musste.[57]
Weitere Ereignisse bis Kriegsende
Explosion in der Pulverfabrik Blumau - 17. April 1917
In der Nacht von 16. auf den 17. April wurde Tamás Erdődy von der Wiener Berufsfeuerwehr verständigt, dass es in der k.u.k. Pulverfabrik Blumau zu einer großen Explosion gekommen war. Erdődy fuhr daraufhin mit dem Fernzug der Berufsfeuerwehr zur Unglücksstätte, wobei der Feuerschein bereits vom Laaer Berg aus zu beobachten war. Mit den Löscharbeiten konnten die Wiener Feuerwehrleute erst am späten Nachmittag beginnen und hatten großes Glück, als Artilleriemunition explodierte, das in einem Gebäude gelagert war, das sie versuchten zu löschen. Erdődy arbeitete in weiterer Folge mit einigen Experten ein Memorandum über die zukünftige Organisation des militärischen Feuerwehrwesens aus, das er dann Kaiser Karl übergab.[58]
Hamburgreise mit Erzherzog Wilhelm - Mitte Juli 1917
Mitte Juli begleitete Tamás Erdődy Erzherzog Wilhelm von Habsburg-Lothringen, der ihm von den Jagdausflügen an der russischen Front bekannt war, nach Hamburg, wo dieser den MetropolitMetropoliten der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche, Andrej Scheptyzkyj treffen wollte, um mit diesem über ein Fürstentum Ukraine unter Wilhelms Regentschaft zu sprechen.
Brandkatastrophe von Gyöngyös im Mai 1917
Am 21. Mai 1917 brach in der ungarischen Kleinstadt Gyöngyös ein Brand aus, dem insgesamt 549 Häuser und 1400 Nebengebäude zum Opfer fielen. Als Tamás Erdődy von dieser Brandkatastrophe erfuhr, machte er sich sofort mit dem Auto auf den Weg in die betroffene Stadt und half bei den Lösch- und Aufräumarbeiten mit. Es schickte außerdem ein Telegramm an Kaiser Karl, in dem er diesem vom Ausmaß der Katastrophe berichtete und ihm nahelegte, dass es opportun wäre, wenn dieser an den Ort des Geschehens kommen würde. Das Kaiserehepaar beherzigte Erdődys Rat und begab sich umgehend mit dem Hofzug in das geplagte Städtchen, um der Bevölkerung Trost zu spenden und die Weichen für den Wiederaufbau zu stellen.[60]
Jännerstreik 1918
Im Winter von 1917 auf 1918 verschlechterte sich die Versorgungslage in der Monarchie immer mehr. Wie Tamás Erdődy in seinen Memoiren schrieb, waren die Frontsoldaten noch relativ gut verpflegt, während den in der Etappe eingesetzten Soldaten nur mehr die halbe Ration eines Feldsoldaten zur Verfügung stand. Noch viel schlechter ging es der Zivilbevölkerung, die sich unter anderem mit gekochten Wruken ernähren musste, die vor dem Krieg nur als Futter für die Schweine, wie Erdődy schreibt, verwendet worden waren. Aufgrund von Materialmangel bestanden die Sohlen der Schuhe nun aus Holz und Kleider waren aus Brennesselstoffen gemacht, die bei nassem Wetter zerfielen. Hatte ein Soldat Fronturlaub bekommen, um sich etwas in der Heimat zu erholen, dann kehrten diese Männer "sonderlich fahl und schlecht aussehend zurück und waren verschlossen". Dies führte natürlich zu einer Verschlechterung der Stimmung bei den Fronttruppen von denen viele nach vier Jahren Krieg ohnehin schon kriegsmüde waren.[61]
Als am 14. Jänner 1918, einem Montag, die Regierung die Kürzung der Mehlrationen um 50 Prozent bekanntgab, entstand binnen weniger Tage ein Flächenbrand in Form von Arbeitsniederlegungen, der die gesamte Monarchie erfasste und an dessen Höhepunkt mehr als 700.000 Arbeiterinnen und Arbeiter sich im Streik befanden. Ausgangspunkt dieser Jännerstreik genannten Streikbewegung waren die Daimler-Werke in Wiener Neustadt, wo der Streik um 7:30 Uhr begann und von dort sehr schnell auf andere Fabriken der Stadt übergriff. Am 15. Jänner breitete sich der Streik auch auf Wien, Linz, Budapest und auf viele andere Gebiete der Monarchie aus.[62]
Auch rund 20.000 Beschäftigte des Wiener Arsenals, wo in 18 großen Fabriken vor allem Artilleriegeschütze und Munition produziert wurden, legten die Arbeit nieder. Eigenartigerweise datieren Tamás Erdődy bzw. die Autoren seiner Memoiren diesen Streik der Arsenalarbeiter auf den 14. Februar 1918.[63] Ob hier ein Datumsfehler vorliegt oder ob es tatsächlich einen Monat nach Beginn des Jännerstreiks einen zweiten Streik im Arsenal gegeben hat, ist ungeklärt.
Von Karl um seinen Rat gefragt, meinte Erdődy zum Kaiser:[64]
„Es gibt einen Weg, Majestät. Lassen Sie mit den Maschinengewehren in die Menge schießen. Majestät aber reisen mit der Allerhöchsten Familie sofort nach Gödöllö bei Budapest, wo Sie bei Ihren treuen Ungarn gut aufgehoben sein werden.“
Karl lehnte diesen Vorschlag auf die Arbeiter schießen zu lassen sofort ab, mit dem Gedanken nach Gödöllö zu fahren, konnte er sich hingegen anfreunden. Die Vorbereitungen dazu waren bereits getroffen, als alles wieder abgesagt wurde. Wie Erdődy anschließend in Erfahrung bringen konnte, hatte Kaiserin Zita in dieser Fahrt eine Flucht gesehen. Auch riet Außenminister Ottokar Czernin, der zu diesem Zeitpunkt einer der Verhandlungsführer bei den Friedensverhandlungen mit Russland in Brest-Litowsk war, auf das Nachdrücklichste von einer Fahrt nach Ungarn ab.[65]
Wenn es sich bei dem von Erdődy erwähnten Streik tatsächlich um den Jännerstreik gehandelt hatte, dann war dieser auch recht bald wieder vorbei, unter anderem durch den mäßigenden Einfluss der Sozialdemokraten, die vom Ausbruch des Streikes ursprünglich überrascht worden waren.[62]
Hymnen-Eklat in Debrecen 22. Oktober 1918
Die Gesamtlage der Monarchie hatte sich im Laufe des Jahres weiter verschlechtert. Die Menschen in der Heimat hungerten, während an der Front es immer öfters zu Disziplinlosigkeiten kam, von denen vor allem tschechische Truppenverbände betroffen waren. Auch die Generalität war sich nicht einig, wie es weitergehen sollte. So forderten Kriegshelden wie die Generalobersten Svetozar Boroević von Bojna und Hermann Kövess von Kövesshaza einen sofortigen Sonderfrieden, sogar der Generalstabschef Arthur Arz von Straußenburg sprach sich ebenfalls für eine derart radikale Maßnahme aus, während andere Generäle strikt gegen diesen Schritt waren, weil sie Friedensverhandlungen hinter dem Rücken Deutschlands als Verrat ansahen. Für Tamás Erdődy trugen auch "sozialdemokratische Agitatoren" wesentlich zu Destabilisierung der Lage bei. Und auch der ungarische Nationalismus wurde immer stärker, während im Gegenzug die Popularität des Kaiserpaares immer mehr sank.[66]
Vor diesem Hintergrund plante Karl eine Dienstreise nach Ungarn, die ihn nach Debrecen und nach Gödöllö führen sollte, und die im Nachhinein betrachtet seine letzte größere Reise als Kaiser darstellte. Um den ungarischen Nationalismus nicht weiter zu provozieren, beauftragte er Tamás Erdődy damit, dass beim Empfang in Debrecen, wo ein Universitätsgebäude eröffnet werden sollte, am Bahnhof eine Musikkapelle des Honvéd stehen sollte, die anstatt der Kaiserhymne "Gott erhalte" die ungarische Nationalhymne spielen sollte. Die Debrecener Garnison hatte Erdődys Telegramm nachweislich bekommen, es aber seiner Ansicht nach bewusst ignoriert und somit vorsätzlich einen Eklat heraufbeschworen.[67]
Als der Zug in den Bahnhof der ungarischen Stadt einfuhr, stand Erdődy auf dem Trittbett des ersten Wagons, Karl hinter ihm in der Tür, um sicherzustellen, dass alles glatt lief. Als sie erkannten, dass nicht die bestellte Honvéd-Kapelle aufmarschiert war, sondern die Kapelle des in Debrecen stationierten tschechischen Infanterie-Regiments, musste Erdődy vom fahrenden Zug abspringen und zum Kapellmeister eilen, um diesen aufzufordern, die ungarische Nationalhymne zu spielen. Er kam aber zu spät, denn die Kapelle hatte die Kaiserhymne bereits zu spielen begonnen, die sie dann auf Anweisung von Erdődy nach ein paar Takten wieder abbrach. Die Provokation war somit gelungen und die ungarischen Nationalisten schlachteten diese Episode in weiterer Folge als "Beleidigung der Nation" aus.[68]
Der Besuch selbst verlief harmonisch, sieht man von einer Provokation von ungarischer Seite ab, da man das sehr fromme, streng katholisch gläubige, Kaiserpaar ausgerechnet zu einem reformierten Gottesdienst in die Reformierte Großkirche von Debrecen einlud, was Tamás Erdődy folgendermaßen kommentierte:[69]
„Ein guter Katholik wird auch dem Glauben anderer frommer Menschen Achtung entgegenbringen. Nein, das war nicht das ärgste: Sondern die Tatsache, daß sich das Kaiserpaar in jener Kirche befand, in der im Jahre 1849 die ungarische Nationalversammlung tagte und auf Antrag Kossuths feierlich die Habsburger als des Thrones verlustig erklärt hatte.“
Verhandlungen über Ungarns Zukunft auf Schloss Gödöllö
Tamás Erdődy bzw. die Autoren seiner Memoiren berichten von der Reise nach Debrecen und Schloss Gödöllö in zwei unterschiedlichen Kapiteln, sodass der Eindruck entsteht, dass es sich hier um zwei separate Reisen gehandelt hat. Tatsächlich begann die letzte Rundreise von Karl als ungarischer König Karl IV. am 22. Oktober 1918 in Wien, die ihn zuerst nach Debrecen und dann nach Schloss Gödöllö führte, jenem Schloss, welches Ungarn 1867 als Krönungsgeschenk Franz Joseph I. und seiner Frau Elisabeth übergeben hatte.[70]
Wie Erdődy in seinen Memoiren berichtet, stieg in Meidling der tschechische Politiker Václav Klofáč in den k.u.k. Hofsalonzug um mit Karl auf der Strecke bis zum Ostbahnhof über die aktuelle politische Lage zu diskutieren. Einige Tage zuvor hatte bereits eine provisorische tschechoslowakische Regierung mit den Alliierten den Entwurf der Unabhängigkeitserklärung verhandelt, welche dann eine Woche später in Kraft trat und den Zerfall der österreichischen Hälfte Österreich-Ungarns weiter beschleunigte. Wie allgemein bekannt war, befand sich Klofáč, der während des Krieges zeitweilig wegen Hochverrates inhaftiert worden war, auf der Reise in die Schweiz um dort Vertreter der provisorischen tschechoslowakischen Regierung zu treffen.[71] Erdődy kommentierte den Abschluss dieser Episode in seinen Memoiren folgendermaßen:[72]
„Man näherte sich dem Ostbahnhof, der Kaiser verabschiedete sich von Klofáč: "Sorgen Sie, daß, nach dem Blute auf den Schlachtfeldern, alles, was weiter geschieht, ohne Blutvergießen geschieht." Klofáč versprach es und verließ den Hofzug, statt in den Kerker konnte er sich ins Ausland begeben.“
Die Fahrt nach Gödöllö war begleitet von trübem, regnerischem Herbstwetter, das die ohnehin schon düstere Stimmung weiter verschlechterte. In den Wäldern rund um Gödöllö trieben sich Deserteure herum, die Erdődy als Grüne Kader bezeichnete, die sich zu Banden zusammengeschlossen hatten und die Zivilbevölkerung und auch das Schloss selbst bedrohten. Zu dessen Sicherheit standen die Maschinengewehr-Eskadron des k.u.k. Husarenregiment 7 sowie junge Freiwillige des Honvéd bereit, die dann in den nächsten Nächten tatsächlich mehrmals von der Schusswaffe Gebrauch machen mussten, wenn Verdächtige dem Schlosse zu nahe kamen.[73]
In den nächsten Tagen forderte der Stadtkommandant von Budapest, Géza Lukachich von Somorja, ein Träger des Ritterkreuzes des Militär-Maria-Theresien-Ordens,[74] Tamás Erdődy telefonisch auf, bei Karl umfangreiche Vollmachten für ihn zu erwirken, um die "immer unhaltbarer werdende" Lage in der Stadt in den Griff zu bekommen. Laut Erdődy standen in Budapest einige Infanterie-Regimenter, die sich aus loyalen Soldaten aus Bosnien und den bäuerlichen Gegenden Ungarns zusammensetzten, die jedem Befehl Lukachichs gefolgt wären und binnen Stundenfrist die Opposition ausgeschaltet hätten. Lukachich von Somorja schickte zusätzlich noch einen Kurier mit einer schriftlichen Aufforderung, aber Karl blieb bei seiner ablehnenden Meinung auf Zivilisten schießen zu lassen:[75]
„Aber der König sagte "nein". Ich hatt' es gewusst. Seine wahrhaft fromme Gesinnung, die tief in dieser Seele verankerte Religiösität verbot es der Apostolischen Majestät, neue Pfeiler seiner Herrschaft zu errichten, bei deren Bau man zum Betongemenge statt Wasser Blut verwendet hätte! Leider.“
Erdődy machte sich selbst ein Bild von der Lage und fuhr für einige Stunden in das nahe Budapest, um die Aussagen von Lukachich von Somorja über die Zustände in der Stadt bestätigt zu sehen.
In den nächsten Tagen war Schloss Gödöllö Schauplatz von Verhandlungen zwischen Karl und den Vertretern verschiedener politischer Richtungen mit dem Ziel zumindest Ungarn für die Habsburger zu sichern. So sprach Karl mit konservativen Politikern wie Albert von Apponyi, Julius Andrássy oder Johann Hadik, Vertreter radikaler Strömungen wie Michael Károlyi oder der Sozialdemokratie wie Siegmund Kunfi.[76]
Als die Nachrichten aus Wien für den Kaiser immer schlechter wurden, so stand der Zerfall der Armee im Raum und Sozialdemokratien wie Viktor Adler, Karl Renner oder Karl Seitz forderten vor Tausenden Menschen die Abdankung Karls, entschloss sich das Kaiserpaar nach Wien zurückzukehren. Um dies nicht als Zeichen für eine Flucht aus Ungarn aussehen zu lassen, fasste man den schweren Entschluss die Kinder in Gödöllö zu belassen.[77][78]
Der schwer bewachte Hofzug benötigte für die Strecke Gödöllö - Wien das Dreifache der normalen Reisezeit, weil man unterwegs Anschläge auf den Zug oder Sabotageaktionen auf die Gleisanlagen befürchtete. Als dieser dann in den Wiener Ostbahnhof einfuhr, warteten schon die Hofautos auf das Kaiserpaar mit dem die Fahrt nach Schönbrunn weitergehen sollte. Bei der Abfahrt der Autokolonne entlud sich die Wut der Bevölkerung für über Wochen, Monate und Jahre ertragene Entbehrungen, erlittenen Hungers und der Angst, hervorgerufen auch durch die in dieser Zeit in Wien grassierenden Spanischen Grippe, in Form von Anpöbelungen und Beleidigungen durch zahlreiche Schaulustige, ehe man ohne weitere Zwischenfälle Schönbrunn im Westen Wiens erreichte.[79]
Die letzten Tage in Schloss Schönbrunn
Wie in Gödöllö standen auch die ersten Tage in Schloss Schönbrunn im Zeichen von Verhandlungen. Der Kaiser empfing neben Politikern wie Karl Renner, Karl Seitz, Otto Ender, Ignaz Seipel auch Heinrich Lammasch, dem er am 27. Oktober 1918 die Regierungsverantwortung übertrug und der am Tag seiner Ernennung von der Wiener Tageszeitung Neue Freie Presse als „Liquidator des alten Österreich“ tituliert wurde. Tatsächlich befand sich die Monarchie in Auflösung. Von der Front fuhren die ersten Eisenbahnzüge mit schwer bewaffneten und desertierenden tschechischen Truppen zurück in deren Heimat. Auch in Wien begannen Soldaten Magazine zu plündern, ohne dass sie daran von ihren Offizieren gehindert wurden.[80]
Michael Károlyi, der mit dem Hofzug von Gödöllö nach Wien mitgefahren war, um mit Karl weiter zu verhandeln, wartete indessen in einem Wiener Hotel darauf, dass ihn der Kaiser nochmals empfange. Da dies aber nicht geschah, fuhr er mit dem Zug wieder zurück nach Budapest und sprach laut Tamás Erdődy bei seiner Ankunft vor Zehntausenden am Bahnhof auf ihn wartenden Menschen den einen Satz:[81]
„Wir haben keinen König mehr!“
Als Folge der in diesen Tagen ausbrechenden sogenannten Asternrevolution, musste ihn Karl schließlich am 31. Oktober 1918 zum neuen Ministerpräsidenten Ungarns ernennen, nachdem er am 27. Oktober noch versucht hatte, mit János Hadik einen Vertreter der alten Oberschicht Ungarns auf diesem Posten zu installieren.
Das Kaiserehepaar belastete zur dieser Zeit auch eine große private Sorge, denn der sich abzeichnende Umbruch in Ungarn bedeutete auch eine große Gefahr für die in Gödöllö zurückgelassenen Kinder. Laut Tamás Erdődy fasste sich Rittmeister Valla ein Herz und brach mit einem Automobil nach Gödöllö auf, um die Kinder zu retten. Valla gelangte glücklich nach Gödllö, wo er die Kinder aufnahm und sie trotz vieler Straßensperren nach Schönbrunn brachte, während das Schloss bereits von einer Menschenmenge regelrecht belagert wurde. Die glückliche Ankunft der Kinder am 30. Oktober 1918 bedeutete für Karl und Zita den einzigen Lichtblick in dieser Phase des Zusammenbruches der Monarchie.[82]
Tamás Erdődys größte Sorge in dieser Umbruchszeit war die Sicherheit der kaiserlichen Familie zu garantieren. Zu seinem Entsetzen hatte sich die für diese Aufgabe eigentlich geschaffene k.k. Trabantenleibgarde einfach aufgelöst. An ihre Stelle trat freiwillig ein Bataillon des Infanterie-Regiments 101 aus Békéscsaba. Aber auch hier zeichnete sich ein schnelles Ende ab, als der Bataillonskommandant, ein Major, eines Morgens das Büro von Erdődy betrat:[83]
„"Wir gehen nach Haus...". "Wer?". "Nun, das ganze Bataillon...". Ich begriff und stammelte: "Ja, wieso?". "Lieber Kamerad, hier geht alles drunter und drüber. Bei uns in Ungarn auch. Es ist allerhöchste Zeit, daß ich trachte, das Bataillon noch halbwegs in Ordnung nach Hause zu bringen." Er machte rasch kehrt und verließ die Kanzlei.“
Erdődy musste nun improvisieren und es gelang ihm in der Stadt einige abgerüstete Soldaten zu bewegen, freiwillig Schloss Schönbrunn zu bewachen. Aufgrund seiner guten Beziehungen zur Wiener Feuerwehr wurden diese Wachen durch Angehörige der Feuerwehr verstärkt. Einen Tag später meldeten sich Einheiten der Theresianischen Militärakademie aus Wiener Neustadt bei Erdődy, welche nun die Wachaufgabe übernahmen.[84]
Karl wurde von Tamás Erdődy in den nächsten Tagen immer wieder bedrängt, nach Schloss Eckartsau zu übersiedeln, da es immer schwieriger wurde in Schönbrunn die Sicherheit der Kaiserfamilie sicherzustellen. In der Nacht von 10. auf den 11. November unterschrieb Karl im Beisein von Ministerpräsident Heinrich Lammasch nach langem Drängen eine Verzichtserklärung und enthob gleichzeitig die Regierung Lammasch ihres Amtes.
Als am nächsten Tag eine lange Kolonne Floridsdorfer Metallarbeiter in Richtung Schönbrunn marschierte und sich versuchte mit Brechwerkzeugen am Tor zu schaffen zu machen, sah auch Karl ein, dass es im Schloss für seine Familie zu gefährlich wurde. Da man aber Schönbrunn mit den Hofsautos durch den Vordereingang wegen der wütenden Menge nicht mehr verlassen konnte, wurden kurzerhand sieben Wiener Taxis organisiert. Mit ihnen verließ der letzte Habsburger Kaiser durch einen Seitenausgang Schönbrunn, um nach Schloss Eckartsau gebracht zu werden. Tamás Erdődy marschierte indessen in Uniform im Schlosshof auf und ab, um die Menge von den wegfahrenden Taxis abzulenken. Einen Tag später folgte auch er in einem Taxi, nun als Zivilist bekleidet, der Familie Habsburg nach Schloss Eckartsau nach.[85]
Abschied von der kaiserlichen Familie
Tamás Erdődy fand in Eckartsau einen "jammervollen Hof" vor, die kaiserliche Familie wurde anfangs nur von wenigen Gardisten bewacht, deren Ablöse dann ab 21. November durch Wiener Polizeibeamte erfolgte.[86] Erdődy selbst wurde gleich am Tag nach seiner Ankunft vom Sicherheitsdienst für die "ehemalige Kaiserfamilie" durch die neue Regierung enthoben, weil er als "ungarischer Staatsbürger auf dem Boden der deutsch-österreichischen Republik kein Verfügungsrecht" hatte.[87]
Zu dieser Zeit liefen auch Verhandlungen mit der Schweiz an, mit denen man diese dazu bewegen wollte, Karl und seiner Familie Asyl zu gewähren. Diese Verhandlungen scheiterten schließlich am Einspruch des Schweizer Bundesrates.[88]
Ende Februar war der von König Georg V. beauftragte englische Oberstleutnant Edward Strutt in Eckartsau eingetroffen und hatte die Königsfamilie fortan als Sicherheitsoffizier betreut. Diesem gelang es auch in zähen Verhandlungen zu erreichen, dass Karl mit seiner Familie aus Österreich ausreisen konnten ohne abdanken zu müssen, nachdem zuvor die Entente die Schweiz dazu bewegen konnte der Kaiserfamilie Asyl zu gewähren.[86]
Am 23. März 1919 begab sich die kaiserliche Familie schließlich zur kleinen Haltestation Kopfstetten der ehemaligen Lokalbahn Siebenbrunn–Engelhartstetten, deren Trasse 2013 abgetragen wurde. In Tamás Erdődys Memoiren wird diese Station als "Hetzendorf" bezeichnet. Hier kann es sich aber nur um eine Verwechslung handeln, eventuell mit der Haltestelle Wien Hetzendorf, welche im 12. Wiener Gemeindebezirk liegt und an der die Eckartsaugasse vorbeiführt.
Erdődy beschreibt den Augenblick der Abreise in seinen Memorien:[89]
„Der Ententezug, an den ich den Kaiser brachte, wartete in der lächerlich kleinen Station. Schnell stieg die kaiserliche Familie ein. Ich nahm Abschied. Zuletzt vom Kaiser. "Mein lieber Tamás, wie soll ich dir alles danken..." Ich küßte dem Kaiser die Hand, die Tränen rannen mir über die Wangen...ich schluchzte laut. Als der Zug im Nebel verschwand, stand ich allein. Mir war, als hätte hinter meinem ganzen bisherigen Leben die Türe zugeschlagen...“
Entstehung des Burgenlandes
Flucht vor der Räteregierung
Nach der Abreise der Kaiserfamilie war für Tamás Erdődy Wien zu einer fremden Stadt geworden, sodass er sich entschloss nach Ungarn zurückzukehren. Dort hatte sich in der Zwischenzeit viel verändert. Einerseits hatten sich schon im Zuge des Zusammenbruches Teile der Länder der ungarischen Krone von Ungarn losgesagt und sich den neu entstandenen Staaten wie der Tschechoslowakei angeschlossen, andererseits hatten Truppen dieser Staaten Gebiete des ungarischen Teiles der Habsburgermonarchie besetzt und somit militärische Fakten geschaffen.[90] Dieser Belastung hielt die noch von Karl eingesetzte Regierung nicht stand. Michael Károlyi, zuerst Ministerpräsident und seit dem 11. Jänner 1919 Präsident der Republik Ungarn war, übertrug die Regierungsverantwortung daher Béla Kun, dessen Räteregierung in der Folge Banken, Großindustrie, Mietshäuser und größere Betriebe verstaatlichte. Auch Grundbesitzer, die mehr als über 100 Joch Land besaßen, wurden enteignet. Außerdem fielen in den 133 Tagen des Bestehens der Räteregierung rund 600 Personen dem sogenannten Rotem Terror zum Opfer, den auch Erdődy in seinen Memoiren erwähnte.[91]
Auch für ihn selbst hatte diese neue politische Konstellation massive Konsequenzen. Die Räteregierung enteignete nicht nur Erdődy, sondern sein Haus in Köszeg war von staatlichen Plünderern aufgesucht worden, die wohl auch vor ihm nicht Halt gemacht hätten. Zumindest wurde ihm diese Informationen auf dem Dienstweg als Gendarm zugetragen. Tamás Erdődy hatte sich nämlich als ehemaliger Offizier der Gendarmerie nach seiner Rückkehr nach Ungarn zu dieser gemeldet und war aufgrund der Bestimmungen der Räteregierung als "Gendarm auf Probezeit" aufgenommen worden.[92]
Als Erdődy erfuhr, dass die Regierung nach ehemaligen Aristokraten und Offizieren fahnde, setzte er zusammen mit zwei Kollegen einen länger geplanten Fluchtplan in die Tat um. Die drei Männer hatten dabei einen Helfer in der Befehlshierarchie der Gendarmerie, der ihnen Befehle ausstellte, sodass sie sich der österreichischen Grenze nähern konnten ohne dabei Verdacht zu erregen. Vermutlich bei Sinnersdorf erfolgte der Grenzübertritt, denn Erdődy und seine Fluchtgefährten begaben sich umgehend zum Gendarmeriekommando Friedberg, wo sie ihre Waffen abgaben. Anschließend ging es nach Aspang weiter, wo sich ihre Wege trennten. Als Erdődy bei seiner Wohnung in der Landskrongasse ankam, war sein Bargeldbestand auf den Wert einer Straßenbahnfahrkarte geschrumpft, wie seinen Memoiren zu entnehmen ist.[93]
Zwischenspiel in Wien im Frühjahr und Sommer 1919
Nach seiner Rückkehr nach Wien heiratete er Antonia Albrecht, sie war die Tochter des Hausmeisters seiner Wohnung, die er mit ihr in den nächsten Monaten auch bewohnte. In diesen schwierigen Zeiten bewies sich Tamás Erdődy einmal mehr als Überlebenskünstler. So scheute er sich nicht davor verschiedene Gelegenheitsarbeiten anzunehmen, unter anderem war er als Fleischhauer im Schlachthof Sankt Marx tätig, ehe er sich um eine bequemere Arbeit umsah, die er dann auch bald fand. Er wurde "Detektivinspektor" der Wiener Polizei und seine Aufgabe war die in den internationalen Hotels Wiens abgestiegenen Gäste zu überwachen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und die daraus erworbenen Erkenntnisse seinen Vorgesetzten zu melden. Eine Zeit lang war er der Berittenen Polizei zugeteilt und engagierte sich auch im freiwilligen Wiener Feuerwehrwesen.[94]
Laut seinen Memoiren suchte er Anfang Juli 1919 Kontakt mit Raimund Neunteufel einem Politiker der späteren Großdeutschen Volkspartei, um sich, wie er schrieb, in der "westungarischen Frage zu orientieren". Hier werden Erdődys Memoiren wieder zeitlich ungenau, da diese Partei erst am 7. August 1920 gegründet wurde, er aber behauptet, dass er zu seiner Überraschung von Neunteufel im Juli 1919 den Posten des "Polizeichefs" dieser Partei in der Parlamentskanzlei angeboten bekam, den er auch annahm. Allerdings bestand zu dieser Zeit die sogenannte "Großdeutsche Vereinigung", ein Zusammenschluss verschiedener Parteien, die bei den Wahlen 1919 insgesamt 26 Parlamentssitze gewinnen konnten. Da aus dieser Großdeutschen Vereinigung 1920 die Großdeutsche Volkspartei hervorging, kann es daher sein, dass Erdődy lediglich in der Bezeichnung der Partei nicht exakt ist, die restlichen Informationen in seinen Memoiren hingegen stimmen.[95][96]
Hinter dem von Erdődy verwendeten Begriff "westungarische Frage" verbarg sich der Wunsch, deutschsprachige Gebiete Westungarns von Ungarn abzutrennen und Österreich anzuschließen. Ein erster Versuch dazu war die Ausrufung der Republik Heinzenland in Mattersburg am 5. Dezember 1918 durch den Sozialdemokraten Hans Suchard, deren Existenz zwei Tage später durch ungarisches Militär und der Bürgerwehr von Sopron schon wieder beendet wurde und Suchard eine Anklage wegen Hochverrates einbrachte.
Mit seiner Anstellung bei der Großdeutschen Vereinigung befand sich Erdődy nun mitten in der "westungarischen Agitation", wie er das österreichischen Ringen um das Burgenland in seinen Memoiren bezeichnete, und da er sich nach wie vor leidenschaftlich zu seiner Heimat Ungarn bekannte, betrieb er fortan bis zu seiner Kündigung ein Doppelspiel. Während er für seinen Arbeitgeber in den nächsten Wochen bei verschiedenen Verhandlungen teilnahm, unter anderem gab es ein Treffen mit dem Wiener Polizeipräsidenten und späteren Bundeskanzler Johann Schober über die Übernahme des Gendarmeriedienstes in Westungarn, gab er alle Erkenntnisse an den Wiener Ableger der Szegeder antikommunistischen Gegenregierung weiter. Diese Regierung war rund um den Politikier Gyula Károlyi, einem Cousin des ungarischen Präsidenten Mihály Károlyi, als Konterrevolutionäre Gegenregierung gegen die kommunistische Räterepublik entstanden. Da diese Gruppierung natürlich auch Ungarns nationale Interessen vertrat, kam auch für sie keine Angliederung Westungarns an Österreich infrage.[97] Tamás Erdődys Doppelspiel blieb nicht lange unentdeckt und im Zuge seiner Entlassung aus den Diensten der Partei kam es zu einem Streitgespräch mit einem Abgeordneten:[98]
„Er überhäufte mich mit Vorwürfen, ich hätte das Vertrauen der Partei schnöde mißbraucht, ich hätte mich in alle Details der Propaganda einweihen lassen, und nun hielte ich ihn und die ganze Partei zum Narren...Ich verbat mir solche Töne. Da sagte er mir's auf den Kopf zu, dass ich "alles den Ungarn verraten hätte. Wie ich sowas hätte tun können?" Sehr höflich erwiderte ich: "Das, Herr Nationalrat, war doch nichts anderes als meine Pflicht als Ungar...“
Die Verträge von Saint-Germain und Trianon
Am 10 September 1919 unterzeichnete der österreichische Staatskanzler Karl Renner in Paris den Vertrag von Saint-Germain, der die Rahmenbedingungen für die Republik Deutschösterreich regelte. Als einzigen Gebietsgewinn wurden dem neuen Staat die deutschsprachigen Gebiete Westungarns mit einer Fläche von rund 4.500 Quadratkilometer zugesagt, in denen 250.000 Deutsche lebten, mit Ödenburg als Hauptstadt.[99]
Für Ungarn, das seinen Friedensvertrag, den Vertrag von Trianon, unter Protest und auf Drängen der Westmächte am 4. Juni 1920 unterzeichnete, bedeuteten die Bedingungen den Verlust von rund zwei Drittel seiner ehemaligen Fläche. Außerdem wurden dadurch mehr als 3 Millionen Menschen mit ungarischer Muttersprache Bürger anderer Staaten. Allerdings keimte bei den Ungarn die Hoffnung, dass es unter gewissen Umständen im Nachhinein noch zu gewissen Grenzkorrekturen kommen könnte, um mögliche Ungerechtigkeiten hinsichtlich ethnischer und wirtschaftlicher Gesichtspunkte zu korrigieren. Diese Bestimmung war in der sogenannten "Mantelnote" des Friedesvertrages von der Botschafterkonferenz der Westalliierten festgeschrieben wurde und schürte in Ungarn bis zuletzt die Hoffnung, doch noch große Teile Deutsch-Westungarns im eigenen Staatsverband halten zu können.[100]
Wiedersehen mit dem Kaiser - Herbst 1920
Nachdem so seine Arbeit bei der "Großdeutsche Vereinigung" beendet wurde, übersiedelte Tamás Erdődy für einige Wochen in sein Haus in Köszeg.[101] Dies war möglich geworden, weil die Räterepublik nach der Niederlage Ungarns im Ungarisch-Rumänischen Krieg und dem daraufhin erfolgten Einmarsch rumänischer Truppen in Budapest zusammengebrochen war. In dieser Zeit besuchte Erdődy die ungarische Hauptstadt und machte dabei die Beobachtung, dass rumänische Truppen Telephonapparate in den Häusern ungeachtet ihrer Empfindlichkeit abschraubten, sie auf der Straße zu großen Haufen zusammenwarfen und mit Schaufeln auf Autos beförderten, um sie dann als Kriegsbeute nach Rumänien zu bringen.[102]
In Budapest besuchte Erdődy auch eine legitimistische Organisation, die ihn als Kurier zu einem Vertreter Karls in Österreich einsetzte. Er kam dadurch auch wieder in Kontakt mit Xavier von Bourbon-Parma und dessen Bruder Rene. Man unternahm gemeinsame Jagdausflüge und auf das Drängen Xaviers fuhr Tamás Erdődy schließlich am 21. Oktober 1920 mit dem Zug vom Westbahnhof aus nach Prangins in die Schweiz, wo sich die Kaiserfamilie im Exil befand. Laut Erdődys Memoiren war Karl zu dieser Zeit sehr zuversichtlich in Ungarn wieder die Königswürde erlangen können. Wie Erdődy weiter ausführte, versuchte er den Kaiser in seiner Euphorie zu bremsen, während dessen Umgebung diese hingegen förderte. Befeuert wurde sie durch mündliche Nachrichten, welche die Bourbonen-Prinzen vom französischen Ministerpräsidenten Aristide Briand überbrachten. Laut Erdődy ließ Briand ausrichten, dass Frankreich wohlwollend zusehen würde, wenn Karl in Ungarn vollendete Tatsachen schaffen würde. Demnach war Frankreich an einem stabilen Gegengewicht zur Tschechoslowakei interessiert, deren Gründung es zwar gefördert hatte, sich nun aber vom Liebäugeln der Tschechen mit dem Kommunismus bitter enttäuscht sah.[103]
Erdődy fuhr am 2. Dezember 1920 erneut in die Schweiz zu Karl, nachdem er einige Wochen zuvor mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Pál Teleki über eine Rückkehr Karls auf den ungarischen Königsthron gesprochen hatte, um auch dieses Mal dem Kaiser seine Zweifel über derartige Bestrebungen mitzuteilen.[104]
Erster Restaurationsversuch Karls im März 1921
Am 25. März 1921, dem Karfreitag, stand der aus der Schweiz mit dem Pass seines portugiesischen Gärtners Roderigo Sanques angereiste Kaiser Karl I. auf einmal vor der Tür von Tamás Erdődys Wiener Wohnung in der Landskrongasse 5 und teilte seinem verdutzten Vertrauten mit, dass er die Absicht habe nach Ungarn zu reisen, um dort seine Ansprüche auf den Königsthron geltend zu machen. Am nächsten Tag gelang es Erdődy aufgrund seiner guten Beziehungen im ungarischen Generalkonsulat ein Einreisevisum für Ungarn für den vermeintlichen Portugiesen zu erhalten. Um die Mittagszeit fuhren Karl und Erdődy mit einem Taxi zur Burg Seebenstein, wo bereits der ehemalige Leibchaffeur von Karl, Josef Schlederer, wartete. Über Mönichkirchen ging es nach Sinnersdorf, wo die beiden nach Ungarn einreisen konnten. Karl wurde dabei zwar von einem der diensttuenden österreichischen Gendarmeriebeamten erkannt, weil er diesem während des Krieges die Goldene Tapferkeitsmedaille persönlich verliehen hatte. Der Gendarmeriebeamte vertraute sich aber nur Tamás Erdődy an, der dem Beamten aufgrund der Nähe zu seinem Heimatort Rotenturm an der Pinka bekannt war, und verriet seinen Kollegen nicht die wahre Identität Karls.[105]
Auch in der heute zum Burgenland gehörenden Stadt Pinkafeld, dem damaligen Pinkafö, erkannte der Wirt Julius Lehner, bei dem sie einkehrten und ein Mittagessen zu sich nahmen, den Kaiser. Aber auch dieser vertraute sich nur Tamás Erdődy an und wurde von diesem daraufhin aufgefordert die wahre Identität von Karl für sich zu behalten. Da sie das Auto wieder nach Sinnersdorf zurückschicken mussten, weil für den Wagen keine Einreisegenehmigung bestand, ging es nun mit einer von Lehner bereitgestellten Kutsche in Richtung Steinamanger (Szombathely) weiter. Unterwegs legten sie in Großpetersdorf beim Kaufmann Herrmann Schey eine Pause ein und nahmen eine Jause zu sich. Eine Bedienstete von Schey, die während des Krieges in Baden im Hauptquartier als Köchin gearbeitet hatte, erkannte den Kaiser sofort. Dieses Mal gelang es den beiden Reisenden nicht mehr die Identität des Kaisers geheimzuhalten, denn binnen kurzer Zeit war die gesamte Ortschaft auf den Beinen. Die rasch angetretene Feuerwehr stand Spalier als Karl und Erdődy unter 'Eljen'-Rufen der Bevölkerung eine Kutsche Scheys bestiegen, die sie dann bis zum Abend dieses Ostersamstages in die Residenz des Steinamangener Bischofs Johann Mikes brachte.[106]
In der Residenz des Bischofs trafen sie auf eine Männerrunde, zu der auch der ungarische Wohlfahrtsminister Josef Vass gehörte. Die Absicht von Karl in Ungarn seine Königswürde einzufordern, löste auch hier größtes Erstaunen aus. Zunächst wurde der Kommandant der Garnison Oberst Anton Lehár, der Bruder des Komponisten Franz Lehár und als Träger des Ritterkreuzes des Militär-Maria-Theresien-Ordens ein bekannter Kriegsheld, verständigt, der zudem auch ein glühender Verehrer des Kaisers war. Zufälligerweise befand sich auch der ungarische Ministerpräsident Paul Teleky in der Nähe auf einem Jagdausflug, der dann gegen ein Uhr morgens zur Runde stieß. Es folgten hektische Beratungen bis in den frühen Morgen. Karl hielt an seinem Plan nach Budapest zu reisen fest, obwohl ihm Erdődy, Lehár und auch Teleky davon abrieten.[107]
Während Karl am Ostersonntag nach Budapest fuhr, um dort Reichsverweser Miklós Horthy seine Forderung vorzutragen, blieben Tamás Erdődy und Anton Lehár in Steinamanger zurück. Die Unterredung zwischen Karl und Horthy in Budapest dauerte nur ganze zweieinhalb Stunden und endete mit der sofortigen Rückkehr des Habsburgers nach Szombathely, auch deswegen weil die Kleinen Entente Druck machte und es sogar zu einer Mobilisierung von Truppen in der Tschechoslowakei kam. Als Tamás Erdődy Karl am 28. März wieder sah, war dieser von den Strapazen der letzten Tage schwer gekennzeichnet.[108]
Am 29. März berichteten die Wiener Zeitungen in großer Aufmachung von der Reise Karls nach Ungarn und der Hilfestellung durch Erdődy. Seine Wohnung war in der Zwischenzeit von der Polizei durchsucht und seine Frau verhört worden. Für Erdődy drohte von seiten der Polizei eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachtes auf Hochverrat und eine zwangsweise Ausweisung aus Österreich. Seiner Frau gelang indes aller Polizeibeobachtungen zum Trotz sich heimlich über Wiener Neustadt und Sopron nach Szombathely zu ihrem Mann durchzuschlagen.[109]
Während Karl in den nächsten Tagen hohes Fieber hatte, stieg der Druck durch die Kleine Entente und durch habsburgfeindliche Kreise in Ungarn, sodass ihm nahegelegt wurde, das Land schnellstmöglich wieder zu verlassen. So kam es am 4. April auf dem Bahnhof von Szombathely zum einem tränenreichen Abschied von den Erdődys und der zahlreich erschienenen Bevölkerung. Ganz anders hingegen die Stimmung in Österreich, wo aufgebrachte Arbeiter Bahnhöfe belagerten und die Durchfahrt behinderten. Schließlich konnte der Zug doch noch durchgeleitet werden, sodass Karl am 5. April wieder am Ausgangspunkt seiner Reise in der Schweiz angekommen war.[110]
Gründung der Freischärlerbewegung im August 1921
Der Vertrag von Trianon trat am 26. Juli 1921 endgültig in Kraft nachdem dieser auch von Frankreich ratifiziert worden war, wodurch Österreich de jure das Verfügungsrecht über Deutsch-Westungarn für den 27. August 1921 übertragen bekam. Dieser Ratifizierung vorangegangen waren verzweifelte Versuche Ungarns in Verhandlungen möglichst große Teile Deutsch-Westungarns im eigenen Staat zu halten.[111]
Da nun alle diplomatischen Bemühungen gescheitert waren, spielte Ungarn seinen vermeintlich letzten Trumpf aus, den man seit Monaten im Geheimen vorbereitet hatte. Dieser Plan sah einen bewaffneten "Volksaufstand" vor, den man gegen die einmarschierenden Österreicher "inszenieren" wollte. Da aber bald klar war, dass ein Großteil der deutschsprachigen Bevölkerung diesen Guerillakrieg gegen die Österreicher nicht unterstützen würde, versuchte man in Innerungarn entsprechende Kämpfer anzuwerben. Man fand sie unter nationalen Hochschülern, arbeitslosen Berufsoffizieren, aber auch in Flüchtlingslagern, in den Menschen interniert waren, die aus anderen von Ungarn abgetretenen Gebieten stammten. Dementsprechend vielfältig und unterschiedlich waren dann auch die aufgebotenen Einheiten, die sich in insgesamt sechs Freischärlerkorps gliederten:[112]
- I. Freischärlerkorps mit Kommandositz in Oberwart unter Oberleutnant Árpád Taby
- II. Freischärlerkorps mit Kommandositz in Oberpullendorf (später in Lackenbach) unter Hauptmann Miklós Budaházy
- III. Freischärlerkorps mit Kommandositz in Eltendorf (später in Güssing) unter Oberleutnant Endre Molnar
- IV. Freischärlerkorps mit Kommandositz in Parndorf (später in Neusiedl am See) unter Oberleutnant Iván Héjjas
- V. Freischärlerkorps mit Kommandositz in Mattersburg unter Hauptmann Viktor Maderspach
- VI. Freischärlerkorps ("Friedrich-Freischärler") mit Kommandositz in Eisenstadt unter Hauptmann Dezsö Wein
Während Árpád Taby ein Ritter des Maria-Theresia-Ordens war, handelte es sich bei Iván Héjjas um einen berüchtigten Freikorps-Führer der "weißen" Gegenrevolution. Diese konterrevolutionäre Bewegung hatte nach dem Zusammenbruch der Räteregierung blutige Rache an ehemaligen kommunistischen Funktionären, aber auch an vielen Unbeteiligten, genommen, der mehrere Tausend Menschen unter zum Teil bestialischen Umständen zum Opfer fielen. Ein Freikorps-Führer, der in dieser Zeit für besonders grausame Morde verantwortlich zeichnete, war Pál Prónay, der im August 1921 in Westungarn auftauchte und dem sich daraufhin nach und nach alle Freischärlerkorps bis auf das V. und VI. Korps, die traditionell Kaiser Karl verbunden waren, unterordneten. Im Raum Sopron stand außerdem noch das Reserve-Gendarmeriebataillon Nr. 2, eine schlagkräftige aus ehemaligen Angehörigen des Honved Infanterie-Regiments Nr. 69 von Major Julius von Ostenburg-Morawek rekrutierte Truppe, die ebenfalls dem Kaiser treu ergeben war und bei Karls zweiten Restaurationsversuch eine wichtige Rolle spielen sollte.[113]
Tamás Erdődy ließ die Grausamkeiten der weißen Gegenrevolution in seinen Memoiren unerwähnt, während er die Verbrechen, die unter der Räteregierung verübt wurden, sehr wohl beschrieb.[114] Erdődy berichtete in seinen Memoiren auch von einer Konferenz in Szombathely, die der ehemalige Ministerpräsident István Friedrich einberief und bei der die Aufgaben für diesen Widerstand verteilt wurden. Demnach erhielt Erdődy bei dieser Konferenz den Befehl den "Gendarmeriedienst und die Gegend von Köszeg zu organisieren".[115] Die von ihm daraufhin aufgestellte Freischärlertruppe bildete insofern eine Besonderheit unter den Freischaren, weil sie als einzige überwiegend aus Bewohnern Westungarns bestand, während alle anderen sich aus innerungarischen Personal rekrutierte.[116]
Einmarsch der Gendarmerie - 28./29. August 1921
Am 28. August marschierte die österreichische Gendarmerie in das westungarische Grenzgebiet ein, um das Burgenland entsprechend der Bestimmungen des Vertrages von Trianon in Besitz zu nehmen. Insgesamt hatte die österreichische Regierung rund 2000 Mann bereitgestellt, die sich in 11 Kolonnen gliederten.[117]
Die Gendarmeriekolonne 7 startete mit 202 Gendarmen und 22 Zollwachebeamten von Friedberg aus im Fußmarsch Richtung Pinkafeld.[118] Einige hundert Meter ihr voraus fuhr in einer Kutsche ein Hauptmann der britischen Armee, welcher den Gendarmen als Ententeoffizier beigestellt worden war. Die Kutsche des Offiziers war bereits in Richtung Ortszentrum vorausgefahren, als gegen 10 Uhr die in Zweierreihen marschierenden Gendarmen ungefähr das Gebiet des heutigen nördlichen Siedlungsrandes von Pinkafeld erreichten. In diesem Moment wurde die Kolonne von ungarischen Freischärlern mit einem Maschinengewehr angeschossen, das zum Glück für die österreichischen Beamten etwas zu hoch eingestellt war, sodass lediglich der im vorderen Bereich der Kolonne marschierende Gendarmerieoberinspektor August Meixner vom Landesgendarmeriekommando Graz mit einem Steckschuss im linken Oberschenkel eine schwerere Verwundung erlitt.[119]
In Tamás Erdődys Memoiren, der zu dieser Zeit eine Freischärlergruppe im Raum Oberwart befehligte und dem Anschein nach vor Ort war, findet sich folgender Bericht von diesem Zwischenfall in Pinkafeld:[120]
„Als sich die Gendarmen auf 600 Schritte der Ortslisiere von Pinkafeld genähert hatten, ratterte tief in einem Weinberg unser erstes Maschinengewehr. Die Gendarmen warfen sich nieder, erwiderten das Feuer, dass es über unseren Köpfen pfiff und sich die Projektile an den Weinbergmauern plattklatschten. Nun feuerten auch die Burschen, die in der Flanke lagen. Immer rasender das Feuer. Die Gendarmen lagen gut gedeckt, dachten nicht an einen Sturm. Langsam verebbte das Feuer. Wie sich etwas rührte, tastete wieder das Maschinengewehr die Felder ab. Als der Abend die ersten Dämmerfäden spann, gingen die Gendarmen zurück. Man sah, wie sie ihre Verwundeten schleiften. In der Nacht arbeiteten wir uns vor. Fanden zwei Tote.“
Bei Erdődys Beschreibung des Gefechtes ist der Begriff "Weinberg" irritierend, weil in Pinkafeld seit über zweihundert Jahren kein Wein mehr angebaut wurde und es daher auch keinen Weinberg gab. Der Ortsried in dem das Gefecht stattfand ist das sogenannte Marktfeld, das 1921 noch landwirtschaftlich genutzt wurde, während es sich in den Jahrzehnten danach zu einem Wohngebiet entwickelte. Im Osten wird dieser Ortsried durch die Wienerstraße begrenzt, auf der sich an diesem 28. August 1921 aus Norden von Friedberg her kommend die Gendarmerie näherte. Das einzige Gebäude, das sich damals im Marktfeld in diesem Bereich befand, war der Ziegelofen des Pinkafelder Baumeisters Anton Luif, der mittlerweile nicht mehr besteht und an dessen Stelle sich heute ein Wohnhaus befindet. Der Lokalhistoriker Hans H. Piff verortet daher den Standort des ungarischen Maschinengewehrs bei diesem historischen Ziegelofen bzw. in der damals angrenzenden Bodenmulde. Laut historischen Berichten waren in dieser Stellung sieben Freischärler eingesetzt, während sich zwei weitere Kämpfer in einer Feuerstellung westlich der Straße befanden, wobei es über ihren genauen Standort unterschiedliche Angaben gibt. Während eine Quelle ihre Stellung auf Höhe des Ziegelofens westlich der Straße angibt, verlegt eine andere Quelle ihren Standort rund 100 Meter weiter nach Nordwesten.[119]
Während die Freischärler die Gendarmerie beschossen, konnte diese von den Angreifern unbemerkt zwei Zwei-Mann-Spähtrupps auf dem Westufer der Pinka in Richtung Pinkafeld nach vor schicken. Einem der beiden Spähtrupps gelang es dabei, bis ins Ortszentrum vorzurücken und mit dem englischen Hauptmann Kontakt aufzunehmen. Unterdessen hatte der zweite Spähtrupp beim Gebäudekomplex der ehemaligen Tuchmachergenossenschaft Stellung bezogen. Dieser Gebäudekomplex befand sich damals so wie der Ziegelofen auf freiem Feld, im Gegensatz zum Ziegelofen aber auf der westlichen Seite der Wienerstraße. Dem Gendarmen-Spähtrupp gelang es die beiden westlich der Straße eingesetzten Freischärler auszuschalten, die, wie oben beschrieben, je nach Quellenangabe sich entweder 100 oder 200 Meter von ihnen entfernt in nordöstlicher Richtung in Stellung befanden. Nachdem sich die Gendarmerie auf Befehl des englischen Hauptmanns wieder nach Friedberg zurückgezogen hatte, konnten die beiden toten Freischärler geborgen und anschließend auf den Pinkafelder Friedhof beerdigt werden. Im Pinkafelder Sterberegister werden sie zwar als unbekannte Tote geführt, es gelang aber später sie als Joszef Papp und Pal Szabo zu identifizieren.[119]
Auch die Freischärler verließen das Gefechtsfeld und zogen sich nach Oberwart zurück. Am nächsten Tag, dem 29. August 1921, versuchte es die Gendarmerie-Kolonne 7 erneut ihren Auftrag auszuführen. Dieses Mal gelangten die österreichisches Gendarmen bis nach Oberwart, ehe sie sich nach einem weiteren Gefecht mit den Freischärlern endgültig nach Friedberg zurückziehen mussten.[121]
Die benachbarten Kolonnen 8 (Ausgangspunkt Hartberg) und 9 (Ausgangspunkt Burgau) waren am 28. August ebenfalls gleich nach dem Grenzübertritt in schwere Kämpfe verwickelt worden und mussten ihren Vormarsch daraufhin abbrechen. Bei einem dieser Kämpfe trug die Gattin von Tamás Erdődy eine Verwundung davon, die sich laut seinen Memoiren als nicht lebensgefährlich herausstellte.[120]
Ausruf des selbständiges Staates Lajtabánság - 4. Oktober 1921
Am 4. Oktober 1921 fügte der Führer der Freischärlerbewegung Pál Prónay folgenden Eintrag in sein Tagebuch hinzu:[122]
„Jetzt durfte man nicht säumen, dieses zum Tod verurteilte ungarische Gebiet dem Mutterland zu retten. Die Teilnahmslosigkeit der Ansässigen...hat mich bewogen, die Regierung aus den Führern der Aufständischen zu bilden, in die ich Vertrauen hatte und die mir gehorchten.“
Noch am gleichen Tag erließ er in Oberwart eine "Proklamation an die Völker der Welt" in der er die Gründung des unabhängigen, selbstständigen und neutralen Staat Lajtabánság (Leithabanat) verkündete. Während die Regierung des neuen Staates aus führenden Mitgliedern der Freischärlerbewegung bestand, sollte der Posten des Banus mit einem prominenten Ortsansässigen besetzt werden, wobei hier niemand anders als Tamás Erdődy in Frage zu kommen schien. Dieser lehnte dieses Amt aber umgehend ab, weil er als Anhänger Kaiser Karls nicht mit Prónays Ansichten harmonierte.[123] So blieb der Posten des Banus zunächst unbesetzt. Um international anerkannt zu werden, gab der Lajtabánság in der Folge eine Reihe von Briefmarken heraus, die heute eines der wenigen Zeugnisse dieses nur kurz bestehenden Staatsgebildes darstellen.[124]
Unterzeichnung der Venediger Protokolle - 13. Oktober 1921
Die verworrene Lage in Westungarn wurde im September und Oktober auch für die ungarische Regierung immer unangenehmer, weil ihre Kontrolle über die Freischärlerbewegung immer mehr schwand.
So war es bereits am 5. September 1921 bei Kirchschlag in der Buckligen Welt zu einem Gefecht zwischen einer 300 Mann starken Freischärlertruppe unter dem Kommando von Oberleutnant Árpád Taby und dem II. Bataillon des Infanterie-Regiments 5 gekommen. Die Freischärler hatten die im heutigen Bezirk Oberpullendorf auf mehreren Stützpunkten stationierte Gendarmerie-Kolonne 6 angegriffen und viele Gefangene gemacht. Über Pilgersdorf war anschließend der weitere Vormarsch in Richtung Landesgrenze erfolgt, während auf der niederösterreichischen Seite die alarmierte 5. Kompanie des IR 5 ebenfalls in Richtung Grenze vorgerückt war. Bei dem sich daraus entwickelten Gefecht waren auf österreichischer Seite 7 Tote und 15 Verwundete zu beklagen. Zwei Bundesheer-Soldaten waren in Gefangenschaft geraten und von den Freischärlern anschließend getötet worden, weil man bei ihnen angeblich Unterlagen gefunden hatte, die sie als Angehörige der Kommunistische Partei auswiesen. Árpád Taby hatte gegen 13 Uhr den weiteren Angriff auf Kirchschlag abgebrochen, weil auch seine Einheit mit 9 Toten und einer unbestimmten Anzahl von Verwundeten schwere Verluste erlitten hatte. Eine in Kirchschlag angebrachte Gedenktafel erinnert heute an die getöteten Bundesheersoldaten.[125] Auch in Tamás Erdődy Memoiren wurde diese Episode erwähnt, wobei er die österreichischen Verluste mit zwei Gefallenen und acht Verwundeten angibt, während er die ungarischen Verluste unerwähnt ließ.[126]
Da sich im Laufe des Dezembers Gerüchte verdichteten, dass ein neuerlicher Restaurationsversuch Karls unmittelbar bevorstand, plante die ungarische Regierung das Karl treu ergebene und von Julius von Ostenburg-Morawek kommandierte Reserve-Gendarmeriebataillon Nr. 2 nach Innerungarn zu verlegen. Wie sich später herausstellen sollte, wurde mit diesem Plan tatsächlich Karls Rückkehr am 23. Oktober 1921 provoziert.[127]
Da auch Österreich Interesse hatte, die Burgenlandfrage so schnell wie möglich zu lösen, weil es schwer unter der Wirtschaftskrise litt und daher letztendlich trotz aller Widerstände im Parlament zu einem Kompromiss in der Ödenburgfrage bereit war, trafen sich die beiden Kontrahenten in Venedig. Dort erfolgte nach zähen Verhandlungen unter italienischer Leitung am 13. Oktober 1921 die Unterzeichnung der sogenannten Venediger Protokolle, in denen sich Ungarn verpflichtete das Burgenland zu räumen, während Österreich einer Volksabstimmung für die Stadt Ödenburg und seiner Umlandgemeinden zustimmte.[128]
Zweiter Restaurationsversuch Kaiser Karls - 23. Oktober 1921
Pál Prónay hatte sein Hauptquartier von Oberwart nach Großpetersdorf verlegt und dort will Tamás Erdődy laut seinen Memoiren am Abend des 21. Oktobers 1921 ein Junkers-Flugzeug gesehen haben, das in Richtung Südosten flog und in dem er im Nachhinein vermutete, dass es Kaiser Karl und seine Frau Zita an Bord hatte.[129] Tatsächlich war das Kaiserpaar am 20. Oktober 1921 vom Flugfeld Dübendorf an Bord einer Junkers F 13 in Richtung Ungarn gestartet. Laut dem Bericht des Piloten Wilhelm Zimmermann führte der Flug aber über Linz, Steyr, St. Pölten, Baden und das Leitha-Gebirge in das Gebiet südlich von Sopron, um schließlich nahe der Ortschaft Dénesfa zu laden, wo sich das Landgut des Grafen Cziráky befand.[130]
Karl war eigentlich im Glauben gestartet, dass in Ungarn alles für seine Ankunft gerichtet sei, stattdessen hatte er Glück, dass er und seine schwangere Frau beim zufällig auf seinem Schloss anwesenden Grafen Cziráky übernachten konnten. Am nächsten Tag erfuhr auch Tamás Erdődy von der überraschenden Ankunft Karls in Ungarn. Wie er in seinen Memoiren ausführte, begab sich das Kaiserpaar nach Sopron, wo laut Erdődy die ganze Stadt auf den Beinen war. Das in der Stadt auf mittlerweile 1.500 Mann angewachsene Reserve-Gendarmeriebataillon Nr. 2 des Majors Julius von Ostenburg-Morawek empfing seinen König mit endlosen Hoch-Rufen und wurde umgehend auf ihn vereidigt. Das Bataillon, die Freischärlerkorps V. und VI. sowie Einheiten von Anton Lehár, in Summe laut Erdődy rund 4.000 Mann begaben sich mit Karl und Zita im Bahntransport nach Budapest, um dort die Anwartschaft auf den ungarischen Königsthron nötigenfalls auch mit Gewalt durchzusetzen. Tamás Erdődy blieb in Westungarn und konnte somit nur aus der Ferne auf einen glücklichen Ausgang hoffen, ohne dazu selbst etwas beitragen zu können.[131]
Tatsächlich kam es am 23. Oktober 1921 bei Budaörs, einem Vorort von Budapest, zu einem Gefecht zwischen den Königstreuen unter der Führung von Lehár und Truppen, die ihnen von Reichsverweser Miklós Horthy rasch entgegen geworfen wurden, in deren Reihen auch viele Hochschüler kämpften. Als diese heftigen Kämpfe schließlich 19 Todesopfer forderten, ließ Karl den Kampf abbrechen, weil er nicht wollte, dass "Brüder gegen Brüder kämpfen". Somit war auch sein zweiter Restaurationsversuch gescheitert, wobei dieser Versuch auch Menschenleben gefordert hatte. Das Kaiserpaar wurde daraufhin in Ungarn interniert und trat schließlich 1922 die Reise ins Exil auf die Insel Madeira an, wo Karl schließlich am 1. April 1922 sterben sollte. Seine Truppen wurden im Anschluss an das Gefecht bei Budaörs entwaffnet und Anton Lehár blieb nur noch die Flucht nach Österreich, um einer Verurteilung vor dem Kriegsgericht zu entgehen.[132]
Zusammenbruch der Freischärlerbewegung - November 1921
Der gescheiterte Restaurationsversuch leitete auch das Ende der Freischärlerbewegung in Westungarn ein. Das V. und VI. Freischärlerkorps und das besonders kampfkräftige Ostenburg-Bataillon wurden nach dem Gefecht von Budaörs von den Regierungstruppen entwaffnet und fielen somit als militärischer Faktor im Raum Ödenburg weg.[133]
Tamás Erdődys schrieb dazu in seinen Memoiren:[134]
„Als ich davon erfahren [hatte], wußte ich, daß alles aus war. Daß auch hier alles aus war und das Burgenland nicht mehr zu halten war.“
Pál Prónays Einheiten, die zuvor sich ebenfalls in Richtung Budapest begeben hatten, um sich auf die Seite des Reichsverwesers Miklós Horthy zu stellen, kehrten am 25. Oktober in den Raum Ödenburg zurück. Aber bereits am gleichen Tag erschien in allen Zeitungen der Aufruf, dass die "westungarischen Insurgenten" die Waffen niederlegen sollten. Prónay selbst wurde am 31. Oktober 1921 nach Budapest zitiert, wo ihm Horthy androhte reguläres Militär gegen seine Freischaren einzusetzen, für den Fall dass das Leithabanat nicht bis zum 6. November aufgelöst sei. Ein Grund, warum es Budapest auf einem eilig hatte die Venediger Protokolle umzusetzen, war, dass die Tschechoslowakei während Karls Putschversuch begonnen hatte ihr Militär zu mobilisieren. Um diese Gefahr eines Krieges abzuwenden und sich zumindest die Chance auf Ödenburg und seine Umlandgemeinden zu erhalten, musste nun schnellstens Ruhe in Westungarn geschaffen werden. Pál Prónay unterwarf sich auch dieser Anweisung und ließ bis zum 5. November das Gebiet des südlichen Burgenlandes räumen.[135]
In Tamás Erdődys Memoiren wird dieses Datum fälschlicherweise mit 5. Dezember angegeben, über die Momente des Rückzugs sind seinen Memoiren folgende Informationen zu entnehmen:[136]
„Am 5. Dezember, am frühen Morgen, standen wir marschbereit auf der Ortsstraße von Petersdorf (Anmerkung: Großpetersdorf), wir, die letzten ungarischen Freischärler. Unsere Verfassung war unbeschreiblich. Dazu hatten wir uns geschlagen, dazu unsere Einfälle nach Österreich unternommen! Das "Lajta-Banat" existierte nicht mehr. Das Burgenland würde Österreich übergeben werden, bloß in Ödenburg ... abgestimmt werden.“
„Der Rückzug ist immer fürchterlich, war's immer. Der aus eigenem Land, mit dem man verwachsen ist, der fürchterlichste. Halblaut gaben wir unsere Befehle, die Anlasser sangen, die Autos fuhren ab. Ich stand im letzten. Sah nicht nach rückwärts in das verlorene Vaterland, wagte nicht nach vorne zu sehen: Was erwartete uns?“
Eine Woche später begann am 13. November der Einmarsch des Bundesheeres in der Nordhälfte des Burgenlandes, der bis zum 17. November vollzogen war. Wieder eine Woche später in der Zeit vom 25. bis zum 30 November 1921 rückten die Bataillone des Bundesheeres auch im Landessüden ein und beendeten so die Landnahme des Burgenlandes für Österreich.[137]
Nachwirkung
1931 erschienen die Memoiren von Tamás Erdődy mit dem Titel Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten im Amalthea-Verlag in Wien. Die beiden Autoren Paul Szemere und Erich Czech hatten dabei auf Basis der Tagebücher von Erdődy sein Wirken zwischen 1916 und 1921 nachgezeichnet.
Die Tagebücher gelangten nach dem Tod Erdődys in Privatbesitz und gerieten in Vergessenheit, bis schließlich der Journalist Georg Markus in der Tageszeitung Kurier im Jahre 2017 über das Auftauchen der Tagebücher berichtete. Dem Österreichischen Staatsarchiv gelang es daraufhin sie käuflich zu erwerben und für die Öffentlichkeit zu sichern.[138]
Die Tagebücher bildeten in weiterer Folge auch die Basis für die Universum History Folge „Der Verrat des Kaisers“, die am 5. Februar 2021 in ORF2 ausgestrahlt wurde. Fritz Kalteis führte bei dieser Doku, die an Originalschauplätzen wie dem Schloss Eckartsau, dem Kaiserhaus in Baden und der Villa Wartholz in Reichenau an der Rax spielte, Regie. Diese Universum History Folge entstand als Eigenproduktion von ORF, Metafilm, BMB und ZDF/ARTE.[139] Während Kaiser Karl I. von Leopold Altenburg, einem Ururenkel von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth, gespielt wurde, übernahm der deutsche Schauspieler Raphael von Bargen die Rolle des Tamás Erdődys.[140]
Für Manfried Rauchensteiner, der als Historiker die Universum History Folge wissenschaftlich begleitete, war das Auffinden von Erdődys Tagebücher ein besonderer Glücksfall:[140]
„Der Tamás Erdődy ist deswegen so interessant in seinen Aufzeichnungen, weil sie authentisch sind, und weil sie zeitnah geschrieben worden sind – und es ermöglicht eine Chronologie der Geschehnisse, so wie wir sie eigentlich bis jetzt nicht gehabt haben. Er hat das nicht für die Öffentlichkeit und für die Nachwelt geschrieben, sondern für sich, so dass man das Gefühl hatte, er ist sich des Krimis bewusst, in dem er gelebt hat und von dem er ein Teil war.“
Siehe auch
Publikationen
- Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy. Amalthea-Verlag, Wien 1931.
Weblinks
- Digitalisierte Tagebücher des Tamás Erdődys im Österreichischen Staatsarchiv
- Tamás Erdődy auf atlas-burgenland.at
Einzelnachweise
- ↑ Peter Krajasich, Roland Widder : Die Freiwilligen Feuerwehren des Burgenlandes - 60 Jahre Burgenländischer Landesfeuerwehrverband, 1983, Seite: 514
- ↑ Tamás Erdődy: 1. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1914, S. 3.
- ↑ Tamás Erdődy: 1. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1914, S. 4 bis 6.
- ↑ Tamás Erdődy: 1. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1914, S. 7 und 8.
- ↑ Tamás Erdődy: 1. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1914, S. 8 und 12.
- ↑ Tamás Erdődy: 1. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1914, S. 12.
- ↑ Tamás Erdődy: 1. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1914, S. 13.
- ↑ Tamás Erdődy: 1. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1914, S. 13 bis 63.
- ↑ Tamás Erdődy: 1. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1914, S. 63.
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 5.
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 15 bis 22.
- ↑ Edmund Glaise-Horstenau u.a.: Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914–1918: Das Kriegsjahr 1916 - Erster Teil. Verlag der Militärwissenschaftlichen Mitteilungen, Wien 1933.
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 22 bis 25.
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 27 bis 33.
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 31.
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 34.
- ↑ Lehmann, Georg Frh. von (1856-1936), Feldmarschalleutnant, Webseite www.biographien.ac.at, abgerufen am 5. April 2021
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 35 bis 40.
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 35 bis 57.
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 58 bis 58.
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 66 bis 67.
- ↑ Koennen-Horák von Höhenkampf, Ludwig (1861-1938), Feldmarschalleutnant, Webseite www.biographien.ac.at, abgerufen am 6. April 2021
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 72 bis 74.
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 76.
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 83.
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 89 bis 95.
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 96 bis 97.
- ↑ Tamás Erdődy: 2. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1915, S. 98.
- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 14.
- ↑ Tamás Erdődy: 3. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1917, S. 4.
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- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 62 bis 68.
- ↑ Tamás Erdődy: 3. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1917, S. 11 bis 17.
- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 69 bis 83.
- ↑ Tamás Erdődy: 3. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1917, S. 22.
- ↑ Tamás Erdődy: 3. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1917, S. 19 bis 26.
- ↑ Tamás Erdődy: 3. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1917, S. 22.
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- ↑ Leopold Rupert Quaderer: Freiherr von Imhof, Webseite , abgerufen am 8. Feber 2021
- ↑ Tamás Erdődy: 3. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1917, S. 40 bis 44.
- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 84 bis 85.
- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 86 bis 88.
- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 89 bis 92.
- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 94.
- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 1.
- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 95 bis 97.
- ↑ Tamás Erdődy: 3. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1917, S. 42 bis 48.
- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 98 bis 99.
- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 100 bis 102.
- ↑ Tamás Erdődy: 3. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1917, S. 52 und 53.
- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 103 bis 107.
- ↑ Tamás Erdődy: 3. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1917, S. 55 und 64.
- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 107 bis 111.
- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 116.
- ↑ Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand - Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten - Die Memoiren des Grafen Tamás von Erdődy.. Amalthea-Verlag, Wien 1931, S. 117 und 118.
- ↑ Die Sixtus-Affäre: Ein diplomatischer Super-GAU, Webseite habsburger.net, abgerufen am 8. Feber 2021
- ↑ Tamás Erdődy: 3. Tagebuch von Thomas Erdödy. Österreichisches Staatsarchiv, Wien 1917, S. 76 bis 79.
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