Ulrich Sild (* 4. Juni 1911 in Wien; † 9. Mai 1937 am Hochschwab in der Steiermark), genannt „Uli“, war ein österreichischer Student der Rechtswissenschaften (cand. iur.), Bergsteiger und Skifahrer.

Ulrich „Uli“ Sild, um 1935
Ulrich „Uli“ Sild beim Feldhockey am Nordseestrand auf der ostfriesischen Insel Juist, um 1928
„Uli“ Sild (sitzend, 2. von links) auf dem Gelände der Schule am Meer auf Juist mit Schulleiter Martin Luserke (stehend, 2. von rechts), 1929
Uli Sild für ein Theaterstück kostümiert, leicht links der Bildmitte, mit freiem Oberkörper, Halskette und Stirnband, 1930/31
Ulrich Sild (links) und Schulleiter Martin Luserke (Mitte) auf den Stufen der Bühnenhalle der Schule am Meer, 1931
Abschlussjahrgang 1931: Uli Sild (stehend, 2. von links), auf dem Dach der schuleigenen Theaterhalle, März 1931
Ulrich „Uli“ Sild in den Bergen, um 1935
BW

Familie

Uli Sild war ein Abkömmling der bekannten österreichischen Bergsteigerfamilien Sild und von Ficker. Er war der älteste Sohn von Cenzi Sild (1878–1956), geborene von Ficker, und ihres Ehemanns Hans Sild († 15. November 1937), der als promovierter Rechtsanwalt in Wien wirkte.[1] Seine jüngeren Brüder waren Hans Henning Sild (vermisst/† 1941) und Meinhart Sild († 26. Mai 1944). Letzterer wirkte ab 1938 als persönlicher Referent von Arthur Seyß-Inquart für den Deutschen Alpenverein. Uli Silds Großvater war der westfälische Rechtshistoriker Johann Kaspar Julius Ficker Ritter von Feldhaus (1826–1902), der an der Universität Innsbruck lehrte.[2]

Fragmente eines kurzen Lebens

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges siedelte Uli Sild mit seiner Mutter von Wien auf einen Bauernhof bei Innsbruck um, als der Vater mit dem 1. Regiment der Tiroler Kaiserjäger an die Front ging.[3]

Nach Kriegsende begleitete der Siebenjährige bereits beide Eltern zum Bergsteigen auf den Habicht in den Stubaier Alpen, die Serles zwischen Stubaital und Wipptal, ins Birkkar und auf die Lamsenspitze im Karwendel. Im Alter von 9 Jahren zog er mit seinen Eltern wieder nach Wien, wo er im 21. Bezirk das 21er Gymnasium besuchte. Den Bergen blieb er dennoch verbunden und führte als Fünfzehnjähriger eine Gruppe von 15 bergsteigerischen Anfängern auf den Polinik und den Mittagskogel (beide Bezeichnungen unspezifiziert, daher nicht eindeutig zuzuordnen).[3]

Als gesundheitliche Einschränkung machte ihm in diesem Alter ein Bronchialasthma zu schaffen. Seine Eltern ermöglichten ihm deshalb den Besuch einer privaten Freiluftschule im Freistaat Preußen. Auf der zwischen Wattenmeer und Nordsee gelegenen Sandbank Juist sollte er von dem dort herrschenden Reizklima profitieren.[3] Ab dem 14. Juli 1927 besuchte er die Untersekunda (UII; Jahrgangsstufe 10) des reformpädagogischen Landerziehungsheims Schule am Meer,[4] das von Martin Luserke geleitet wurde.

In diesem Internat waren – vom deutschen Erziehungswissenschaftler Ulrich Schwerdt als bis heute vorbildlich bezeichnet – der wissenschaftliche, künstlerische und sportliche Unterricht gleichberechtigt,[5] nahezu täglich ergänzt durch handwerkliche und gartenbauliche Aktivitäten.

Zu Uli Silds Lehrern zählten dort neben Luserke u. a. Rudolf Aeschlimann, Fritz Hafner, Walter Jockisch, Friedrich Könekamp, Heinrich Meyer, Paul Reiner, Günther Rönnebeck, Kurt Sydow und Eduard Zuckmayer.

Uli Sild war in das Darstellende Spiel eingebunden, das an diesem Internat intensiv betrieben wurde, reichsweit Beachtung fand und auch von international bekannten Literatur-, Theater- und Musikkritikern wie Hans Mayer außerordentlich gelobt wurde.[6]

Zudem ist überliefert und fotografisch belegt, dass sich Uli Sild beim Feldhockey engagierte, das dort am weiten Sandstrand betrieben wurde, möglicherweise auch beim winterlichen Eishockey auf dem Hammersee, der sich in Folge einer Sturmflut vom November 1930 westlich des Internats gebildet hatte.[7]

Nachdem Uli Sild im Sommer 1929 mit seinen Eltern Bergwanderungen in die Sextner Rotwand und die Kleine Zinne unternommen hatte, führte er im Herbst 1929 Schulkameraden auf den Triglav in den Julischen Alpen und auf die Große Zinne in den Sextner Dolomiten. Darüber berichtete sein rund fünf Jahre jüngerer Mitschüler und Bergkamerad Wilhelm Otto Wolfgang Lienau (* 15. Jänner 1916 in Belgard, Westpommern), Sohn des Wiener Musikverlegers Wilhelm Lienau (1876–1973).[8] Lienau legte seine Reifeprüfung drei Jahre nach Sild im März 1934 in der Schule am Meer ab.[9][10]

Nach seiner mit gut bestandenen Reifeprüfung (Matura) im Jahr 1931[11][4] kehrte Sild von der Insel Juist nach Österreich zurück und schrieb sich an der Universität Innsbruck für das Fach Rechtswissenschaften ein,[3][12] soll jedoch auch an der Alma Mater Rudolphina Vindobonensis in Wien studiert haben.[13] Eine zeitgenössische Quelle gibt von den übrigen abweichend das Studienfach Medizin an.[14]

Als Student engagierte sich Sild als Förderer seines Internats Schule am Meer,[15] während sein Vater zu dessen Vertrauensleuten zählte und in Wien Eltern potenzieller Privatschüler über dieses Landerziehungsheim informierte und beriet.[16] Österreicher und Schweizer waren an diesem Internat sowohl bei Schülern als auch Lehrern keine Ausnahmeerscheinung.

Das Bergsteigen setzte er währenddessen fort, so am Kalkkögel, im Karwendel, im Wilden Kaiser im Wettersteingebirge, in den Dolomiten, am Dachsteinmassiv, in der Gosau-Gruppe, in den Ennstaler Alpen, die Nordwestwand des Roseg, die Begehung der Badilekante, die Bernina-Nordostwand, die Bietschhorn-Nordwestwand, die Breitlauihorn-Nordwand, die Lonzahörner-Nordwand und sämtliche Nordwände der Hohen Tauern, dann die Dachstein-Südwand.[3]

„Klettereien wollte ich ehrlich machen, nicht hinaufgezogen werden. Ich begann deshalb bei leichten Turen [damalige eingedeutschte Schreibweise] und ging immer als Erster.“

Uli Sild, Fahrtenbuch-Eintrag, Sommer 1931[17]

Während seines Studiums organisierte und führte er für die Schule am Meer während der Weihnachtsferien Skifreizeiten für aktuelle und ehemalige Schüler. Dabei übernahm er auch die Funktion eines Skilehrers. Die Gruppen-Skiwanderungen führten beispielsweise vom 3. bis 17. Jänner 1932 durch die Schladminger Tauern in Tagestouren auf das Sauschneiderhörndl (1500 m), den Rostbrandl (1791 m), das Grieskareck (1939 m) oder mehrtägig zum Seekarhaus (1800 m), von dem aus mehrere Gipfel bis zu einer Höhe von 2450 m Höhe gemeinsam bestiegen wurden.[18] 1934 wurde Ulrich Sild durch den Alpinisten Rudolf Schwarzgruber in das Bergsteigen im Eis eingeführt.[17]

Vierzehn Tage vor seiner letzten akademischen Prüfung stürzte Ulrich Sild, „die Zierde und Hoffnung des jüngeren Bergsteigertums“,[19] „einer der besten Wiener Bergsteiger“,[20] 25-jährig als Führer einer Bergtour in der als schwierig geltenden Südwestwand[21] der Stangenwand der Hochschwabgruppe in der Steiermark über mehrere hundert Meter ab,[22] zusammen mit seiner Seilschaft,[13] dem schweizerischen Luftfahrtpionier Walter Mittelholzer (1894–1937) und Lieselotte Kastner, geborene Lorenz,[23][24] der Tochter des Wiener Chirurgen und Alpinisten Hans Lorenz (1873–1934).[14] Als Ursache wurde seinerzeit der während der Bergung anhaltende Steinschlag vermutet,[20] der Ulrich Sild ausweislich ärztlicher Einschätzung direkt getroffen und sofort getötet haben soll, während sein Sturz die beiden Nachfolgenden wohl mitriss. Alle drei galten als ausgezeichnete Bergsteiger.[25][20][12][14][26]

„Nicht leicht ein Unglück traf uns Bergsteiger schwerer als das Unheil an der Stangenwand im Mai 1937, wo unter den drei Toten ein Bergfreund von so großer Vergangenheit wie Mittelholzer und einer von so großer Zukunft wie Uli Sild sich befanden.“

Ulrich Sild wurde nach Wien überführt und dort am 13. Mai 1937 auf dem Jedleseer Friedhof beigesetzt.[28][29][30] Sein Vater verstarb nur sechs Monate später im Alter von 57 Jahren.

Nekrolog

In Uli Silds Fahrtenbuch fand sich ein lose dazwischen gelegtes Blatt, auf dem notiert war: „Es wird immer so sein. Immer wieder werden dräuende Wände und leuchtende Grate zu tollem Wagnis und grenzenlosem Glück rufen und immer wieder werden wir in den Bergen unsere Heimat aufs neue finden“.[17]

„So bleibst Du mir in Erinnerung, mein Uli: stark und kräftig, ruhig und sicher auf Fels und Firn und heiter, mit lachenden Augen und Deinem Bubengesicht. Euch allen, die ihr ihn nicht kanntet, euch sage ich: Wir Bergsteiger haben in Uli Sild einen großen Könner und vorbildlichen Menschen verloren.“

Die deutsche Schriftstellerin Grete Weil verarbeitete die Eindrücke von ihrer Bergtour mit Ulrich Sild zu ihrer ersten literarischen Arbeit Erlebnis einer Reise – Drei Begegnungen.[31]

Erstbegehungen

Mitgliedschaften

  • Außengemeinde der Schule am Meer, Juist (bis zur Schulschließung 1934)
  • Akademische Bergsteiger-Vereinigung, Wien[13]
  • Akademische Sektion Wien des Deutschen Alpenvereins[22]

Schriften (Auszug)

  • Die Badilekante. In: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, Jahrg. 1935, Nr. 6, S. 134–137.

Literatur

  • Wilhelm Lienau: Bericht über unsere Skiwochen in Radstadt. In: Stiftung Schule am Meer (Hrsg.): Blätter der Außengemeinde der Schule am Meer Juist (Nordsee), 8. Rundbrief, April 1931, S. 16–20.
  • Hans Henning Sild: Gewittertag in der Riepenwand-Nordwestwand (zum Gedenken an seinen Bruder Uli Sild). In: Der Bergsteiger, 15. Jg., Heft 11, 1937[33]
  • Grete Weil: Erlebnis einer Reise – Drei Begegnungen. Nagel + Kimche, Zürich u. a. 1999, ISBN 3-312-00258-3.

Weblinks

  Ulrich Sild – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien auf Wikimedia Commons

Einzelnachweise

  1. Für Ulrich Silds Vater ist dessen Vorname in unterschiedlichen Varianten überliefert: Hans, Hanns, Hannes. Im Wiener Adressbuch von 1930 ist er als JDr. Hans Sild verzeichnet. Zitiert nach: Adolph Lehmann's allgemeiner Wohnungs-Anzeiger, 1930, Band 1, S. 1524, 1. Spalte, auf: wienbibliothek.at
  2. Ficker, Johann Julius Kaspar von. In: Deutsche Biographie, auf: deutsche-biographie.de
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 Rudolf Schwarzgruber: Uli Sild. In: Österreichische Alpenzeitung, Folge 1182, Juni 1937, S. 142–144.
  4. 4,0 4,1 Schülerbuch der Schule am Meer, Blatt 83 (Ulrich Sild, Sohn des Rechtsanwaltes Dr. Hans Sild, Wien). In: Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel, Handschriftenabteilung, Signatur Cb 37.
  5. [Prof. Dr.] Ulrich Schwerdt: Martin Luserke (1880–1968). Reformpädagogik im Spannungsfeld von pädagogischer Innovation und kulturkritischer Ideologie – Eine biographische Rekonstruktion. Dissertation Universität Paderborn 1992; Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main u. a. 1993. ISBN 3-6314-6119-4, S. 378–385.
  6. Prof. Kurt Sydow: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten. In: Universität Osnabrück, auf: uni-osnabrueck.de
  7. Jochen Büsing: Im Loog… Die wechselvolle Geschichte des anderen Juister Ortsteils. Burchana Verlag, Borkum 2010, ohne ISBN, S. 68–69, OCLC 838323042.
  8. Lienau, Wilhelm. In: Deutsche Biographie, auf: deutsche-biographie.de
  9. Wilhelm Lienau: Bericht über unsere Skiwochen in Radstadt. In: Stiftung Schule am Meer (Hrsg.): Blätter der Außengemeinde der Schule am Meer Juist (Nordsee), 8. Rundbrief, April 1931, S. 16–20.
  10. Schülerbuch der Schule am Meer, Blatt 120 (Wilhelm Otto Wolfgang Lienau, Sohn des Musikverlegers Wilhelm Lienau, Wien). In: Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel, Handschriftenabteilung, Signatur Cb 37.
  11. Logbuch der Schule am Meer Juist, Eintrag vom 13. März 1931.
  12. 12,0 12,1 Personenmappe Uli Sild (PDF-Datei; 859 KB). In: Historisches Alpenarchiv der Alpenvereine in Deutschland, Österreich und Südtirol, Signatur: DAV PER 1 SG/2041/0, auf: historisches-alpenarchiv.org
  13. 13,0 13,1 13,2 Der Tod Mittelholzers. In: Salzburger Volksblatt, 67. Jg., Folge 106, 11. Mai 1937, S. 8–9.
  14. 14,0 14,1 14,2 Flieger Mittelholzer – Ein Opfer der Berge. In: Der Wiener Tag, 11. Mai 1937, S. 7.
  15. Stiftung Schule am Meer (Hrsg.): Blätter der Außengemeinde der Schule am Meer Juist (Nordsee), 9. Rundbrief, August 1931, S. 19.
  16. Stiftung Schule am Meer (Hrsg.): Blätter der Außengemeinde der Schule am Meer Juist (Nordsee), 9. Rundbrief, August 1931, S. 20.
  17. 17,0 17,1 17,2 Kurt Loibl: Bergfahrten Uli Silds. In: Österreichische Alpenzeitung, Folge 1182, Juni 1937, S. 144–145.
  18. Wilhelm Lienau: Unser diesjähriger Skikurs in Radstadt. In: Stiftung Schule am Meer (Hrsg.): Blätter der Außengemeinde der Schule am Meer Juist, 11. Rundbrief, März 1932, S. 15–16.
  19. Winterschlußabend des Alpenvereins. In: Allgemeiner Tiroler Anzeiger, 30. Jahrg., Nr. 110, 15. Mai 1937, S. 8.
  20. 20,0 20,1 20,2 Paul Hoeniger: Die Bergtragödie am Hochschwab. In: Die Stunde, 12. Mai 1937, S. 3.
  21. Uli Sild. In: Österreichische Alpenzeitung, Folge 1182, Juni 1937, S. 142–145.
  22. 22,0 22,1 Uli Sild. In: 50 Jahre Akademische Sektion Wien des Deutschen Alpenvereins 1887–1937 (Festschrift). Zitiert nach: Österreichische Turistenzeitung – Mitteilungen der Sektion Österr. Turistenklub des D. u. Ö.A.V., 58. Jg., Folge 1, 15. Jänner 1938, S. 52.
  23. Berge im Abendlicht. In: Der Gebirgsfreund, 48. Jg., Folge 6, 15. Juni 1937, S. 124.
  24. Der Afrikaflieger Walter Mittelholzer abgestürzt. In: Westböhmische Tageszeitung, 38. Jg., Nr. 110, 12. Mai 1937, S. 2.
  25. Georg Blab: Alpine Unfälle 1937. In: Mitteilungen des Deutschen Alpenvereins, Jahrg. 1938, 64. Band, S. 206.
  26. Mittelholzer von Steinschlag in die Tiefe geworfen. In: Innsbrucker Nachrichten, 84. Jahrg., Nr. 107, 12. Mai 1937, S. 1.
  27. Walther Flaig: Walter Mittelholzer, Fliegerabenteuer. In: Mitteilungen des Deutschen Alpenvereins, Jahrg. 1938, 64. Band, S. 217.
  28. Sild Ulrich in der Verstorbenensuche bei friedhoefewien.at
  29. Das Begräbnis der Opfer vom Hochschwab. In: Kleine Volks-Zeitung, 83. Jahrg., Nr. 130, 12. Mai 1937, S. 6.
  30. Grabstelle Sild, Ulrich, Wien, Friedhof Jedlesee, Gruppe 9, Reihe 13, Nr. 1.
  31. Grete Weil: Erlebnis einer Reise – Drei Begegnungen. Nagel + Kimche, Zürich u. a. 1999, ISBN 3-312-00258-3.
  32. Sild, Uli, auf: alpinwiki.at
  33. Der Bergsteiger. In: Der Gebirgsfreund, 48. Jg., Folge 9, 15. September 1937, S. 177.