Helene Kottannerin (* um 1400, vermutlich in Ödenburg, damals Königreich Ungarn[1]; † um 1470 / 1477)[2], auch Helene Kottanner, Helene Wolfram oder Helene Székeles, ist eine der wenigen Frauen, die im mittelalterlichen Wien gelebt haben und über die etwas mehr als der Name bekannt ist. Ihre "Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin" gelten heute als eine der wertvollsten historischen und literarischen Quellen aus jener Zeit.[2] Es handelt sich dabei auch um eine der seltenen Geschichtsquellen mit sogenannter weiblicher Perspektive.[3]

Die Stephanskrone, Zeichnung im "Heraldischer Atlas" von Hugo Gerard Ströhl aus dem Jahr 1899

Herkunft und Familie

Helene Kottanner war die Tochter des Ödenburger Bürgers Peter Wolfram († nach 1432) [2], der dem örtlichen niederen Adel angehörte.[1] Der Name ihrer Mutter († um / nach 1442) ist nicht überliefert. Sie war eine Ödenburger Einwohnerin, die später im Haus ihres Schwiegersohnes lebte. 1440 lieferte sie Nelkenwein an den Hofhalt von Königin Elisabeth.[4]

Helene Kottanner war zweimal verheiratet[2]:
∞ in 1. Ehe mit dem Patrizier Peter Székeles (* im 14. Jahrhundert, vermutlich um 1375; † um 1430 / 1431), 1402 Ratsherr, 1408-1421 Bürgermeister von Ödenburg[5];
∞ in 2. Ehe seit 1432 mit Johann Kottanner (Hans Kottanner dem Jüngeren) (* um 1408[5]; † nach 1470[6]), einem Bürger der Stadt Wien[2]. Dieser war damals Kammerherr des Dompropstes von St. Stephan in Wien, außerdem ist er als Hausbesitzer für Wien belegt[1]. Die zweite Ehe erfolgte mit der Zustimmung ihres Vaters und ihrer nächsten Verwandten, mit der Erlaubnis des Ödenburger Stadtrates und auf Empfehlung des Wiener Stadtrates und des Wiener Dompropstes.[7]

Helene Kottannerin hatte aus beiden Ehen Kinder, namentlich belegt sind:

  • Wilhelm Székeles, aus der 1. Ehe
  • Katharina Kottanner, aus der 2. Ehe[5] ∞ in 1. Ehe vor 1468 mit dem Ritter Jörg (Georg) von Pellendorf († um 1484 / 1490), Adeliger des Herzogtums Österreich, 1462-1468 Stadtanwalt des Landesfürsten im Stadtrat Wien[2][8] Er war ein Verwandter von Hans von Pellendorf.

Leben

Seit 1436 ist Helene Kottannerin am Hof der späteren Königin Elisabeth, der Ehefrau von Herzog Albrecht (V.) von Österreich (als "römischer" König: Albrecht II.), belegt, zunächst als Erzieherin für dessen jüngere Tochter Elisabeth von Österreich, die spätere Königin von Polen.[9] Nach Albrechts Tod († 27. Oktober 1439) war Helene weiterhin im Dienst von dessen Witwe Elisabeth, für die sie im Februar 1440 die Stephanskrone aus der Plintenburg holte[A 1]. Nach ihrer eigenen Darstellung war sie zu dieser Zeit die engste Vertraute der Königin.[9] In der Sekundärliteratur wird gewöhnlich angenommen, dass Helene Kottannerin, nachdem Königin Elisabeth ihre Kinder Ladislaus und Elisabeth König Friedrich III. übergeben hatte, auch weiterhin bei ihnen geblieben ist, doch gibt es dafür keine eindeutigen Belege.[10]

1452 erhielten Helene Kottannerin und ihr zweiter Ehemann von König Ladislaus Postumus beziehungsweise von Johann Hunyady, der damals als Gubernator für diesen über das ungarische Königreich herrschte, das Gut Kisfalud auf der Schüttinsel als Geschenk.[2] Diese Schenkung wurde 1470 von König Matthias Corvinus bestätigt.[9] Das Gut gehörte später der Tochter Katharina.

Helene Kottannerin war 1451 die Besitzerin des Hauses in Wien, das sich auf der späteren Kurrentgasse 2 befand. Sie kaufte, vermutlich zusammen mit ihrem Mann, 1454 ein Haus bei der damaligen Wiener Burg, das nach ihrem Tod auf ihre Tochter Katharina überging.[11] Sie und ihr zweiter Ehemann besaßen noch weitere Häuser in Wien, außerdem Weingärten und Fleischbänke.[5].

Charakterbild

Wegen ihrer "Denkwürdigkeiten" gehört Helene Kottannerin zu den für das Mittelalter seltenen Persönlichkeiten, bei denen Rückschlüsse auf ihren Charakter anhand einer "Primärquelle" möglich sind. Helene entstammte der deutschsprachigen bürgerlich-adeligen Gesellschaft einer damals im westlichen Teil des ungarischen Königreichs gelegenen Handelsstadt. Die ungarische Sprache verstand sie zwar, konnte sie aber nicht selbst sprechen. Vermutlich bereits zuvor, spätestens aber nach ihrer Heirat mit dem Bürgermeister Peter Székeles zählte sie zur städtischen "Elite"-Schicht von Ödenburg. In ihrer Position als Gattin eines Bürgermeisters oder früheren Bürgermeisters dürfte sie entsprechende Erfahrungen gesammelt haben, die später für ihre Karriere am Hof der Königin von Vorteil waren. In ihren "Denkwürdigkeiten" zeigt sie sich als kluge und tatkräftige Frau mit der Fähigkeit zu selbständigen Handeln, die aber auch nicht vergisst, für das, was sie leistet, entsprechenden Lohn zu fordern, den sie, wie das Geschenk des Gutes Kisfalud zeigt, auch einzufordern verstand. Ihr weiteres Leben, soweit aus einigen Urkunden verfolgbar, bestätigt das Bild von ihr, das sich aus den "Denkwürdigkeiten" ergibt.[12]

Belletristik

Sekundärliteratur

  • Felix Czeike (Hrsg.): Historisches Lexikon Wien. Band 3, Kremayr & Scheriau, Wien 1994, ISBN 3-218-00545-0, S. 584. digital
  • Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert? Die autobiographischen Schriften einer Frau und zweier Männer im Vergleich. Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439-1440). Des Andreas Lapitz Zug nach Rom 1451 und andere denkwürdige Geschichten. Hanns Hierszmanns, Thürhüthers Herzog Albrecht VI. von Österreich, Bericht über Krankheit und Tod seines Herrn, 1463 und 1464. Diplomarbeit (ungedruckt), Wien, 1994
  • Ferdinand Opll: Leben im mittelalterlichen Wien. Böhlau Verlag, Wien / Köln / Weimar, 1998, ISBN 3-205-98913-9, S. 165-168 (Biographie)
  • Dorothee Rippmann: Königsschicksal in Frauenhand. Der "Kronraub" von Visegrád im Brennpunkt von Frauenpolitik und ungarischer Reichspolitik. In: Jens Flemming - Pauline Puppel - Werner Troßbach - Christina Vanja - Ortrud Wörner-Heil (Hrsg.): Lesarten der Geschichte. Ländliche Ordnungen und Geschlechterverhältnisse. Festschrift für Heide Wunder zum 65. Geburtstag (= Studia Cassellana. Bd. 14). Verlag Kassel University Press, Kassel, 2004. ISBN 978-3899580303. S. 377–401
  • Franz Theuer: Der Raub der Stephanskrone. Der Kampf der Luxemburger, Habsburger, Jagiellonen und Hunyaden im pannonischen Raum, Edition Roetzer, Eisenstadt 1994, ISBN 3-85374-242-4

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 vgl. Kottanner, Freie Universität Berlin, eingesehen am 28. Dezember 2017
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 vgl. Felix Czeike (Hrsg.): Historisches Lexikon Wien. Band 3, Kremayr & Scheriau, Wien 1994, ISBN 3-218-00545-0, S. 584.
  3. vgl. Jörg Rogge: Nur verkaufte Töchter?. Überlegungen zu Aufgaben, Quellen, Methoden und Perspektiven einer Sozial- und Kulturgeschichte hochadeliger Frauen und Fürstinnen im deutschen Reich während des späten Mittelalters und am Beginn der Neuzeit. In: Cordula Nolte – Karl-Heinz Spieß – Ralf-Gunnar Werlich (Hrsg.): Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter. Interdisziplinäre Tagung des Lehrstuhls für allgemeine Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften in Greifswald in Verbindung mit der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen vom 15.-18. Juni 2000 (= Residenzforschung. Bd. 14). Jan Thorbecke Verlag, Stuttgart, 2002. ISBN 3-7995-4514-X. S. 254
  4. vgl. Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 16
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 vgl. Ferdinand Opll: Leben im mittelalterlichen Wien, 1998, S. 165
  6. vgl. Ferdinand Opll: Leben im mittelalterlichen Wien, 1998, S. 168
  7. vgl. Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 16f.
  8. vgl. Ferdinand Opll: Leben im mittelalterlichen Wien, 1998, S. 166
  9. 9,0 9,1 9,2 vgl. Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert?", 1994, S 17
  10. So zum Beispiel bei Franz Theuer: Der Raub der Stephanskrone, 1994, S. 143f.
  11. vgl. Ferdinand Opll: Leben im mittelalterlichen Wien, 1998, S. 165f.
  12. vgl. Ferdinand Opll: Leben im mittelalterlichen Wien. Böhlau Verlag, Wien / Köln / Weimar, 1998, ISBN 3-205-98913-9, S. 167f.

Anmerkungen

  1. Diese Aktion wird auch in der wissenschaftlichen Literatur als der "Raub der Stephanskrone" bezeichnet, obwohl es sich juristisch betrachtet um keinen Raub, sondern einen Einbruch handelte.
  2. Neu publiziert: Christiane Benedikte Naubert: Ulrich Holzer, Bürgermeister in Wien. Erster und zweyter[sic!] Theil[sic!] . Transkribiert, neu herausgegeben, mit Fußnoten und einem Nachwort versehen von Sylvia Kolbe. Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2019. ISBN 978-3-96145-889-9
  3. Eine Hauptfigur in diesem Roman ist Elisabeth Fraunauerin, die hier für ihre frühere Herrin, Königin Elisabeth, den Kronenraub ausgeführt hat, was mit Blick auf den damaligen Forschungsstand zu Ende des 18. Jahrhunderts keineswegs im Widerspruch zu den noch bekannten Fakten stand. In den "Denkwürdigkeiten" wird eine Elisabeth Fronauerin als Hofdame von Königin Elisabeth genannt. Nauberts Roman wurde Ende des 18. Jahrhunderts publiziert, also viele Jahre früher, ehe die "Denkwürdigkeiten" in der Österreichischen Nationalbibliothek wieder entdeckt wurden.
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