Der Sprachgelehrte und Philosoph Johann Raphael Khüeny[1]

I

Selten dürfte ein Privatgelehrter, der auch schriftstellerisch eigentlich nicht tätig war, einen solchen Einfluß auf seine Schüler und mitstrebenden Freunde gewonnen haben wie Johann Raphael Khüeny. Wohl der Geistreichste unter jenen nannte ihn einen "Sokrates". Es dürfte also sicher nicht unangemessen erscheinen, über seinen Lebenslauf einiges mitzuteilen, wenn auch die Quellen darüber nur sehr spärlich fließen.

Khüeny entstammte einem alten und angesehenen Geschlechte von Bludenz. Schon 1527 und 1530 bekleidete ein Anton Künin das Amt eines Bürgermeisters und von 1772 bis 1775 befand sich ein Johann Raphael Khüeny in derselben Würde. Er starb am 16. Februar 1786 im Alter von 65 Jahren. Seine Frau Anna Maria Lorünserin folgte ihm am 5 . Juli 1805 im Tode nach. Nicht weniger als sieben Söhne und sechs Töchter entsprossen dieser Ehe.

Der vierte Sohn des Bürgermeisters, namens Lorenz Alois, geboren am 14 . Juli 1763, wirkte als Wundarzt in seinem Heimatsorte. Er vermählte sich am 22 . Jänner 1787 mit Josefa Beron, deren Bruder Jakob als Altbürgermeister der Stadt 1846 starb.

Der älteste seiner Söhne, unser Johann Raphael Khüeny, erblickte am 10. Jänner 1788 das Licht der Welt . Ihm folgten noch zwei Brüder und drei Schwestern. Wohl wegen der Größe der Familie und des kärglichen Einkommens des Vaters werden uns die Eltern als arme, aber biedere Bürgersleute bezeichnet. So wäre es sehr schwierig gewesen, den hochbegabten ältesten Sohn an einer höheren Lehranstalt ausbilden zu lassen, wenn nicht der Pfarrer sich seines Neffen angenommen hätte. Der Tod des gütigen Onkels würde also für Raphael schlimme Folgen gebracht haben, wenn ihm nicht des Pfarrers unverehelichter Bruder Anton und dessen Schwestern Katharina, Salome und Josefa hinreichende Unterstützung gewährt hätten.

II

Es ist bisher nicht gelungen, die Anstalten genau festzustellen, welche Raphael Khüeny besuchte. Am Gymnasium in Feldkirch läßt er sich nur in den Jahren 1801/2 und 1802/3 nachweisen; damals befand er sich in der "Suprema Grammatika" und in der "Rhetorioa". In jener Zeit hatte das Gymnasium nur 5 Klassen und die beiden genannten waren die 3. und 4., wenn man die Zählung, wie dies bei uns üblich ist, von unten beginnt. Raphael war der beste Schüler dieser Jahrgänge, hatte in allen Gegenständen die ersten Noten und wurde in beiden Kursen allein mit einem Preise bedacht. Vielleicht hatte er die beiden untersten Klassen als Privatist bestanden. Wo er das Gymnasium vollendete, ist mir gleichfalls unbekannt. Die sogenannten philosophischen Kurse ("Logik" und "Physik" geheißen) studierte er in den Jahren 1804/5 und 1805/6 in Innsbruck und in den beiden folgenden widmete er sich dort der Theologie. Dann wandte er sich von dieser ab und verlegte sich in den Universitätsstädten Landshut und Wien auf das Studium der klassischen und orientaliemschen Sprachen. In ihnen erteilte er auch Privatunterricht und bestritt so wenigstens zum Teil seinen Unterhalt selbst.

Im Oktober 1817 machte Khüeny in Innsbruck die Lehrbefähigungsprüfung und begann sofort mit Anfang des Schuljahres 1817/18 in der ersten Humanitätsklasse des Gymnasiums zu lehren. Er diente zunächst nur als Hilfslehrer, seine Anstellung wurde jedoch im Juni 1818 fest. Infolge Verordnung vom 6 . Oktober 1818 mußte er in die zweite Humanitätsklasse aufsteigen und alle Gegenstände lehren. Der Unterricht in der Mathematik bereitete ihm nach einer Bemerkung des damaligen Präfekten P. Alois Schnitzer, eines Chorherrn des Zisterzienserstiftes Stams, "einige Schwierigkeiten". In den Sprachen erzielte er nach dem Ausspruche von Amtsgenossen ausgezeichnete Erfolge. Seine Schüler bewahrten ihm noch lange ein gutes Angedenken, einzelne, und zwar gerade die Begabtesten, waren für ihn wahrhaft begeistert. Dennoch ward er feiner Stellung überdrüssig.

Am 6 . Jänner 1822 überreichte er ein Gesuch um ehestmögliche Entlassung; durch mehrjährige Erfahrung habe er sich überzeugt, das Lehramt der Humanität sei zumal in seinem gegenwärtigen Bestande ebenso wenig seiner Gesundheit als seiner fernern wissenschaftlichen Vervollkommnung zuträglich. Direktor Grasser (später Bischof in Treviso) schrieb hierüber an das Gubernium, Khüenys Entschluß sei nicht erst jetzt entstanden, sondern von ihm schon im vorigen Schuljahre geäußert und auch im heurigen bereits wiederholt mit aller Gemütsruhe, aber bloß mündlich angezeigt worden; Grasser habe ihm jedesmal freundschaftlich bemerkt, Khüeny möge diesen in seinen Folgen so wichtigen Schritt doch wohl bedenken und mit seinen Freunden und Verwandten beraten; auch sei eine mündliche Erklärung unannehmbar; Khueny möge also ein Gesuch um Enthebung an die Behörde einreichen, von der er sein Lehramt empfangen habe. Über seine Vermögensverhältnisse bemerkte Khüeny bei dieser Gelegenheit, er besitze die Zusicherung hinreichender Unterstützung für alle Fälle von einem wohlhabenden unverehelichten Onkel.

Gilt nun hier der Spruch: "Quod non est in actis non est in factis"[2] ? In Innsbruck glaubte man damals an andere Gründe, welche die Entfernung Khüenys von der Anstalt herbeigeführt hätten. So schrieb mir dessen ehemaliger Schüler Josef von Ganahl, Fabriksbesitzer und Apotheker in Bludenz, noch in seinem Alter, Khüenys offener, gerader Sinn habe sich mit dem damaligen Zeitgeist umso weniger vertragen, als er durch und durch Volksmann und ein Feind der allmächtigen Herrschaft des Adels und der Geistlichkeit gewesen sei, deren Ränke ihn vom Lehramte verdrängt hätten.

III

Eine ähnliche Äußerung findet sich in dem Buche Picks über Khüenys besten Freund Karl Maria Enk von der Burg. Dort heißt es, jener habe sich in Innsbruck "wegen seiner liberalen Äußerungen im öffentlichen Lehramte unmöglich gemacht". Auch Flir scheint an Umtriebe zu denken, die von Khüenys Amtsgenossen ausgingen und zu dessen Entfernung beitrugen, wenn er aus Wien am 17 . Juli 1827 an einen Freund in Innsbruck schreibt: "Daß es Ihnen und dem edlen Niederstetter so gut geht, freut mich. Hüten Sie sich aber, daß Sie durch unvorsichtige Anhänglichkeitsbezeugungen — durch Musik udgl. die Spannung zwischen ihm und den übrigen nicht zum — Bruche bringen. Man deutet weiter, als an der Sache ist, weil man durch den Tubus der Scheelsucht und — Furcht schauet. War's nicht so bei Herrn Khüeny ?" — An einer andern Stelle, auf die wir später zurückkommen müssen, vergleicht Flir seinen Lehrer mit einer Eiche und sagt: "Stürme wollten sie brechen, aber sie stärkten sie nur." Auch diese Worte lassen sich wohl nur auf die Vorgänge in Innsbruck deuten.

IV

Fortsetzung folgt !