Aufbaugemeinden in Vorarlberg

Aufbaugemeinden in Vorarlberg waren während der Nationalsozialistischen Diktatur ausgewählte Bergbauerngemeinden, in denen aufgrund der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie, der Bergbauernstand besonders stark gefördert wurde.

Die ehemalige Aufbaugemeinde Fraxern in Vorarlberg, heute ein schmuckes Dorf mit wenig Landwirtschaft (Blick im Herbst 2020 von Viktorsberg)

Ideologisches Hauptziel war die "Gesundung des Bauernstandes". Wirtschaftliches Hauptziel war die Verbesserung der Leistungskraft der Betriebe zur Versorgung der Kriegswirtschaft. Aufbaugemeinden wurden in Vorarlberg durch den zuständigen Reichsgau Tirol-Vorarlberg bestimmt.

Aufbaugemeinden im Reichsgau Tirol-Vorarlberg

Aufbaugemeinden im Rahmen dieser Aktion "Gemeinschaftsaufbau im Bergland" in Vorarlberg bis 1945 waren die Gemeinden: Damüls, Fontanella, Fraxern, Laterns, Silbertal-Bartholomäberg[1], Sibratsgfäll, Sonntag, Schwarzenberg und Übersaxen.[2][3]

Die Gemeinden Damüls, Fraxern und Silbertal-Bartholomäberg waren ab 1941, nach dem Pilotversuch in Pichl-Obersdorf (Reichsgau Oberdonau), die ersten Aufbaugemeinden in Vorarlberg. Mit den Vorbereitungsarbeiten war bereits 1940 begonnen worden.[4] Im Gesamten waren im Reichsgau Tirol-Vorarlberg, neben diesen drei, sieben weitere Aufbaugemeinden "des ersten Jahrgangs": Fiss, Grän, Kelchsau, Navis, Stummerberg, Thiersee und Wenns.[5] Im gesamten Reichsgau Tirol-Vorarlberg waren 180 Gemeinden für den Aufbau „vordringlich“ vorgesehen. Dies hätte in jeder Gemeinde jeweils jährlich etwa eine Million RM an Investitionen der öffentlichen Hand bedeutet. Kriegsbedingt kamen daher nur 30 Gemeinden zum Zug (jeweils eine pro Jahr und Kreis). In keiner Gemeinde wurde die Aktion "Gemeinschaftsaufbau im Bergland" zu Ende geführt.[6]

Eine Aufbaugemeinde konnte zur Mustergemeinde werden. Dies dann, wenn diese Gemeinden Bergbauerngemeinden im Sinne des Nationalsozialismus waren und als Beispielgemeinden in der Öffentlichkeit und gegenüber den Geldgebern sich inszenierten und propagandistisch herausgestellt werden konnten. In Vorarlberg wurde Silbertal-Bartholomäberg hierzu auserkoren. Auch Fraxern hatte sich darum beworben.[7]

Zielsetzung und Maßnahmen

Die Erklärung einer Bergbauerngemeinde zur Aufbaugemeinde (Aufbaugemeinschaft) hatte auch zum Ziel, die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten der überwiegend bäuerlichen Bevölkerung anzuheben. Dazu wurden z. B. neue Wohn- und Wirtschaftsgebäude erbaut oder diese saniert, Liegenschaften zusammengelegt, Seilbahnen und Wege gebaut, Entwässerungsarbeiten vorgenommen, die Elektrifizierung vorangetrieben, Alpverbesserungen vorgenommen, der Bau von Gülleleitungen gefördert, Kunstdüngereinsatz zu günstigen Konditionen ermöglicht, sonstige Meliorisierungsarbeiten durchgeführt, Saatgut ausgetauscht, Wasserleitungen und Kanalisierung verlegt etc. Ein wichtiger Punkt war der Tausch von Vieh gegen hochwertiges Zuchtvieh, günstige Kredite für den Ankauf von Vieh und die Prämierung desselben.

Diese Ziele und Maßnahmen wurde mit erheblichen finanziellen Mitteln unterstützt, welche die jeweilige Gemeinde nicht aufbringen oder jemals hätte zurückzahlen können.[6][8] Im Durchschnitt betrug der Aufwand je Aufbaugemeinde rund 1 Millionen Reichmark im Jahr und sollte zur "völligen Gesundung des Bauernstandes" beitragen.

Im Vorfeld der Erklärung einer Bergbauerngemeinde zur Aufbaugemeinde wurde vom zuständigen Reichsstatthalter genaue Erhebungen durchgeführt über Art und Ausmaß des Besitzes in der Gemeinde, Anteil der Kirche und der öffentlichen Hand daran als und auch über Art und Ausmaß des Besitzes von Personen außerhalb der Gemeinde sowie über den Bedarf an Verbesserungsmaßnahmen.

Aufbaugenossenschaften

Träger des Gemeinschaftsaufbaues waren die Aufbau-Genossenschaften m.b.H. In diesen waren die Bergbauern, die sich an der Aktion beteiligten, zusammengefasst, mussten Anteile kaufen und Beiträge leisten, um die Aufbaumaßnahmen zu erreichen.[9] Dies immer unter dem Patronat der NSDAP und der örtlichen staatlichen Organe. Am Ende der Aufbauarbeit sollte eine parteitreue Gemeinde mit wirtschaftlich gesunden, fortschrittlichen, Bauern stehen, die stolz sind auf die gemeinsam geschaffenen Einrichtungen und auf das Großdeutsche Reich, das sie ermöglichte. Der Gemeinschaftsaufbau ist nur im nationalsozialistischen Staate durchführbar. Es bezeugt die Stärke des Reiches, wenn mit dieser Aufgabe, die eine wirkliche und eigentliche Friedensarbeit ist, schon jetzt im Kriege begonnen werden kann.[9]

Mitglieder der Aufbaugenossenschaft mussten beim Beitritt zur Genossenschaft fünf Reichsmark (RM) als Bareinlage bezahlen und die Haftung für 50 RM übernehmen. Die Leistungsschuld gegenüber der Genossenschaft jeden Mitglieds bestand in Arbeitsschichten, Sachlieferungen oder in Barleistungen. Je nachdem, zu was das Mitglied besser befähigt war oder was es besser leisten konnte.[10]

Mit Fortschreiten des Zweiten Weltkriegs wurden zu diesen Aufbauarbeit in den Aufbaugemeinden vor allem Zwangsarbeiter und völkerrechtswidrig auch Kriegsgefangene eingesetzt. Das System der Aufbaugemeinden basierte somit zu einem erheblichen Teil auf Ausbeutung, ja Versklavung von Menschen.[3]

Nach dem Ende der Nationalsozialistischen Diktatur 1945 wurden diese Aufbaugenossenschaften auch in Vorarlberg liquidiert. Dies zog sich über Jahre hinweg. So führte der ursprünglich nur für die Revision zuständige Raiffeisenverband z. B. in Silbertal bzw. Bartholomäberg die Liquidierung der Gemeinschaftsgenossenschaft bis 1948 durch.[11]

Aufbaugemeinden als Vorbild für besetzte Gebiete im Osten

Die Aktion der Aufbaugemeinden sollte eine Vorbereitung für ähnliche Strukturen in den besetzten Gebieten im Osten Europas für deutsche Kolonisten sein.[12]

Literatur

  • Albert Summer: Musterdorf Fraxern. Gemeinschaftsaufbau im Bergland in der Aufbaugemeinde Fraxern. Feldkirch, Schriftenreihe der Rheticus-Gesellschaft, 70, Feldkirch 2016, ISBN: 978-3-90260-146-9.
  • Gerhard Siegl: Der nationalsozialistische Gemeinschaftsaufbau im Bergland am Beispiel der Aufbaugenossenschaft Silbertal-Bartholomäberg, in: Jahrbuch des Vorarlberger Landesmuseumsverein 2017, S. 150 ff.
  • Gerhard Siegl: Bergbauern im Nationalsozialismus : Die Berglandwirtschaft zwischen Agrarideologie und Kriegswirtschaft, Studien Verlag, Innsbruck 2013, ISBN: 978-3-7065-5725-2
  • Ernst Langthaler: Schlachtfelder. Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938-1945, Böhlau Verlag, Wien 2016, ISBN 978-3-205-20065-9.

Einzelnachweise

  1. Gemeindezusammenlegung während des Dritten Reiches. Zuvor und danach zwei getrennte Gemeinden.
  2. Albert Summer: Musterdorf Fraxern. Gemeinschaftsaufbau im Bergland in der Aufbaugemeinde Fraxern, S. 30.
  3. 3,0 3,1 Willibald Feinig: Hat Klawa auch Kirschen bekommen? - Albert Summers mikrohistorische Studie über das NS-Musterdorf Fraxern, Webseite: kulturzeitschrift.at vom 1. Dezember 2016.
  4. Gerhard Siegl: Der nationalsozialistische Gemeinschaftsaufbau im Bergland am Beispiel der Aufbaugenossenschaft Silbertal-Bartholomäberg, S. 154.
  5. Albert Summer: Musterdorf Fraxern. Gemeinschaftsaufbau im Bergland in der Aufbaugemeinde Fraxern, S. 49.
  6. 6,0 6,1 Gerhard Siegl: Der nationalsozialistische Gemeinschaftsaufbau im Bergland am Beispiel der Aufbaugenossenschaft Silbertal-Bartholomäberg, S. 171.
  7. Albert Summer: Musterdorf Fraxern. Gemeinschaftsaufbau im Bergland in der Aufbaugemeinde Fraxern, S. 26.
  8. Albert Summer: Musterdorf Fraxern. Gemeinschaftsaufbau im Bergland in der Aufbaugemeinde Fraxern, S. 32.
  9. 9,0 9,1 Verehrung des Bauerntums, Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten: NS-Zeit.
  10. Gerhard Siegl: Der nationalsozialistische Gemeinschaftsaufbau im Bergland am Beispiel der Aufbaugenossenschaft Silbertal-Bartholomäberg, S. 155.
  11. Gerhard Siegl: Der nationalsozialistische Gemeinschaftsaufbau im Bergland am Beispiel der Aufbaugenossenschaft Silbertal-Bartholomäberg, S. 168.
  12. Schreiben von Heinrich Brauner an das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Unterabteilung Bergland, vom 26.3.1943.