Lehrerinnenzölibat in Vorarlberg

Der Lehrerinnenzölibat (auch: pädagogisches Zölibat) war das Verbot in Vorarlberg für weltliche Lehrerinnen an öffentlichen Schulen, während aufrechtem Dienstverhältnis zu heiraten. Dieser Zölibat galt über 80 Jahre nur für Frauen und war gesetzliche geregelt im Zeitraum von 1869 bis 1949.

Geschichte

Ein relativer Zwang zur Ehelosigkeit wurde in Österreich 1820 im Kaiserreich erlassen und nach 1848 verschärft. Dienstboten, Gesellen, Taglöhner und andere, die kein gesichertes Einkommen hatten, durften nur mit Erlaubnis der Gemeinde heiraten. Dies galt in Österreich bis 1921, in Vorarlberg bis 1923. Die Folgen waren eine große Zahl an unehelichen Kindern, die in einem schwierigen sozialen Umfeld aufwuchsen und kaum soziale und wirtschaftliche Chancen hatten. 1930 wurden im Pinzgau noch über 90 Prozent der Kinder von Dienstmägden unehelich geboren. Bis zum Ende des Kaiserreichs in Österreich 1918 durften auch nur unverheiratete Frauen im öffentlichen Dienst tätig sein. Dies betraf auch Unteroffiziere.[1]

Durch das Reichsvolksschulgesetz von 1869 fand eine umfassende Schulreform statt. Die Landtage hatten zu diesem Gesetz Detailbestimmungen zu erlassen. Mit dem Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse des Lehrerstandes an den öffentlichen Volksschulen wurden nicht nur unterschiedliche Gehälter für männliche und weibliche Lehrer gesetzlich normiert, sondern auch das Lehrerinnenzölibat. Dabei wurde festgelegt, dass eine Verehelichung einer Lehrerin als freiwillige Dienstentsagung angesehen wird oder eigenmächtige Dienstes-Verlassung und dadurch auch der Anspruchs auf die Versetzung in den Ruhestand wegfällt. Auch ein noch nicht definitiv angestellter männlicher Unterlehrer soll durch die Verheiratung ohne Genehmigung der Bezirksschulbehörde seine Anstellung verlieren. Vorarlberg war mit solchen Regelungen nicht alleine, auch in 15 von 17 anderen Kronländern galten solche oder ähnliche einschränkende Bestimmungen für Lehrerinnen.[2][3]

Anlässlich einer Änderung der Bestimmungen zur Witwen- und Waisenversorgung wurde 1905 in Vorarlberg der Zölibat auch auf Lehrerinnen in Pension ausgedehnt. Sie wurden dadurch den Lehrerwitwen gleichgestellt. Diese verloren bereits zuvor bei einer Wiederverheiratung den Anspruch auf eine Pension. Nach dem Ersten Weltkrieg war es vor allem der Einfluss der Sozialdemokraten in Vorarlberg, die zu einem Überdenken der Regelungen zum Lehrerinnenzölibat führte. Diese Bestimmung wurde daher bald etwas entschärft. Den verheirateten Lehrerinnen wurden nun ihre einbezahlten Pensionsbeiträge zurückgezahlt und ab 1923 erhielten sie zumindest eine Abfertigung. Bezüglich des Pensionistinnenzölibats wurde festgelegt, dass der Pensionsbezug zukünftig nur für die Dauer der Ehe ausgesetzt wird. Grund für die Beibehaltung des Lehrerinnenzölibats auch nach 1923 war, dass die christlichsoziale Partei in Vorarlberg der Ansicht war, dass eine Frau nur entweder eine gute Mutter oder eine gute Lehrerin sein könne, nicht beides. Es gab auch eine sozialpolitische Diskussion zu sogenannten „Doppelverdienern“[4] in einer Ehe, die sich ein hohes Familieneinkommen sichern würden, während viele andere Menschen arbeitslos seien.[2][3][5]

Mit der Änderung der Verfassungskompetenzen von den Bundesländern auf den Bund 1947 wurde auch im Hinblick auf die Diskriminierung von Lehrerinnen die bisherigen Landesgesetze bis 1949 außer Kraft gesetzt. Dies musste auch in Vorarlberg in der Verwaltung als letztem Bundesland in Österreich akzeptiert werden, wurde jedoch ungern gesehen. Es herrschte weiterhin die Ansicht vor, dass eine Frau entweder Lehrerin oder Mutter sei, beides aber nicht möglich sei. Noch 1950 vertrat die Vorarlberger Landesregierung die Ansicht: Öffentlicher Dienst und Haushalt vertragen sich nicht.[6] Diese Sichtweise war in Vorarlberg bis in die 1960er-Jahre vorherrschend. Vorarlberg war jedoch im deutschsprachigen Raum nicht alleine, wurde doch das Lehrerinnenzölibat in Baden-Württemberg erst 1956 und im Kanton Zürich 1962 abgeschafft.[2][3]

Wirkung

Der Lehrerinnenzölibat hatte die Auswirkung, dass für Frauen, sobald sie sich verheirateten, automatisch das Anstellungsverhältnis aufgelöst wurde. Zeitweise verloren sie mit der Eheschließung auch automatisch ihre Ansprüche auf einen Ruhegenuss (Pension).

Literatur

  • Ulrich Nachbaur: Lehrerinnenzölibat. Zur Geschichte der Pflichtschullehrerinnen in Vorarlberg im Vergleich mit anderen Ländern, Institut für Sozialwissenschaftliche Regionalforschung, Regensburg 2011, Roderer Verlag, ISBN 978-3-89783-723-2 (online).

Einzelnachweise

  1. Brigitte Pellar: Arbeit mit Zwangszölibat, Webseite: archiv.arbeit-wirtschaft.at vom 15. Juli 2010.
  2. 2,0 2,1 2,2 Ulrich Nachbaur: Vortrag in der Reihe „Verbotene Liebe“ des Vorarlberger Landesarchivs am 12. Mai 2010 in Bregenz (Landesarchivs), abgedruckt in Verba Volant Nr. 73.
  3. 3,0 3,1 3,2 Ulrich Nachbaur: Der Lehrerinnenzölibat in Vorarlberg, V-Dialog, Zeitschrift für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Vorarlberger Landesverwaltung, Nr. 4, Dezember 2009, S. 24.
  4. Das „Doppelverdienergesetz“ von 1933 der ständestaatlichen Diktatur in Österreich normierte, dass eine Heirat und ebenso eine Lebenspartnerschaft ohne Heirat für Frauen im öffentlichen Dienst automatisch zum Verlust der Beschäftigung führt.
  5. Der Lehrerinnenzölibat in Vorarlberg: Als die Lehrerinnen noch "Fräuleins" waren, Webseite: zeitreisefuehrer-vorarlberg.blogspot.com.
  6. Der Lehrerinnenzölibat in Vorarlberg, Webseite: ORF.at vom 12. Mai 2010.