1.495
Bearbeitungen
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
|||
Zeile 80: | Zeile 80: | ||
Im Haus in der Bütze war die Not eingekehrt. Schon 1911 hatten die Geschwister Heim ein schönes Grundstück | Im Haus in der Bütze war die Not eingekehrt. Schon 1911 hatten die Geschwister Heim ein schönes Grundstück | ||
zum Bau des Vereinshauses im Strohdorf spottbillig an den Katholischen Arbeiterverein verkauft. Jetzt mußte | zum Bau des Vereinshauses im Strohdorf spottbillig an den Katholischen Arbeiterverein verkauft. Jetzt mußte | ||
Tante Sefa als alleinstehende Witwe des Sattlers Müller ihr schönes Haus an der Kellhofstraße an den | |||
Konsumverein verkaufen. 20 000 Kronen löste sie 1919 dafür und legte das Geld für den einzigen Neffen Anton | |||
auf die Bank, als sie mit all ihren alten Möbeln und Sattlerwerkzeugen ebenfalls zu ihrem Bruder Josef in die | |||
Bütze übersiedelte. | |||
Anton machte 1921 am Gymnasium seine Matura und inscribierte nun an der Hochschule für Bodenkultur in | |||
Wien. Feldmeßkunst wollte er studieren. Inzwischen setzte die Inflation ein. Als ihn fror, konnte er für 8000 | |||
Kronen aus Tante Sefas Sparbuch noch einen Mantel aus „Papierstoff“ kaufen. Für die restlichen 12 000 Kronen | |||
bekam er zwei Jahre später gerade noch 1,20 neue Schilling. Das reichte für drei Wecken Brot! Trotzdem genoß | |||
Anton das Studentenleben. Mit Frack und Zylinderhut besuchte er die Oper, lernte schöne Wienerinnen kennen | |||
und studierte sogar ein paar Monate lang in München. | |||
Umstürze erschütterten in der Nachkriegszeit das Land und ganz besonders die Universitäten, politische Wirren | |||
zwangen die Studenten zur Stellungnahme. Anton begeisterte sich für das Programm der „Groß-Deutschen“ und | |||
wurde davon für sein ganzes Leben geprägt. | |||
Im Jahre 1926 starb Tante Sefa. Vater Josef rief den Sohn heim an sein eigenes Krankenbett. Der Pfarrer | |||
empfahl Anton, in Doren eine Helferin zu suchen. Dort fand unser Vater auf einem Bauernhof am Hüttersberg | |||
unsere Mutter. Die 22jährige Frieda Troy pflegte seinen todkranken Vater in seinen letzten Wochen, räumte in | |||
dem verwahrlosten Haushalt auf und brachte auch die Landwirtschaft wieder in Schwung. Sie molk die Kühe, | |||
mauerte den zerfallenen Brennereiofen wieder auf und machte solchen Eindruck auf den „studierten“ Jungmann, | |||
daß dieser sie bat, als Frau für immer bei ihm zu bleiben. | |||
Er war ja vor der Entscheidung gestanden, die Landwirtschaft selbst zu übernehmen oder sich durch deren | |||
Verkauf einen Studienabschluß zu ermöglichen. Da entschied sich der 25jährige für die Heimat. Ganz wesentlich | |||
hat zu diesem Entschluß ganz sicher beigetragen, daß Frieda im Sommer 1927 von ihm ein Kind erwartete. | |||
Im April 1927 wurde im Gallusstift Hochzeit gefeiert. Ein letztes Mal fanden sich dazu noch Antons Wiener | |||
Freunde ein. Dann nahmen ihn die Sorgen für die rasch wachsende Familie voll in Anspruch. Elsa wurde 1927 | |||
geboren, Friedrich 1928, Erich 1930, Siegfried nach Mamas schwerer Erkrankung 1931 und Helmut 1932. Nach | |||
einem Abstand folgten noch Adolf 1938, Hilde 1940, Gertrud 1942 und Ernst 1944. Mit zuerst fünf Kindern | |||
mußten sich unsere Eltern durch die Not in der Wirtschaftskrise der 30er-Jahre schlagen und dann mit neun | |||
Kindern durch die Zeit des Zweiten Weltkrieges! | |||
Immer interessierte sich unser Vater für das Weltgeschehen. Als die RAVAG 1934 ihren Radiosender im Ried | |||
aufstellte, war er einer der allerersten, der sich einen Empfänger leistete. Viele Stunden saß er nun, manchmal | |||
zusammen mit einem Nachbarn, davor und hörte Nachrichten aus aller Welt, vor allem aber Musik, seine | |||
geliebte klassische Musik. | |||
Schon im Jahre 1929 war er zum Gemeinderat der „Großdeutschen“ gewählt worden und nun für die Schule und | |||
Kultur im Dorf verantwortlich, Nach dem großen Krach von 1934, den Kämpfen in Wien und den | |||
Auseinandersetzungen mit den „Heimwehrlern“ im Dorf fand sich für ihn aber kein Platz mehr in der | |||
Gemeindestube. 1933 bis 1943 war er Konsum-Obmann und leitete den Bau des schönen Konsumgebäudes im | |||
Kirchdorf, das damals unter Führung seines alten Freundes Johann Zwickle das größte und modernste Geschäft | |||
im weiten Umkreis war. Dazu war er Schriftführer in der Sennerei-Genossenschaft und arbeitete im Aufsichtsrat | |||
der Raiffeisenkassa mit. | |||
Meist aber plagten ihn die Schulden. Zwar hatte er, zusammen mit Tante Karolina, 1928 Hanso Hus am | |||
Kirchplatz für 11 000 S zum Abbruch und zum Bau eines Kriegerdenkmals an die Gemeinde verkauft. Den Erlös | |||
investierte er zum Umbau des baufälligen Stadels und zur Errichtung eines teuren, modernen Grünfutter-Silos. | |||
Um im Konsum die Lebensmittel für die fünf hungrigen Kinder bezahlen zu können, mußte er aber schon 1932 | |||
seine schönste Wiese an der Wälderstraße fast umsonst verkaufen. Dieser Verlust hat ihm sein ganzes Leben | |||
lang weh getan. Auch sonst traf die kleine Landwirtschaft manch bitterer Rückschlag. Wegen der Seuche „Bang“ | |||
mußte er den gesamten Viehstand schlachten lassen und die Versuche mit Weizenanbau im Ried waren absolut | |||
erfolglos. Die Nachbarn lachten, als zu allem Überfluß auch noch der schwere Dresch-Dampftraktor der | |||
Bauernkammer im morschen Jauchekasten einbrach. | |||
Geld hatte unser Vater damals nur, wenn er im Herbst die große Obsternte verkaufen konnte oder wenn ein paar | |||
Liter Schnaps einigen Erlös eintrugen. Die Brennerei betrieb er mit größter Sorgfalt selbst. Mit dem Anbau von | |||
Kartoffeln und Mais wurde die Familie aber wenigstens satt, zum Unterschied von den vielen Arbeitslosen jener | |||
Jahre, von denen manche gerne für eine Jause eine Weile beim Heuen oder beim Fällen der großen Eiche im | |||
Ried die Hand anlegten. | |||
1938 kam dann „der Umbruch“, Hitler marschierte in Österreich ei€ n. Für unseren Vater erschien das als | |||
Erfüllung seines langjährigen „großdeutschen“ Traumes. Alles sollte jetzt besser werden. Er fand Arbeit beim | |||
Finanzamt Bregenz. Die große Familie lebte weiterhin sparsam von der Landwirtschaft und der neu eingeführten | |||
Kinderbeihilfe. Jede Reichsmark Lohn sparte er auf dem Bankkonto, auf dem schon Friedas kleines Erbe lag, | |||
Ganze 1900 S hatte sie als Erbteil von ihrer verstorbenen Mutter erhalten, als ihr Vater Kaspar in der | |||
schlimmsten Notzeit 1937 sein Anwesen auf dem Hüttersberg verkaufen mußte. | |||
Der Vater ging „zur Partei“. Weil er Erfahrung in Gemeindeangelegenheiten hatte, holte ihn der neue | |||
Bürgermeister Rohner als Berater und als Stellvertreter an seine Seite. Auch das Amt eines Ortsbauernführers | |||
wurde ihm übertragen. 1939 begann der Krieg. Die Begeisterung über die Siege war groß, dann folgten aber | |||
ernüchternde Niederlagen. Im Finanzamt wurde er als Betriebsprüfer für den ganzen Bregenzerwald von Firmen | |||
und Mitarbeitern sehr geschätzt und als „u.k.“ (unabkömmlich zum Wehrdienst) eingestuft. Jetzt konnte er das in | |||
der Kriegsnot sehr belastende Amt des Bauernführers zurücklegen. Es folgten der Einbruch der deutschen | |||
Kriegsfronten und damit verbunden der Zusammenbruch eines Weltbildes, das er lange Zeit für das richtige | |||
gehalten hatte. | |||
1944 und 1945 mußte er noch von den neun Kindern weg zum Volkssturm einrücken, jeweils für einen Monat | |||
nach Meran, nach Schlanders und nach Gossensaß. Dazwischen vertrat er einen Monat lang den Bürgermeister. | |||
Das war im Spätwinter des letzten Kriegsjahres, als mit 1000 Kriegsflüchtlingen schon der Hunger ins Dorf | |||
eingezogen war und fast täglich Todesmeldungen von allen Fronten an bangende Mütter zu überbringen waren. | |||
Der letzte Kriegseinsatz des Volkssturms am See-Ufer in Hard endete mit der Auflösung der Gruppe. Als | |||
Bombenangriffe und Granateneinschläge Panik auslösten, verbrachten unsere Eltern mit den kleineren Kindern | |||
und einigen ihnen anvertrauten Nachbarskindern die letzten zwei Kriegsnächte bei Bekannten in Buch. | |||
Schwierige Nachkriegsmonate folgten. Zwar blieb die Familie weiterhin vom Hunger verschont. Die Kühe | |||
gaben Milch, im Keller lagerten Kartoffeln und auf dem Dachboden Türkenkolben. Hin und wieder konnte man | |||
sogar ein Schwein oder ein Schaf schlachten. Für die Wolle der Schafe hatte sich die Mutter wieder ein Spinnrad | |||
besorgt und die tüchtige Elsa strickte unermüdlich Schwetter und Socken. | |||
Aber der Vater verlor 1946 wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft seinen Arbeitsplatz beim Finanzamt und durch | |||
die Reichsmark-Entwertung gleichzeitig auch alle seine Ersparnisse auf der Bank. Es war ein großes Glück, daß | |||
er bald bei Georg Mutter in Dombirn eine Anstellung als Steuerberater fand. Jeden Tag, bei Regen, Schnee oder | |||
Hitze fuhr er nun mit dem Fahrrad nach Dombirn. Mit unendlichem Fleiß erwarb er sich einen Ruf als | |||
ausgezeichneter Wirtschaftsfachmann und wurde der erste Berater des Chefs, später auch von dessen beiden | |||
Nachfolgern Dr. Böhler und Dr. Rümmele. Mit vielen seiner Klienten pflegte er auch persönliche Kontakte, | |||
besonders als die Firma ihm sein Büro in der eigenen Wohnstube in der Bütze eingerichtet hatte. Unermüdlich | |||
hielt er an der Arbeit fest, bis dem 74jährigen am 19. September 1975 ein Schlaganfall die Hand lähmte. Es | |||
brach ihm fast das Herz, als in den folgenden Wochen „seine“ Akten in das Büro nach Dornbirn transportiert | |||
wurden. | |||
Aus der Dorfgemeinschaft hatte sich unser Vater nach 1945 völlig zurückgezogen. In seiner Freizeit hörte er | |||
klassische Musik — Mozart, Haydn, Bach und am allerliebsten Wagner -, dagegen war ihm Jazz ein Greuel. Er | |||
las manch schönes Buch und blätterte in vielerlei Zeitungen und Zeitschriften. Als begabter Mathematiker löste | |||
er gerne kniffelige Rechenprobleme, darunter jedes Jahr mit besonderer Freude und ohne Formelbuch die neuen | |||
Matura-Aufgaben aus der Jahresschrift seines Bregenzer Gymnasiums. Dazwischen machte er, seit ihm die | |||
früher so geliebten Bergtouren verwehrt waren, große Fußmärsche im Rheintal und durch den Vorderwald. Nur | |||
ganz selten leistete er sich gemeinsam mit der Mutter eine Autobusreise, am liebsten nach Italien. Italienisch und | |||
Latein hatte er am Gymnasium schätzen gelernt, Englisch verabscheute er. | |||
Als die groß gewordenen Kinder der Reihe nach das Haus verließen, wollte er noch lange Zeit die | |||
Landwirtschaft erhalten. Er hatte sie schon 1938 ganz unserer Mutter und den heranwachsenden Kindern | |||
überlassen. Immer war sie die Existenzgrundlage der Familie gewesen. Noch oft holte er seine „Buben“ ins Feld | |||
zum Mähen und Heuen, aber im Jahre 1959 verkaufte er dann doch schweren Herzens die letzten Kühe und | |||
verpachtete die Wiesen. | |||
Vaters ganzer Stolz war seine große Familie. Ihr widmete er all seine Arbeitskraft, ihr zuliebe verzichtete er oft | |||
auf persönliche Wünsche. Alle neun Kinder waren gesund. Elsa, die älteste, mußte den Haushalt übernehmen. | |||
Die anderen durften Berufe erlernen, fanden Verdienst und, wie Elsa als erste auch, einen Ehepartner. | |||
Seit 1951 konnte Vater wieder Erspamisse machen, die er den Kindern zum Bau von Einfamilienhäusern zur | |||
Verfügung stellte. Er sagte später oft, es sei die schönste Zeit seines Lebens gewesen, als er beim Ziegelabladen, | |||
Eisenbiegen, Mörtelmischen und beim Betonieren helfen mußte und täglich die Baustellen inspizierte, wo sein | |||
Geld vermauert wurde. So kamen schließlich alle neun Kinder zu eigenen Häusern: | |||
:Elsa 1953 in Lochau, | |||
:Friedrich und Helmut 1956 im Oberfeld, | |||
:Siegfried und Hilde 1959 im Oberfeld, | |||
:Adolf 1962 im Oberfeld als fünftes Haus der „Heim-Siedlung“, | |||
:Gertrud 1965 in Hörbranz, | |||
:Ernst 1968 im Unterfeld | |||
und schließlich noch Erich 1971 in Dornbirn. R | |||
Wahrlich eine bemerkenswerte Familienleistung! 33 Enkel wuchsen in den jungen Familien heran, die der | |||
Großvater gerne bei Festen um sich scharte. Erst 1975 ging er in Pension. Am 1. Jänner 1976 verschenkten die | |||
Eltern allen Grundbesitz an die neun Kinder. | |||
Am 26. April 1977 konnten sie Goldene Hochzeit feiern. Strahlend und zu tiefst gerührt nahmen sie die | |||
Glückwünsche von Kindern und Enkeln, von Bürgermeister und Bürgermusik, von Geschäftsfreunden und | |||
Nachbarn entgegen. Stolz trug der Vater von jetzt an die goldene Uhr, genau wie die Mutter ihre Perlenkette, | |||
beides Erinnerungsgeschenke der Kinder. | |||
Dann aber wollte der Vater sterben. Die Tage ohne Arbeit waren ihm zu lange. Den Großen Brockhaus, den er | |||
sich noch geleistet hatte, vermochte er nicht mehr zu lesen. Nur mit Mühe schleppte er sich jeden Sonntag zur | |||
Kirche und zur Kommunion, Viele Stunden bewegte er sich noch auf dem Home-Trainer, dem Fahrrad in der | |||
Stube. Er hörte noch regelmäßig Schallplatten und durchstöberte das Fernseh-Programm nach Konzert-Musik. | |||
Wohl war er schweigsam geworden, aber geistig blieb er sehr rege. Ein gnädiger Gott holte ihn ganz plötzlich | |||
durch einen Schlaganfall am 21. März 1979 vom Stubenfenster weg zu sich. Zwei Tage später geleitete ihn eine | |||
ganz große Trauergemeinde zum Familiengrab auf dem alten Friedhof in Wolfurt. | |||
== Frieda Heim, geb Troy == | == Frieda Heim, geb Troy == |
Bearbeitungen