Kinder als Zielscheibe der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg forderte als totaler Krieg die totale Mobilisierung. Alle erdenklichen Ressourcen, materielle sowie gesellschaftliche, wurden für die Kriegsführung in Anspruch genommen. So wurden auch alle Zivilisten einbezogen. Sei es nun an der direkten Front oder in der Heimat, Mann, Frau oder Kinder. Der Staat hat in alle Lebensbereiche eingegriffen, um die Menschen für seine Kriegsführung zu gewinnen. [1] Das Instrument hierfür war das verstärkte Einsetzen von Propaganda um die Öffentlichkeit zu kontrollieren und zu beeinflussen. Eine spezielle Wirkung hatte diese auf Kinder und Jugendliche und so herrschte unter diesen zu Kriegsbeginn allgemeine Kriegsbegeisterung. Demzufolge haben sich viele von ihnen als Freiwillige gemeldet oder sich heimlich von Zuhause weggeschlichen, um für ihr Vaterland zu kämpfen. Doch auch von der Heimatfront aus haben sie den Krieg auf verschiedene Weisen unterstützt. Das Thema Krieg war in all seinen Facetten im Leben der Kinder präsent: Die Verherrlichung des Krieges und die Liebe zum Vaterland waren Teil der Kindererziehung, die Kämpfe und Schlachten Inhalt im Schulunterricht und auch vor dem Kinderzimmer machte der Krieg keinen Halt. Jedoch blieben die dunklen Seiten des Krieges stets im Hintergrund. Am eigenen Leib haben die Kinder die Folgen des Krieges gespürt. Hunger, Armut, die Trennung von Familien und Freunden bestimmten den Alltag. [2]
Propagandamittel
Es gab im 1. Weltkrieg zahlreiche Mittel um die Ziele der Propaganda zu verstärken. Zu den klassischen Mittel zählen Plakate, Flugblätter oder auch Veranstaltungen, bei denen Reden gehalten wurden oder verschiedene Inhalte in Magazinen und Zeitschriften um die Menschen für den Krieg zu begeistern. Doch die jüngere Generation wurde hauptsächlich durch Bilderbücher und Jugendliteratur beeinflusst. Das war sowohl im Kindergarten so, als dann auch verstärkt in der Schule, welche als wichtige Propagandainstitution galt.
Kinder - und Jugendliteratur
Besonders in der Anfangszeit des Krieges war die Nachfrage nach Kriegsbüchern sehr groß. Die Verleger schickten sich, so schnell wie möglich entsprechende Geschichten auf den Markt zu bringen. Es gibt eine Vielzahl von Kinder - und Jugendliteratur aus dem Ersten Weltkrieg, die sich mit dem Kriegsgeschehen auseinandersetzt. Mittels aktuellen Kriegsgeschehen wurde den Kindern erklärt wie der Krieg zu Stande kommt und welche Ursachen es dafür gibt. Dies geschah allerdings auf eine ganz bestimmte Art und Weise. Der Krieg wurde als ein positives Ereignis dargestellt, Soldaten der eigenen Front wurden in der Literatur heroisiert und es wurden klare Feindbilder vermittelt.
Neben Bilderbücher gab es auch Zeitschriften. Die "Illustrierte Geschichte des Weltkrieges" publizierte aktuelle Kriegsgeschehnisse nahezu in Echtzeit. Mit dem Spruch: "Der Verlauf des großen, über unser Vaterland hereingebrochenen Krieges kommt jetzt dem Thiele immer näher, welcher die höchste Spannung erweckt.." lockten sie Abonnenten, nicht anders als würde es sich hier um eine Abenteuergeschichte handeln. Durch diesen Abenteuercharakter waren nicht nur Erwachsende, sondern auch Jugendliche begeistert. [3]
Bilderbücher
Kriegsbilderbücher versuchten in einfachster Weise den Kindern, und auch den Erwachsenen die ihren Kindern vorlasen, die Ursachen und Ziele des Krieges näher zu bringen. Ein bekanntes Beispiel für ein Kriegsbilderbuch war "Lieb Vaterland magst ruhig sein" von Arpad Schmidhammer. In dem Buch wird die Geschichte von Michl und Seppl erzählt, die jeweils Deutschland und Österreich verkörpern. Diese wollen friedlich ihren Blumengarten bestellen, werden dabei aber vom bösen Nachbarkind Lausewitsch, welcher Serbien verkörpern soll, belästigt. Lausewitsch vertraut darauf, dass ihm sein großer Bruder Nikolaus, sinnbildlich für Russland, zur Seite steht. Daraus entwickelt sich eine Massenkeilerei, aus der Michl und Seppl, also Deutschland und Österreich, siegreich hervorgehen und sich friedlich weiter um ihren Garten kümmern können.[4]
Der "Struwwelpeter" war zu der Zeit eines der beliebtesten Kinderbücher. Die Geschichten des Struwwelpeters handelten von Gehorsam und Respekt vor den Eltern und zeigt was mit frechen bzw. unartigen Kindern Schreckliches passieren kann.
1915 erschien "Der Kriegs-Struwwelpeter" von Karl Ewald Olszewski. In diesem Buch wurden die unartigen Kinder als die Kriegsfeinde dargestellt während die Eltern stets als Symbol für Deutschland oder Österreich fungierten und Autorität genossen. Damit war auch die Unterlegenheit der Feinde repräsentiert. Zwar waren die Bilder recht amüsant für die Kinder, doch der Text war eher an die Erwachsenen ausgelegt, die den Kindern dann oft die Bedeutung vermitteln mussten. [5]
Kinderlieder
Um bereits bei den Kleinsten die Kriegsbegeisterung näher zu bringen, haben die Kinder nicht nur im Kindergarten und in der Schule patriotische Lieder gesungen, sondern auch bei öffentlichen Kundgebungen. Das Singen in der Gruppe sollte das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Opferbereitschaft festigen und den Hass gegen die Feinde stärken.
Beispiel:
„Was schiert uns Russe und Franzos
Schuß wider Schuß und Stoß um Stoß
wir lieben sie nicht
Wir hassen sie nicht
Wir schützen Weichsel und Wasgaupaß
Wir haben nur einen einzigen Haß
Wir lieben vereint, wir hassen vereint
Wir haben nur einen einzigen Feind“
Zu verschiedenen Liedern gab es verschiedene Tanzbewegungen mit denen sie Kämpfe, die Niederlage Englands oder den Tod von Feinden darstellten. Des Weiteren wurden die Kinder auch dazu motiviert eigene Lieder mit gehässigem Charakter zu schreiben. So mussten sie sich noch mehr mit dem Thema Krieg auseinandersetzen und haben das eigene Feindbild bekräftigt. [7]
Kriegsgeschichten
Bei den älteren Kindern waren Bilderbücher zwar nicht mehr gefragt, aber umso mehr Kriegsgeschichten. Der Erste Weltkrieg direkt vor der Haustür war etwas neues, besonderes und so stieg die Nachfrage nach solch Literatur die von Helden und Triumphen erzählt, an. Ursachen und Ziele des Krieges spielten eine wichtige Rolle und wurde den Kindern verdeutlicht. Dabei war es auch nicht ungewöhnlich, wenn die Geschichten meist eher einen düsteren und rassistischen Charakter hatten. Parteien des Krieges wurden personifiziert und erhielten in den Geschichten Namen. Auch hier wird deutlich wie wichtig es für die Propaganda war, ein klares Feindbild zu schaffen.
BSP?
Kriegsspiele und Spielzeug
Vor allem mit Spielzeug war es ein leichtes Spiel auch in die Kinderzimmer der Kriegsteilnehmer vorzudrängen. Auch diese hatten die Aufgabe die Kinder mit den Kriegsgeschehnissen vertraut zu machen und ihnen Patriotismus einzuimpfen. [8] Passend zu den Kriegsbüchern und -geschichten gab es eine Vielfalt an Kriegsspielen. Vom Puzzle, über Schützengrabenspiele bis hin zu kleinen Zinnsoldaten, mit denen die Kinder Kämpfe und Schlachten nachahmten. Für Mädchen gab es allerdings oft Haushalts- und Küchengeräte in Miniaturform als Spielzeug, was dem Bild der Frau bzw. Mädchen von damals gerecht war.[9]
Propaganda im Schulunterricht
Die Funktion der Schule war begrenzt auf die Kriegserziehung der Kinder. Der Krieg wurde zum Mittelpunkt und zum Hauptthema des Schulunterrichts und so entwickelte sich dieser zu einem wesentlichen propagandistischem Mittel um auf die Jüngeren der Generation Einfluss zu nehmen. Um zu unterstreichen, wie wichtig Patriotismus und der Triumph gegenüber anderen Nationen war, gab es bei einem Sieg der eigenen Nation stets schulfrei.
Da es zunächst nur wenige Schulbücher gab, die sich mit dem Krieg auseinandersetzten, mussten die Kinder im Unterricht die aktuellen Kriegsgeschehnisse vortragen, Aufsätze, Gedichte oder Lieder zum Krieg schreiben und Kriegstagebücher führen. Aber auch Fächer wie Mathematik und Erdkunde hatten die kriegerischen Auseinandersetzungen als Ausgangspunkt. Nachdem im Jahr 1915 neue Schulbücher eingeführt wurden, wurde schon bei der Einschulung durch Lesen und Schreiben der Krieg in die Köpfe der Kinder gepflanzt.
Jedoch verschlimmerte der Krieg auch die Situation in der Schule. Zwar konnten die Kinder durch die Kriegspädagogik mobilisiert werden, aber durch den Ausfall von Arbeitskräften und der schlechten wirtschaftlichen Lage, besonders zum Kriegsende hin, musste der Unterricht oft ausfallen. [10]
Funktion der Propaganda
Kriegspädagogik
Auch im Schulwesen war Propaganda ganz alltäglich. Kinder sammelten im Schulunterricht verschiedenste Materialien, wie zum Beispiel Schrott und Metall für die Waffenindustrie oder Früchte als Nahrungsmittel für die Bevölkerung. Mädchen mussten im Schulunterricht verstärkt Kleidung für die Soldaten herstellen. Diese wurde dann in sogenannten "Liebesgabenpäckchen" zusammen mit Schokolade und Zigaretten an die Front geschickt. Von Lehrern wurde den Kindern vermittelt, das Gelernte auch den Eltern und der Familie daheim vorzutragen. Durch solche Maßnahmen entwickelte sich eine "Schulfront", in welcher Kinder als Instrument des Krieges und der Propaganda zur Vaterlandstreue erzogen wurden und es als Pflicht ansahen, ihrem Land zu dienen.
Kinder betreiben Propaganda
Kinder fungierten nicht nur als Zielscheibe der Propaganda, sondern waren auch selbst aktiv als Propagandisten tätig. Der Lernstoff im Unterricht, die Sammelaktionen und Wohltätigkeitsveranstaltungen waren eine Art Propaganda. Denn daran konnten die Eltern sehen, dass ihre Kinder sich für das Vaterland einsetzten und waren selber motiviert. Durch die Kinder war es ein einfaches Spiel Sympathie zu gewinnen und den Krieg zu verharmlosen und positiv darzustellen.
Wirkungen der Propaganda
Ohne Zweifel hatte die Propaganda des Ersten Weltkriegs eine gewaltige Wirkung auf die Menschen. Aber noch mehr waren die Kinder der Zeit der Beeinflussung ausgesetzt. Da alle Lebensbereiche sich mit dem Krieg beschäftigten, war es unmöglich der Propaganda auszuweichen, welche den Krieg verherrlichte, die Realität aber verleugnete. Für viele Jungen und Mädchen wurde der sterbende Soldat an der Front zu einem Vorbild, dessen Tod gefeiert werden sollte. Eine Frau, die Mann und Sohn an die Front schickte, galt als perfekte Frau, die ihr Vaterland liebt. Doch tatsächlich war die Kindheit geprägt von Armut, Hunger und Verlust. Seien es Väter, Geschwister oder auch nur Bekannte, die Kinder waren traumarisiert durch all die Kriegsereignisse.
Reaktionen auf die Propaganda
Da der Krieg ständig gegenwärtig war und die Kinder keine Chance hatte, dem zu entfliehen, waren sie der Propaganda hilflos ausgeliefert. Viele haben die Soldaten an der Front heroisiert und als Vorbild gesehen. Sie wollten so sein wie sie, stark und patriotisch für das eigene Vaterland kämpfen. Oft sind Kinder auch von Zuhause weggelaufen um ganz vorne am Schlachtfeld mitzukämpfen.
Vor allem die Schule fungierte als eine Propaganda Maschine. Kinder im jungen Alter sind noch unkritisch und können Ereignisse nicht gut genug reflektieren, deswegen sind sie sehr leicht zu manipulieren. Das wurde natürlich ausgenutzt. Der Lehrplan, welcher sich nur mit dem Krieg beschäftigte, hat sich in die Köpfe der Kinder eingebrannt. Die Wirkung der Kriegsbücher ist nur schwer einzuschätzen. Denn die Familien litten oft Hunger und Armut. Fraglich ist, wie viel Geld da noch für Bücher blieben. [11]
Die Verarbeitung des Ersten Weltkriegs
Um die verheerenden Auswirkung der Propaganda zu vergessen haben viele die Ereignisse des Ersten Weltkrieges vergessen bzw. verdrängt. Das Ende des Krieges wurde zwar gefeiert, doch die die politischen Versprechen und das Wirtschaftswachstum blieben zu nächst aus und die Menschen mussten sich neu orientieren.
Literatur
- Audione-Rouzeau, Stéphane: Die mobilisierten Kinder: Die Erziehung zum Krieg an französischen Schulen, in: Hirschfeld/Krumeich: Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch - Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Essen 1993
- Hämmerle, Christa: Kindheit im Ersten Weltkrieg, Böhlau Verlag, Wien/Weimar 1993
- Lukasch, Peter: Kinder und Propaganda - Der Erste Weltkrieg im Kinder- und Jugendbuch, Wien 2010
- Demm, Eberhard: Kinder im Ersten Weltkrieg: Zwischen Propaganda und Sozialfürsorge, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift Band 60, Heft 1, Oldenbourg 2001
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Stig Förster: Totaler Krieg. In: Hirschfeld, Gerhard (Hrsg): Enzyklopädie Erster Weltkrieg 2003, S. 924f
- ↑ Christa Hämmerle: 'Kindheit im Ersten Weltkrieg 1993
- ↑ Peter Lukasch: "Kinder und Propaganda - Der Erste Weltkrieg im Kinder - und Jugendbuch", Wien 2010 , URL: http://www.zeitlupe.co.at/werbung/propaganda1.html
- ↑ Peter Lukasch "Kinder und Propaganda - Der Erste Weltkrieg im Kinder - und Jugendbuch", Wien 2010 , URL: http://www.zeitlupe.co.at/werbung/propaganda1.html
- ↑ Eberhard Demm: Deutschlands Kinder im Ersten Weltkrieg: Zwischen Propaganda und Sozialfürsorge. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 60 2001, S. 56ff
- ↑ Volksliederarchiv: Was schiert uns Russe und Franzos. 1914. URL: http://www.volksliederarchiv.de/modules.php?name=Encyclopedia&file=blaettern&op=content&tid=378
- ↑ Eberhard Demm: Deutschlands Kinder im Ersten Weltkrieg: Zwischen Propaganda und Sozialfürsorge. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 60 2001, S. 55
- ↑ Heike Hoffmann: Schwarzer Peter im Weltkrieg“. Die deutsche Spielwarenindustrie 1914-1918, in: Hirschfeld, Gerhard: Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs. 1997, S. 323ff
- ↑ Peter Lukasch: "Kinder und Propaganda - Der Erste Weltkrieg im Kinder - und Jugendbuch", Wien 2010 , URL: http://www.zeitlupe.co.at/werbung/propaganda1.html
- ↑ Stéphane Audoin-Rouzeau "Die mobilisierten Kinder : Die Erziehung zum krieg an französischen Schulen. In: Hirschfeld/Krumeich: Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch - Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs", Essen 1993
- ↑ Eberhard Demm: Deutschlands Kinder im Ersten Weltkrieg: Zwischen Propaganda und Sozialfürsorge. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 60 2001, S. 92ff