Herbert Killian
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Herbert Killian (* 24. November 1926 in Korneuburg; † 26. Juni 2017) war ein österreichischer Historiker und emeritierter Universitätsprofessor für Forstgeschichte an der Universität für Bodenkultur in Wien. Er war als Jugendlicher und junger Erwachsener über sechs Jahre (1947–1953) nach Sibirien deportiert und verbüßte davon drei Jahre in sowjetischer Haft in Kolyma.
Leben
Jugend, Schulzeit und Zweiter Weltkrieg
Herbert Killian ist das dritte Kind eines AHS-Lehrers. Er absolvierte die Volksschule in seiner Heimatstadt Korneuburg und von 1938 bis 1943 das Realgymnasium in Stockerau.
Im September 1943 wurde er als Luftwaffenhelfer eingezogen und diente als solcher in Fischamend und Ternitz. Nach Absolvierung des Reichsarbeitsdienstes in Polen wurde er zur Deutschen Wehrmacht einberufen. Er geriet im Jänner 1945 in Frankreich in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er zweimal zu flüchten versuchte. Der erste Versuch misslang bereits nach kurzer Zeit, der zweite im März 1945 hatte Erfolg, und er schlug sich, zunächst gemeinsam mit einem Kameraden, dann alleine über Verdun nach Lothringen und schließlich bis ins Rheinland durch. Von dort gelangte er im Juli 1945 auf abenteuerliche Weise wieder zurück in seine Heimat, die sich nunmehr in der sowjetischen Besatzungszone befand.[1][2] Ab September 1945 besuchte er die 7. Klasse und anschließend die 8. Klasse des Realgymnasiums in Stockerau. Im Juni 1947 absolvierte er dort auch die schriftlichen Reifeprüfung.
Verschleppung, Verurteilung und Haft in der Sowjetunion
Wenige Tage vor Ablegung der mündlichen Reifeprüfung wurde Killian beim Studium durch lärmende Kinder sowjetischer Besatzungssoldaten vor seinem Zimmerfenster gestört, worauf er einen der Knaben ohrfeigte. Dies hatte verhängnisvolle Folgen für ihn, denn er wurde kurz darauf von den Sowjets verhaftet und anschließend von einem sowjetischen Militärgericht in Wien wegen „Rowdytums“ zu drei Jahren Haft verurteilt. Er konnte diese Haft allerdings nicht in Österreich verbringen, sondern wurde zusammen mit Schwerverbrechern und politisch Verurteilten über Ödenburg (Sopron) und Lemberg nach Kolyma (Nordostsibirien), einem Gebiet etwa 2000 Kilometer nördlich von Japan am Ochotskischen Meer gelegen, nicht mehr weit von Alaska entfernt, deportiert, wo er in diversen „Besserungsarbeitslagern“ (GULAG) inhaftiert war. Im selben vierundvierzigtägigen Bahntransport nach Wanino und Schiffstransport nach Magadan, der Hauptstadt von Kolyma, befanden sich unter einigen anderen Österreichern auch Karl Fischer und Kurt Seipel, die er jedoch damals nicht kennenlernte. Erst in den 1990er-Jahren lernte er Kurt Seipel in Österreich kennen.
Killian arbeitete in den Jahren der Haft unter unmenschlichen Verhältnissen beispielsweise im Bergbau, als Goldschürfer oder beim Sammeln von Nadeln der Zwerg-Zirbel-Kiefern (bei Temperaturen unter -50° im tiefen Schnee); tägliches Plansoll: 80 Kilogramm Nadeln, ein Ding der Unmöglichkeit, weswegen die ohnehin dürftigen Essensrationen noch geringer ausfielen. Einmal versuchte er - am Ende seiner Belastbarkeit angelangt - sogar zu flüchten, fand nach mehreren Tagen in auswegloser Situation jedoch wie durch ein Wunder wieder in das Lager zurück. Er erkrankte auch mehrfach schwer, wurde allerdings immer wieder soweit gesund gepflegt, dass er erneut zur Arbeit eingeteilt werden konnte. Während seiner Haft fand er nach eigenen Angaben zum christlichen Glauben, der ihm auch später immer wieder, ganz besonders in äußerster Not, Trost und Hilfe war.[3]
Im ersten Band seiner dreiteiligen Autobiografie berichtet Killian ausführlich über diese Zeit, in der er mehrmals nur sehr knapp mit dem Leben davonkam. Seine Familie in Österreich wusste über sein Schicksal in diesen Jahren nichts, er durfte keinen Schriftverkehr führen.[2][4] Killian beschreibt weiters, „dass höchstens 20 Österreicher, d.h. ein Prozent der von den Sowjets verschleppten Österreicher, in den Lagern von Kolyma inhaftiert waren“, wie ihm bei einem Besuch in Magadan im Jahr 2002 von einem Mitglied der Akademie der Wissenschaften berichtet worden war. 13 davon habe er selbst persönlich gekannt. Die Aufenthaltsdauer in Kolyma war bei den einzelnen Personen verschieden lang und reichte von einigen Monaten bis zu vielen Jahren.[5][6]
1950 wurde Killian aus der Haft entlassen. Er konnte jedoch nicht nach Österreich zurückkehren, weil ihm von den Sowjets kein Ausreisevisum ausgestellt wurde. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in Kolyma Arbeit zu suchen und sich auf diese Art durchzuschlagen. Er wurde in einem Krankenhaus in Jagodnyi als Sanitäter beschäftigt, wobei er sich einerseits durch seine Hilfsbereitschaft viele Freunde schuf, sich aber andererseits nur in einem Umkreis von 20 Kilometern frei bewegen durfte. Ab dieser Zeit konnte er mit seinen Eltern in Österreich wieder Kontakt aufnehmen. Einen lebenswichtigen Zuverdienst verschaffte er sich durch seine zusätzliche Arbeit im Haushalt einer Oberschwester des Krankenhauses. Seine Bemühungen um Erlangung eines Ausreisevisums, in denen er auch durch die österreichische Gesandtschaft in Moskau unterstützt wurde, hatten 1953 schließlich Erfolg: im November 1953 konnte Killian wieder nach Österreich zurückkehren, wobei sich auch die Rückreise durchaus abenteuerlich gestaltete. Über sein Leben als „Freigelassener“ in der Sowjetunion berichtet er im zweiten Band seiner Autobiografie.[2][7]
Wieder in Österreich
Am 9. November 1953 traf Killian wieder in Österreich ein. Die Lebensumstände hatten sich in der Zwischenzeit sehr verändert und er konnte anfänglich nur sehr schwer wieder in ein normales Leben zurückfinden. Ab 1954 arbeitete Killian zunächst als Forstlehrling in einem herrschaftlichen Betrieb, ab 1955 in der Forstlichen Bundesversuchsanstalt Wien. 1954 heiratete Killian, der Ehe entstammen zwei Söhne. Über diese Zeit berichtet Killian im dritten Band seiner Autobiografie.[8]
In der Zeit von 1972 bis 1976 studierte er österreichische und osteuropäische Geschichte sowie Volkskunde. Er schloss diese Studien mit der Promotion zum Dr. phil. (mit Auszeichnung) ab. Ab 1978 hatte er an der Universität für Bodenkultur in Wien einen Lehrauftrag für Forstgeschichte. Er habilitierte sich 1989 als Dozent mit einer Arbeit über die Geschichte der Wildbach- und Lawinenverbauung. Erstmals wurde damit in Österreich die universitäre Lehrbefugnis für Forstgeschichte erteilt. Killian wurde im Jahr 1995 zum außerordentlichen Universitätsprofessor für Forstgeschichte an der Universität für Bodenkultur in Wien ernannt. Die Anzahl seiner wissenschaftlichen Arbeiten ist äußerst umfangreich (mehr als 30 Bücher, ungefähr 200 Publikationen).
Im Zusammenhang mit der persönlichen und wissenschaftlichen Aufarbeitung seiner eigenen Lebensgeschichte war er auch als freier Mitarbeiter am Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung in Graz tätig.[2][8][9]
1995 wurde sein Fall auf seinen eigenen Antrag hin von einem russischen Militärgericht neu aufgerollt und die ursprünglich verhängte Strafe von drei Jahren auf ein Jahr herabgesetzt.[2][10]
Ungefähr 50 Jahre, nachdem er die Sowjetunion verlassen hatte, besuchte er im Jahr 2002 als erster Ex-Häftling aus dem Westen gemeinsam mit einem anderen Mitarbeiter des Ludwig Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgen-Forschung Kolyma und alle dort befindlichen Orte, an denen er die Zeit seiner Haft und Verschleppung verbracht hatte.[11][12]
In den Jahren 2005, 2008 und 2010 veröffentlichte Herbert Killian seine Autobiografie als umfangreiche Trilogie (siehe Abschnitt „Werke“), die beeindruckende und erschütternde Einblicke in das Schicksal von in die ehemalige Sowjetunion Verschleppten gewährt. Die Arbeit ist u.a. als bedeutender Beitrag zur Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts zu verstehen und zu würdigen, sie war mehr als 50 Jahre nach dem Geschehen mit ihren diversen Detailschilderungen für Killian nur deshalb möglich zu erstellen, weil er bald nach seiner Rückkehr nach Österreich eine mehrere hundert Seiten umfassende Niederschrift seiner Erlebnisse anfertigte.
„Herbert Killian beschreibt in seinem Buch nicht nur sein Schicksal, sondern bettet es in den Gesamtzusammenhang. Dazu hat er jahrzehntelang recherchiert und in Archiven in Österreich und in Russland gearbeitet. Es gelang ihm auch, in seinen vom KGB angefertigten Akt Einblick zu nehmen. Was das Buch einzigartig macht, ist die nahezu psychologische Beschreibung der Gefühlswelt eines jungen Deportierten in den Mühlen Stalinscher Repression. Fernab der Heimat, lange Zeit ohne Kontakt nach Hause.“
Herbert Killian lebte mit seiner Frau in Wien.[14]
Werke
- Geraubte Jahre. Ein Österreicher verschleppt in den GULAG. Amalthea Signum Verlag, Wien 2005, 320 S., ISBN 3-85002-920-4.
- Geraubte Freiheit. Ein Österreicher verschollen in Nordostsibirien. Kral Verlag, Berndorf 2008, 280 S., ISBN 978-3-902447-39-5.
- Geraubte Jugend. Ein Österreicher kehrt zurück aus Sibirien. Kral Verlag, Berndorf 2010, 267 S., ISBN 978-3-902447-84-5.
- weitere Literatur von Herbert Killian siehe: Seite des Ludwig-Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgen-Forschung: Biografie Herbert Killian mit ausführlicher Publikationsliste, abgerufen am 31. Mai 2014.
Literatur
- Alexa Gaspari: Alles überlebt mit Seiner Hilfe. Herbert Killian und ein paar Ohrfeigen, die ihm Jahre im sibirischen Gulag eingebracht haben. In: Vision 2000, Nr. 3/2014, S. 16–19.
- Stefan Karner: Im Archipel GUPVI. Kriegsgefangenschaft und Internierung in der Sowjetunion 1951–1956. Oldenbourg Verlag, Wien/München 1995, S. 38 und 244. ISBN 3-7029-0399-2 (Wien), ISBN 3-486-56119-7 (München). Russisch: Moskau 2002.
Einzelnachweise
- ↑ Herbert Killian: Geraubte Jugend. Ein Österreicher kehrt zurück aus Sibirien. Kral Verlag, Berndorf 2010, S. 142ff, ISBN 978-3-902447-84-5.
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Seite des Kral-Verlages über Herbert Killian, abgerufen am 31. Mai 2014.
- ↑ vgl. die Abschnitte Mein Weg zu Gott und Die Existenz Gottes in: Herbert Killian: Geraubte Jugend. Ein Österreicher kehrt zurück aus Sibirien. Kral Verlag, Berndorf 2010, S 250ff, ISBN 978-3-902447-84-5.
- ↑ Herbert Killian: Geraubte Jahre. Ein Österreicher verschleppt in den GULAG. Amalthea Signum Verlag, Wien 2005, 320 S., ISBN 3-85002-920-4.
- ↑ Herbert Killian: Geraubte Jahre. Ein Österreicher verschleppt in den GULAG. Amalthea Signum Verlag, Wien 2005, S. 310f., ISBN 3-85002-920-4.
- ↑ siehe auch: Stefan Karner: Vorwort zu: Herbert Killian: Geraubte Jahre. Ein Österreicher verschleppt in den GULAG. Amalthea Signum Verlag, Wien 2005, S. 12, ISBN 3-85002-920-4.
- ↑ Herbert Killian: Geraubte Freiheit. Ein Österreicher verschollen in Nordostsibirien. Kral Verlag, Berndorf 2008, 280 S., ISBN 978-3-902447-39-5.
- ↑ 8,0 8,1 Herbert Killian: Geraubte Jugend. Ein Österreicher kehrt zurück aus Sibirien. Kral Verlag, Berndorf 2010, 267 S., ISBN 978-3-902447-84-5.
- ↑ Seite des Ludwig Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgen-Forschung: Biografie Herbert Killian mit ausführlicher Publikationsliste, abgerufen am 31. Mai 2014.
- ↑ Herbert Killian: Geraubte Jugend. Ein Österreicher kehrt zurück aus Sibirien. Kral Verlag, Berndorf 2010, S. 223, ISBN 978-3-902447-84-5.
- ↑ Herbert Killian: Geraubte Jugend. Ein Österreicher kehrt zurück aus Sibirien. Kral Verlag, Berndorf 2010, S. 225ff, ISBN 978-3-902447-84-5.
- ↑ Alexa Gaspari: Alles überlebt mit Seiner Hilfe. Herbert Killian und ein paar Ohrfeigen, die ihm Jahre im sibirischen Gulag eingebracht haben. In: Vision 2000, Nr. 3/2014, S. 18.
- ↑ Stefan Karner: Vorwort zu: Herbert Killian: Geraubte Jahre. Ein Österreicher verschleppt in den GULAG. Amalthea Signum Verlag, Wien 2005, S. 12, ISBN 3-85002-920-4.
- ↑ Alexa Gaspari: Alles überlebt mit Seiner Hilfe. Herbert Killian und ein paar Ohrfeigen, die ihm Jahre im sibirischen Gulag eingebracht haben. In: Vision 2000, Nr. 3/2014, S. 16.
Weblinks
- Seite des Ludwig-Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgen-Forschung: Biografie Herbert Killian, abgerufen am 31. Mai 2014.
- Seite des Kral-Verlages über Herbert Killian, abgerufen am 31. Mai 2014.