Aufenthalt von Kaiser Karl in Westungarn im März 1921

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Kaiser Karl I. von Österreich, König Karl IV. von Ungarn (1917)

Kaiser Karl I. reiste im März 1921 während seines ersten Restaurationsversuches zur Wiedererlangung seiner Königswürde in Ungarn (als Karl IV.) weitgehend unbemerkt durch das Südburgenland, um über Szombathely nach Budapest zu gelangen.

Historischer Hintergrund

Die Verzichtserklärung vom 11. November 1918, von Ministerpräsident Lammasch gegengezeichnet
Die beiden Reichshälften der Habsburgermonarchie.

Kaiser Karl I. unterschrieb am 11. November 1918 auf Drängen von Politikern, wie dem Staatskanzler Karl Renner, eine Erklärung, in welcher er auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften in der österreichischen Reichshälfte verzichtete. Am 13. November kam er dem Wunsch von ungarischen Politikern nach und unterzeichnete eine ähnliche Erklärung für die ungarische Reichshälfte. In beiden Fällen sah er diesen Akt aber nicht als Abdankung an, zumal die Armee noch auf ihn vereidigt blieb. Karl zog sich in weiterer Folge auf Schloss Eckartsau im Marchfeld zurück, wo er von der britischen Armee beschützt wurde. Am 23. März 1919 verließ Karl zusammen mit seiner Familie aufgrund des in Kürze in Kraft tretenden Habsburgergesetzs Österreich in Richtung Schweiz. Am nächsten Tag vor dem Grenzübertritt widerrief er im Feldkircher Manifest seine Erklärung vom 11. November 1918 und protestierte gegen seine Absetzung als Herrscher.[1]

Zeitablauf des ersten Restaurationsversuches

24. März 1921, Gründonnerstag, Ausreise nach Frankreich

Der Restaurationsversuch von Kaiser Karl begann unter größter Geheimhaltung, denn auch seine nächste Umgebung war in sein Vorhaben nicht eingeweiht. Von seinem Wohnort Prangins ging er zu Fuß über die Grenze nach Frankreich, wo er mit dem Zug nach Straßburg fuhr.[2] Als Reisedokument nutzte er den Pass seines portugiesischen Gärtners Roderigo Sanques, der ihm sehr ähnlich sah und mit dem er manchmal von Schweizer Passanten verwechselt wurde.[3]

25. März 1921, Karfreitag, Zugfahrt von Straßburg nach Wien

Karl bestieg an diesem Tag in Straßburg den D-Zug nach Wien, das er spät in der Nacht erreichte. Vom Wiener Westbahnhof fuhr der inkognito reisende Kaiser mit dem Taxi in die Landskrongasse 5, wo ein Jugendfreund von ihm, der ungarische Graf Tamas von Erdödy, eine Wohnung besaß. Tamas Erdödy war in die Pläne eingeweiht und spielte in weiterer Folge eine wichtige Rolle beim Versuch von Karl die ungarische Königswürde wiederzugewinnen.[4]

26. März 1921, Ostersamstag, Einreise in Ungarn und Aufenthalt in Pinkafeld

Um die für die Einreise in Ungarn notwendigen Papiere für den vermeintlichen Portugiesen Roderigo Sanques zu organisieren, ließ Graf Erdödy seine Beziehungen spielen und kontaktierte persönlich den ungarischen Generalkonsul in Wien. Trotz Ostersamstag erhielt er das Visum und so konnte er gemeinsam mit dem Kaiser in einem Auto, das ein Chauffeur, der früher in Diensten der Habsburger stand, in Richtung Seebenstein aufbrechen. Im damaligen Schloss des Herzogs von Braganza wartete schließlich ein weiterer ehemaliger Chauffeur des Kaisers. Mit dessen Auto ging es nun über Aspang, Mönichkirchen und Pinggau zum österreichisch-ungarischen Grenzübergang nach Sinnersdorf.

Über die Einreise in Ungarn diktierte der Kaiser nach seiner Rückkehr in die Schweiz seinem Sekretär Baron Karl Werkmann folgenden Bericht:[5]

„In Sinnersdorf war österreichische Passrevision, die sehr schnell vonstatten ging. Die österreichischen Finanzorgane sowie die Gendarmen machten einen sehr guten Eindruck. Sie sind gut angezogen, sauber, anständig. An der ungarischen Grenze war ein alter Gendarmeriewachtmeister aus Debrecen, der richtige braune Sohn der Puszta, der nicht recht wusste, was er mit einem Pass anfangen sollte. Neben ihm stand ein Soldat in Sommerzwilchhosen. Nun ging es weiter im Auto nach Pinkafö. Das war eine Freundlichkeit der österreichischen Grenzorgane. Das Auto hatte nicht das Recht die Grenze zu überschreiten. In Pinkafö aßen wir im Gasthaus Jenner (Anmerkung: richtig ist Lehner). Nach zwei Tagen wieder das erste warme Essen! Schnitzel mit Gurken. Der Wirt hob sich Besteck und den Rest der Gurken zum Andenken auf. Es war interessant zu sehen, wie die Leute auf fremdes Geld fliegen. Das Schnitzel bezahlten wir mit französischen, den Wagen mit Schweizer Franken.“

Etwas ausführlicher schilderte Graf Tamas Erdödy die Situation des Grenzübertrittes in seinen Memoiren:[6]

„Ein paar hundert Meter vor der Grenzlinie. Österreichische Finanzbeamte und Gendarmen nehmen den Wagen in Empfang. "Verehrung, Respekt, Herr Graf", klang es mir entgegen. Man hatte mich erkannt. Das war aber gar nicht übel in diesem Falle. Mein Pass schien in Ordnung, aber mit dem meines Begleiters wusste man nichts Rechtes anzufangen. Ein älterer Beamter nahm mich beiseite: "Wen haben's denn da, Herr Graf?" Ich meinte lächelnd: "Nun, einen vom Roten Kreuz." Der Beamte: "Bitte lesen Sir mir doch den Pass vor!" Ich aber lachte aus vollem Halse: "Kann mir schon denken, dass Sie den Pass nicht lesen können, es ist ein portugiesischer Pass. Aber ich kann, ich schwöre es ihnen, ebensoviel Portugiesisch wie Sie selbst. Machen Sie keine Geschichten, ich bin doch selbst ein alter Gendarm, und weiß, wie man sich da hilft. Schreiben Sie was Sie woll'n in Ihr Protokoll, wer schert sich denn schließlich darum." Den Pass meines Begleiters bekam ich daraufhin zurück. Aber der Wagen durfte nicht weiter. Wir hatten kein Triptyk (Anmerkung: Zolldokument). Was tun? Der Weg bis zu den ungarischen Posten war nicht kurz und ein Sumpf. Schließlich schlug ich vor, man möge uns einfach einen Gendarmen mitgeben, der dann den Wagen mit Schlederer (Anmerkung: Der Chauffeur) zurückbringen würde. Nachdenklich standen die Beamten herum, manches Mal tastete ein scheuer Blick nach dem Kaiser. Schließlich war man einverstanden. Ein junger Gendarm sprang vor, an seiner Brust blitzte etwas immerhin Seltenes: die Goldene Tapferkeitsmedaille. Der setzte sich neben den Chauffeur, wir grüßten. Die Beamten sahen merkwürdig lange dem Wagen nach, der durch die Schmutzseen der Straße schaukelte, Kotfächer um sich herstreuend. Schließlich kam er doch nahe, der erste ungarische Ort Pinkafö. Ungarische Gendarmen, den Hahnenbusch auf den Hüten, traten auf uns zu, der Österreicher salutierte uns. Ich trat auf den jungen Beamten zu und dankte ihm für seine Liebenswürdigkeit. Plötzlich zog mich der Gendarm weg:" Glauben Sie, Herr Graf, ich wüsste nicht, wen Sie geschmuggelt? Ich sollte den Menschen nicht wiedererkennen, der mir mit eigener Hand diese Tapferkeitsmedaille an die Brust geheftet?" Wir drückten uns fest die Hände...“

„Mir schien es noch immer unfassbar, dass wir Ungarn erreicht hatten...Nun, da er ungarischen Boden unter den Füßen wusste, wurde auch der König sogleich ruhiger. Wir konnten daran denken, nach der abenteuerlichen Hetzfahrt ein wenig auszuruhen und zunächst einmal das versäumte Mittagessen nachzuholen... Auch waren wir ohne Vehikel und mussten daran denken, Pferde oder ein Auto für unsere weitere Fahrt zu requirieren. Das nächste Ziel des Königs war Szombathely, wo sich der König zunächst an den Bischof Johann Mikes wenden wollte. Ich war der Ansicht, dass ich Pferde in Pinkafö am besten bei meinem alten Freund, dem Wirt Lehner, erhalten konnte. Wir trafen Lehner selbst an und wurden von ihm mit ausgesuchter Höflichkeit, ja tiefster Ehrerbietung empfangen. Das ganze Haus schien in hellster Freude. Einen Augenblick gelang es dem Wirt Lehner, mich allein zu sprechen. "Wer ist der Herr, mit dem Sie hier sind, Herr Graf?" "Ach, ein Funktionär des Roten Kreuzes", gab ich leicht zurück. Der Wirt aber wollte lachen, das Lachen blieb im plötzlich in der Kehle stecken. "Ich weiß genau, wer er ist, Herr Graf.." "Dann schweig, Lehner!" Der nickte bloß, dann schossen ihm Tränen in die Augen und er wandte sich schwer bewegt ab. Aus den Tellern, die der Kaiser benutzte, aß nach ihm kein Gast mehr. Noch heute hängen sie in Lehners guter Stube gerahmt und mit einer feierlichen Inschrift versehen."“

Auch der Hotelier Julius Lehner hielt dieses für ihn bemerkenswerte Ereignis schriftlich fest:

„Am Karsamstag des Jahres 1921 hielt vor meinem Gasthaus ein Auto, dem zwei distinguierte Herrn entstiegen. Das Fahrzeug kam von Sinnersdorf. Es war in der Mittagsstunde. Die beiden Herrn betraten das Gastlokal und nahmen im Extrazimmer Platz. In der Gaststube waren einige einheimische Gäste anwesend. Der Kraftfahrer versorgte inzwischen einige elegante Lederkoffer. Zu mir sagte er: "Herr Wirt, kennen sie diesen Herren?" "Ich werde doch den Grafen Erdödy kennen!" gab ich zur Antwort. Einer der beiden Herrn war nämlich schon lange bekannt, es war Graf Thomas Erdödy aus Rotenturm. Den zweiten Herrn kannte ich nicht, obwohl mir seine Gesichtszüge irgendwie bekannt vorkamen. Die Augen wurden durch Autobrillen, wie sie damals üblich waren, verdeckt, dazu hatten die Brillen noch schwarzes Glas. Der fremde Gast legte diese Brillen auch während des späteren Mittagessen nicht ab. Auf meinen Hinweis an den Grafen Erdödy, dass mir sein Begleiter bekannt vorkäme und dass ich diesen Herrn schon irgendwo gesehen hätte, gab der Graf zur Antwort, dass dies vollkommen ausgeschlossen sei, denn der Herr wäre der Vertreter des spanischen "Schwarzes Kreuzes". Darauf bestellte er das Mittagessen. Es gab Naturschnitzel mit Essiggurken. Die Speisen wurden durch meine Frau Anna Lehner zubereitet. Da das Mittagessen anscheinend mundete, bestellte der fremde Gast in französischer Sprache ein weiteres Schnitzel. Ich beherrsche aber die englische Sprache besser als die französische, daher fragte ich bei dieser Gelegenheit auf Englisch, wohin die Reise gehe. Die Antwort kam in fließendem Englisch: "Zu Graf Erdödy nach Rotenturm". Graf Thomas Erdödy verließ mehrere Male das Gasthaus, um zu telefonieren. Er war offensichtlich nervös, denn ihm wurde fernmündlich mitgeteilt, dass sein eigenes Auto, welches zur Weiterfahrt benötigt wurde, eine Panne hätte. Das Auto des Prinzen Renee durfte nicht weiter, da keine Reisegenehmigungen vorlag. So äußerte schließlich Graf Erdödy den Wunsch, einen Pferdewagen zur Weiterfahrt zur Verfügung zu stellen. Ich sagte zu, obwohl die Pferde an diesem Tage schon zweimal in Pinggau waren. Aus diesem Grund musste die Pferdefütterung abgewartet werden. Um 17 Uhr war mein Kutscher Johann Huhlfeld zur Abfahrt bereit. Ich meldete dem Grafen den fahrbereiten Wagen in deutscher Sprache. Der fremde Gast erhob sich darauf sofort von seinem Platz, er verstand also auch die deutsche Sprache. Das fiel mir auf! Die Rechnung wurde von dem Unbekannten bezahlt. Für die Zeche und als Fuhrlohn erhielt ich 100 Schweizer Franken. Ich meinte, das wäre zuviel. Darauf der Gast in englischer Sprache: "Nehmen Sie nur, Hegedüs ist Finanzminister und steigt der Wert des Pengös.“

Einzelnachweise

  1. Seminararbeit Viktor Szontagh: Die Thronbesteigungsversuche von Karl (IV.) Habsburg, König von Ungarn im Jahr 1921, Seite 5, Webseite www.univie.ac.at, abgerufen am 19. Jänner 2015
  2. Habsburg im Exil – Die Dynastie nach 1918 - Putschversuche in Ungarn, Webseite www.habsburger.net, abgerufen am 21. Jänner 2015
  3. Hans H. Piff: Von Pinkafö zu Pinkafeld - Ein lokalhistorischer Spaziergang, Seite 436, Verlag Johanna Piff, ISBN 978-3200033740
  4. Hans H. Piff: Von Pinkafö zu Pinkafeld - Ein lokalhistorischer Spaziergang, Seite 438, Verlag Johanna Piff, ISBN 978-3200033740
  5. Herbert Vivian: Karl I. von Österreich, Seite 305ff, Leipzig, Höger Verlag 1935
  6. Paul Szemere, Erich Czech: Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand. Vom Kurier der Sixtus-Briefe zum Königsputschisten. Die Memoiren des Grafen Tamas von Erdödy., Zürich - Leipzig - Wien, Amalthea, 1931