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Familie Hirschberg}} | Familie Hirschberg}} | ||
Während des Kriegswinters 1939/40 herrschte im Unterbringungsraum der 44. Infanterie-Division eine rege Ausbildungstätigkeit. Aufgrund der Erfahrungen im Polenfeldzug wurde ein Befehl erlassen, dass die Stabskompanien der Infanterie-Regimenter um einen [[w:Zug (Militär)|Pionierzug]] verstärkt werden sollten. Die 44. Infanterie-Division ließ daher ab [[7. Jänner]] 1940 in [[w:Holzminden|Holzminden]] für jedes ihrer drei Regimenter einen Pionierzug in der Stärke 1/3/50 (Offiziere/Unteroffiziere/Mannschaften) durch das divisionseigene Pionier-Bataillon 80 ausbilden. | Während des Kriegswinters 1939/40 herrschte im Unterbringungsraum der 44. Infanterie-Division eine rege Ausbildungstätigkeit. Aufgrund der Erfahrungen im Polenfeldzug wurde ein Befehl erlassen, dass die Stabskompanien der Infanterie-Regimenter um einen [[w:Zug (Militär)|Pionierzug]] verstärkt werden sollten. Die 44. Infanterie-Division ließ daher ab [[7. Jänner]] 1940 in [[w:Holzminden|Holzminden]] für jedes ihrer drei Regimenter einen Pionierzug in der Stärke 1/3/50 (Offiziere/Unteroffiziere/Mannschaften) durch das divisionseigene Pionier-Bataillon 80 ausbilden. Das Personal für diese Züge kam aus den eigenen Einheiten.<ref>Friedrich Dettmer, Otto Jaus, Helmut Tolkmitt: ''Die 44. Infanterie-Division. Reichs-Grenadier-Division Hoch- und Deutschmeister 1938–1945.'', Seite 51, Verlag Austria Press, Wien 1969</ref> Auch Adolf Kaipel meldete sich für diesen vierzehntägigen Ausbildungskurs und wechselte in der Folge von der 2. Kompanie in die Stabskompanie des IR 131. In einem Brief vom [[8. Jänner]] beschreibt Frau Hirschberg die Aufbruchsszene zu diesem Ausbildungskurs: | ||
{{Zitat|Liebe Familie Kaipel! | {{Zitat|Liebe Familie Kaipel! | ||
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Auch schönen Dank für das beigefügte Bild, das sehr schön ist. Mit herzlichen Grüßen und Heil Hitler. Ihre Familie Hirschberg.}} | Auch schönen Dank für das beigefügte Bild, das sehr schön ist. Mit herzlichen Grüßen und Heil Hitler. Ihre Familie Hirschberg.}} | ||
Lieber Mutter, Bruder und Schwägerin! | Adolf Kaipel kehrte nach dem Pionierkurs wieder in sein altes Quartier bei der Familie Hirschberg in Bad Gandersheim zurück. In einem Brief in der dritten Jännerwoche schilderte er seinen Verwandten seine Eindrücke: | ||
{{Zitat|Lieber Mutter, Bruder und Schwägerin! | |||
Nach einer langen Zeit ist mir wieder einmal Gelegenheit gegeben, Euch in der Heimat zu schreiben. Hoffe, daß Euch dieses Schreiben in bester Gesundheit und mit Freuden antreffen möge, wie das Deinige bei mir, Mutter. Ich war für einige Zeit in Holzminden auf einem Pionierkursus und konnte Euch daher keine Feldpostnummer angeben. Auch habe ich heute die erste Post seit 18 Tagen bekommen. Holzminden ist sehr schön. Es hat uns gut gefallen, obwohl wir viel Dienst hatten. Ich bin nun wieder in meinen neuen Quartierort bei meinen Stiefeltern, die mich wieder mit Freuden aufnahmen. | Nach einer langen Zeit ist mir wieder einmal Gelegenheit gegeben, Euch in der Heimat zu schreiben. Hoffe, daß Euch dieses Schreiben in bester Gesundheit und mit Freuden antreffen möge, wie das Deinige bei mir, Mutter. Ich war für einige Zeit in Holzminden auf einem Pionierkursus und konnte Euch daher keine Feldpostnummer angeben. Auch habe ich heute die erste Post seit 18 Tagen bekommen. Holzminden ist sehr schön. Es hat uns gut gefallen, obwohl wir viel Dienst hatten. Ich bin nun wieder in meinen neuen Quartierort bei meinen Stiefeltern, die mich wieder mit Freuden aufnahmen. | ||
Lieber Mutter, Du weißt für viele Worte bin ich nicht, aber sollte mich das Schicksal an den Dank meiner Quartiergeber hindern, so bitte ich Euch, vergeßt sie nicht. Sie waren mir gut. Als ich von ihnen weggegangen bin, weinte die Frau. Sie gab mir, ohne daß ich es wußte, in meinem Paket eine Butter und in der Feldflasche Tee mit Rum mit. | Lieber Mutter, Du weißt für viele Worte bin ich nicht, aber sollte mich das Schicksal an den Dank meiner Quartiergeber hindern, so bitte ich Euch, vergeßt sie nicht. Sie waren mir gut. Als ich von ihnen weggegangen bin, weinte die Frau. Sie gab mir, ohne daß ich es wußte, in meinem Paket eine Butter und in der Feldflasche Tee mit Rum mit. | ||
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Adolf | Adolf | ||
Heil Hitler. | Heil Hitler. | ||
Adresse: Soldat Kaipel Adolf, Feldpostnummer 10129 | Adresse: Soldat Kaipel Adolf, Feldpostnummer 10129}} | ||
Lieber Kamerad! | Anfang Februar 1940 erhielt Adolf Kaipel Post von seinem Freund Johann Nicka. Dieser war mit einem Bataillon nach Niederösterreich in Marsch gesetzt worden. Dort wurde vom [[w:Wehrkreis|Wehrkreis XVII]] eine neue Infanterie-Division aufgestellt, welche mit Abgaben aus anderen Divisionen (auch von der 44. ID) und frischen Rekruten aufgefüllt wurde. Diese neue [[w:297. Infanterie-Division (Wehrmacht)|297. Infanterie-Division]] ging drei Jahre so wie Adolf Kaipels 44. Infanterie-Division im [[w:Kessel von Stalingrad|Kessel von Stalingrad]] unter. | ||
{{Zitat|Lieber Kamerad! | |||
Ich muß Dir mitteilen, daß ich noch immer sehr gesund bin, was ich auch von Dir erwarte. | Ich muß Dir mitteilen, daß ich noch immer sehr gesund bin, was ich auch von Dir erwarte. | ||
Muß Dir auch mit einer kleinen Überraschung kommen. Wir sind bereits wieder in der Ostmark und zwar in der Nähe von Wien in Enzersdorf an der Fischa bei Schwadorf. Wir wurden an der Front abgelöst, nach zweitägigen Fußmarsch gaben wir unsere ganzen Geräte und Waffen ab. Es blieb uns sonst nichts wie allein die Wäsche und Bekleidung. So ging es ganz gemütlich mit einem Personenzug heimwärts. Auf Urlaub war ich bis jetzt noch nicht, hoffentlich ist es jetzt möglich. Was jetzt aus uns noch gemacht wird, weiß man nicht. Es wurde von jeder Division aus der Front ein Bataillon herausgezogen und hier wird wieder eine neue Division zusammengestellt. Wir müssen jetzt natürlich warten bis wir die Geräte und alles wieder bekommen. Die Unterbringung ist wohl sehr schlecht, zum Teil sind wir in Massenquartieren und zum Teil privat. So schön haben wir es hier wohl nicht wie am Anfang in Krofdorf. Kalt ist es hier auch ziemlich und Schnee haben wir auch viel. Neugierig wird man noch sein, was überhaupt werden wird aus uns. Zu lange werden wir uns hier sicher nicht aufhalten. | Muß Dir auch mit einer kleinen Überraschung kommen. Wir sind bereits wieder in der Ostmark und zwar in der Nähe von Wien in [[Enzersdorf an der Fischa]] bei [[Schwadorf]]. Wir wurden an der Front abgelöst, nach zweitägigen Fußmarsch gaben wir unsere ganzen Geräte und Waffen ab. Es blieb uns sonst nichts wie allein die Wäsche und Bekleidung. So ging es ganz gemütlich mit einem Personenzug heimwärts. Auf Urlaub war ich bis jetzt noch nicht, hoffentlich ist es jetzt möglich. Was jetzt aus uns noch gemacht wird, weiß man nicht. Es wurde von jeder Division aus der Front ein Bataillon herausgezogen und hier wird wieder eine neue Division zusammengestellt. Wir müssen jetzt natürlich warten bis wir die Geräte und alles wieder bekommen. Die Unterbringung ist wohl sehr schlecht, zum Teil sind wir in Massenquartieren und zum Teil privat. So schön haben wir es hier wohl nicht wie am Anfang in Krofdorf. Kalt ist es hier auch ziemlich und Schnee haben wir auch viel. Neugierig wird man noch sein, was überhaupt werden wird aus uns. Zu lange werden wir uns hier sicher nicht aufhalten. | ||
Lieber Adolf, sonst kann ich Dir nicht viel Neues schreiben. Ich habe gehört, daß zu Hause auch wieder viele einrücken müssen, wird ihnen auch nicht schaden. Hoffentlich gibt es bald ein Wiedersehen. | Lieber Adolf, sonst kann ich Dir nicht viel Neues schreiben. Ich habe gehört, daß zu Hause auch wieder viele einrücken müssen, wird ihnen auch nicht schaden. Hoffentlich gibt es bald ein Wiedersehen. | ||
Es grüßt Dich Dein alter Kamerad | Es grüßt Dich Dein alter Kamerad | ||
Hans | Hans | ||
Heil Hitler! | Heil Hitler!}} | ||
Am [[8. März]] marschierten die Einheiten der 44. Infanterie-Division von ihren Quartieren ab und erreichten nach drei Tagen den Truppenübungsplatz [[w:Truppenübungsplatz Senne|Sennelager]] bei [[w:Paderborn|Paderborn]], auf dem Schießübungen und Angriffsübungen auf Bunkern geübt wurden. Beim Rückmarsch erließ die Division den Befehl, dass die Regimenter 131 und 134 ihre Quartiere tauschen. Dies führte sowohl bei den Soldaten als auch bei den Quartiergebern zu großem Unmut. Dieser ungeschickte Divisionsbefehl führte auch dazu, dass Familie Hirschberg und Adolf Kaipel nicht mehr zusammen kamen. In zwei Briefen von Frau Hirschberg bzw. Walter Hirschberg an Adolf Kaipel läßt sich dies nachlesen: | |||
Lieber Adolf! | {{Zitat|Lieber Adolf! | ||
Ich freue mich mit Ihnen, daß nun doch Ihr Urlauberzug fuhr und Sie daheim im Kreis Ihrer Lieben weilen durften. Ganz besonders wird Ihre Mutter glücklich sein und Sie werden sich gütig tun an Ihren Lieblingsgerichten. Das sind goldene Tage für Sie alle, die zu schnell vergehen. Helfen Sie nun beim Holz schlagen? Es wird schon was zu schaffen geben. Den Wein probieren Sie doch auch daheim? Das gibt Laune, dann heißt es "egal". | Ich freue mich mit Ihnen, daß nun doch Ihr Urlauberzug fuhr und Sie daheim im Kreis Ihrer Lieben weilen durften. Ganz besonders wird Ihre Mutter glücklich sein und Sie werden sich gütig tun an Ihren Lieblingsgerichten. Das sind goldene Tage für Sie alle, die zu schnell vergehen. Helfen Sie nun beim Holz schlagen? Es wird schon was zu schaffen geben. Den Wein probieren Sie doch auch daheim? Das gibt Laune, dann heißt es "egal". | ||
Es bereitet mir immer Freude von Ihnen zu hören. Ganz besonders hat mich Ihr Brief gefreut, den Sie durch Seppl geschickt haben. Es spricht daraus Ihr Dank und Anerkennung und zeigt Ihre edle Gesinnung. Ich muß gestehen, ich habe Sie versorgt wie meine Jungen und so denke ich auch an Sie. | Es bereitet mir immer Freude von Ihnen zu hören. Ganz besonders hat mich Ihr Brief gefreut, den Sie durch Seppl geschickt haben. Es spricht daraus Ihr Dank und Anerkennung und zeigt Ihre edle Gesinnung. Ich muß gestehen, ich habe Sie versorgt wie meine Jungen und so denke ich auch an Sie. | ||
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Walter und Helga hatten ein gutes Zeugnis. Walter war der Beste seiner Klasse. Heute ist er wieder im Kino. Ohne Sie. Auch ich war Freitag hier. Ihr beide habt mich ja nie mitgenommen. Es gab: "Mutterliebe". Walter wollte für Sie ein gemaltes Bild beifügen. Er fand nicht das richtige. Sonst ist er sehr in Anspruch genommen, er hat schon einen Stoß neue Schulbücher gekauft. Heute war die Jugendweihe. Da war auch er verpflichtet hinzugehen. | Walter und Helga hatten ein gutes Zeugnis. Walter war der Beste seiner Klasse. Heute ist er wieder im Kino. Ohne Sie. Auch ich war Freitag hier. Ihr beide habt mich ja nie mitgenommen. Es gab: "Mutterliebe". Walter wollte für Sie ein gemaltes Bild beifügen. Er fand nicht das richtige. Sonst ist er sehr in Anspruch genommen, er hat schon einen Stoß neue Schulbücher gekauft. Heute war die Jugendweihe. Da war auch er verpflichtet hinzugehen. | ||
Sie sollen denn auch was besonders Schönes haben, nur später. Ja, Adolf, Sie wollten uns doch von Ihrem Urlaub Stoff und Holz mitbringen. Das wird nun alles nichts. Seien Sie bitte zufrieden, wir haben es schon. Die Schweine kommen jetzt nicht mehr ins Schlafzimmer. Die zwei Päckchen von Mutter habe ich gleich zur Post gebracht. Haben Sie sie erhalten? Hiermit erhalten Sie Ihre zurückgebliebenen Sachen und herzliche Grüße an Sie alle | Sie sollen denn auch was besonders Schönes haben, nur später. Ja, Adolf, Sie wollten uns doch von Ihrem Urlaub Stoff und Holz mitbringen. Das wird nun alles nichts. Seien Sie bitte zufrieden, wir haben es schon. Die Schweine kommen jetzt nicht mehr ins Schlafzimmer. Die zwei Päckchen von Mutter habe ich gleich zur Post gebracht. Haben Sie sie erhalten? Hiermit erhalten Sie Ihre zurückgebliebenen Sachen und herzliche Grüße an Sie alle | ||
Familie Hirschberg | Familie Hirschberg}} | ||
{Zitat|Lieber Adolf! | |||
Du wirst wohl schon böse sein, daß ich solange nichts von mir habe hören lassen. Wir dachten immer, daß Du doch wohl einmal zu uns kommst. Mit der Zeit ist es jetzt auch so knapp. Seit Anfang März bin ich jeden Nachmittag in die Fabrik arbeiten gegangen. Abends habe ich dann meine Schularbeiten gemacht, bis zehn Uhr. Sonntags habe ich dann im Garten geholfen. Das Land, wo wir im Herbst zusammen Mist hingefahren haben, haben wir am 1.Mai und zu Himmelfahrt umgestochen und bepflanzt. Das Stück Land an der Straße auf dem Salzberg sieht jetzt auch ganz anders aus, das wird der Sepperl schon erzählt haben. | |||
Mit dem jetzigen Soldaten kommen wir nicht gut aus. Alle Leute sind unzufrieden mit den einquartierten Soldaten. Der gehört überhaupt nicht zu uns, der kann uns alle arbeiten sehen. Wenn wir ihm auch sagen, er möge mir z.B. beim Himbeeranbinden helfen, so macht er sich da gar nichts daraus. In der Woche ist er bald drei- bis viermal in der Wirtschaft, die anderen Tage treibt er sich bei Seidigs, hier auf dem Salzberg, herum. Mit dem Kino gehen ist es jetzt auch schon länger aus. Wir dürfen nur jugendfreie Filme sehen, und dann nur bis neun Uhr und in Begleitung der Eltern. Dieses Jahr dürfen wir überhaupt nicht mehr ins Kino. | |||
Zu Pfingsten habe ich mir vorgenommen mein Schiff zu streichen, damit es endlich fertig wird. In der Schule geht es auch feste weiter. Seit Ostern haben wir auch Englisch dazubekommen. Wir haben in dem Fach einen prima Lehrer, so daß wir schon allerhand gelernt haben. Ich dachte schon, Ihr würdet auch nach Norwegen kommen, aber hier seid Ihr ja zu dicht an Land um an dem Feldzug teilzunehmen. Englische Schiffe werden jetzt auch genug versenkt, so daß die Radioberichte jetzt immer viele Neuigkeiten berichten. | |||
Viele Grüße und ein baldiges Wiedersehen wünscht Dein Freund Walter.}} | |||
Abschließend zu erwähnen ist noch, dass die Briefe von Frau Hirschberg ihrem Sohn nach der Kontaktaufnahme im Jahre 1984 (siehe Einleitung) von den Verwandten der Familie Kaipel retourniert wurden. Es stellte sich heraus, dass Herr Hirschberg aufgrund der dramatischen Veränderungen in seiner Familie ab 1943 keinerlei originalen Erinnerungsstücke an seine Familie hatte. | |||
== Einzelnachweise == | == Einzelnachweise == |