Notverordnung (Österreich): Unterschied zwischen den Versionen
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* Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsverordnung (KwEV)<ref>RGBl. 1914/274.</ref>, die mittels kaiserlicher Notverordnung 1914 gemäß § 14 ''Grundgesetz über die Reichsvertretung'' zum Beginn des [[w:Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]] eingeführt wurde und sehr weitrechende Einschnitte im Rechtssystem und die Zivilgesellschaft der [[w:Österreich-Ungarn|Österreichisch-Ungarischen Monarchie]] brachte. | * Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsverordnung (KwEV)<ref>RGBl. 1914/274.</ref>, die mittels kaiserlicher Notverordnung 1914 gemäß § 14 ''Grundgesetz über die Reichsvertretung'' zum Beginn des [[w:Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]] eingeführt wurde und sehr weitrechende Einschnitte im Rechtssystem und die Zivilgesellschaft der [[w:Österreich-Ungarn|Österreichisch-Ungarischen Monarchie]] brachte. | ||
* zahlreiche Regierungsverordnungen (Notverordnungen) auf Grundlage der Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsverordnung (von 1914 bis 1917). | * zahlreiche Regierungsverordnungen (Notverordnungen) auf Grundlage der Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsverordnung (von 1914 bis 1917). |
Version vom 3. September 2023, 05:29 Uhr
Eine Notverordnung ist eine normative Einzelanordnung, die unter bewusster Durchbrechung des gewaltenteilenden Prinzips in Ausnahmesituationen in bestimmten Bereichen von der Regierung oder einem Staatsoberhaupt (Exekutivorgane) erlassen werden kann/darf.
Eine Notverordnung kann unter Umständen auch bestehende Gesetze abändern[1] (aber auch z. B. Suspendierung von Menschenrechten, Befugnis, die Verfassung abzuändern, den Einsatz der Armee anordnen) wodurch auch unter Umständen der Stufenbau der Rechtsordnung durchbrochen werden darf.[2]
Ist die Befugnis zum und der formale Erlass einer Notverordnung nicht von der bestehenden Rechtsordnung gedeckt, so handelt das Exekutivorgan rechtswidrig.
Notverordnungen in Österreich
In Österreich galten seit Bestehen einer Verfassung[3] sehr viele Notverordnungen mit teilweise sehr weitreichenden Befugnissen (Beispiele in zeitlicher Reihenfolge des Erlasses):
- zahlreiche Kaiserliche Notverordnungen, welche auf Grundlage von § 87[4] der Märzverfassung (1849 - 1851) bzw. des § 13 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung[5] (Februarverfassung (1861)) bzw. gemäß § 14 Grundgesetz über die Reichsvertretung[6] (Dezemberverfassung (1867)) erlassen werden konnten.[7]
- Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsverordnung (KwEV)[8], die mittels kaiserlicher Notverordnung 1914 gemäß § 14 Grundgesetz über die Reichsvertretung zum Beginn des Ersten Weltkriegs eingeführt wurde und sehr weitrechende Einschnitte im Rechtssystem und die Zivilgesellschaft der Österreichisch-Ungarischen Monarchie brachte.
- zahlreiche Regierungsverordnungen (Notverordnungen) auf Grundlage der Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsverordnung (von 1914 bis 1917).
- Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten, welche 1929 mit einer Verfassungsreform eingeführt wurde (gilt bis heute).
- Notverordnungsrecht des deutschen Reichspräsidenten (galt ab 1938 bis 1945 in Österreich).
Kaiserliche Notverordnungen
Mit der Märzverfassung (1849) wurde erstmals ein Notverordnungsrecht des Kaisers eingeführt. Zuvor regierte dieser absolutistisch und es gab keine geschriebene Verfassung. Diese Verfassung wurde bereits 1851 wieder sistiert und der Kaiser regierte bis 1861 wieder absolutistisch. Mit dem Erlass der Februarverfassung 1861 wurde die Macht des Kaisers wieder eingeschränkt und in § 13 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung ein Notverordnungsrecht des Kaisers Franz Joseph eingeführt. Dieses wurde auch in der Dezemberverfassung 1867 in § 14 Grundgesetz über die Reichsvertretung beibehalten.
Dadurch konnte der Kaiser bzw. die Regierung, wenn der Reichsrat nicht versammelt war und dringend eine Angelegenheit zu regeln war, durch kaiserliche Verordnungen Gesetzesmaterien regeln, die eigentlich durch ein Gesetz geregelt hätten werden müssen. Sämtliche Minister mussten eine solche Notverordnung gegenzeichnen. Notverordnungen, die auf § 14 Grundgesetz über die Reichsvertretung gestützt wurden, durften das Staatsgrundgesetz (1867) nicht abändern und auch keine Veräußerung von Staatsgut und keine Belastung des Staatsschatzes beinhalten.
Diese Möglichkeit wurde vom Kaiser intensiv angewendet. So wurden zum Beispiel, neben der Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsverordnung (KwEV) 1914 auch die bis heute großteils geltenden drei Teilnovellen des Allgemein bürgerlichen Gesetzbuches durch kaiserliche Notverordnungen erlassen (1914, 1915 und 1916).
Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsverordnung
Mit der Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsverordnung (KwEV) wurde mittels kaiserlicher Notverordnung 1914 zu Beginn des Ersten Weltkriegs ein Instrument eingeführt, welches die kaiserliche Regierung ermächtigte, in bestimmten wirtschaftlichen Fällen, die im Zusammenhang mit dem Krieg standen, statt Gesetze Verordnungen zu erlassen. Dies hatte sehr weitgehende Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft in der Monarchie.
1917 wurde diese Möglichkeit durch Erlass des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz abgelöst. Das kaiserliche Notverordnungsrecht endete mit dem Ende der Monarchie im November 1918.
Regierungsverordnungen auf Grundlage der Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsverordnung
Auf Grundlage der Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsverordnung (von 1914 bis 1917) sind zahlreiche Regierungsverordnungen (Notverordnungen) erlassen worden. Da diese selbst Notverordnungen waren und bis 1917 auf Grundlage des kaiserlichen Notverordnungsrechtes ergingen, hatten diese eine verringerte Legitimation, jedoch große praktische Bedeutung. Diese Notverordnungen der Regierung durften nur in Verbindung mit Problemen erlassen werden, welche im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg und seinen Folgen standen.
Mit dem nach dreijähriger Aussetzung erneuten Zusammentreten des Reichsrates 1917 wurde die Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsverordnung durch das Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz[9] abgelöst.
Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten
Das Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten, welche 1929 mit einer Verfassungsreform des Bundes-Verfassungsgesetz eingeführt wurde gilt – mit Unterbrechung von 1934 bis 1945 - bis heute. Dadurch wird der Bundespräsident nach Artikel 18 Abs. 3 ff B-VG ermächtigt unter bestimmten genau geregelten Voraussetzungen und Abläufen zur Abwehr eines offenkundigen, nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Allgemeinheit, wenn der Nationalrat nicht versammelt ist, nicht rechtzeitig zusammentreten kann oder in seiner Tätigkeit durch höhere Gewalt behindert ist vorläufige gesetzändernde Verordnungen erlassen (Artikel 18 Abs. 3 B-VG), welche jedoch
- keine Abänderung bundesverfassungsgesetzlicher Bestimmungen zum Inhalt, und
- keine dauernde finanzielle Belastung des Bundes, und
- keine finanzielle Belastung der Länder oder Gemeinden, und
- keine finanzielle Verpflichtungen der Staatsbürger,
- keine Veräußerung von Bundesvermögen,
- keine Maßnahmen in den im Art. 10 Abs. 1 Z 11 bezeichneten Angelegenheiten,
- keine Maßnahmen auf dem Gebiet des Koalitionsrechtes oder des Mieterschutzes zum Gegenstand haben dürfen.
Wegen der Komplexität der Regelung und strengen formalen Voraussetzungen wurde dieses Notverordnungsrecht bis heute kein einziges Mal angewendet (so wenig wie das Notverordnungsrecht der Bundesländer – Artikel 97 Abs 3 und 4 B-VG, welches 1980 eingeführt wurde).
Notverordnungsrecht des deutschen Reichspräsidenten
Das Notverordnungsrecht des deutschen Reichspräsidenten (ab 1938 in Österreich anwendbar) stützte sich ursprünglich auf Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung von 1919.[10] Diese Bestimmung, die im Verhältnis formal an sehr geringe Voraussetzungen gebunden war, und andere (z. B. Reichstagsbrandverordnung[11]) dienten, dem Missbrauch des Rechtes und in weiterer Folge auch der Machtergreifung und dem Machterhalt der Nationalsozialisten in der Nazi-Diktatur 1933 bis 1945.
Historische Auswirkungen von Notverordnungen
Notverordnungen ermöglichten in der Vergangenheit in Österreich der Regierung bzw. dem Staatsoberhaupt über Jahre hinweg mit Hoheitsgewalt auch gegen die Interessen der Bürger zu handeln. In jedem Fall führte dies dazu, dass diese Regierung in weiterer Folge selbst gewaltsam ersetzt wurde.
Unterscheidung
Ermächtigungsgesetz
Das Notverordnungsrecht bedeutet in Ausnahmesituationen eine punktuelle Durchbrechung der Gewaltenteilung. Das Ermächtigungsgesetz hingegen gibt der Regierung oder dem Staatsoberhaupt generell die gesetzgebende Befugnis und bedeutet eine anhaltende Durchbrechung der Gewaltenteilung.
Dringend notwendigen Maßnahmen in Krisensituationen
Teilweise wird der Begriff Notverordnung bzw. Notverordnungsrecht auch im Zusammenhang mit dringend notwendigen Maßnahmen gesetzt, die jedoch rechtskonform auf Grundlage von Gesetzen erfolgt und daher keine Notverordnungen im historischen Sinne des Begriffes sind (weil keine gesetzesvertretende bzw. gesetzesändernde Verordnung).[12][13][14][15]
- COVID-19-Krise
Die verschiedentlich medial geäußerte Meinung, es habe sich bei den Verordnungen im Zuge der COVID-19-Krise um Corona-Notverordnungen gehandelt ist aus rechtlicher Sicht unrichtig.
Diese COVID-19-Verordnungen wurden auf Grundlage der geltenden Gesetze in einer Krisensituation zur Durchführung des Gesetzes erlassen. Gleichzeitig wurden noch nie so viele Gesetze (siehe Übersicht der COVID-19-Gesetze und Verordnungen[16] einer österreichischen Bundesregierung als rechtswidrig vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben, wie die während der COVID-19-Krise erlassenen (siehe: Chronologie der Corona-Krise in Österreich).
Siehe auch
Weblinks
- Rechtsgeschichtliche Aufarbeitung des Notverordnungsrechts in Österreich Open-Access-Publikationsserver der Universität Graz
- Die Praxis des § 14 Notverordnungsrecht von 1868 bis 1914, Webseite: austriaca.at.
- Die rechtshistorische Darstellung von Notverordnungen in der österreichischen Gesetzgebung, Diplomarbeit, Webseite: unipub.uni-graz.at.
Einzelnachweise
- ↑ Heinz Mayer: Fachwörterbuch zum Öffentlichen Recht, Stichwort: Notverordnung, Wien 2003, Manz-Verlag, S. 330 f.
- ↑ In der in Österreich anerkannten Normenhierarchie stehen unterhalb der Verfassungsgesetze und den einfachen Gesetzen die Verordnungen, welche den Gesetzen und der Verfassung nicht widersprechen darf, da sie sonst unwirksam ist. Die Notverordnung kann daher – trotz des Wortlauts – auch eine Verordnung mit Gesetzeskraft sein, weil sie den gleichen Norminhalt eines Gesetzes aufweist, unter Umständen auch Gesetze oder die Verfassung ersetzen und abändern kann.
- ↑ Ohne eine solche Verfassung kann es auch kein Notverordnungsrecht geben, da dieses Recht auf einer konstitutionellen Ordnung beruht und voraussetzt. In einem absolutistischen Staat kann der Herrscher ohne jede gesetzliche Grundlage handeln.
- ↑ Siehe auch § 120 Märzverfassung.
- ↑ RGBl 1861/20 Beilage I.
- ↑ RGBl. 1867/141.
- ↑ Die Pillersdorf’sche Verfassung von 1848 enthielt noch kein Notverordnungsrecht.
- ↑ RGBl. 1914/274.
- ↑ RGBl. 1917/307.
- ↑ dRGBl 1919 S. 1383.
- ↑ dRGBl. 1933 I S. 83.
- ↑ Siehe z. B. Stadt Wien: Notverordnung erneuerbare Energien, Webseite: wien.gv.at.
- ↑ Kern unter Druck bei Notverordnung, Webseite: kurier.at vom 11.Juli 2016.
- ↑ Notverordnung in Ungarn, Webseite: parlament.gv.at vom 3. April 2020.
- ↑ Notverordnung, Webseite: blw.admin.ch vom 1. April 2020.
- ↑ Beispiele: COVID-19-Maßnahmenverordnung, COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung, 2. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung, 3. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung, COVID-19-Notmaßnahmenverordnung, 2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung , 3. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung. Diese Verordnungen und dazu ergangene Novellen galten zeitweise nur wenige Tage und wurden dann schon wieder ersetzt.
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