Jüdische Gemeinde Kobersdorf: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 11. Februar 2015, 16:23 Uhr
Die Jüdische Gemeinde Kobersdorf gehörte zu den Siebengemeinden auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes, welche unter dem Schutz der Magnatenfamilie Esterházy nach 1670 bis zu ihrer Zerschlagung durch den Nationalsozialismus im Jahr 1938 ein relativ eigenständiges Gemeindeleben hatte entwickeln können. Die ersten Juden kamen aber bereits um 1526[1] nach Kobersdorf, nachdem sie nach der ungarischen Niederlage bei der Schlacht bei Mohács aus Ödenburg vertrieben wurden.[2] Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde binnen weniger Wochen eine 400-jährige geschichtliche Epoche der Gemeinde Kobersdorf für immer zerstört.
Geschichte der jüdischen Gemeinde
Von der Entstehung bis zur Zeit des Nationalsozialismus
Die Geschichte der Juden im Burgenland begann in anderen Gemeinden wie Eisenstadt oder Mattersburg schon um einige Jahrzehnte früher. Für die Ansiedlung der Juden in Kobersdorf war die Niederlage der Ungarn gegen die Osmanen verantwortlich, die als nationales Trauma in die Geschichte Ungarns einging und in deren Folge die Juden aus Städten und Festungen vertrieben wurden. Im 16. Jahrhundert dürfte in Kobersdorf eine voll ausgebildete Gemeinde mit Synagoge, Friedhof, Schächter, Schulsinger und Gemeindegericht existiert haben. 1569 lebten 18 jüdische Familien in sieben Häusern. Die Gemeinde war ebenso wie die Wiener Juden vom Vertreibungsdekret von Kaiser Leopold I. betroffen. Die Kobersdorf Juden durften aber gegen Entrichtung von Gebühren unter dem Schutz von Fürst Paul Esterházy und seiner Nachfahren wieder im Dorf leben.[1]
Stationen der Emanzipation der Kobersdorfer Juden waren das Toleranzpatent[3] von Kaiser Joseph II., der Erhalt der ungarischen Staatsbürgerschaft während des Ungarischen Unabhängigkeitskrieges von 1848/49 sowie die endgültige Gleichstellung am 20. Dezember 1867 in Folge des Österreich-Ungarischen Ausgleiches.
Im 19. Jahrhundert galt Kobersdorf wegen des bekannten Mineralwassers als beliebter Kurort unter den Siebengemeinden und die Gemeinde bemühte sich um jüdische Kurgäste. 1860 wurde gegenüber dem Schloss die Synagoge im Stil des Historismus gebaut.[4]
Zerstörung der Gemeinde 1938
Nach dem Anschluss Österreichs im März 1938 übernahm Tobias Portschy als Gauleiter die Macht im Burgenland. Am 2. April forderte er neben der Lösung der Zigeunerfrage auch die Lösung der Judenfrage, die nun folgende Entwicklung führte dazu, dass eine dreihundertjährige kontinuierliche Entwicklung in wenigen Wochen für immer unterbrochen wurde.[5]
Was nun folgte berichtete im Jahr 2005 der Präsident des Bundesrates Georg Pehm in einer Rede anläßlich einer Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus im Parlament:[5]
„Dort haben eines Tages vor dem Krieg Kinder aus dem Dorf auf einer Mauer sitzen und mitansehen müssen, wie jüdische Bürgerinnen und Bürger aus Kobersdorf gedemütigt, verspottet und misshandelt wurden. Noch waren die Juden aus ihrem Heimatort nicht vertrieben und eigentlich wollten sie bleiben. Aber dann, irgendwann, waren auch sie, die Juden aus Kobersdorf, endgültig weg. Alle 172.“
Ein Teil der jüdischen Bewohner wurden am 13. April 1938 ebenso wie ihre Glaubensbrüder aus Lackenbach und Deutschkreutz in offenen Lastwagen nach Wien gekarrt. Die Autos fuhren dabei durch Mattersburg, um die dort lebenden Juden ein abschreckendes Beispiel zu geben.[6] Im Juli und August verließen die letzten Juden Kobersdorf in Richtung Wien.[7]
Opferbilanz
Die Burgenländische Forschungsgesellschaft hat in verschiedenen Quellen Daten über die burgenländischen Opfer des Holocausts ermittelt und mit diesen Informationen eine Datenbank erstellt.[8]
siehe Burgenländische Forschungsgesellschaft: Opferdatenbank
Folgende allgemeine Aussagen können aufgrund der dieser Opferdatenbank für Kobersdorf gemacht werden:
- Die Datenbank enthält Informationen über 88 Personen, welche einen Bezug zu Kobersdorf haben.
- 78 dieser Personen wurden im Ort geboren. Wie viele von ihnen 1938 aus Kobersdorf vertrieben wurden, lässt sich nicht ermitteln.
- Die Datenbank umfasst die Namen von 38 Männern und 49 Frauen, von einer Person ist das Geschlecht nicht ersichtlich.
- Eine Person fiel dem Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten zum Opfer und wurde in Schloss Hartheim umgebracht.
- Etwa 60 Prozent der Personen war älter als 60 Jahre, weniger als 10 Prozent waren jünger als 20 Jahre. Dies könnte daraufhin deuten, dass die jüngeren Juden die Flucht in Länder wie den USA oder Palästina wagten, während die älteren Menschen zurückblieben. Das älteste Opfer war Leni Schlossen, die 1854 in Kobersdorf zur Welt kam, und am 30. August 1942 im KZ Theresienstadt gestorben ist.
- Bei 65 Menschen wurde eine Wiener Adresse als letzte bekannte Adresse angegeben. Die meisten dieser Adressen befinden sich im 2. Bezirk (Leopoldstadt).
- Erste Deportationen fanden bereits 1939 statt. Während es 1941 noch die Ghettos in Polen und in der Sowjetunion waren, in welche man die Menschen deportierte, bildeten 1942 bereits die Vernichtungslager das Ziel der Transportzüge.
Aus den Daten lassen sich folgende Erkenntnisse über die unterschiedlichen Deportationswege gewinnen:
- Am 20. und 27. Oktober 1939 wurden drei Kobersdorfer Juden in Transportzügen nach Nisko deportiert um dort ein Barackenlager zu errichten. Der Nisko-Plan war, trotz seines Scheiterns, für den späteren Organisator des Holocausts, Adolf Eichmann, ein weiterer Schritt hin zum Völkermord.
- Im Frühjahr 1941 kam es im eroberten Polen, dem sogenannten Generalgouvernement, zur Einrichtung von großen Ghettos. Am 18. Februar wurden drei Kobersdorfer Juden in das Ghetto Kielce deportiert, acht weitere Anfang März nach Modliborzyce und Lagow.
- Nach dem Angriff auf die Sowjetunion folgten weitere Transporte Kobersdorfer Juden in das Ghetto Litzmannstadt sowie in Ghettos im eroberten Teil der Sowjetunion wie zum Beispiel jenes von Riga. Eine 80-jährige und eine 63-jährige ehemalige jüdische Bewohnerin von Kobersdorf wurden im November 1941 unmittelbar nach ihrer Deportation nach Kowno ermordet. Der Holocaust hatte eine weitere Stufe des Wahnsinns erreicht.
- Am 20. Januar 1942 trafen sich in Berlin hochrangige Vertreter des nationalsozialistischen Staates zur Wannseekonferenz, wo unter anderem bestimmt wurde, das Konzentrationslager Theresienstadt als Altersghetto einzurichten. Im Laufe des Jahres wurden 19 ehemalige ältere jüdische Bewohner von Kobersdorf dorthin verlegt, wobei sechs von ihnen dort im Laufe den nächsten Monate verstarben. Sieben dieser Personen überstellte man in das Vernichtungslager Treblinka, wo sie nach ihrer Ankunft ermordet wurden. Die noch übrig gebliebenen Kobersdorfer Juden wurden 1943 bzw. von Theresienstadt nach Auschwitz überstellt, wo auch sie zu Tode kamen.
- Weitere Deportationszüge brachten ehemalige Kobersdorfer Bewohner 1942 in das Vernichtungslager Maly Trostinez (sechs Personen), ins Ghetto Izbica (zwei Personen) und nach Auschwitz (13 Personen). Für die meisten dieser nach Auschwitz deportierten Kobersdorfer Juden stand mit dem französischen Sammellager Drancy, dem belgischen Sammellager Mechelen/Malines oder dem niederländischen Durchgangslager Westerbork ein Ausgangspunkt der Deportation, der darauf schließen lässt, dass es diesen Menschen 1938 gelungen war, in den Westen nach Frankreich, Belgien oder den Niederlanden auszureisen. Durch den siegreichen Westfeldzug der Wehrmacht 1940 wurden sie von der Mordmaschinerie der Nationalsozialisten wieder eingeholt.
- In den Jahren 1943 und 1944 wurden einige weitere nach Belgien und Frankreich geflüchtete Kobersdorfer Juden nach Auschwitz deportiert.
Alter der Opfer
Die folgende Tabelle zeigt die Anzahl der im jeweiligen Jahrzehnt geborenen Personen. Auffällig ist der hohe Anteil alter Menschen. Dies könnte daraufhin deuten, dass es den jüngeren Juden gelungen war, sich in Länder wie die USA oder Palästina abzusetzen, während die gebrechlichen Menschen diese Strapazen nicht mehr auf sich nehmen wollten oder konnten.
Zeitraum | Personen |
---|---|
1850-1859 | |
1860-1869 | |
1870-1879 | |
1880-1889 | |
1890-1899 | |
1900-1909 | |
1910-1919 | |
1920-1929 |
Deportationen
Bei der nachfolgenden Tabelle ist zu bedenken, dass hier unermessliches Leid in Form von Zahlen dargestellt wird. Sie zeigt den Startpunkt der Deportation (= Spaltenüberschrift) und das Ziel (Bezeichnung der Zeile).
Ziel | Wien | Drancy | Lyon | Malines | Sopron | Westbork | Zilina | Theresienstadt | Summe |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Nisko (Lager) | |||||||||
Izbica (Ghetto) | |||||||||
Kielce (Ghetto) | |||||||||
Kowno (Ghetto) | |||||||||
Lagow (Ghetto) | |||||||||
Lodz (Ghetto) | |||||||||
Minsk (Ghetto) | |||||||||
Modliborzyce (Ghetto) | |||||||||
Opole (Ghetto) | |||||||||
Auschwitz (KZ/VL) | |||||||||
Bergen-Belsen (KZ) | |||||||||
Theresienstadt (KZ) | |||||||||
Maly Trostinec (VL) | |||||||||
Sobibor (VL) | |||||||||
Treblinka (VL) | |||||||||
Summe: |
Bevölkerungsentwicklung der jüdischen Gemeinde
Die folgende Tabelle zeigt die Anzahl der jüdischen Bewohner von Kobersdorf. Der Höchststand wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreicht, während es in den 1930er-Jahren noch knapp 200 Juden in Kobersdorf gab.
Jahr | Bewohner |
---|---|
1735 | |
1836 | |
1869 | |
1900 | |
1910 | |
1934 |
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Jüdische Gemeinde Kobersdorf, Webseite www.vhs-burgenland.at, abgerufen am 8. Februar 2015
- ↑ Markus Brann: Geschichte Der Juden und Ihrer Literatur, Seote 251,
- ↑ Universität Graz - Toleranzpatent für die Juden in Wien und in Niederösterreich, Webseite www.jku.at, abgerufen am 6. Februar 2015
- ↑ Österreichisches Jüdisches Museum - Gemeinde Kobersdorf, Webseite www.ojm.at, abgerufen am 9. Februar 2015
- ↑ 5,0 5,1 Österreichisch Jüdisches Museum - Jüdische Gemeinden des Burgenlandes, Webseite www.ojm.at, abgerufen am 10. Februar 2015
- ↑ ZELEM - Die jüdische Gemeinde Deutschkreutz - Dokumentation, Webseite www.misrachi.at, abgerufen am 9. Februar 2015
- ↑ ZERSTÖRTE JÜDISCHE GEMEINDEN, Webseite www.erinnern.at, abgerufen am 6. Februar 2015
- ↑ Die burgenländisch-jüdischen Opfer der NS-Zeit, Webseite www.forschungsgesellschaft.at, abgerufen am 6. Februar 2015
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