Hedy Bercu

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Fahndung nach der verschwundenen Jüdin

Hedwig Bercu, geboren als Hedwig Goldberg, auch Hedy genannt (23. Juni 19192009) war eine Überlebende des Holocaust, die während der NS-Besatzung der Kanalinsel Jersey plötzlich spurlos verschwand, dann 18 Monate lang von einer englischen Dame versteckt und von einem deutschen Offizier mit Lebensmitteln versorgt wurde.

Nach dem Untergang des NS-Regimes heiratete sie den Offizier und zog mit ihm nach Deutschland. Ihre Retterin, Dorothea Weber, wurde 2018 posthum als Gerechte unter den Völkern ausgezeichnet.

Leben

Es gibt verschiedene Narrative über ihre Herkunft und ihren Geburtsort, genannt werden Österreich und Rumänien. 1938 flüchteten sie und ihre vier Geschwister aus Wien. Die Eltern blieben zurück. Drei Wochen nach den November-Pogromen der sogenannten Reichskristallnacht langte sie in St. Helier ein, in der Hauptstadt von Jersey. Sie fand Arbeit als Hausangestellte. Die meisten Juden Jerseys flüchteten – vor der bevorstehenden deutschen Besatzung – nach England, ihr jedoch blieb dieser Weg als "enemy alien" versperrt. 1940 wurden die Kanalinseln von Hitlers Truppen besetzt und Hedwig Bercu befand sich in einer Falle: Die Fährverbindungen nach England waren gekappt und der Norden Frankreichs war ebenfalls von Truppen des NS-Regimes besetzt. Die auf der Insel verbliebenen Juden mussten sich registrieren lassen. Hedwig Bercu versuchte es mit einer Lüge, ihr Vater sei unbekannt und ihre Mutter eine Protestantin, die erst nach ihrer Heirat mit einem rumänischen Juden zum Judentum konvertiert wäre. Der Chief Aliens Officer, Clifford Orange, dokumentierte ihre Angaben penibel und registrierte sie schließlich doch als „jüdisch“.[1]

Es gelang ihr, trotz dieser Registrierung, von der Besatzungsmacht als Übersetzerin beschäftigt zu werden, wo sie sich 1942 ausgerechnet in einen Offizier der Wehrmacht, Kurt Rümmele, verliebte.[2] Rätselhaft erscheinen auch den Historikern zwei Fakten: dass sie trotz Registrierung von einer deutschen Stabsstelle beschäftigt wurde und dass sie 1942 und 1943, als die Juden von den Kanalinseln deportiert wurden, unbehelligt blieb. Für das erste Faktum wird ins Treffen geführt, dass sie als Blondine nicht dem Klischee einer jüdischen Frau entsprach, für zweiteres wird der Schutz durch ihren Geliebten als Möglichkeit in den Raum gestellt. An ihrem Arbeitsplatz war sie auch mit der Verteilung von Benzingutscheinen betraut. Sie soll zahlreiche Benzingutscheine veruntreut haben (und an Ärzte der Insel, die sie dringend benötigten, weitergegeben haben). Im November 1943 inszenierte sie ihren Suizid, schrieb einen Abschiedsbrief und ließ ein Bündel Kleider am Strand von St. Aubin zurück. Ob die Entdeckung ihrer Diebstähle oder eine bevorstehende Razzia der Anlass dafür waren, ist nicht bekannt. Die deutschen Besatzer konnten bis zum Kriegsende keine Spur von ihr finden.[1]

Unterschlupf fand sie bei der Bäckersgattin Dorothea Weber, deren aus Österreich stammender Ehemann Anton Weber von den Deutschen eingezogen worden war und der damals an der Front stand. Er kam aber fallweise auf Heimaturlaub nach Jersey. Die beiden Frauen teilten sich die Lebensmittelrationen von Dorothea, wurden von Hedwigs Geliebten zusätzlich mit Nahrung unterstützt und gingen bei Nacht auf Angeltour. 18 Monate lang blieb das Versteck unentdeckt, wohl auch weil der Offizier und der Frontsoldat schwiegen. Im August 1944 intensivierten die Besatzer ihre Suchaktionen. Einer Anekdote zufolge, die sich in Aufzeichnungen von Hedwigs Bruder findet und die auch der Historikerin Gilly Carr zugetragen wurde, soll Leutnant Rümmele seiner Geliebte während der Hausdurchsuchungen die Uniform eines Feldwebels angezogen haben und mit ihr spazieren gegangen sein.[1]

Rümmele war kurze Zeit Kriegsgefangener. Bercu konvertierte zum Protestantismus und heiratete den Geliebten im Jahre 1949. Sie lebten danach in Deutschland und bekamen drei Kinder, doch Rümmele starb bereits 1956 nach einer Operation. 1960 fand sie ihren Bruder Josef Goldenberg wieder, der die Zeit des Holocausts in Palästina überlebt hatte. 1998 wurde ein Dankschreiben für ihre Retterin bei einer Gedenkveranstaltung in Jersey verlesen. Eines ihrer Kinder, Marion Oberer-Rümmele, erzählte 2016 der BBC, dass die Mutter niemals von den Ereignissen in Jersey erzählt hatte.

Dorothea Weber war überzeugt, dass ihr Ehemann im Krieg gefallen sei und heiratete einen britischen Soldaten, Francis Flanagan. Als Anton Weber im Jahre 1949 aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte, wurden seine Frau und deren zweiter Ehemann der Bigamie angeklagt. Sie wurde zu einem Jahr bedingter Haft verurteilt. Wenig ist über ihr weiteres Schicksal bekannt. Sie starb 1993.[1]

Resonanz

Im November 2016 wurde Dorothea Weber posthum als Gerechte unter den Völkern ausgezeichnet.[3] Eingesetzt für diese Ehrung hatte sich Gilly Carr von der University of Cambridge.[4] Dorothea Weber war erst die zweite Gerechte von den Kanalinseln.

2020 verarbeitete Jenny Lecoat, die aus Jersey stammt, die Lebensgeschichte der Hedy Bercu als Roman. Der Titel der englischen Ausgabe lautet Hedy’s War, der der amerikanischen Ausgabe war The Girl from the Channel Islands. Die Startauflage der US-amerikanischen Ausgabe betrug 100.000 Exemplare, das Buch gelangte auf Anhieb auf die oberen Plätze der New York Times Bestsellerliste. Die Kritiken waren jedoch ambivalent.[5][6] Das deutschsprachige Hörbuch wurde von Marylu Poolman eingesprochen.

Buch

  • Jenny Lecoat: Hedy’s War, Birlinn Ltd, Mai 2020
    • US-amerikanische Edition: The Girl from the Channel Islands, Graydon House, Februar 2021
    • Deutsche Fassung: Die Übersetzerin, Bastei Lübbe, September 2021

Literatur

  • Frederick Cohen: The Jews in the Channel Islands During the German Occupation, 2000

Einzelnachweise

Weblinks

 Hedy Bercu – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien auf Wikimedia Commons