Jüdische Gemeinde Oberwart

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Die Jüdische Gemeinde Oberwart war die jüngste unter den israelitische Gemeinden auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes. Die ersten Gemeindemitglieder siedelten sich am Beginn des 19. Jahrhunderts in Oberwart an und unterstanden der Jüdischen Gemeinde Schlaining.

siehe auch: Geschichte der Juden im Burgenland

Geschichte der jüdischen Gemeinde

Vier Konfessionen in einer Siedlung

Die heutige Stadt Oberwart stellte eine Besonderheit im südlichen Burgenland dar. Während die anderen Ortschaften in der Umgebung Teil des Herrschaftsgebietes der Familie Familie Batthyány waren, lebten in Oberwart freie Bauern. Sie galten als die Nachkommen jener ungarischen Grenzwächter ("Warte"), welcher der Stadt und der Region ("Die Wart") ihren Namen gaben. Die Siedlung bestand aus dem "Obertrumm" (ungarisch Felszeg) und dem "Untertrumm" (Alszeg), im Zwischenraum, der heute das Stadtzentrum bildet, bauten in weiterer Folge deutschsprachige Händler, Gewerbetreibende und Beamte ihre Häuser bzw. arbeiteten in den öffentlichen Gebäuden, die dort errichtet wurden.[1]

Eine weitere Besonderheit waren die vier Konfessionen, die im Laufe der Zeit entstanden. Im Obertrum bildete sich um 1600 mit der Reformierten Pfarrgemeinde Oberwart die älteste protestantische Kirchengemeinde in Österreich. Im Untertrum hingegen siedelten mehrheitlich katholische Bauern. Dazu kamen Angehörige der Evangelischen Kirche AB und nach der Ansiedlung der ersten Juden entstand im Laufe eine Israelitische Kultusgemeinde.[1]

Von der Entstehung der Gemeinde bis zur Zerschlagung durch den Nationalsozialismus

Wann sich die ersten Juden in Oberwart niederließen ist genau nachweisbar. In statistischen Aufzeichnungen über die jüdische Bevölkerung, den "Conscriptiones Judaerum", wurde zum ersten Mal 1822 ein jüdischer Bewohner, Leopold Österreicher, erwähnt. Diese ersten Juden stammten aus der jüdischen Gemeinde Schlaining, die ins wenige Kilometer entfernte Oberwart umzogen.[2]

Um 1850 lebten vierzehn jüdische Mitbürger in Oberwart. Diese Zahl steigerte sich in den Jahren bis 1900 auf 100 Menschen. Ein wichtiger Grund dafür war die Erhebung Oberwarts 1841 zum Markt. Während alle anderen jüdischen Gemeinden von 1900 bis 1934 einen Rückgang bei der Bevölkerungszahl verzeichneten, stieg hingegen die jüdische Einwohnerzahl von Oberwart weiterhin. Ein Großteil dieser Menschen stammte aus der Muttergemeinde Schlaining, die wegen der dortigen beengten Verhältnisse und der geringen Verdienstmöglichkeiten in das aufstrebende Oberwart übersiedelten.[3]

Während Schlaining im 19. Jahrhundert als Kultusgemeinde von den jüdischen Bewohnern von Oberwart, Pinkafeld, Bad Tatzmannsdorf und Großpetersdorf entsprechenden Kultussteuern einhob, wurde die Unzufriedenheit der Oberwarter Juden gegenüber ihren Schlaininger Glaubensbrüdern immer größer. 1904, als in Oberwart die Synagoge erbaut wurde, überstieg ihre Anzahl bereits jene in der Muttergemeinde. Heftige Streitereien kennzeichneten das Verhältnis der beiden Gemeinden in den nächsten Jahren. 1910 schloss die Oberwarter Gemeinde einen steuerlichen Sondervertrag mit ihrer Muttergemeinde, wodurch sich wiederum die Steuerlast für die Juden in den anderen Gemeinden des Bezirkes Oberwart erhöhte. Der Niedergang der einst bedeutenden Judengemeinde von Schlaining ging auch in den nächsten Jahren weiter, sodass sich 1923 der Schlaininger Rabbiner Felix Blau gezwungen sah, ebenfalls nach Oberwart zu übersiedeln.[4]

Der Streit zwischen beiden Gemeinden war damit aber nicht beendet sondern wurde nun unter Einschaltung der Behörden weiter verschärft. 1927 erließ die Bezirkshauptmannschaft einen Bescheid mit dem die bisherige Filialgemeinde Oberwart zu einer selbständigen Kultusgemeinde umgewandelt wurde. Im August 1929 erfolgte von Behördenseite die Auflösung der Schlaininger Kultusgemeinde, während Oberwart schließlich am 23. Mai 1930 offiziell von der Bezirkshauptmannschaft zur Israelitische Kultusgemeinde Oberwart/Felsöör erhoben wurde. Die Oberwarter Gemeinde war nun auch für die jüdischen Bewohner von Markt Allhau, Bad Tatzmannsdorf, Bernstein, Großpetersdorf, Kohfidisch, Oberschützen, Pinkafeld, Rotenturm an der Pinka, Schlaining sowie zeitweise auch Rechnitz zuständig.[5]

Opferbilanz des Holocausts

Allgemeine Informationen

Deportation österreichischer Juden aus Wien.

Die Burgenländische Forschungsgesellschaft hat aus verschiedenen Quellen Daten über die burgenländischen Opfer des Holocausts ermittelt und mit diesen Informationen eine Datenbank erstellt.[6]

Es ist allerdings zu befürchten, dass die Zahl der Opfer mindestens doppelt so hoch war, wie von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft angegeben. In der zentralen Datenbank von Yad Vashem finden sich insgesamt 199 Einträge mit Bezug auf Kobersdorf.[7] Viele dieser Einträge sind durch Gedenkblätter dokumentiert. Diese sind aufgrund von Meldungen überlebender Angehöriger an die jüdische Dokumentationsstätte entstanden, während sich die österreichischen Datenbestände an erhalten gebliebenen Dokumenten der nationalsozialistischen Dienststellen orientieren und somit vermutlich nicht das ganze Ausmass des Genozids erfassen. Trotzdem lassen sich auch auf Basis der österreichischen Daten wichtige Rückschlüsse auf den Ablauf des Holocausts ziehen.

In der Datenbank der Burgenländischen Forschungsgesellschaft findet man unter anderem folgende Informationen:[8]

  • Die Datenbank enthält Informationen über 88 Personen, welche einen Bezug zu Kobersdorf haben. Dieser Bezug bestand entweder durch die Geburt in diesem Ort oder einen Zweitwohnsitz oder dem Besitz von Immobilien.
  • 78 dieser Personen waren gebürtige Kobersdorfer. Wie viele von ihnen 1938 direkt aus Kobersdorf vertrieben wurden, lässt sich nicht ermitteln.
  • Die Datenbank umfasst die Namen von 38 Männern und 49 Frauen, von einer Person ist das Geschlecht nicht ersichtlich.
  • Eine Person fiel dem Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten zum Opfer und wurde in Schloss Hartheim umgebracht.
  • Etwa 60 Prozent der Personen waren älter als 60 Jahre, weniger als 10 Prozent waren jünger als 20 Jahre. Dies könnte daraufhin deuten, dass die jüngeren Juden die Flucht in Länder wie den USA oder Palästina wagten, während die älteren Menschen zurückblieben. Das älteste Opfer war Leni Schlosser, die 1854 in Kobersdorf zur Welt kam, und am 30. August 1942 im KZ Theresienstadt im Alter von 88 Jahren verstarb.
  • Bei 65 Menschen wurde eine Wiener Adresse als letzte bekannte Adresse angegeben. Die meisten dieser Adressen befinden sich im 2. Bezirk (Leopoldstadt). Damit ist auch in dieser Hinsicht die Vertreibung der Juden aus Kobersdorf belegt, die 1938 ihren Wohnort verlassen mussten und in Wien auf die Wohltätigkeit ihrer Glaubensbrüder angewiesen waren.
  • Aus den Daten lässt sich auch die Perfektionierung der Methoden des Völkermordes durch die Nationalsozialisten herauslesen. Während die ersten Deportationen 1939 noch in der Absicht erfolgten, Lager im besetzten Teil von Polen durch Juden errichten zu lassen, kam es im Jahr 1941 zur nächsten Steigerung im perfiden Mordplan der Nazis. Nun waren die Ghettos des Osten das Ziel der Transportzüge. Über das weitere Schicksal der Menschen in diesen Ghettos finden sich in der Datenbank keine Informationen.
  • Viele der alten Menschen wurde zuerst in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und von dort Monate später in die Vernichtungslager.
  • Den Daten kann auch entnommen werden, dass einige Kobersdorfer Juden von Wien in den Westen flüchten konnten. Aufgrund der militärischen Erfolge der Deutschen wurden aber auch sie Opfer der Holocausts. Diese Menschen landeten zuerst in Sammellagern in den betreffenden Ländern und wurden dann nach Auschwitz deportiert, wo sie entweder sofort umgebracht wurden oder als Arbeitssklaven noch eine Galgenfrist eingeräumt bekamen.

Die folgende Tabelle zeigt die Anzahl der Kobersdorfer Opfer, die im jeweiligen Jahrzehnt geboren wurden. Auffällig ist der hohe Anteil alter Menschen. Dies könnte daraufhin deuten, dass es den jüngeren Juden gelungen war, sich in Länder wie die USA oder Palästina abzusetzen, während die gebrechlichen Menschen diese Strapazen nicht mehr auf sich nehmen wollten oder konnten.

Zeitraum Personen
1850-1859
2
1860-1869
6
1870-1879
25
1880-1889
19
1890-1899
12
1900-1909
10
1910-1919
5
1920-1929
7

Informationen zu den Deportationen

Das belgische Sammellager Mechelen/Malines, die Dossin-Kaserne, war für mehrere Kobersdorf Juden der Ausgangspunkt ihrer Deportation in das KZ Auschwitz.

Aus den Daten der Opferdatenbank wurde nachfolgende Übersichtstabelle erstellt, welche darstellt, von wo aus die Transporte starteten (= Spaltenüberschrift) und wohin sie gingen (Bezeichnung der Zeile).

Die Daten zeigen folgende Informationen über die unterschiedlichen Deportationswege und Phasen des Völkermordes:

  • Am 20. und 27. Oktober 1939 wurden drei Kobersdorfer Juden in Transportzügen nach Nisko deportiert, um dort ein Barackenlager zu errichten. Diese Nisko-Plan genannte Phase war trotz ihres Scheiterns für den späteren Organisator des Holocausts, Adolf Eichmann, ein weiterer Schritt hin zum Völkermord.
  • Im Frühjahr 1941 trat die Vernichtung der Juden in eine neue Phase ein, indem es zur Einrichtung von Ghettos im eroberten Polen, dem sogenannten Generalgouvernement, kam. Dies lässt sich auch in der Opferdatenbank nachvollziehen, denn am 18. Februar wurden drei Kobersdorfer Juden in das Ghetto Kielce deportiert, acht weitere Anfang März nach Modliborzyce und Lagow.
  • Nach dem Angriff auf die Sowjetunion wurden ab Sommer 1941 auch Ghettos in den eroberten Gebieten eingerichtet. Es folgten weitere Transporte Kobersdorfer Juden in das Ghetto Litzmannstadt/Lodz sowie in Ghettos im besetzten Teil der Sowjetunion wie zum Beispiel jenes von Riga. Eine 80-jährige und eine 63-jährige ehemalige jüdische Bewohnerin von Kobersdorf wurden im November 1941 unmittelbar nach ihrer Deportation nach Kowno ermordet. Der Holocaust hatte eine weitere Stufe des Wahnsinns erreicht.
  • Am 20. Jänner 1942 trafen sich in Berlin hochrangige Vertreter des nationalsozialistischen Staates zur Wannseekonferenz, wo unter anderem bestimmt wurde, das Konzentrationslager Theresienstadt als Altersghetto einzurichten. Im Laufe des Jahres wurden 19 ehemalige ältere jüdische Bewohner von Kobersdorf dorthin verlegt, wobei sechs von ihnen im Laufe den nächsten Monate verstarben. Sieben dieser Personen überstellte man in das Vernichtungslager Treblinka, wo sie nach ihrer Ankunft ermordet wurden. Die noch lebenden Kobersdorfer Juden wurden 1943 bzw. 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz überstellt, wo auch sie zu Tode kamen.
  • Weitere Deportationszüge brachten ehemalige Kobersdorfer Bewohner 1942 in das Vernichtungslager Maly Trostinez (sechs Personen), ins Ghetto Izbica (zwei Personen) und nach Auschwitz (13 Personen). Die meisten dieser nach Auschwitz deportierten Kobersdorfer Juden hatten 1938 die Flucht aus Wien in den Westen geschafft. Durch den siegreichen Westfeldzug der Wehrmacht 1940 wurden sie aber von der Mordmaschinerie der Nationalsozialisten wieder eingeholt und je nach Aufenthaltsort über das französische Sammellager Drancy, das belgischen Sammellager Mechelen/Malines oder das niederländischen Durchgangslager Westerbork nach Auschwitz deportiert.
  • In den Jahren 1943 und 1944 wurden nur noch einzelne in den Westen geflüchtete Kobersdorfer Juden aus Belgien und Frankreich nach Auschwitz deportiert. Wien war zu diesem Zeitpunkt schon weitgehend judenfrei, wie der gebürtige Burgenländer Alois Brunner, ein Scherge von Adolf Eichmann, es bereits im Oktober 1942 vermeldet hatte.

Bei der nachfolgenden Tabelle zeigt den Startpunkt der Deportation (= Spaltenüberschrift) und das Ziel (Bezeichnung der Zeile). Theresienstadt ist sowohl Ziel als auch Ausgangspunkt einer Deportation (=Überstellung). So wurden zum Beispiel drei Personen von Wien in das Lager Nisko deportiert. Das Lager Malines war für sieben Personen der Ausgangspunkt für die Deportation nach Auschwitz.

Über das weitere Schicksal der Menschen, welche in die Ghettos deportiert wurden, gibt es in der Datenbank keine Informationen.

Ziel Wien Drancy Lyon Malines Sopron Westbork Zilina Theresienstadt Summe
Nisko (Lager)
3
3
Izbica (Ghetto)
2
2
Kielce (Ghetto)
3
3
Kowno (Ghetto)
2
2
Lagow (Ghetto)
2
2
Lodz (Ghetto)
4
4
Minsk (Ghetto)
6
6
Modliborzyce (Ghetto)
6
6
Opole (Ghetto)
1
1
Auschwitz (KZ/VL)
1
6
7
1
2
6
23
Bergen-Belsen (KZ)
1
1
Theresienstadt (KZ)
19
1
20
Maly Trostinec (VL)
6
6
Sobibor (VL)
1
1
Treblinka (VL)
7
7
Summe:
55
7
1
7
1
1
2
13

Jüdische Spuren in Oberwart

Rabbinatshaus

Ehemaliges Rabbinatshaus

Das Rabbinatshaus bestand aus der Wohnung, die sich aus einer Küche und drei Zimmern zusammensetzte, und den Amtsräumlichkeiten des Rabbiners. In den offiziellen Räumlichkeiten fand auch der Religionsunterricht für die jüdischen Kinder statt. Vermutlich aus diesem Grund wurde und wird das Haus auch fälschlicherweise als "Jüdische Schule" bezeichnet, das es aber nicht war, denn die jüdischen Kinder besuchten für alle anderen Gegenstände die örtliche evangelische Schule. Auch andere Bezeichnungen wie "Amtshaus", "Beamtenhaus" oder "Rabbinerhaus" haben sich erhalten. Das Rabbinatshaus, in dem auch die Sitzungen der Kultusgemeinde stattfanden, war von der Synagoge durch einen Hof getrennt, in dem sich eine Holzhütte zur Geflügelschlachtung, Klosettanlagen, ein Holzschuppen sowie ein Brunnen befanden.[9]

Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wohnte der Feuerwehrkommandant im Haus, das 1939 renoviert und ein Jahr später arisiert wurde. Dieser "Kauf" wurde 1946 vom damaligen Oberwarter Bürgermeister bestätigt.[9] Heute beherbergt das unter Denkmalschutz stehende Gebäude das Berufsinformationszentrum.[10]

Synagoge

[11]

Ehemalige Synagoge

Jüdischer Friedhof

[12]

Weblinks

Literatur

  • Ursula Mindler: Die jüdische Gemeinde von Oberwart/Felsöör, edition lex liszt, Oberwart 2013

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Ursula Mindler: Die jüdische Gemeinde von Oberwart/Felsöör, edition lex liszt, Oberwart 2013, Seite 22
  2. Ursula Mindler: Die jüdische Gemeinde von Oberwart/Felsöör, edition lex liszt, Oberwart 2013, Seite 23
  3. Ursula Mindler: Die jüdische Gemeinde von Oberwart/Felsöör, edition lex liszt, Oberwart 2013, Seite 26 und 27
  4. Ursula Mindler: Die jüdische Gemeinde von Oberwart/Felsöör, edition lex liszt, Oberwart 2013, Seite 30 bis 34
  5. Ursula Mindler: Die jüdische Gemeinde von Oberwart/Felsöör, edition lex liszt, Oberwart 2013, Seite 35 und 36
  6. Die burgenländisch-jüdischen Opfer der NS-Zeit, Webseite www.forschungsgesellschaft.at, abgerufen am 6. Februar 2015
  7. Yad Vashem - Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer, Webseite db.yadvashem.org, abgerufen am 6. Februar 2015
  8. Burgenländische Forschungsgesellschaft: Opferdatenbank abgerufen am 12. Februar 2015
  9. 9,0 9,1 Ursula Mindler: Die jüdische Gemeinde von Oberwart/Felsöör, edition lex liszt, Oberwart 2013, Seite 53 und 55
  10. BIZ - BerufsInfoZentren, Webseite www.ams.at, abgerufen am 28. Januar 2016
  11. Ursula Mindler: Die jüdische Gemeinde von Oberwart/Felsöör, edition lex liszt, Oberwart 2013, Seite 56 und 62
  12. Ursula Mindler: Die jüdische Gemeinde von Oberwart/Felsöör, edition lex liszt, Oberwart 2013, Seite 62 und 76