Amerikawanderung der Riedlingsdorfer
Die Auswanderung der Riedlingsdorfer nach Amerika war Teil der Amerikawanderung der Burgenländer, die als Bestandteil der großen Auswanderungsbewegung gesehen werden muss, welche in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts weite Bevölkerungsteile Europas erfasste. Während die ersten Emigranten bereits um 1850 in Richtung Neue Welt aufbrachen, fand in Riedlingsdorf die Erstauswanderung in Form einer Gruppe von acht Personen 1893 statt.[1] Genauere Hinweise über Auswanderer der Ortschaft finden sich in den Internetarchiven erst ab dem Jahr 1902.[2][3]
Geschichtlicher Hintergrund
Das Burgenland existierte Ende des 19. Jahrhunderts in seiner heutigen Form noch nicht, somit bildeten damals die deutschsprachigen Ortschaften den Westteil verschiedener ungarischer Komitate. Sie lagen, wie auch Riedlingsdorf, im Hinterland großer ungarischer Städte wie Sopron oder Steinamanger. Die Hauptkommunikations- und Verkehrswege verliefen nicht so wie im modernen Burgenland in Nord-Süd-Richtung sondern in Ost-West-Richtung. Daher wurden die Gebiete des heutigen Nord- und Südburgenlandes unabhängig voneinander von den Auswanderungswellen erfasst, die von Innerungarn ab 1875 auf die deutschsprachigen Ortschaften überschwappten.[4]
Das Gebiet des jetzigen Bezirkes Oberwart (und somit auch von Riedlingsdorf) wurde von einer derartigen Auswanderungswelle ab 1880 erfasst. Sie war Teil der sogenannten New Immigration, einer Auswanderungsbewegung, welche der aufstrebenden amerikanischen Industrie dringend benötige Arbeitskräfte beschaffte. Diese Industriewanderung führte somit dazu, dass die Riedlingsdorfer Landarbeiter in Amerika zu Industriearbeitern mutierten.[5]
Die ersten acht Auswanderungswilligen verließen 1893 ihre Heimatgemeinde. Danach gab es in der Phase der Vorkriegswanderung (bis 1914) in Riedlingsdorf vor allem zwischen 1905 und 1907 relativ viele Auswanderer. In der Phase der Zwischenkriegswanderung (1919 bis 1924) erreichte die Riedlingsdorfer Auswanderungsbestrebungen 1922 ihren absoluten Höhepunkt. Danach versiegte der Strom der Auswanderer, weil strengere amerikanische Einwanderungsgesetze die Einreise immer mehr erschwerten.
Zunächst hielten die Auswanderer den Kontakt zu den daheimgebliebenen Verwandten aufrecht. So trugen die Auslands-Riedingsdorfer mit ihren Geldspenden wesentlich dazu bei, dass in Riedlingsdorf ein Kriegerdenkmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges errichtet werden konnte.[6] Der 2. Weltkrieg sowie das fortgeschrittene Alter der Auswanderer führten im Laufe der Zeit jedoch dazu, dass so manche Bande zerbrach. Einige neue Kontakte wurden in letzter Zeit wieder von der Enkelgeneration geknüpft, die sich als Ahnenforscher auf Spurensuche begaben. Die rasante Entwicklung des Internets wirkte sich für diese Entwicklung natürlich besonders positiv aus.
Listen und Statistiken
In den einschlägigen Internetportalen lassen sich die Namen von mindestens 174 ehemaliger Einwohner der Gemeinde Riedlingsdorf für den Zeitraum 1902 bis 1930 nachweisen. Das Hauptziel dieser Auswanderer waren bis auf ganz wenige Ausnahmen die USA.
Darstellung nach Auswanderungsjahr
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Die nachfolgende Darstellung zeigt die Anzahl der ausgewanderten Personen pro Jahr.
Der erste Riedlingsdorfer, der nachweislich 1902 seine Heimat verließ, war Tobias Zapfel, der im Alter von 31 Jahren von Bremen mit der Kronprinz Wilhelm nach New York fuhr. Der letzte Auswanderer war im Jahre 1930 der 23-jährige Johann Lang. Auch er wählte Bremen als Ausgangspunkt und bestieg dort die Europa, die ihn über den Atlantik brachte. Besonders viele Personen wanderten 1913 (22 Personen), 1922 (18) sowie 1907 und 1923 (jeweils 16) aus. Der Ersten Weltkrieg brachte die Auswanderung natürlich vollkommen zum Erliegen. Verschärfte Einwanderungsgesetze in den USA, von denen auch die Österreicher betroffen waren, führten dazu, dass ab 1923 die Auswanderung aus Riedlingsdorf drastisch zurückging. |
Darstellung nach Altersgruppen
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Die Tabelle zeigt die Anzahl der ausgewanderten Personen pro Altersgruppe. Diese Auswertung zeigt, dass sich das Gros der Auswanderer aus sehr jungen Personen zusammensetzte. Die Löwenanteil hatten natürlich jene Personengruppen, die sich im besten erwerbstätigen Alter (16 bis 45 Jahre) befanden. Etwa 20 Prozent der Auswanderer waren noch Kinder, während sich Senioren nur in Ausnahmefällen darunter befanden.
Die mit Abstand ältesten Personen, die Riedlingsdorf verließen, waren Maria Schuh (62 Jahre) und Tobias Schuh, die 1914 in die USA auswanderten. Es dürfte sich dabei um eine Familienzusammenführung gehandelt haben, weil außerdem noch die jüngere Frau Maria Schuh (39) sowie die Kinder Karoly (8), Janos (12) und Elisabeth (18) an Bord befanden. Der Familienvater dürfte bereits vorher ausgewandert sein und holte nun am Vorabend des Weltkrieges seine Familie nach. |
Darstellung nach Auswandererhäfen
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Die Tabelle zeigt die Anzahl der ausgewanderten Personen pro Auswanderungshafen. Bremen war das beliebteste Ausgangstor für die Fahrt nach Amerika. Mit großem Abstand folgen der französische Hafen von Le Havre und der italienische in Triest. |
Häufig benutzte Schiffe
Die folgende Tabelle zeigt einige der von den Riedlingsdorfern am häufigsten benutzten Schiffen für die Überfahrt:
Hannover, Norddeutscher Lloyd
Kaiser Wilhelm II., Norddeutscher Lloyd
Kaiser Wilhelm der Große, Norddeutscher Lloyd
Kronprinz Wilhelm, Norddeutscher Lloyd
Kronprinzessin Cecilie, Norddeutscher Lloyd
La Provence, Compagnie Générale Transatlantique
Berlin, Norddeutscher Lloyd
Einzelschicksale
- Samuel Arthofer und Leopold Kaippel verließen 1922 den britischen Hafen Southampton an Bord der berühmten RMS Mauretania. Diese war bis 1911 das größte Schiff der Welt und aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit 22 Jahre lang Trägerin des Blauen Bandes.
- Am 24. April 1921 verließ Theresia Kaipel mit ihrer Mutter Theresia Arthofer und ihrem achtjährigen Sohn Johann an Bord des Schiffes Rotterdam den Hafen von Rotterdam. Sie folgten Tobias Kaipel, dem Ehemann von Theresia, der bereits 1913 nach Chicago ausgewandert war. Der 1. Weltkrieg hatte eine frühere Familienzusammenführung verhindert. Die Familie wurde in Sheboygan Falls in Wisconsin seßhaft, wohin Tobias bereits 1921 gezogen war. Im Laufe der 1920er-Jahre gab es in Form von vier Mädchen regen Familienzuwachs. In den 1970er-Jahren erhielt Tobias erstmals Besuch von seiner Riedlingsdorfer Schwester Karoline Tunkl, geb. Kaipel. Dieses Wiedersehen nach 58 Jahren der Trennung fand auch in der lokalen Presse in Wisconsin ihren Niederschlag.[7]
- Therese Schuh bestieg 1925 die Berlin des Norddeutschen Lloyd, ein Schiff, das ein besonders Schicksal haben sollte. Der Jahre später, am 1. November 1928, schrieb der Oberwarter Auswanderer Johann Seidl eine Ansichtskarte mit dem Foto dieses Schiffes an die Familie Spiegel in Riedlingsdorf. Bei seiner Überfahrt mit der Berlin wurde Seidl am 13. November Augenzeuge der Rettung von 23 Passagieren und Besatzungsmitgliedern des am Vortag untergegangenen Passagierschiffes Vestris. Die Berlin wurde nach dem 2. Weltkrieg in der Sowjetunion als Admiral Nachimow in den Dienst gestellt und sank am 1. September 1986 im Schwarzem Meer. Der Untergang kostete 398 Menschen das Leben.[8]
- Gustav Rehberger (1910 - 1995) wanderte 1923 zusammen mit seinen beiden Geschwistern im Rahmen einer Familienzusammenführung nach Amerika aus. Die Kinder wurden von ihren Eltern, Josef und Elisabeth Rehberger, die bereits 1913 und 1920 in die USA eingereist waren, zu ihrem Wohnsitz in Chicago nachgeholt.[9] Gustav gewann im Alter von 14 Jahren ein Stipendium für das Art Institute of Chicago. In der Zeit der Großen Depression arbeitete er als Designer um seine Familie zu unterstützen. Im 2. Weltkrieg diente Rehberger bei der US Air Force. Nach dem Krieg gründete er ein Studio in der Carnegie Hall in New York City, wo er Studenten in verschiedenen Maltechniken unterrichtete. Gustav Rehberger arbeitete in dieser Zeit auch sehr erfolgreich als Werbezeichner für Firmen wie Philipp Morris und als Zeichner von Filmplakaten für Produktionen wie Moby Dick oder Der alte Mann und das Meer mit Spencer Tracy.[10]
Literatur
- Dr. Walter Dujmovits: Die Amerikawanderung der Burgenländer, Burgenländische Gemeinschaft 2012, ISBN 978-3-8442-2374-3.
- Riedlingsdorf 1331–1991, Festschrift zum 660-Jahr-Jubiläum., Herausgeber Gemeinde Riedlingsdorf 1991
- 680 Jahre Marktgemeinde Riedlingsdorf, Ein Spaziergang durch Dorf und Zeit., Herausgeber Marktgemeinde Riedlingsdorf 2011
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Dr. Walter Dujmovits: Die Amerikawanderung der Burgenländer, Verlag Desch-Drexler, Pinkafeld 1992, Seite 211
- ↑ Webseite Bremer Passagierlisten (das Original), abgerufen am 6.8.2014
- ↑ Webseite The Statue of Liberty-Ellis Island Foundation, Inc., abgerufen am 6.8.2014
- ↑ Dr. Walter Dujmovits: Die Amerikawanderung der Burgenländer, Verlag Desch-Drexler, Pinkafeld 1992, Seite 38 und 39
- ↑ Dr. Walter Dujmovits: Die Amerikawanderung der Burgenländer, Verlag Desch-Drexler, Pinkafeld 1992, Seite 44
- ↑ Webseite Beiträge zur Riedlingsdorfer Dorfgeschichte: Spenderverzeichnis 1924 für das Kriegerdenkmal, abgerufen am 9.8.2014
- ↑ 680 Jahre Marktgemeinde Riedlingsdorf, Ein Spaziergang durch Dorf und Zeit., Herausgeber Marktgemeinde Riedlingsdorf 2011, Seite 31
- ↑ 680 Jahre Marktgemeinde Riedlingsdorf, Ein Spaziergang durch Dorf und Zeit., Herausgeber Marktgemeinde Riedlingsdorf 2011, Seite 30
- ↑ Webseite ellisisland.org: Scan Passagierliste mit Einreisedaten Familie Rehberger, abgerufen am 9.8.2014
- ↑ Webseite RoGallery.com: Gustav Rehberger, American (1910 - 1995), abgerufen am 9.8.2014