Amerikawanderung der Riedlingsdorfer

Die Auswanderung der Riedlingsdorfer nach Amerika war Teil der Amerikawanderung der Burgenländer, die als Bestandteil der großen Auswanderungsbewegung gesehen werden muss, welche in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts weite Bevölkerungsteile Europas erfasste. Während die ersten Emigranten bereits um 1850 in Richtung Neue Welt aufbrachen, fand in Riedlingsdorf die Erstauswanderung in Form einer Gruppe von acht Personen 1893 statt.[1] Genauere Hinweise über Auswanderer der Ortschaft finden sich in den Internetarchiven erst ab dem Jahr 1899[2]


Geschichtlicher Hintergrund

 
Das Kriegerdenkmal auf dem Dorfplatz. Die kleinere Oberteil wurde durch Spenden der Auswanderer finanziert.

Das Burgenland existierte Ende des 19. Jahrhunderts in seiner heutigen Form noch nicht, somit bildeten damals die deutschsprachigen Ortschaften den Westteil verschiedener ungarischer Komitate. Sie lagen, wie auch Riedlingsdorf, im Hinterland großer ungarischer Städte wie Sopron oder Steinamanger. Die Hauptkommunikations- und Verkehrswege verliefen nicht so wie im modernen Burgenland in Nord-Süd-Richtung sondern in Ost-West-Richtung. Daher wurden die Gebiete des heutigen Nord- und Südburgenlandes unabhängig voneinander von den Auswanderungswellen erfasst, die von Innerungarn ab 1875 auf die deutschsprachigen Ortschaften überschwappten.[3]

Das Gebiet des jetzigen Bezirkes Oberwart (und somit auch von Riedlingsdorf) wurde von einer derartigen Auswanderungswelle ab 1880 erfasst. Sie war Teil der sogenannten New Immigration, einer Auswanderungsbewegung, welche der aufstrebenden amerikanischen Industrie dringend benötige Arbeitskräfte beschaffte. Diese Industriewanderung führte somit dazu, dass die Riedlingsdorfer Landarbeiter in Amerika zu Industriearbeitern mutierten.[4]

Die ersten acht Auswanderungswilligen verließen 1893 ihre Heimatgemeinde. Danach gab es in der Phase der Vorkriegswanderung (bis 1914) in Riedlingsdorf vor allem zwischen 1905 und 1907 relativ viele Auswanderer. Der absoluten Höhepunkt wurde ausgerechnet 1913, also am Vorabend des 1. Weltkrieges, erreicht. In der Phase der Zwischenkriegswanderung (1919 bis 1924) stieg in den Jahren 1922 und 1923 die Zahl der auswanderungswilligen Riedlingsdorfer wieder auf relativ hohe Werte an. Danach versiegte der Strom der Auswanderer, weil strengere amerikanische Einwanderungsgesetze die Einreise immer mehr erschwerten.

Zunächst hielten die Auswanderer den Kontakt zu den daheimgebliebenen Verwandten aufrecht. So trugen die Auslands-Riedingsdorfer mit ihren Geldspenden wesentlich dazu bei, dass in Riedlingsdorf ein Kriegerdenkmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges errichtet werden konnte.[5] Der 2. Weltkrieg sowie das fortgeschrittene Alter der Auswanderer führten im Laufe der Zeit jedoch dazu, dass so manche Bande zerbrach. Einige neue Kontakte wurden in letzter Zeit wieder von der Enkelgeneration geknüpft, die sich als Ahnenforscher auf Spurensuche begaben. Die rasante Entwicklung des Internets wirkte sich für diese Entwicklung natürlich besonders positiv aus.

Listen und Statistiken

In den einschlägigen Internetportalen lassen sich die Namen von mindestens 236 ehemaliger Einwohner der Gemeinde Riedlingsdorf für den Zeitraum 1899 bis 1934 nachweisen. Das Hauptziel dieser Auswanderer waren bis auf ganz wenige Ausnahmen die USA.

Darstellung nach Auswanderungsjahr

Personen pro Auswanderungsjahr
Jahr Personen
1899
1
1902
1
1903
12
1904
19
1905
17
1906
20
1907
26
1908
4
1909
19
1910
11
1911
1
1912
2
1913
34
1914
12
1921
7
1922
18
1923
18
1924
5
1925
3
1926
2
1927
1
1930
2
1932
1
1934
1
Die nachfolgende Darstellung zeigt die Anzahl der ausgewanderten Personen pro Jahr.

Der erste Riedlingsdorfer Auswanderer, der laut Internetquellen im Jahre 1902 seine Heimat verließ, war Tobias Zapfel, der im Alter von 31 Jahren von Bremen mit der Kronprinz Wilhelm nach New York fuhr. Allerdings gibt es in der einschlägigen Literatur Hinweise, dass die Erstauswanderung in Riedlingsdorf in Form einer Gruppe von acht Personen bereits 1893 stattgefunden hatte.[1]

Den ersten Höhepunkt erreichte die Vorkriegswanderung in den Jahren 1905 bis 1907. Die Menschen wanderten nun nicht mehr einzeln aus sondern in Gruppen bzw. machten sich ganze Familien auf den Weg in die USA. So hatte die Kronprinz Wilhelm, als sie am 26. April 1905 in den Hafen von New York einlief, nicht weniger als sieben Riedlingsdorfer an Bord. Darunter befand sich auch die Familie Zapfel mit zwei Kleinkindern.[6]

Einen absoluten Höhepunkt erreichte die Auswanderung im Jahre 1913. Am Vorabend des 1. Weltkrieges, der 1914 überraschend auf die Menschen in Europa hereinbrechen sollte, benutzen auffällig viele Auswanderer den französischen Hafen Le Harve als Tor nach Amerika. Weiters fällt auf, dass ganze Sippschaften wie eben 1913 Angehörige der Familie Piff den Sprung über den Atlantik wagten.

Der 1. Weltkrieg unterbrach diesen Auswandererstrom, der dann schon kurze Zeit nach Kriegsende wieder ansprang, um 1922 und 1923 nochmals sehr hohe Werte zu erreichen.

Strengere Einwanderungsgesetze in den USA, die auch die Bevölkerung des neu gebildeten Staates Österreich betrafen, führten ab 1924 dazu, dass die Auswanderung aus Riedlingsdorf allmählich zum Erliegen kam.

Der letzte Auswanderer war im Jahre 1930 der 23-jährige Johann Lang. Auch er wählte Bremen als Ausgangspunkt und bestieg dort die Europa, die ihn über den Atlantik brachte.

Darstellung nach Altersgruppen

Personen pro Altersgruppe
Jahr Personen
0 bis 5
13
6 bis 10
15
11 bis 15
11
16 bis 20
36
21 bis 25
39
26 bis 30
26
31 bis 35
16
36 bis 40
8
> 40
11
Die Tabelle zeigt die Anzahl der ausgewanderten Personen pro Altersgruppe. Diese Auswertung zeigt, dass sich das Gros der Auswanderer aus sehr jungen Personen zusammensetzte. Die Löwenanteil hatten natürlich jene Personengruppen, die sich im besten erwerbstätigen Alter (16 bis 45 Jahre) befanden. Etwa 20 Prozent der Auswanderer waren noch Kinder, während sich Senioren nur in Ausnahmefällen darunter befanden.

Die mit Abstand ältesten Personen, die Riedlingsdorf verließen, waren Maria Schuh (62 Jahre) und Tobias Schuh, die 1914 in die USA auswanderten. Es dürfte sich dabei um eine Familienzusammenführung gehandelt haben, weil außerdem noch die jüngere Frau Maria Schuh (39) sowie die Kinder Karoly (8), Janos (12) und Elisabeth (18) an Bord befanden. Der Familienvater dürfte bereits vorher ausgewandert sein und holte nun am Vorabend des Weltkrieges seine Familie nach.

Darstellung nach Auswandererhäfen

 
Österreichisch-Ungarische Auswanderer auf einem Schiff der Austro-Americana in Triest Anfang des 20. Jahrhunderts
Personen pro Auswanderungshafen
Jahr Personen
Antwerpen
1
Bremen
99
Hamburg
13
Kopenhagen
1
Le Havre
26
Rotterdam
13
Southampton
2
Triest
17
Die Tabelle zeigt die Anzahl der ausgewanderten Personen pro Auswanderungshafen. Bremen war das beliebteste Ausgangstor für die Fahrt nach Amerika. Mit großem Abstand folgen der französische Hafen von Le Havre und der italienische in Triest.

Häufig benutzte Schiffe

Den Passagierlisten kann man entnehmen, dass die Riedlingsdorfer Auswanderer insgesamt 51 verschiedene Schiffe benutzten um nach New York zu gelangen.

Die meisten Auswanderer aus Riedlingsdorf überquerten an Bord der Kronprinz Wilhelm des Norddeutschen Lloyds den Atlantik. Die Transporte von insgesamt 22 Riedlingsdorfer durch dieses Schiffes erstreckten sich von 1902 bis 1911 über einen Zeitraum von mehreren Jahren.

Das am zweithäufig benutzte Schiff war die Kaiser Wilhelm der Große, die von 1903 bis 1907 insgesamt 19 Riedlingsdorfer Auswanderer transportierte.

Der größten Einzeltransport wurde durch das Schiff Francesca durchgeführt, das am 19. April 1907 mit 18 Riedlingsdorfer Auswanderern an Bord in den Hafen von New York einlief.

Die folgende Tabelle zeigt einige der von den Riedlingsdorfern am häufigsten benutzten Schiffen für die Überfahrt:

Einzelschicksale

  • Samuel Arthofer und Leopold Kaippel verließen 1922 den britischen Hafen Southampton an Bord der berühmten RMS Mauretania. Diese war bis 1911 das größte Schiff der Welt und aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit 22 Jahre lang Trägerin des Blauen Bandes.
  • Am 24. April 1921 verließ Theresia Kaipel mit ihrer Mutter Theresia Arthofer und ihrem achtjährigen Sohn Johann an Bord des Schiffes Rotterdam den Hafen von Rotterdam. Sie folgten Tobias Kaipel, dem Ehemann von Theresia, der bereits 1913 nach Chicago ausgewandert war. Der 1. Weltkrieg hatte eine frühere Familienzusammenführung verhindert. Die Familie wurde in Sheboygan Falls in Wisconsin seßhaft, wohin Tobias bereits 1921 gezogen war. Im Laufe der 1920er-Jahre gab es in Form von vier Mädchen regen Familienzuwachs. In den 1970er-Jahren erhielt Tobias erstmals Besuch von seiner Riedlingsdorfer Schwester Karoline Tunkl, geb. Kaipel. Dieses Wiedersehen nach 58 Jahren der Trennung fand auch in der lokalen Presse in Wisconsin ihren Niederschlag.[7]
  • Therese Schuh bestieg 1925 die Berlin des Norddeutschen Lloyd, ein Schiff, das ein besonders Schicksal haben sollte. Der Jahre später, am 1. November 1928, schrieb der Oberwarter Auswanderer Johann Seidl eine Ansichtskarte mit dem Foto dieses Schiffes an die Familie Spiegel in Riedlingsdorf. Bei seiner Überfahrt mit der Berlin wurde Seidl am 13. November Augenzeuge der Rettung von 23 Passagieren und Besatzungsmitgliedern des am Vortag untergegangenen Passagierschiffes Vestris. Die Berlin wurde nach dem 2. Weltkrieg in der Sowjetunion als Admiral Nachimow in den Dienst gestellt und sank am 1. September 1986 im Schwarzem Meer. Der Untergang kostete 398 Menschen das Leben.[8]
  • Gustav Rehberger (1910 - 1995) wanderte 1923 zusammen mit seinen beiden Geschwistern im Rahmen einer Familienzusammenführung nach Amerika aus. Die Kinder wurden von ihren Eltern, Josef und Elisabeth Rehberger, die bereits 1913 und 1920 in die USA eingereist waren, zu ihrem Wohnsitz in Chicago nachgeholt.[9] Gustav gewann im Alter von 14 Jahren ein Stipendium für das Art Institute of Chicago. In der Zeit der Großen Depression arbeitete er als Designer um seine Familie zu unterstützen. Im 2. Weltkrieg diente Rehberger bei der US Air Force. Nach dem Krieg gründete er ein Studio in der Carnegie Hall in New York City, wo er Studenten in verschiedenen Maltechniken unterrichtete. Gustav Rehberger arbeitete in dieser Zeit auch sehr erfolgreich als Werbezeichner für Firmen wie Philipp Morris und als Zeichner von Filmplakaten für Produktionen wie Moby Dick oder Der alte Mann und das Meer mit Spencer Tracy.[10]

Literatur

  • Dr. Walter Dujmovits: Die Amerikawanderung der Burgenländer, Burgenländische Gemeinschaft 2012, ISBN 978-3-8442-2374-3.
  • Riedlingsdorf 1331–1991, Festschrift zum 660-Jahr-Jubiläum., Herausgeber Gemeinde Riedlingsdorf 1991
  • 680 Jahre Marktgemeinde Riedlingsdorf, Ein Spaziergang durch Dorf und Zeit., Herausgeber Marktgemeinde Riedlingsdorf 2011

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Walter Dujmovits: Die Amerikawanderung der Burgenländer, Verlag Desch-Drexler, Pinkafeld 1992, Seite 211
  2. Webseite The Statue of Liberty-Ellis Island Foundation, Inc., Suchkriterium: Johann Brunner 1899, abgerufen am 14.8.2014
  3. Walter Dujmovits: Die Amerikawanderung der Burgenländer, Verlag Desch-Drexler, Pinkafeld 1992, Seite 38 und 39
  4. Walter Dujmovits: Die Amerikawanderung der Burgenländer, Verlag Desch-Drexler, Pinkafeld 1992, Seite 44
  5. Webseite Beiträge zur Riedlingsdorfer Dorfgeschichte: Spenderverzeichnis 1924 für das Kriegerdenkmal, abgerufen am 9.8.2014
  6. Webseite The Statue of Liberty-Ellis Island Foundation, Inc., Suchkriterium: Samuel Arthofer 1905, abgerufen am 9.8.2014
  7. 680 Jahre Marktgemeinde Riedlingsdorf, Ein Spaziergang durch Dorf und Zeit., Herausgeber Marktgemeinde Riedlingsdorf 2011, Seite 31
  8. 680 Jahre Marktgemeinde Riedlingsdorf, Ein Spaziergang durch Dorf und Zeit., Herausgeber Marktgemeinde Riedlingsdorf 2011, Seite 30
  9. Webseite ellisisland.org: Scan Passagierliste mit Einreisedaten Familie Rehberger, abgerufen am 9.8.2014
  10. Webseite RoGallery.com: Gustav Rehberger, American (1910 - 1995), abgerufen am 9.8.2014