Der Salzburger Evensong ist eine Adaptierung des choral evensongs aus der anglikanischen Tradition für den deutschsprachigen – zumeist römisch-katholischen bzw. evangelischen – Bereich. Das Konzept für den Salzburger Evensong wurde vom Salzburger Kirchenmusiker, Organisten, Chorleiter und Komponisten Andreas Gassner, Leiter des Kirchenmusikreferates Salzburg, entwickelt – unter theologischer Mitarbeit von Hans Steinwender und Sigrid Rettenbacher.

Grundlegendes

Nach eigenem Erleben von choral evensongs in englischen Kirchen ist in Andreas Gassner der Wunsch gereift, die Faszination und Ästhetik dieser vom mehrstimmigen Gesang des Chores getragenen Liturgie auch dem deutschen Sprachraum zugänglich zu machen. Evensongs, die im deutschsprachigen Bereich angeboten werden, sind meist einfach vom Chor gestaltete Formen des Abendlobs, die allerdings oft die charakteristischen Elemente des anglikanischen choral evensong – wie etwa die mehrstimmigen liturgischen Gesänge – vermissen lassen. So hat sich Andreas Gassner sehr intensiv mit der Tradition des anglikanischen Originals beschäftigt und dessen ästhetischen Anspruch auf das Salzburger Modell übertragen. Der Salzburger Evensong beinhaltet alle Elemente des anglikanischen choral evensong – mehrstimmig vom Chor gesungene liturgische Gesänge, mehrstimmige Psalmvertonungen, Magnificat und Nunc dimittis, Hymnus und Anthem. Er stellt dementsprechend sehr vielfältige Hörerfahrungen und Hörerlebnisse bereit. Auch die Stille, um das Gehörte wirken zu lassen, kommt nicht zu kurz. Im Modell des Salzburger Evensongs ist das gesprochene Wort auf das Notwendigste reduziert. Die gesamte Liturgie wird vom mehrstimmigen Gesang des Chores getragen, dem sozusagen eine verkündende Rolle zukommt. Der Salzburger Evensong wurde bewusst so gestaltet, dass er ohne (geweihten) Vorsteher bzw. ohne Vorsteherin auskommt. Das Modell des Salzburger Evensongs stellt somit ein ästhetisch sehr ansprechendes musikalisch-liturgisches Format dar, mit dem Chöre einen eigenständigen Beitrag zur Gestaltung der Vielfalt des Pfarrlebens leisten können.[1]

Von seinem Ablauf her ist der Salzburger Evensong ein performativer Vollzug des biblisch grundgelegten Verständnisses, dass der Glaube vom Hören kommt (Röm 10,17).[2] Der Chor übernimmt in dieser gesungenen Form der Liturgie die verkündende Funktion. Die Gemeinde erlebt eine Transformation und wird vom aktiven Zuhören bis hin zum gemeinsamen Singen schrittweise in das Geschehen einbezogen. Das Hören eröffnet nicht zuletzt auch eine interessante ökumenische Dimension des Salzburger Evensongs: Dadurch, dass der Salzburger Evensong den choral evensong der anglikanischen Kirche für die römisch-katholische und evangelischen Kirche(n) des deutschen Sprachraums zugänglich macht, leistet er aktiv einen Beitrag zur Ökumene und nähert die Konfessionen in einem liturgischen Format einander an, das seinen historischen Ausgangspunkt gerade in den konfessionellen Spaltungen der englischen Reformation nahm.

Der ansprechende Charakter des Salzburger Evensongs ist auch jenseits der Grenzen von Salzburg auf Anklang gestoßen. Er wurde in verschiedenen Diözesen Österreichs vorgestellt[3] und hat den Chorverband Österreich im Bereich der geistlichen Chormusik zu einem Schwerpunktprojekt „Evensong“ inspiriert[4]. Auch auf der Jahrestagung des Allgemeinen Cäcilien-Verbands für Deutschland in Leipzig wurde das Konzept des Salzburger Evensongs im Jahr 2022 vorgestellt und durchgeführt.

Im August 2024 war Andreas Gassner mit seinem Bischofshofener Kammerchor Vox Cantabilis eingeladen, choral evensongs in der Kathedrale von Canterbury in Großbritannien zu singen. Der ORF begleitete im Rahmen der Sendungsreihe "Orientierung" diese Begegnung des Salzburger Evensongs mit dem anglikanischen Original.[5]

Ablauf des Salzburger Evensongs

(Noten-)Publikationen zum Salzburger Evensong

Im Kirchenmusikreferat Salzburg sind verschiedene Notenpublikationen zum Salzburger Evensong erschienen:[6]

  • Andreas Gassner, Salzburger Evensong: Denn es will Abend werden, (3. Auflage): Dieser Band enthält neben einer theologischen Hinführung zum Salzburger Evensong und Erläuterungen zum Aufbau des Salzburger Evensongs Notenbeispiele und Literaturverweise zu allen Teilen des Salzburger Evensongs. Auch Textvorschläge für die Gestaltung der Lesungen, Fürbitten, des Segens etc. sind enthalten. Der Band umfasst also alles, was zur Durchführung eines Salzburger Evensongs erforderlich ist. Die liturgischen Gesänge sind in verschiedenen Schwierigkeitsgraden sowie in Varianten für gemischten Chor und Frauenchor abgedruckt.
  • Andreas Gassner: Psalmen zum Salzburger Evensong, dieser Band enthält mehrstimmige Psalmvertonungen von Andreas Gassner, die für Salzburger Evensongs rund um das Kirchenjahr verwendet werden können.
  • Thomas Attwood Walmisley, Magnificat und Nunc dimittis (übersetzt von Sigrid Rettenbacher, herausgegeben von Andreas Gassner): Das Magnificat und Nunc dimittis in d-Moll von Thomas Attwood Walmisley sind in der anglikanischen Tradition sehr bekannt und gehören zum Standardrepertoire des choral evensong. In dieser Notenpublikation des Salzburger Kirchenmusikreferates liegen diese Kompositionen nun erstmals in deutscher Übersetzung vor.
  • Sigrid Rettenbacher: Der Glaube kommt vom Hören, Das Modell des Salzburger Evensongs als gesungene Form der Verkündigung, in: Review of Ecumenical Studies 15 (2/2023), 323–347: Der Artikel erläutert theologische Hintergründe rund um den Salzburger Evensong und reflektiert praktische Erfahrungen in der Umsetzung.[7]

Literatur

  • Rezension von Axel Trier zu den Notenpublikationen zum Salzburger Evensong in Gottesdienst (18/2021) (Online)
  • Sigrid Rettenbacher: Salzburger Evensong. Wenn das Hören die Sehnsucht weckt ..., in: Salzburger Volks.kultur (2/2023), 90–93.
  • Sigrid Rettenbacher: Salzburger Evensong. Wenn Klang die Seele zum Hören einlädt ..., in: Chorinfo (2/2023), 16–17.
  • Sigrid Rettenbacher: Singende Kirche. Über den Glauben, der vom Hören kommt, und das Singen als Medium der Verkündigung, in: Singende Kirche 4/2021, 243–248.
  • Sigrid Rettenbacher, Der Glaube kommt vom Hören. Das Modell des Salzburger Evensongs als gesungene Form der Verkündigung, in: Review of Ecumenical Studies 15 (2/2023), 323–347

Weblinks

  • Chorverband Salzburg zum Salzburger Evensong
  • Bericht zum Salzburger Evensong im Rahmen der Kirchenmusikwoche Salzburg 2021
  • Bericht zum Salzburger Evensong im Rahmen der Langen Nacht der Chöre 2024
  • Bericht zur Vorstellung des Salzburger Evensongs am 28. Jänner 2023
  • Bericht zur Vorstellung des Salzburger Evensongs im April 2023
  • ORF-Bericht im Rahmen der Sendungsreihe "Orientierung" über die choral evensongs von Andreas Gassner und Vox Cantabilis in der Kathedrale von Canterbury im August 2024

Einzelnachweise

  1. Andreas Gassner, Salzburger Evensong. ... denn es will Abend werden, Salzburg 32023, 4–5.
  2. Andreas Gassner, Salzburger Evensong. ... denn es will Abend werden, Salzburg 32023, 4, 7–11. Vgl. ausführlicher dazu: Sigrid Rettenbacher: Der Glaube kommt vom Hören. Das Modell des Salzburger Evensongs als gesungene Form der Verkündigung. In: Review of Ecumenical Studies 15 (2/2023), 323–347. Verfügbar unter: Der Glaube kommt vom Hören. Das Modell des Salzburger Evensongs als gesungene Form der Verkündigung (sciendo.com).
  3. U. a. fanden sehr erfolgreiche Fortbildungsveranstaltungen zum Salzburger Evensong in den Diözesen St. Pölten, Graz-Seckau und Gurk-Klagenfurt statt.
  4. Andreas Gassner stellte dafür das Konzept des Salzburger Evensongs im März 2023 auf der CHORup, der Fachtagung des Musikausschusses des Chorverbands Österreich, vor.
  5. Liturgie ohne Priester: Salzburger Evensong in Canterbury. Abgerufen am 15. September 2024.
  6. Noten im Salzburger Kirchenmusikreferat abgerufen am 5. Juli 2024
  7. Der Glaube kommt vom Hören. Das Modell des Salzburger Evensongs als gesungene Form der Verkündigung abgerufen am 5. Juli 2024