Die Jüdische Gemeinde Kobersdorf gehörte zu den Siebengemeinden auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes. Diese jüdischen Gemeinden standen nach 1670 unter dem Schutz der Magnatenfamilie Esterházy und konnten so bis zu ihrer Zerschlagung durch den Nationalsozialismus im Jahr 1938 ein relativ eigenständiges Gemeindeleben entwickeln. Die ersten Juden kamen bereits um 1526[1] nach Kobersdorf, nachdem sie nach der ungarischen Niederlage bei der Schlacht bei Mohács aus Ödenburg vertrieben wurden.[2] Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde binnen weniger Wochen eine 400-jährige geschichtliche Epoche der Gemeinde Kobersdorf für immer zerstört.

Geschichte der jüdischen Gemeinde

Von der Entstehung der Gemeinde bis zur Gründung des Burgenlandes 1921

Die Geschichte der Juden im Burgenland begann in anderen Gemeinden wie Eisenstadt oder Mattersburg schon um einige Jahrzehnte früher. Für die Ansiedlung der Juden in Kobersdorf war die Niederlage der Ungarn gegen die Osmanen verantwortlich, die als nationales Trauma in die Geschichte Ungarns einging und in deren Folge die Juden aus Städten und Festungen vertrieben wurden. Im 16. Jahrhundert dürfte in Kobersdorf eine voll ausgebildete Gemeinde mit Synagoge, Friedhof, Schächter, Schulsinger und Gemeindegericht existiert haben. 1569 lebten 18 jüdische Familien in sieben Häusern. Die Gemeinde war ebenso wie die Wiener Juden vom Vertreibungsdekret von Kaiser Leopold I. betroffen. Die Kobersdorf Juden durften aber gegen Entrichtung von Gebühren unter dem Schutz von Fürst Paul Esterházy und seiner Nachfahren wieder im Dorf leben.[1]

Stationen der Emanzipation der Kobersdorfer Juden waren das Toleranzpatent[3] von Kaiser Joseph II., der Erhalt der ungarischen Staatsbürgerschaft während des Ungarischen Unabhängigkeitskrieges von 1848/49 sowie die endgültige Gleichstellung am 20. Dezember 1867 in Folge des Österreich-Ungarischen Ausgleiches.

Im 19. Jahrhundert galt Kobersdorf wegen des bekannten Mineralwassers als beliebter Kurort unter den Siebengemeinden und die Gemeinde bemühte sich um jüdische Kurgäste. 1860 wurde gegenüber dem Schloss die Synagoge im Stil des Historismus gebaut.[4]

Bevölkerungsentwicklung der jüdischen Gemeinde

 
Die ehemalige Synagoge in Kobersdorf

Die folgende Tabelle zeigt wie viele jüdische Bewohner im jeweiligen Jahr in Kobersdorf lebten. Der Höchststand wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreicht, während es in den 1930er-Jahren noch knapp 200 Juden in Kobersdorf gab.

Jahr Bewohner
1735
184
1836
716
1869
310
1900
327
1910
256
1934
172

Jüdisches Gemeindeleben um 1927

Im Jahr 1927 besuchte der Journalist Otto Abeles die Siebengemeinden und veröffentlichte seine Reiseberichte in Form der Artikelserie Altes und neues Judentum im Burgenland in der Wiener Morgenzeitung.[5] In Heft 2878 vom 3. März 1927[6] beschrieb er seine Eindrücke, die er beim Besuch des Judenviertels von Kobersdorf gewonnen hatte:

Die Schutzjuden von Kobersdorf: Das bedächtige Zügle hält in anmutiger Gegend. Reiche, dichte Waldbestände, im Hintergrund Berge, überragt von der Ruine Landsee, die sich romantisch gegen den Himmel abhebt. Dann Fußwanderung durch ein blitzblankes, ausgedehntes Dorf mit gepflegten Bauernhäusern. Der Weg durch die Gemeinde Weppersdorf zieht sich, das Ziel der Wanderung liegt weit drüben im Tale. Ein ländliches Fahrzeug holt mich ein, nimmt mich auf, ein Reisender mit seinen Musterkoffern sitzt bereits oben. Er stammt aus Kobersdorf und so ergeben sich die ersten Beziehungen zu Schicksal und Menschen dieser siebenten und letzten von den Schiweh-Khilles, welche ich besuche. Der Bauer am Kutschbock duzt den jüdischen Kaufmann, den er von Kindesbeinen an kennt und wendet sich - er hat wohl gehört, dass wir über jüdische Dinge sprechen - ganz unvermittelt an mich: "Wir haben immer gut mit den Juden gelebt und die Juden mit uns. Hier gibt es keine Unterschiede." Mein Nachbar will mich aufklären, dass diese heftig vorgebrachte Bemerkung wohl auf die neuen Versuche Bezug hat, Judenhass zu säen und den wirtschaftlichen Boykott zu organisieren. Ich kann ihn leider unterbrechen und auf meinen bisherigen burgenländischen Erfahrungen hinweisen. Ich bin im Bilde. Überall das nämliche Lied von der antisemitischen Beamtenschaft, von den hakenkreuzlerischen Organen der Verwaltungs-, Finanz- und Polizeibehörden. Es ist immer peinlich, wenn die einfachen Leute ihre freundschaftlichen Beziehungen zu den Juden bekräftigen. Solche Beteuerungen sind schon der Keim des Stimmungswechsels und man muss befürchten, dass die Vorstöße der Antisemiten nicht dauernd den Widerstand der nichtjüdischen Bevölkerung finden...“

„Aber alle trüben Gedanken verscheucht der freundliche Anblick der gar malerisch gelegenen Kehillah Kobersdorf. Wer den Begriff "Schutzjudentum" schon durch die Siedlung der Juden, also durch Anschauungsunterricht erklärt haben will, lasse sich durch die jämmerliche Bahnverbindung nicht abschrecken und gönne sich den Tagesausflug hierher. Da ist eine uralte Burg mit mächtigen Festungstürmen, ein Rundbau aus dem 12. Jahrhundert, ein untersetzter, stämmiger Kraftkerl, tief eingerammt in die Hügellandschaft. Und jenseits des Burggrabens, auf erhöhtem Geländer der Kranz der Judenhäuser, jedes einzelne mit seiner Front der Burg zugewendet. Das altersgraue, bräuende Mauerwerk im Zentrum und der Ring von Judenhäuschen, überragt von der Synagoge und dem Einkehrgasthaus - hier konnten sich die Urgroßväter sich fühlen, hier hatte man sich (für ein tüchtiges Stück Geld natürlich) unmittelbar unter die Obhut des Herren begeben, hier schwebte schützend die eiserne, bewehrte Ritterfaust überm Judendach.“

„Ich trete bei einem der ältesten Kobersdorfer ein. Die Vergangenheit kam beim Anblick der Burg und der um sie gescharten Judenhäuser so nahe, dass ich mich gar nicht wunderte, wenn mir jetzt der Greis vergilbte Dokumente vorzeigt, die er aus dem Schrank holte und welche etwa so lauten: "Schutzbrief, krafft welches Simon Paß, von Kobersdorf gebürtig, als Schutzjud dieser Herrschaft Kobersdorf anerkannt wird." Es folgt in diesem vom Jahre 1819 datierten Schriftstück die genaue Personalbeschreibung des fürstlichen Schutzjuden. Eine feste Burg und weitreichender Schutz! Wenn der Kobersdorfer Jude verreiste, kriegte er einen Pass mit: "...von der hochfürstlichen Esterhazyschen Herrschaft Lackenbach in Nieder-Ungarn reiset Vorzeiger dieses Passes, ein hiesiger Schutzjud aus dem gesunden und von aller Contagion befreyten in der löblichen Ödenburger Gespannschaft liegenden Orte Kobersdorf mit Bewilligung hoher Grundherrschaft von untengesetztem Tage anfangend auf ein halbes Jahr in Handelsgeschäften in die Erbländer..."“

„Es spinnt sich eine Konversation über die Verhältnisse von einst an, soweit sie auf den greisen Hausherrn durch mündliche Überlieferung überkommen ist, wird aber plötzlich unterbrochen, weil ein lange ersehnter Brief des geliebten jüngsten Kindes soeben einlangte. Aus Haifa! Wie das nahe Lackenbachhat auch Kobersdorf seinen ersten Chaluz (Anmerkung: Hebräisch für "Der Pionier") für Erez Israel beigestellt und seine Gattin, eine junge Ödenburger Zionistin, hat ihn dorthin begleitet. Ein froher Brief. Sie schreiben von der herrlichen Bucht von Akko und berichten nachhause von den jüdischen Bauern im Emek. Der alte Mann ist beglückt. Anders als in anderen der sieben Gemeinden wirkt hier der Geist der Vergangenheit zionsfreundlich. Denn von Kobersdorf ist vor vielen Jahren Rabbi Abraham Zwebner nach Palästina gezogen. Seine Erinnerung wird in hohen Ehren gehalten und er hat sich in Kobersdorf mit der von ihm vor seiner Übersiedling nach Erez Israel erbauten Synagoge ein Denkmal gesetzt.“

„Als jüngst der gestrenge Rabbi von Deutschkreutz (Zelem) in Kobersdorf weilte, stellt er entrüstet aus, das Gitter der Frauenabteilung in der neuen Schul' sei nicht undurchsichtig genug und forderte die Balbattim (Anmerkung: Hausbesitzer) auf, ein so dichtes Drahtnetz anzubringen, wie es in Zelem die Frauen vor den Blicken der Männer einwandfrei bewahre. Er kam bei den Kobersdorfer nicht gut an. Sie meinten, wenn dieses Holzgitter ihrem großen Rabbi Abraham Zewbner genügt habe, der in palästinensischer Erde begraben ist, so sei die Absonderung der Frauengalerie durch ein Drahtnetz bestimmt nicht erforderlich. Sie sind einfache Leute, die Kobersdorfer. Eine Khille "prosterer" Juden, meist Viehhändler und Hausierer, die tagsüber auswärts sind oder gar erst vor Sabbateingang (Anmerkung: Freitagabend) nach Hause kommen und wenig Zeit, auch nicht besondere Neigung zum "Lernen" haben. Sie sind fromm und treu, aber lassen sich durch noch frömmere oder gar fanatische von auswärts nicht ins Bockshorn jagen. So wird denn vermutlich die Drohung des Zelemer Rebben, nie wieder nach Kobersdorf zu kommen, wenn man nicht das Holzgitter der Frauenschul' durch ein dichtmaschiges Drahtsieb verstärkt, von ihm erfüllt werden müssen. Die Kobersdorfer dürften kam die gewünschte Änderung in ihrer Synagoge vornehmen, so sehr sie sich auch sonst um jüdische Gäste, insbesondere um Sommergäste bemühen. Das rühmliche Kobersdorfer Sauerwasser, die herrliche würzige Waldluft, die weiten Spaziergänge in die Berge locken nämlich zahlreiche Sommerfrischler hierher, die Bauernhäuser und die jüdischen Wirtsleute sind auf sie eingerichtet, Kobersdorf ist der Kurort unter den "Schewe Khilles". Vom Kranz der Judenhäuschen rings um die alte Burg - die Kobersdorfer tragen den Spitznamen die "Einseitigen", weil die Judengasse einzeilig ist - zweigen strahlenförmig Gässchen ab, ordentlich zweizeilige, die früher zum Judenstädtle gehörten. Der Spitzname, hat also nicht allzulange seine Berechtigung, ist erst begründet, seitdem sich die Khille so ziemlich auf den Häuserbogen am Fuße des alten Schlosses beschränkt. Weit erstreckte sich einst der Bezirk der Gassen und Gässchen, die Kehilla hatte wohl damals den zehnfachen Umfang. Man entnimmt ihn schon aus dem Standort der Erew-Stangen, die freilich auch deshalb weit ins Bauerndorf hinausgerückt wurden, um am Sabbat das Zutragen des köstlichen Wassers vom Saubrunnen zu ermöglichen.“

„Zerrissen, verschüttet alle Verbindungen mit der Vergangenheit auch hier. Wie alt die Judengemeinde ist, geht aus dem Judenschutzbrief Ferdinand I. vom Jahre 1829 hervor. Dort werden die Privilegien einiger Gemeinden, darunter auch die von "Kobelsdorf" erneuert, die sie seit Friedrich III. und Maximilian I. besaßen. Noch ist ein Teil der alten Synagoge erhalten, die einstige Frauenabteilung, in der jetzt die Kobersdorfer jüdische Elementarschule untergebracht ist. Und im Volksmund spricht man noch vom "Oberanger" ohne auch zu wissen, wo sich dieser alte Judenfriedhof befand.“

„Aber ich danke dem Zufall, der mich meine Fahrt durch die jüdischen Siedlungen des Burgenlandes in Eisenstadt der einstige "Metropole" der sieben Gemeinden beginnen und hier enden ließ, auf diesem überraschend eigenartigen Flecken Erde, diesem Waldidyll der winzigen Judenhäusl, die sich aus drohenden, feindlichen Fernen hieher geflüchtet zu haben scheinen, rund um die mächtige sichere Rittersburg. Ich kam nicht als Forscher, wollte nichts, als sehen und hören, mitteilen, was Auge und Ohr aufnehmen. Und anregen, dieses Phänomen, der uralten Judensiedlungen ganz nahe von Wien, nicht unbeachtet zu lassen.“

Zerstörung der Gemeinde 1938

Nach dem Anschluss Österreichs im März 1938 übernahm Tobias Portschy als Gauleiter die Macht im Burgenland. Am 2. April forderte er neben der Lösung der Zigeunerfrage auch die Lösung der Judenfrage, die nun folgende Entwicklung führte dazu, dass eine dreihundertjährige kontinuierliche Entwicklung in wenigen Wochen für immer unterbrochen wurde.[7]

Was nun folgte berichtete im Jahr 2005 der Präsident des Bundesrates Georg Pehm in einer Rede anläßlich einer Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus im Parlament:[7]

„Dort haben eines Tages vor dem Krieg Kinder aus dem Dorf auf einer Mauer sitzen und mitansehen müssen, wie jüdische Bürgerinnen und Bürger aus Kobersdorf gedemütigt, verspottet und misshandelt wurden. Noch waren die Juden aus ihrem Heimatort nicht vertrieben und eigentlich wollten sie bleiben. Aber dann, irgendwann, waren auch sie, die Juden aus Kobersdorf, endgültig weg. Alle 172.“

Ein Teil der jüdischen Bewohner wurden am 13. April 1938 ebenso wie ihre Glaubensbrüder aus Lackenbach und Deutschkreutz in offenen Lastwagen nach Wien gekarrt. Die Autos fuhren dabei durch Mattersburg, um die dort lebenden Juden ein abschreckendes Beispiel zu geben.[8] Im Juli und August verließen die letzten Juden Kobersdorf in Richtung Wien.[9]

Opferbilanz

Allgemeine Informationen

 
Deportation österreichischer Juden aus Wien.

Die Burgenländische Forschungsgesellschaft hat aus verschiedenen Quellen Daten über die burgenländischen Opfer des Holocausts ermittelt und mit diesen Informationen eine Datenbank erstellt.[10]

In der Datenbank findet man unter anderen folgende Informationen:[11]

  • Die Datenbank enthält Informationen über 88 Personen, welche einen Bezug zu Kobersdorf haben. Dieser Bezug bestand entweder durch die Geburt in diesem Ort oder einen Zweitwohnsitz oder dem Besitz von Immobilien.
  • 78 dieser Personen waren gebürtige Kobersdorfer. Wie viele von ihnen 1938 direkt aus Kobersdorf vertrieben wurden, lässt sich nicht ermitteln.
  • Die Datenbank umfasst die Namen von 38 Männern und 49 Frauen, von einer Person ist das Geschlecht nicht ersichtlich.
  • Eine Person fiel dem Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten zum Opfer und wurde in Schloss Hartheim umgebracht.
  • Etwa 60 Prozent der Personen war älter als 60 Jahre, weniger als 10 Prozent waren jünger als 20 Jahre. Dies könnte daraufhin deuten, dass die jüngeren Juden die Flucht in Länder wie den USA oder Palästina wagten, während die älteren Menschen zurückblieben. Das älteste Opfer war Leni Schlosser, die 1854 in Kobersdorf zur Welt kam, und am 30. August 1942 im KZ Theresienstadt im Alter von 88 Jahren verstarb.
  • Bei 65 Menschen wurde eine Wiener Adresse als letzte bekannte Adresse angegeben. Die meisten dieser Adressen befinden sich im 2. Bezirk (Leopoldstadt). Damit ist auch in dieser Hinsicht die Vertreibung der Juden aus Kobersdorf belegt, die 1938 ihren Wohnort verlassen mussten und in Wien auf die Wohltätigkeit ihrer Glaubensbrüder angewiesen waren.
  • Aus den Daten lässt sich auch die Perfektionierung der Methoden des Völkermordes durch die Nationalsozialisten herauslesen. Während die ersten Deportationen 1939 noch in der Absicht erfolgten, ein Lager im besetzten Teil von Polen durch Juden errichten zu lassen, kam es im Jahr 1941 zur nächsten Steigerung im perfiden Mordplan der Nazis. Nun waren die Ghettos des Osten das Ziel der Transportzüge. Über das weitere Schicksal der Menschen in diesen Ghettos finden sich in der Datenbank keine Informationen.
  • Viele der alten Menschen wurde zuerst in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und von dort Monate später in die Vernichtungslager.
  • Den Daten kann auch entnommen werden, dass einige Kobersdorfer Juden von Wien in den Westen flüchten konnten. Aufgrund der militärischen Erfolge der Deutschen wurden aber auch sie Opfer der Holocausts. Diese Menschen landeten zuerst in Sammellagern in den betreffenden Ländern und wurden dann nach Auschwitz deportiert, wo sie entweder sofort umgebracht wurden oder als Arbeitssklaven noch eine Galgenfrist eingeräumt bekamen.

Die folgende Tabelle zeigt die Anzahl der Kobersdorfer Opfer, die im jeweiligen Jahrzehnt geborenen wurden. Auffällig ist der hohe Anteil alter Menschen. Dies könnte daraufhin deuten, dass es den jüngeren Juden gelungen war, sich in Länder wie die USA oder Palästina abzusetzen, während die gebrechlichen Menschen diese Strapazen nicht mehr auf sich nehmen wollten oder konnten.

Zeitraum Personen
1850-1859
2
1860-1869
6
1870-1879
25
1880-1889
19
1890-1899
12
1900-1909
10
1910-1919
5
1920-1929
7

Informationen zu den Deportationen

 
Das belgische Sammellager Mechelen/Malines, die Dossin-Kaserne, war für mehrere Kobersdorf Juden der Ausgangspunkt ihrer Deportation in das KZ Auschwitz.

Aus den Daten der Opferdatenbank wurde nachfolgende Übersichtstabelle erstellt, von wo aus die Transporte starteten (= Spaltenüberschrift) und wohin sie gingen (Bezeichnung der Zeile).

Die Daten zeigen folgende Informationen über die unterschiedlichen Deportationswege und Phasen des Völkermordes:

  • Am 20. und 27. Oktober 1939 wurden drei Kobersdorfer Juden in Transportzügen nach Nisko deportiert, um dort ein Barackenlager zu errichten. Diese Nisko-Plan genannte Phase war, trotz ihres Scheiterns, für den späteren Organisator des Holocausts, Adolf Eichmann, ein weiterer Schritt hin zum Völkermord.
  • Im Frühjahr 1941 trat die Vernichtung der Juden in eine neue Phase ein, indem es zur Einrichtung von Ghettos im eroberten Polen, dem sogenannten Generalgouvernement, kam. Dies lässt sich auch in der Opferdatenbank nachvollziehen, denn am 18. Februar wurden drei Kobersdorfer Juden in das Ghetto Kielce deportiert, acht weitere Anfang März nach Modliborzyce und Lagow.
  • Nach dem Angriff auf die Sowjetunion wurden ab Sommer 1941 auch Ghettos in den eroberten Gebieten eingerichtet. Es folgten weitere Transporte Kobersdorfer Juden in das Ghetto Litzmannstadt/Lodz sowie in Ghettos im besetzten Teil der Sowjetunion wie zum Beispiel jenes von Riga. Eine 80-jährige und eine 63-jährige ehemalige jüdische Bewohnerin von Kobersdorf wurden im November 1941 unmittelbar nach ihrer Deportation nach Kowno ermordet. Der Holocaust hatte eine weitere Stufe des Wahnsinns erreicht.
  • Am 20. Jänner 1942 trafen sich in Berlin hochrangige Vertreter des nationalsozialistischen Staates zur Wannseekonferenz, wo unter anderem bestimmt wurde, das Konzentrationslager Theresienstadt als Altersghetto einzurichten. Im Laufe des Jahres wurden 19 ehemalige ältere jüdische Bewohner von Kobersdorf dorthin verlegt, wobei sechs von ihnen dort im Laufe den nächsten Monate verstarben. Sieben dieser Personen überstellte man in das Vernichtungslager Treblinka, wo sie nach ihrer Ankunft ermordet wurden. Die noch übrig gebliebenen Kobersdorfer Juden wurden 1943 bzw. von Theresienstadt nach Auschwitz überstellt, wo auch sie zu Tode kamen. Die Mordmaschinerie der Nationalsozialisten lief nun auf Hochtouren.
  • Weitere Deportationszüge brachten ehemalige Kobersdorfer Bewohner 1942 in das Vernichtungslager Maly Trostinez (sechs Personen), ins Ghetto Izbica (zwei Personen) und nach Auschwitz (13 Personen). Die meisten dieser nach Auschwitz deportierten Kobersdorfer Juden hatten 1938 die Flucht aus Wien in den Westen geschafft. Durch den siegreichen Westfeldzug der Wehrmacht 1940 wurden sie aber von der Mordmaschinerie der Nationalsozialisten wieder eingeholt und wurden nun über das französische Sammellager Drancy, das belgischen Sammellager Mechelen/Malines oder das niederländischen Durchgangslager Westerbork nach Auschwitz deportiert.
  • In den Jahren 1943 und 1944 wurden nur noch einzelne in den Westen geflüchtete Kobersdorfer Juden aus Belgien und Frankreich nach Auschwitz deportiert. Wien war zu diesem Zeitpunkt schon weitgehend judenfrei, wie der gebürtige Burgenländer Alois Brunner, ein Scherge von Adolf Eichmann, es bereits im Oktober 1942 vermeldete hatte.

Bei der nachfolgenden Tabelle zeigt den Startpunkt der Deportation (= Spaltenüberschrift) und das Ziel (Bezeichnung der Zeile). Theresienstadt ist sowohl Ziel als auch Ausgangspunkt einer Deportation (=Überstellung). Über das Schicksal der Menschen, welche in die Ghettos deportiert wurden, gibt es in der Datenbank keine Informationen.

Ziel Wien Drancy Lyon Malines Sopron Westbork Zilina Theresienstadt Summe
Nisko (Lager)
3
3
Izbica (Ghetto)
2
2
Kielce (Ghetto)
3
3
Kowno (Ghetto)
2
2
Lagow (Ghetto)
2
2
Lodz (Ghetto)
4
4
Minsk (Ghetto)
6
6
Modliborzyce (Ghetto)
6
6
Opole (Ghetto)
1
1
Auschwitz (KZ/VL)
1
6
7
1
2
6
23
Bergen-Belsen (KZ)
1
1
Theresienstadt (KZ)
19
1
20
Maly Trostinec (VL)
6
6
Sobibor (VL)
1
1
Treblinka (VL)
7
7
Summe:
55
7
1
7
1
1
2
13

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Jüdische Gemeinde Kobersdorf, Webseite www.vhs-burgenland.at, abgerufen am 8. Februar 2015
  2. Markus Brann: Geschichte Der Juden und Ihrer Literatur, Seote 251,
  3. Universität Graz - Toleranzpatent für die Juden in Wien und in Niederösterreich, Webseite www.jku.at, abgerufen am 6. Februar 2015
  4. Österreichisches Jüdisches Museum - Gemeinde Kobersdorf, Webseite www.ojm.at, abgerufen am 9. Februar 2015
  5. Wiener Morgenzeitung, Webseite www.wien.gv.at, abgerufen am 12. Februar 2015
  6. Goethe Universität Frankfurt am Main - Wiener Morgenzeitung 1927, Webseite sammlungen.ub.uni-frankfurt.de, abgerufen am 12. Februar 2015
  7. 7,0 7,1 Österreichisch Jüdisches Museum - Jüdische Gemeinden des Burgenlandes, Webseite www.ojm.at, abgerufen am 10. Februar 2015
  8. ZELEM - Die jüdische Gemeinde Deutschkreutz - Dokumentation, Webseite www.misrachi.at, abgerufen am 9. Februar 2015
  9. ZERSTÖRTE JÜDISCHE GEMEINDEN, Webseite www.erinnern.at, abgerufen am 6. Februar 2015
  10. Die burgenländisch-jüdischen Opfer der NS-Zeit, Webseite www.forschungsgesellschaft.at, abgerufen am 6. Februar 2015
  11. Burgenländische Forschungsgesellschaft: Opferdatenbank abgerufen am 12. Februar 2015