Geschichte der Juden im Burgenland

Die Geschichte der Juden im Burgenland nahm in der österreichischen Geschichte des Judentums eine Sonderstellung ein. Dies lag an der besonderen geographischen Lage dieses Bundeslandes, dessen Geschichte als Teil Westungarns sich somit unter anderen politischen Rahmenbedingungen entwickeln konnte als jene des Restes von Österreich. Für die jüdische Geschichte hatte dies zur Konsequenz, dass im Burgenland Juden in zehn Gemeinden über drei Jahrhunderte hinweg in relativer Ruhe leben konnten, während sie im österreichischen Teil der Habsburgermonarchie immer wieder Vertreibungen und anderen Schikanen ausgesetzt waren.

Das blühende Leben in diesen Gemeinden endete jäh im Jahre 1938 nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Von den etwa 4000 burgenländischen Juden fiel ungefähr ein Drittel dem Holocaust zum Opfer, den beiden anderen Dritteln gelang die Flucht nach Israel, Australien oder in die USA. Für die meisten war es eine Flucht ohne Wiederkehr, sodass heute nur mehr verlassene Friedhöfe und Synagogen an diesen Teil burgenländischer Geschichte erinnern.

Die Zeit vor 1670

 
Fiktive Darstellung eines Hostienfrevels (Detail): Ein Jude sticht mit einem Dolch in eine Hostie mit der Prägung des Antlitzes Jesu Christi ein, die Blut verliert. Daneben Hostien mit anderen Christussymbolen, darunter das Nomen sacrum und das Lamm GottesPassau 1477

Die ersten Wurzeln des jüdischen Lebens im Burgenland reichen bis in das 13. Jahrhundert zurück.[1] In diese Zeit fiel auch das Fridericianum von Herzog Friedrich im Jahre 1244, das die Rahmenbedingungen des jüdischen Lebens in Österreich regelte. Auch verschiedene Herrscher aus dem Hause Habsburg wie Rudolf I. oder Albrecht II. setzten ihre Judenpolitik in diesem Sinne fort. [2] Allerdings wuchs unter der Bevölkerung auch bald Neid und Missgunst, die in verschiedenen Vertreibungswellen im österreichischen Teil des Habsburgerreiches gipfelten. Zwischen diesen Höhepunkten der Gewalt kam es in den österreichischen Städten und Dörfern immer wieder zu einem kurzzeitigen Aufblühen jüdischen Lebens:[2]

Im Zuge dieser Vertreibungswellen gelangten immer wieder einzelne jüdische Familien nach Westungarn, wie zum Beispiel bei der Vertreibung um 1500 unter Kaiser Maximilian I.. Aber auch hier gestaltete sich ihr Leben vorerst nicht besser als in den österreichischen Ländern. Phasen der Vertreibung durch den Kaiser oder dem jeweiligen Grundherrn wechselten sich mit Phasen der Toleranz ab. Erst der Aufstieg des Hauses Esterházy verbesserte ihre Situation nachhaltig.[3] Trotz dieser widrigen Umständen bildeten sich im Lauf der Zeit in einigen Dörfern jüdische Gemeinden, deren Existenz sich in Urkunden nachweisen lässt:[3]

Gründung der Siebengemeinden um 1670

 
Paul Fürst Esterhazy (1635–1713)

Ein besonders wichtiges Ereignis in der Geschichte der jüdischen Gemeinden des Burgenlandes war die 1669 einsetzende Vertreibung der Wiener Juden unter Kaiser Leopold I.. Wieder hatte das jüdische Leben in Österreich sein Ende gefunden. Ein Teil der Juden wanderte in die Mark Brandenburg aus, andere gingen nach Böhmen oder Mähren.[2] Eine direkte Auswanderung nach Westungarn scheuten hingegen viele wegen der Türkengefahr. So kamen etwa 50 der nach Mähren ausgewanderten Juden erst im Jahre 1675 nach Eisenstadt, nachdem Fürst Paul Esterházy sich bereit erklärt hatte sie aufzunehmen.[3]

Paul Esterházy machte dies nicht aus humanitären Gründen sondern für ihn standen wirtschaftliche Interessen im Vordergrund. Aber auch die Juden profitierten von den Maßnahmen des Fürsten. So stellte er für die Judengemeinden Schutzbriefe aus, in denen der Status der jüdischen Gemeinden sowie die Rechte und Pflichten der Untertanen bis in kleinste Detail festgeschrieben waren. Die Juden bezahlten der Familie Esterházy Schutzgebühren für die ihnen eingeräumten Rechte und nannten sich stolz Hochfürstlich Esterházy Schutzjuden.[4] Die Schutzbriefe erloschen auch nicht mit dem Tode des Grundherrns sondern wurden bei jedem Herrscherwechsel erneuert. Diese langfristig günstigen Rahmenbedingungen förderten natürlich die Entwicklung des jüdischen Lebens und erzeugten bei den Gemeindemitgliedern im Laufe der Zeit Gefühle der Sesshaftigkeit und der Heimatverbundenheit[3], sodass die nun im Land siedelnden 3000 Juden die sogenannten Siebengemeinden (hebräisch Scheva Kehillot) bildeten:

Unter diesen günstigen Rahmenbedingungen entwickelte sich ein ungestörtes Kommunal-, Wirtschafts- und Geistesleben. Es gab eine jüdische Verwaltung und Gemeindeorganisation mit Ärzten, Hebammen, Schächtern und anderen Berufen. Außerdem wurde den jüdischen Gemeinden auch die Niedere Gerichtsbarkeit übertragen.[1] In weiterer Folge wurden jüdische Friedhöfe angelegt und Synagogen gebaut.[3]

Die Gemeinden, vor allem jene in Eisenstadt profitierten auch vom Wirken des Samson Wertheimer, der zum wichtigsten Kreditgeber Kaiser Leopold I. aufstieg. Die Eisenstädter Juden wählten Wertheimer am 4. Oktober 1693 zu ihrem Rabbiner, der zwar aufgrund seiner umfangreichen Geschäfte dieses Amt selbst nur sehr selten ausübte, mit seinen außergewöhnlichen Beziehungen aber viel für die jüdischen Gemeinden erreichen konnte. Wertheimer tat dies nicht ganz selbstlos, denn er erhielt in weiterer Folge auch das Rabbineramt für alle Gemeinden im Herrschaftsbereich der Esterházys und wurde schließlich durch den Kaiser zum Landesrabbiner von Ungarn ernannt.[3]

Neben diesen Fürstlich Esterházyschen Gemeinden gab es ab ca. 1720 noch die Gräflich Esterházysche Gemeinde Gattendorf, die aufgrund von Abwanderung 1885 an die jüdische Gemeinde von Kittsee angeschlossen wurde.

Gründung der jüdischen Gemeinden im Herrschaftsbereich der Familie Batthyány

Auch in den Gebieten, die heute das südliche Burgenland bilden, siedelten sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts jüdische Familien an. So wohnten im Jahre 1697 in Stadtschlaining, das damals zum Herrschaftsgebiet der Familie Batthyány gehörte, 55 Juden. Ähnlich wie die Familie Esterházy im Norden war auch die Magnatenfamilie Batthyány den Juden wohlgesinnt und stellte für die jüdischen Gemeinden von Schlaining, Rechnitz und Güssing entsprechende Schutzbriefe aus. Zusätzlich zu diesen heute zum Burgenland gehörenden Städten entstanden auch noch in den ungarischen Städten Körmend und Groß-Kanisza entsprechende Gemeinden.[1] Wann diese Ausstellung genau erfolgte, kann aus den verschiedenen Quellen nicht eindeutig abgeleitet werden. Die Angaben reichen von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts[5][6] bis zu Mitte des 18. Jahrhunderts.[4]

Toleranzpatent Josef II. 1782/83

 
Kaiser Joseph II. 1775

Während unter Kaiserin Maria Theresia die Judenpolitik noch zwischen den Extremwerten gänzliche Abschaffung des Judentums in Österreich und der Erlaubnis Fabriken mit christlichen Arbeiter betreiben zu dürfen schwankte[2], setzte ihr Sohn Joseph II. richtungsweisende Reformschritte, die bis in unsere Zeit nachwirken. In seinen Toleranzpatenten regelte er nicht nur die Rechte und Pflichten der Protestanten sondern auch die Juden erhielten an die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten angepasste Patente. Während der Status der Wiener und niederösterreichischen Juden bereits am 2. Jänner 1782[7] festgeschrieben wurde, trat das Toleranzpatent für die ungarischen Juden erst am 31. März 1783 in Kraft.[8] Die Juden waren nach wie vor Menschen 2. Klasse, denn das Bürgerrecht blieb ihnen verwehrt, aber sie konnten nun jedes Gewerbe ausüben und außerhalb ihrer Ghettos wohnen.

Aus Schutzjuden werden ungarische Staatsbürger

Das Verhältnis zwischen den Bewohnern der Städte und Dörfer zu ihren jüdischen Mitbewohnern verlief nicht immer harmonisch sondern war oft von Missgunst und Vorurteilen geprägt. Im Jahre 1819 entlud sich der Zorn in den sogenannten Hep-Hep-Unruhen, welche von Würzburg auf andere Städte Mitteleuropas übergriffen und auch in Wien und Graz zu Ausschreitungen führten.[9]

Im ungarischen Teil des Habsburgerreiches brachte die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bedeutete Fortschritte für die Emanzipierung der Juden aber auch herbe Rückschläge. Im Zuge des Ungarischen Unabhängigkeitskrieges von 1848/49 stellten sich die Juden auf die Seite der Ungarn und erhielten dafür die Staatsbürgerschaft.[1] Da dieser Aufstand gegen die Habsburger scheiterte, wurden sie mit einer hohen finanziellen Kollektivstrafe belegt. Der dafür aufgebrachte Betrag wurde den Juden 1856 in Form eines Wohltätigkeitsfonds wieder rückerstattet.

Der ungarische Aufstand hatte aber auch unmittelbare Auswirkungen auf das Leben die jüdischen Gemeinden, wie der Chronik der jüdischen Gemeinde Deutschkreutz zu entnehmen ist:

„Das Revolutionsjahr 1848 brachte auch in Deutschkreutz Unruhe mit sich. Nach der Schlacht an der Mur am 6. Oktober schlug der kroatische Banus Jelačić mit 70.000 Mann bei Ungarisch Altenburg das Lager auf. 20.000 davon marschierten dann über die Fluren von Pamhagen gegen Sopronlövö und Güns zu. Um sie auf dem Marsch aufzuhalten, wurden die mit Gabeln, Hacken und Sensen bewaffneten ungarischen Nationalgardisten in Deutschkreutz mittels Glockenalarm nach Sopronlövö befördert. Die disziplin- und führerlosen Burschen zeigten aber wenig Mut. Nach dem ersten Kanonendröhnen der Kroaten warfen sie alle die Waffen weg, kehrten um, fingen an zu laufen und liefen, bis sie Deutschkreutz erreicht hatten.“

Misrachi Österreich: ZELEM - Die jüdische Gemeinde Deutschkreutz[3]
 
Ethnografische Karte der Länder ungarischen Krone 1880

Trotz dieser Rückschläge war die endgültige Gleichstellung der Juden nur mehr eine Frage der Zeit, welche schließlich am 20. Dezember 1867 in Folge des Österreich-Ungarischen Ausgleiches auch tatsächlich geschah. Sie waren nun normale Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten. Als 1875 die Magyarisierungspolitik der ungarischen Regierung einsetzte, hatte dies auch Auswirkungen auf das Leben in den jüdischen Gemeinden, so musste die jüdische Volksschule von Deutschkreuz 1879 wie alle anderen Schulen Ungarisch als Unterrichtssprache einführen.[3]

Magyarisierungsbestrebungen hatten sich bereits beim "Ungarisch-jüdischen Kongress" (1868/69) bemerkbar gemacht, dessen es Ziel war, das jüdische religiöse Leben in Ungarn neu zu regeln. Die dort mehrheitlich vertretenen Vertreter des Liberalen Judentums waren Anhänger dieser Politik. Die Gräben zwischen ihnen und den orthodoxen Juden waren aber schon so tief, dass die Orthodoxen den Kongress vorzeitig verließen und eine eigene Gemeindeorganisation gründeten. Das ungarische Judentum war somit gespalten. Die Siebengemeinden im heutigen Nord- und Mittelburgenland schlossen sich den Orthodoxen an, zumal die Jeschiwa von Eisenstadt und der Rabbiner von Deutschkreutz, Menachem Katz-Proßnitz, wichtige Vertreter dieser Glaubensströmung innerhalb des Judentums waren.[3]

1895 erließ die ungarische Regierung ein Gesetz, das den jüdischen Glauben dem christlichen gleichsetzte. Dadurch ebnete sie den Weg für staatliche Subventionen von jüdischen Gemeinden, die auch weiterhin gewährt wurden, als die Gemeinden 1921 zu Österreich kamen. Dies war insofern bemerkenswert, weil im österreichischen Teil der Monarchie das 1890 erlassene Österreichische Israelitengesetz keine finanziellen Unterstützungen für jüdische Gemeinden vorsah.[1]

Landnahme des Burgenlandes und Zwischenkriegszeit

Der Erste Weltkrieg forderte auch unter den Männern der jüdischen Gemeinden seinen Blutzoll. Allein Deutschkreutz hatte 18 Gefallene unter seinen Bewohnern jüdischen Glaubens zu verzeichnen.[3] Nach dem Ende des Krieges bekam Österreich nach langem Ringen die deutschsprachigen Teile der westungarischen Komitate zugesprochen, die 1921 zum Burgenland zusammengefasst wurden.

Zu Österreich gehörten nun auch die Siebengemeinden des Nord-und Mittelburgenlandes sowie die jüdischen Gemeinden von Schlaining, Rechnitz und Güssing im Südburgenland. Sie erhielten den Status von autonomen Israelitischen Kultusgemeinden in denen das jüdische Leben weiter unbehindert seinen Lauf nahm. Der Schriftsteller und Journalist Joseph Roth setzte den jüdischen Gemeinden mit dem Artikel Reise durch das Heinzenland, der am 9. August 1919 in der Zeitung der Neue Tag erschien, ein Denkmal, in dem er den Rabbiner von Deutschkreutz über den Alltag in den Siebengemeinden berichten ließ. Neben den religiösen Einrichtungen gab es auch gesellschaftliche Initiativen wie Frauen-, Wohltätigkeits-, Spar- und Fortbildungsvereine. Im Mattersburg existierte der Verein der israelitischen freiwilligen Feuerwehr, der eine Konkurrenz zur christlichen Feuerwehr darstellte und sich mir sogar in Wettkämpfen maß.[1]

1930 musste die Kultusgemeinde Schlaining aufgelöst werden, weil die meisten Juden in das benachbarte Oberwart abgewandert werden. Es entstand stattdessen die IKG Oberwart, welche die verbleibenden Juden in Schlaining mitbetreute. Insgesamt wohnten im Jahr 1934 noch etwa 4000 Juden in den Dörfern und Städten des Burgenlandes.[1]

Die Zerstörung der Gemeinden durch den Nationalsozialismus

 
Tobias Portschy

Die Auslöschung des jüdischen Lebens im Burgenland ist eng mit der Person von Tobias Portschy verknüpft. Nach dem Anschluss Österreichs übernahm er als Gauleiter die Macht im Burgenland. Am 2. April forderte er neben der Lösung der Zigeunerfrage auch die Lösung der Judenfrage, die nun folgende Entwicklung führte dazu, dass eine dreihundertjährige kontinuierliche Entwicklung in wenigen Wochen für immer unterbrochen wurde.[4]

Erste judenfeindliche Ausschreiten folgten bereits wenige Tage nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht. In Deutschkreutz wurden Häuser der Juden mit Steinen beworfen und angesehene Gemeindemitglieder verhaftet. Die Deutschkreutzer Juden mussten binnen zwei Wochen ihre Häuser räumen und Hab und Gut zurücklassen. Sie wurden gezwungen, Erklärungen unterschreiben, dass sie die Ausreise wünschten. Es kam zu einer wilden Arisierung durch Parteimitglieder der NSDAP, Mitläufer und nichtjüdischen Bewohnern, die sich am Vermögen der vertriebenen Juden bereicherten, später zu einer systematischen Enteignung durch die Dienststellen des nationalsozialistischen Staates.[10] Zur Abschreckung wurden die meisten Juden von Kobersdorf, Lackenbach und Deutschkreutz auf offenen Lastautos durch Mattersburg, um die dort lebenden Juden einzuschüchtern, nach Wien transportiert und dort mitten in der Nacht vor einer orthodoxen Synagoge ausgeladen. Völlig mittellos waren sie nun auf die Barmherzigkeit ihrer Wiener Glaubensbrüder angewiesen, von denen sie in provisorischen Quartieren untergebracht wurden.[11]

Wie auf die Menschen diese brutalen Vorgänge wirkten, zeigt eine Aussage von Marietta Fluk[12], die als Sechsjährige miterleben musste, wie ihre Familie aus Schlaining vertrieben wurde:[13]

„In Schlaining habe ich meine frühe Kindheit verbracht. Ich war sechs Jahre alt, als wir wegmussten. Eine Erinnerung habe ich: als Nazis in Uniform kamen und an die Haustür schlugen. Meine Mutter sagte, ich solle kein Wort sagen. Sie drangen ein und durchsuchten das Haus. Ich weiß noch, dass wir bald darauf Schlaining verließen, nach Wien gingen und von dort in die USA ...“

Besonders für die alten Leute war die Situation besonders schwer zu verkraften, wie die Holocaust-Überlebende Alice Latzer aus Güssing berichtete:[14]

„Mein Großvater, der in Güssing mit 83 Jahren noch immer gearbeitet hatte, wurde auf einmal ein wirklich alter Mann. Er war bis dahin sehr aktiv, ein gesunder Mensch. Er konnte das überhaupt nicht fassen, warum man ihm das Geschäft weggenommen hat, das verstand er nie.[...] Er ist in Wien immer in einem Park spazieren gegangen, aber er ist sich vollkommen verloren vorgekommen. In seinem Geschäft hatte er immer gearbeitet, das war sein Zuhause, dort war er geboren, wie sein Vater und sein Großvater. Eines Tages kommt er vom Spaziergang früher zurück als sonst und ich frage ihn: "Opapa, warum kommst du schon zurück?" Hat er gesagt: "Stell dir vor, auf der Bank, wo ich immer gesessen bin, ist gestanden: Verboten für Juden" [...] Er erlitt bald einen Schlaganfall, bevor wir weggefahren sind, sagte er: "Schau dir deinen Opapa gut an, du wirst ihn nie wieder sehen."“

Neben diesen hässlichen Erscheinungen gab es aber auch Episoden, in denen die Menschlichkeit über den Wahnsinn des Rassenwahn siegte, wie Marietta Fluk in einem Interview im Jahre 2001 erzählte:[6]

„Und ich darf sagen, dass meine Mutter mir über all die Jahre gesagt hat, dass wir ohne die Hilfe ihrer Christen-Freunde in Schlaining nicht weggekommen wären. Ich glaube nicht, dass meine Mutter böse Gedanken hatte, ich glaube, sie hatte traurige Gedanken, weil sie ihre einzige Heimat, die sie jemals gehabt hat, verlassen und alles hinter sich lassen musste, aber wir sind weggekommen. Wir haben einige aus unserer Familie verloren, die nicht wegkamen. Ich glaube nicht, dass meine Mutter schlecht über die Stadt, über Schlaining, dachte. Es waren ihre Christen-Freunde hier in Schlaining, die uns herausgeholfen haben. Sie dachte nur Gutes und sagte nur Gutes über die Menschen hier. Sie wäre sicher hierher zurückgekommen, wenn sie die Möglichkeit und das Geld gehabt hätte. Wenn sie länger gelebt hätte, vielleicht hätten wir gemeinsam diese Reise nach Schlaining gemacht. Nein, sie dachte nicht schlecht über die Menschen hier. Es war nicht die Schuld der Stadt, was hier passiert ist“

Laut einer Meldung der Israelitischen Kultusgemeinde Wien befanden sich am 17. Juni 1938 799 burgenländische Juden in Wien. Sie kamen vor allem aus den Gemeinden Deutschkreutz, Lackenbach und Rechnitz. Im Juli und August folgten ihnen die Glaubensbrüder aus Frauenkirchen und Kobersdorf. Die Mattersburger Juden mussten im September ihre Häuser verlassen und als Letzte verließen die Eisenstädter Juden im Oktober 1938 ihre burgenländische Heimat.[10] Als Gauleiter Portschy im November das Burgenland als ersten Gau als judenfrei melden konnte, befanden sich 1700 burgenländische Juden in Wien. Vielen von ihnen gelang es nicht mehr, ins Ausland zu flüchten. Sie wurden ab Frühjahr 1941 in die Konzentrationslager des Ostens deportiert und dort ermordet.[10]

Opferbilanz

 
Deutsche Ghettos für Juden in Polen und Osteuropa 1941-1945. In dieser Karte sind viele von den deutschen Besatzern eingerichteten Ghettos in Polen und Osteuropa eingetragen.

Es wird oft die Meinung vertreten, dass sich aufgrund der frühzeitigen Vertreibung der burgenländischen Juden verhältnismäßig viele vor der Deportierung in Konzentrationslager haben retten können.[4] Ein Projekt der Burgenländischen Forschungsgesellschaft kommt indessen zu einem anderen Ergebnis.[15]

Ausgehend von der Volkszählung des Jahres 1934 mit 3632 jüdischen Personen umfasst der betroffene Personenkreis nach Ansicht der Forschungsgesellschaft ungefähr 4000 Menschen. Dieser Hochrechnung ist einerseits ein Bevölkerungsschwund im Burgenland in der Zeit von 1934 bis zum März 1938 auf 3446 Personen zugrunde gelegt. Andererseits vergrößerte sich wegen der Nürnberger Rassengesetze der Kreis der betroffenen Personen auf etwa 3900, weil nun auch Menschen, die nicht dem Judentum angehörten aber jüdischen Eltern- oder Großelternteile hatten, verfolgt wurden.[15]

In einer Datenbank wurden die Daten von Personen erfasst, die im Burgenland wohnten, einen Zweitwohnsitz oder eine Immobilie hatten. Nach derzeitigem Forschungsstand trifft dies auf 1300 Menschen oder einem Drittel der möglichen Betroffenen zu. Diese Zahl entspricht dem österreichischen Durchschnitt und sie könnte weiter steigen, denn das Projekt ist noch nicht abgeschlossen. Überraschend hat die Forscher auch die Tatsache, dass die Opfer nicht nur aus den Kultusgemeinden kamen sondern aus mehr als 100 anderen burgenländischen Ortschaften.[15]

siehe Burgenländische Forschungsgesellschaft: Opferdatenbank

Neben der Datenbank der Burgenländischen Forschungsgesellschaft gibt es mit der Opferdatenbank des Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes[16] und der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaust-Opfer[17] von Yad Vashem weitere wichtige Internetquellen für die Ermittlung der Opferzahlen. Diese sind in der Datenbank des DÖW geringfügig höher als in jener der Burgenländischen Forschungsgesellschaft, in der zentralen Datenbank von Yad Vashem hingegen sind sie zum Teil beträchtlich höher. Dies mag darin begründet sein, dass die österreichischen Datenbestände auf Akten und Listen beruhen, welche von den Organisatoren des Holocausts über ihre österreichischen Opfer angelegt wurden. Den Datensätzen von Yad Vashem liegen oft sogenannte Gedenkblätter zugrunde, welche aufgrund von Meldungen überlebender Verwandten der Opfer vom israelischen Dokumentationszentrum angelegt wurden. Außerdem ist noch der Umstand zu bedenken, dass viele Holocaust-Opfer zwar im 19. Jahrhundert in den burgenländischen Dörfern geboren wurden, dann aber aufgrund der fortschreitenden jüdischen Emanzipation in die großen ungarischen Städte abwanderten, um dort 1944 von den Schergen Adolf Eichmanns erfasst und in die polnischen Vernichtungslager deportiert zu werden.

Die folgende Tabelle zeigt eine Übersicht über die Opferzahlen in den einzelnen Datenbanken:

Folgen

 
Der Tempelraum der Bibliothek beherbergt heute die Friedensbibliothek.
 
Die Synagoge Kobersdorf um die ein Rechtsstreit entbrannt ist.
 
Die ehemalige Synagoge in Oberwart beherbergt heute die Zentralmusikschule.

Nach dem Krieg sind nur ganz wenige Überlebende des Holocausts in ihre alte Heimat zurückgekehrt. So gibt es heute im ganzen Burgenland nicht mehr als ein Dutzend Menschen jüdischen Glaubens. An die einst blühenden Gemeinden erinnern nur mehr verlassene Friedhöfe und Synagogen, sofern sie die Zeit des Nationalsozialismus überstanden haben. Die burgenländischen Gemeinden, Privatinitiativen und die Israelitische Kultusgemeinde bemühten sich aus ihnen Orte der Erinnerung zu machen.

So wurde die Synagoge von Stadtschlaining vom Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung gekauft, renoviert und als Friedensbibliothek für die Studierenden umgebaut.[18] Ein wichtiger Meilenstein in der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte war für die Stadt die Einladung von vertriebenen Schlainingern und deren Nachfahren im Rahmen des Projektes Welcome to Stadtschlaining im Jahre 2001.[19]

In Oberwart wurde die Synagoge noch während des Krieges in ein Feuerwehrhaus umgebaut. Beim Umbau in den 1990er-Jahren bemühte man sich einen Teil der Fassade jener der ehemaligen Synagoge nachzuempfinden. Heute beherbergt das Haus die Zentralmusikschule.[20]

In Eisenstadt wurde 1972 das Österreichische Jüdische Museum gegründet. Es befindet sich in einem Haus, dass Samson Wertheimer 1719 errichten ließ.

Über ein historisch besonders schwieriges Erbe verfügt die Gemeinde Rechnitz, in welcher der ehemalige Gauleiter Tobias Portschy den Rest seines Lebens verbrachte und dort begraben liegt. In den letzten Kriegstagen fand außerdem in der Nähe des sogenannten Kreuzstadels ein Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern aus Ungarn statt, deren sterblichen Überreste bis heute noch nicht gefunden wurden. Die Gedenkinitiative RE.F.U.G.I.U.S. kümmerte sich in den letzten Jahren um die Aufarbeitung dieses Ereignisses und half mit, den Kreuzstadel zu einem Mahnmal für die Opfer des Baues des Südostwalls zu gestalten.[21]

Nicht immer funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Interessensgruppen ohne Probleme. So befindet sich die Synagoge von Kobersdorf in einem baulich sehr schlechtem Zustand, weil der Beisitzer des Gotteshaus, der Verein Vereines zur Erhaltung und kulturellen Nutzung der Synagoge Kobersdorf, sich in einem Rechtsstreit mit der Kultusgemeinde befindet und daher alle Renovierungsmaßnahmen gestoppt wurden.[22]

Für den ehemaligen Gauleiter des Burgenlandes, Tobias Portschy, hatte seine Hetze gegen Roma und Juden relativ harmlose Konsequenzen. Er wurde zwar zu 15 Jahren Kerker verurteilt, doch schon 1951 begnadigte ihn Bundespräsident Theodor Körner vorzeitig. Obwohl er nachweislich einigen Juden bei der Ausreise geholfen hatte[23], führten seine Aktivitäten schlussendlich zur Deportation Tausender Menschen, von denen die meisten in den Konzentrationslagern ums Leben kamen. Portschy dient auch als Symbolfigur für den problematischen Umgang Österreichs mit seiner eigenen Vergangenheit. So wurde ihm nicht nur die Strafe erlassen und die Doktorwürde (1958) zurückerstattet, es biederten sich ihm in den Folgejahren auch viele Politiker vom Bundeskanzler abwärts an. Er starb ohne Reue für seine Verbrechen empfunden zu haben unbehelligt 1996 in Rechnitz. Mit Ursula Mindler und Marcus Wagner setzten sich junge burgenländische Historiker kritisch mit der Person Tobias Portschy auseinander und zeichneten dabei auch ein Sittenbild des Umgangs Österreich mit seiner Vergangenheit.[23][24]

Persönlichkeiten

In den jüdischen Gemeinden des Burgenlandes lebten folgende Menschen, die über die Gemeindegrenzen hinaus Bekanntheit erlangten:

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 Das Ende der jüdischen Gemeinden im Burgenland, Webseite www.hagalil.com, abgerufen am 2. Februar 2015
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Nikolaus Vielmetti: Das österreichische Judentum, Webseite www.religionen.at, abgerufen am 2. Februar 2015
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 3,6 3,7 3,8 3,9 Milka Zalmon: Der Weg der vertriebenen Juden, Webseite www.misrachi.at, abgerufen am 3. Februar 2015 Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „misrachi“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 Österreichisch Jüdisches Museum - Jüdische Gemeinden des Burgenlandes, Webseite www.ojm.at, abgerufen am 3. Februar 2015
  5. Geschichte der jüdischen Gemeinde Rechnitz, Webseite www.vhs-burgenland.at, abgerufen am 5. Februar 2015
  6. 6,0 6,1 Geschichte der jüdischen Gemeinde Schlaining, Webseite www.vhs-burgenland.at, abgerufen am 5. Februar 2015
  7. Universität Graz - Toleranzpatent für die Juden in Wien und in Niederösterreich, Webseite www.jku.at, abgerufen am 6. Februar 2015
  8. Universität Wien - Projektcluster Jüdisches Heiliges Römisches Reich, Webseite jhrr.univie.ac.at, abgerufen am 6. Februar 2015
  9. Benjamin Benno Adler: Esra die Geschichte eines orthodox-jüdischen Jugendbundes zur Zeit der Weimarer Republik, Seite 140, Verlag Harrassowitz Wiesbaden 2001
  10. 10,0 10,1 10,2 ZERSTÖRTE JÜDISCHE GEMEINDEN, Webseite www.erinnern.at, abgerufen am 6. Februar 2015
  11. ZELEM - Die jüdische Gemeinde Deutschkreutz - Dokumentation, Webseite www.misrachi.at, abgerufen am 9. Februar 2015
  12. Marietta Fluk, geb. Radocz 1932-2008, Webseite www.forschungsgesellschaft.at, abgerufen am 6. Februar 2015
  13. Österreichisches Jüdisches Museum - Schlaining, Webseite www.ojm.at, abgerufen am 6. Februar 2015
  14. Philip Halper: Die jüdische Gemeinde in Güssing. Vertreibungen, "Arisierungen" und Rückstellungen, Diplomarbeit Universität Wien, Seite 49
  15. 15,0 15,1 15,2 Die burgenländisch-jüdischen Opfer der NS-Zeit, Webseite www.forschungsgesellschaft.at, abgerufen am 6. Februar 2015
  16. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes - Personensuche Opferdatenbank, Webseite , abgerufen am 26. Februar 2014
  17. Yad Vashem - Zentralen Datenbank der Namen der Holocaust-Opfer, Webseite db.yadvashem.org, abgerufen am 26. Februar 2014
  18. Die Schlaininger Synagoge, Webseite www.bibliothek.friedensburg.at, abgerufen am 7. Februar 2015
  19. Concentrum - Forum für opitische, ethnische, kulturelle und soziale Ökomene, Stadtschlaining, Webseite www.stadtschlaining.at, abgerufen am 7. Februar 2015
  20. Jüdische Gemeinde Oberwart, Webseite www.vhs-burgenland.at, abgerufen am 7. Februar 2015
  21. Gedenkinitiative RE.F.U.G.I.U.S. - Rechnitzer Flüchtlings- Und GedenkInitiative Und Stiftung, Webseite www.refugius.at, abgerufen am 7. Februar 2015
  22. Burgenlands einzige Synagoge verfällt, Webseite kurier.at, abgerufen am 7. Februar 2015
  23. 23,0 23,1 Tobias Portschy – Eine biographische Annäherung, Webseite www.volksbildungswerk.at, abgerufen am 7. Februar 2015
  24. Diplomarbeit Marcus Wagner - Tobias Portschy – Ein Leben für die völkischdeutschnationale Idee. Sozialisation und Reintegration eines ewig Gestrigen., Webseite othes.univie.ac.at, abgerufen am 7. Februar 2015

Weblinks

  Jüdische Friedhöfe im Burgenland – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien auf Wikimedia Commons
  Synagogen im Burgenland – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien auf Wikimedia Commons