Die Jüdische Gemeinde Gattendorf gehörte als Gräflich Esterházysche Gemeinde zwar nicht zu den Fürstlich Esterházyschen Gemeinden, den berühmten Siebengemeinden auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes, sie wurde aber 1885 durch den Anschluss an die größere jüdische Gemeinde Kittsee ein Teil von ihnen.[1]

siehe auch: Geschichte der Juden im Burgenland

Geschichte der jüdischen Gemeinde

Von der Entstehung der Gemeinde bis zur Gründung des Burgenlandes 1921

Die Gründung der jüdischen Gemeinde Gattendorf wird je nach Quelle zwischen 1704[1] bis 1726[2] angegeben. 1764 wohnten im ehemaligen Meierhof der Familie Schloßberg 18 jüdische Familien, die Schutzgeld an die Herrschaft Esterházy zu zahlen hatten.[1]

Stationen der Emanzipation der Gattendorfer Juden waren das Toleranzpatent[3] von Kaiser Joseph II., der Erhalt der ungarischen Staatsbürgerschaft während des Ungarischen Unabhängigkeitskrieges von 1848/49 sowie die endgültige Gleichstellung am 20. Dezember 1867 in Folge des Österreich-Ungarischen Ausgleiches.

Die höchste Einwohnerzahl erreicht die jüdische Gemeinde 1857 mit 206 Personen[2], danach sank diese Zahl ständig, sodass die jüdische Gemeinde schließlich 1885 an die von Kittsee angeschlossen wurde. Zuvor war im Jahre 1862 eine Synagoge erbaut worden. Durch die starke Abwanderung der Juden soll es aber manchmal sogar schwierig gewesen sein, die für den Gottesdienst erforderlichen zehn Männer zusammen zu bringen.[1]

Bevölkerungsentwicklung der jüdischen Gemeinde

Die folgende Tabelle zeigt wie viele jüdische Bewohner im jeweiligen Jahr in Gattendorf lebten.[2][1] Der Höchststand wurde Mitte des 19. Jahrhunderts erreicht, während es in den 1930er-Jahren noch knapp 20 Juden in Gattendorf gab.

Jahr Bewohner
1764
18 Familien
1836
171
1857
206
1880
62
1934
19

Zerstörung der Gemeinde 1938

Nach dem Anschluss Österreichs im März 1938 übernahm Tobias Portschy als Gauleiter die Macht im Burgenland. Am 2. April forderte er neben der Lösung der Zigeunerfrage auch die Lösung der Judenfrage, die nun folgende Entwicklung führte dazu, dass eine dreihundertjährige kontinuierliche Entwicklung in wenigen Wochen für immer unterbrochen wurde.[4]

Opferbilanz des Holocausts

 
Schild des Bahnhofes (der Rampe) an dem die Häftlingstransporte in Sobibór ankamen (2007)

Die Burgenländische Forschungsgesellschaft hat aus verschiedenen Quellen Daten über die burgenländischen Opfer des Holocausts ermittelt und mit diesen Informationen eine Datenbank erstellt.[5][6] In der Opferdatenbank des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes finden sich weitere Informationen über Juden, die in Gattendorf geboren wurden oder gewohnt haben.[7]

Aus den Daten lassen sich viele menschliche Tragödien herauslesen. Besonders tragisch erscheint das Schicksal der Familie Schindler, die in Gattendorf Nr. 106 gewohnt hatte. Sie war zuerst nach Liptovsky Mikulas ausgewiesen worden und wurde dann am 1. Juni 1942 dort voneinander getrennt. Während Otto Schindler in das Ghetto Lublin deportiert wurde, kamen Mutter Flora, die 14-jährige Helene und die 12-jährige Frida in das Vernichtungslager Sobibor.[8]

Auch die anderen Gattendorfer Juden wurden zuerst in die Slowakei ausgewiesen, bevor sie deportiert wurden, drei von ihnen in das Ghetto von Žilina.

Name Geburtsort Geb.Datum Exil/Letzte Adresse Deportationsort Dep.Datum Todesort TodesDatum
Rosa Brück Gattendorf 02.02.1873 Bratislava/Žilina] 06.06.1942
Regina Eisler Gattendorf 18.07.1908 Vyhne
Judith Jelenko Gattendorf 18.04.1936 Bratislava Zilina 06.06.1942
Albert Materno Gattendorf 30.10.1873 Bratislava Zilina 30.07.1942
Leo Rosen Gattendorf 17.04.1901 Berlin Berlin 19.04.1943
Flora Schindler Gattendorf 28.08.1894 Liptovsky Mikulas/Sobibor 01.06.1942
Frida Schindler Gattendorf 30.10.1929 Liptovsky Mikulas/Sobibor 01.06.1942
Helene Schindler Gattendorf 05.07.1927 Liptovsky Mikulas/Sobibor 01.06.1942
Otto Schindler Devin Nova Ves 30.04.1901 Liptovsky Mikulas/Lublin 01.06.1942
Josefine Strauss Gattendorf 07.03.1897 Vernichtungslager Maly Trostinez 14.09.1942 Vernichtungslager Maly Trostinez 18.09.1942

Situation heute

Synagoge Gattendorf

Datei:Mannheimer Litho.jpg
Der bekannte Wiener Rabbiner Isaak Mannheimer weihte die Gattendorfer Synagoge ein.

Die Synagoge wurde 1862 errichtet und vom bekannten Wiener Rabbiner Isaak Mannheimer eingeweiht. Sie hatte 46 Männer- und 34 Frauensitze, zeitgenössische Fotos von ihrem Innern sind nicht erhalten. Die Synagoge blieb 1938 vom Novemberpogrom verschont und wurde nach der Vertreibung der Juden aus Gattendorf zu einem Lager für Getreide und Erdäpfel und zu einem Gefängnis für russische Kriegsgefangene. Die Rechtsnachfolgerin der jüdischen Gemeinde Gattendorf, die Israelitische Kultusgemeinde Wien, erhielt die Synagoge 1952 restituiert. 1971 verkaufte die IKG Wien das Gebäude an einen Unternehmer, der es als Gewerbebetrieb nutzen wollte. Da diese Pläne scheiterten, verkaufte dieser die ehemalige Synagoge an ein Ehepaar weiter. Sie wurde nun bis 1995 als Einstellplatz für landwirtschaftliche Geräte genutzt. Die neuen Besitzer beschlossen Mitte der 1990er-Jahre das Gebäude abzureißen und erhielten ohne Probleme den entsprechenden Bescheid dafür. Die Abrissarbeiten begannen am 27. April 1996, einige Tage später war die Synagoge abgetragen. Heute befindet sich an ihrer Stelle eine Grasfläche.[2]

Jüdischer Friedhof Gattendorf

Der Jüdische Friedhof Gattendorf liegt außerhalb der Ortschaft südöstlich der Kläranlage und steht unter Denkmalschutz. Er besitzt eine Fläche von 2733 m², worauf sich 120 Grabsteine befinden.

Der jüdische Autor Leopold Moses schrieb 1927 in einem Reisebericht über den Friedhof:[9]

„Der Friedhof liegt eine Viertelstunde von Gattendorf entfernt, von dichten Hecken umgeben. Er ist mindestens hundertfünfzig Jahre alt ... die zum Teil von fast undurchdringlichem Gestrüpp umgebenen Grabsteine weisen Namen von Familien auf, die man heute in Gattendorf vergebens suchen würde. Sie sind längst nach Wien oder Pressburg, wenn nicht gar nach Budapest abgewandert. Eine von diesen Familien führt den Namen Materna, der wohl von dem ... Frauennamen Matrona hebräisch abgeleitet sein dürfte ... und so kann man auch hier eine Fülle anregender Dinge finden, die unsere Kenntnis um unser eigenes Sein vermehren ...“

Literatur

  • Klaus Derks: Kattondorff. Die vergessene Judengemeinde von Gattendorf., Herausgegeben vom Verein zur Erforschung der Ortsgeschichte von Gattendorf 2010, ISBN 978-3-200-01970-6

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 VHS Burgenland - Gattendorf, Webseite regiowiki.at, abgerufen am 23. September 2015
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Evelyn Adunka: Die jüdische Gemeinde von Gattendorf, Webseite www.davidkultur.at, abgerufen am 23. September 2015
  3. Universität Graz - Toleranzpatent für die Juden in Wien und in Niederösterreich, Webseite www.jku.at, abgerufen am 6. Februar 2015
  4. Österreichisch Jüdisches Museum - Jüdische Gemeinden des Burgenlandes, Webseite www.ojm.at, abgerufen am 10. Februar 2015
  5. Die burgenländisch-jüdischen Opfer der NS-Zeit, Webseite www.forschungsgesellschaft.at, abgerufen am 6. Februar 2015
  6. Burgenländische Forschungsgesellschaft: Opferdatenbank abgerufen am 12. Februar 2015
  7. DÖW Opferdatenbank, Webseite www.doew.at, abgerufen am 23. Februar 2015
  8. Deportation der Juden - Tschechoslowakei, Webseite ausstellung.de.doew.at, abgerufen am 23. Februar 2015
  9. Österreichisch Jüdisches Museum - Kittsee/Gattendorf, Webseite www.ojm.at, abgerufen am 24. Februar 2015