Die Schulfront im Ersten Weltkrieg

Die Schulfront stellte im Verlauf des ersten Weltkrieges eine entscheidende Plattform für gezielte Propaganda im Bezug auf Kinder und Jugendliche dar. Es sollte ihre Begeisterung entfacht und ihre Unterstützung erlangt werden. Nicht nur die kämpfende Front, sondern auch das Hinterland, die sogenannte Heimatfront, war für den Sieg wichtig. Daher sollten auch Kinder und Jugendliche ihren jeweiligen Anteil zum „Gelingen des Krieges“ beitragen. Es wurde als ihre Pflicht gesehen, ihre Mitmenschen durch entsprechendes Verhalten, Liebe zum Vaterland, Gebete für die Soldaten und direkte Kriegsarbeit zu unterstützen. Dies sollte unter anderem mit Hilfe des Unterrichts vermittelt werden.[1]

Propaganda-Postkarte, 1914

Hintergründe

Der Kurs, Kinder und Jugenliche durch entsprechende Propaganda zur aktiven Unterstützung des Krieges zu bewegen, zeigte sich schon in den ersten Tagen nach Kriegsausbruch. Das k.k. Ministerium für Cultus und Unterricht unter Minister Max Freiherr Hussarek von Heinlein in Österreich-Ungarn ordnete beispielsweise bereits am 7.August 1914 verschieden „Massnahmen wegen Heranziehung der Schuljugend zu gemeinnütziger Tätigkeit während des Krieges“ an.[2] Ziel war es, durch Emotionalisierung die Identifikation der Schüler mit den Kriegszielen zu erreichen.[3] [4]

Einerseits sollten sie so direkt von den Inhalten angesprochen werden, um sie zur aktiven Mithilfe zu motivieren. Andererseits wussten die Behörden den Einfluss der Kinder auf ihre Eltern zu nutzen. Dies war ein weiterer Grund, sie in die Propaganda miteinzubinden. Sie wurden dadurch zu Vermittlern von Ideologien an die Erwachsenen. So konnten Kriegsbegeisterung, systemkonforme Werte und entsprechende Wissensbestände innerhalb der Familie verbreitet werden. Nicht selten wurden Eltern beispielsweise von ihren Kindern zum Ankauf von Kriegsanleihen überredet.[5]

Da in Österreich-Ungarn dem Deutschen Reich, Großbritannien und Frankreich der Krieg außerdem als ideologischer Wettstreit zwischen den Völkern gesehen wurde, erwies sich die Mobilisierung der nächsten Generation auch dadurch als ein notwendiger Schritt. Die Kinder und Jugendlichen sollten durch entsprechende Erziehung und einem Fokus auf Pflichterfüllung, Disziplin und Gehorsam eine fleißigere, ernsthaftere und patriotischere Elite formen.[6]

Schule

Stimmung

Sowohl das alltägliche Kriegsgeschehen, als auch entsprechende propagandistische Inhalte, wurden bereits ab dem Sommer 1914 zu einem festen Teil des Schulunterrichts. Bereits zuvor waren militärisch angehauchte Umgangsformen üblich, Lehrer unterrichteten häufig in strengem Kommandoton. Daher zeigten sich die meisten Lehrkräfte patriotisch und dem Krieg gegenüber positiv gestimmt.[7] Diese Kriegsbegeisterung wurde auf die Gestaltung des Unterrichts übertragen. Beinahe in jedem Fach konnte ein Bezug zum Krieg hergestellt und so Propaganda eingebunden werden. [8] Zu Beginn fand in den Schulen überwiegend eine Romantisierung des Krieges statt, Kriegshelden wurden oft glorifiziert. Kinder und Jugendliche fielen daher zu Beginn einer enormen Euphorie anheim. Mit dem Voranschreiten des Krieges und seinen direkten Auswirkungen auf den Alltag nahm diese jedoch ab. Sowohl Nahrungsmittelknappheit und die damit einhergehende Verschlechterung des Gesundheitszustandes, als auch die psychische Belastung wirkten sich negativ auf das Leistungsniveau der Schüler aus. Zeichnungen, Aufsätze und Schulaufgaben widmeten sich zunehmend den Schattenseiten des Krieges und machten das Schwinden der propagandistischen Wirkung deutlich.[9] In anderen vom Krieg betroffenen Staaten herrschte ein ähnlich tristes Bild. So schreib ein französischer Schüler im Jahr 1915 Folgendes:[10]

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Darüber hinaus wurden immer mehr männliche Lehrkräfte eingezogen. Diese konnten nur mangelhaft durch Lehrerinnen oder pensionierte Lehrer ersetzt werden. Auch Hefte und Papier wurden zur Mangelware, sodass man zum Teil auf Schiefertafeln oder Pappendeckeln, die mit rauem, abwaschbarem Papier überzogen waren, zurückgreifen musste.[11] In Österreich-Ungarn wirkte sich der Tod Kaiser Franz Josefs I. zusätzlich enorm auf die allgemeine Stimmung aus. Nicht wenige glaubten, dass der Vielvölkerstaat nun endgültig vom Kriegsglück verlassen worden sei. So wich die anfängliche Begeisterung immer mehr einer verzweifelten, kriegsmüden Stimmung.

Unterricht

Die Lehrkräfte wurden dazu angehalten, möglichst viele Fächer und Unterrichtsmethoden für propagandistische Zwecke zu nutzen.[12] So wurde vor Unterrichtsbeginn täglich die aktuelle Kriegslage besprochen, zum Teil wurden zusätzlich sogenannte „Kriegsstunden“ abgehalten. Darin wurden völkische Lieder gesungen, Frontlinien auf Karten eingezeichnet, der Verlauf von Schlachten nachgezogen, aber auch gefallen Helden gedacht und Gebete für die Soldaten gesprochen. [13] Manche große Siege der eigenen Armeen wurden durch schulfreie Tage gefeiert, um die Motivation der Schüler aufrecht zu erhalten. Dies wurde jedoch zum Ende des Krieges hin immer seltener. [14] Unterrichtsmethoden, wie das gemeinsame Studieren der Tagespresse und das Erstellen von Autobiografien, Tagebüchern oder kriegsbezogenen Zeichnungen sollten sowohl das persönliche Erleben der Kinder, als auch die Förderung von Patriotismus in den Mittelpunkt stellen. Heimatverbundene Gedichte, Sagen und Lieder sollten dies ebenfalls bewirken.

Im Deutschen Reich wurden Jungen und Mädchen größtenteils gemeinsam unterrichtet. Mehrheitlich saßen sie allerdings in den Klassenzimmeren nach Geschlechtern getrennt auf den entgegengesetzten Seiten. Auch hinsichtlich der Aufsatzthemen und praktischen Übungen fanden sich Unterschiede. Jungen wurden gezielt auf das Soldatendasein vorbereitet. Mädchen sollten hingegen vor allem jene Aufgaben, die an der Heimatfront benötigt wurden, erlernen. So wurden bei ihnen ein Teil der Naturwissenschaften durch Deutsch, Geographie und Geschichte, sogenannte „gesinnungsbildende Fächer“, ersetzt. Auch Im Deutschen Reich wurde im April 1915 in Berlin das „Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht“ gegründet, welches unter anderem für die Verbreitung von einheitlichem kriegsbezogenem Unterichtsmaterial verantwortlich war. Dazu zählten beispielsweise „Kriegshilfe durch die Schule“, „Die militärische Ausbildung unserer Schulkinder“, „Kriegsaufsätze in der Grundschule“, „Kriegsaufsätze an weiterführenden Schulen“, „Unsere Kriegsgedichte“, „Kriegstagebücher von Schülern“ und „Kriegszeichnungen von Schülern“. Diese Materialien erleichterten das Integrieren der Propaganda in den Unterricht.[15]

Im Laufe des Krieges wurde der Unterricht auch dazu genutzt, den Krieg direkt durch praktische Arbeiten zu unterstützen. Diese variierten je nach Alter und Geschlecht der Schüler: Leinenflecken wurden zu Scharpie gezupft um es als Verbandmaterial weiter zu verwenden, Socken, Pulswärmer, Schneehauben und Schals aus Wolle für Soldaten an der Front gestrickt, Abzeichen und Karten verkauft um Geld zu sammeln, Botendienste für verschiedene Ämter getätigt, Hilfe beim Transport von Verwundeten geleistet und landwirtschaftliche Tätigkeiten verrichtet. Dazu gehörten sowohl Mithilfe bei Ernte- und Aufforstungsarbeiten, als auch das Sammeln von Fallobst, Brennesseln, Kohlweißlingen, Brombeer-, Erdbeer-, Himbeer- und Schwarzbeerfrüchten und deren Blättern, sowie von Buntmetall.[16]

Universitäten

Auch die Universitäten beteiligten sich durch propagandistische Tätigkeiten am Krieg. Dazu zählten unter anderem die inländische Aufklärung, die Unterstüzung von Universitätsangehörigen an der Front und die Neugestaltung des Universitätslebens. So organisierte beispielsweise die Universität in Tübingen im Wintersemester 1914/1915 "Kriegsvorträge", die eine gedankliche Einführung in den Krieg und geistige und moralische Stärkung bieten sollten. Alle außer der katholischen Fakultät beteiligten sich an diesem Programm, das außnahmsweise auch für Nichtstudierende zugänglich war. Zusätzlich wurden den Universitäten vom Staat Propagandamaterialien, wie patriotische Reden, Filmlisten, Kriegswochenschauen, Nachrichten der Auslandspresse und Merkblätter für Werbevorträge, angeboten, um das Verbreiten der entsprechenden Inhalte zu erleichtern.[17]

Literatur

  • Bautz, Friedrich Wilhelm: Hussarek von Heinlein, Max Freiherr. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 2, Bautz, Hamm, 1990. ISBN 3-88309-032-8.
  • Hämmerle, Christa: Kindheit im Ersten Weltkrieg. Wien, Böhlau Verlag, 1993.
  • Hirschfeld, Gerhard: Kriegserfahrungen. Essen, Klartext Verlag, 1997.
  • Winterberg, Yury & Winterberg, Sonya: Kleine Hände im Großen Krieg: Kinderschicksale im Ersten Weltkrieg. Berlin, Aufbau Verlag, 2014.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Fritz, Judith (2008): Kinder als Zielscheibe der Kriegspropaganda, abgerufen am 2. Juni 2015
  2. Hämmerle, Christa (1993): Kindheit im Ersten Weltkrieg, S. 271f.
  3. Fritz, Judith (2008): Die Schulfront, abgerufen am 2. Juni 2015
  4. Bautz, Friedrich Wilhelm (1990): Hussarek von Heinlein, Max Freiherr. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL) Sp. 1204–1205.
  5. Lukasch, Peter (2007): Kinder und Propaganda, abgerufen am 2. Juni 2015
  6. Fritz, Judith (2008): Kinder als Zielscheibe der Kriegspropaganda, abgerufen am 2. Juni 2015
  7. Fritz, Judith (2008): Die Schulfront, abgerufen am 2. Juni 2015
  8. Winterberg, Yury/Winterberg Sonya (2014): Kleine Hände im Großen Krieg: Kinderschicksale im Ersten Weltkrieg, S. 103.
  9. Fritz, Judith (2008): Die Schulfront, abgerufen am 2. Juni 2015
  10. Winterberg, Yury/Winterberg Sonya (2014): Kleine Hände im Großen Krieg: Kinderschicksale im Ersten Weltkrieg, S. 110.
  11. Hämmerle, Christa (1993): Kindheit im Ersten Weltkrieg, S. 251.
  12. Winterberg, Yury/Winterberg Sonya (2014): Kleine Hände im Großen Krieg: Kinderschicksale im Ersten Weltkrieg, S. 103.
  13. Fritz, Judith (2008): Die Schulfront
  14. Winterberg, Yury/Winterberg Sonya (2014): Kleine Hände im Großen Krieg: Kinderschicksale im Ersten Weltkrieg, S. 103.
  15. Winterberg, Yury/Winterberg Sonya (2014): Kleine Hände im Großen Krieg: Kinderschicksale im Ersten Weltkrieg, S. 106f.
  16. Hämmerle, Christa (1993): Kindheit im Ersten Weltkrieg, S. 251., S.272ff.
  17. Hirschfeld, Gerhard (1997): Kriegserfahrungen, S. 93-94.