Erhard Glötzl

Erhard Glötzl (* 21. März 1948 in Wels) ist ein österreichischer Mathematiker, Chemiker und Ökonom sowie ehemaliger Vorstandsdirektor der Linz AG i.R. und war als Leiter des Linzer Umweltamts wesentlich an der Umweltsanierung der Stadt Linz beteiligt. Er arbeitete als Lektor für Finanzwirtschaft an der Donau-Universität Krems und Dozent an der Universität Linz.

Erhard Glötzl

Leben

Studium

Erhard Glötzl studierte Chemie und Physik an der Universität Wien und Technischen Mathematik an der JKU in Linz. Er wurde 1978 zum Doktor der technischen Wissenschaften promoviert,[1] und habilitierte sich 1981 in Technischer Mathematik. Anschließend arbeitete er als Universitätsassistent in Linz.[1]

Berufsleben

In den Jahren von 1981 bis 1992 war er als Leiter des Linzer Umweltamts maßgeblich an der Umweltsanierung der Linzer Großindustrie verantwortlich.[1] Ab 1992 war er bis zu seiner Pensionierung als technischer Vorstandsdirektor in den Stadtbetrieben Linz (SBL) ab Oktober 2000 in der aus der Fusion mit der Elektrizitäts-, Fernwärme und Verkehrsbetriebe AG (ESG) hervorgegangenen Linz AG tätig. Dort unterstanden ihm die Bereiche Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Abfallwirtschaft, Hafen, Bäder und Friedhöfe.[1]

Beim Österreichischen Wasser- und Abfallwirtschaftsverbands (ÖWAV) arbeitete er im Hauptausschuss und als Vorstand, und vertrat den Verband bei der European Union of National Associations of Water Suppliers and Waste Water Services (EUREAU).[1] Er war im Vorstand der Österreichischen Vereinigung für das Gas- und Wasserfach tätig und wirkte als Geschäftsführer bei der GISDAT.[1][2]

Nebenberuflich gründete er mit Niyazi Serdar Sarıçiftçi das Unternehmen Quantum Solar Energy Linz (QSEL), das im Bereich der photovoltaischen Stromgewinnung durch eine Organische Solarzelle forschte. 2003 wurde QSEL an Konarka Technologies verkauft wurde und als Tochterunternehmen Konarka Austria weitergeführt. Glötzl war von 1997 bis 2012 Geschäftsführer des Unternehmens.[1][2][3][4]

Glötzl unterrichtete zwischen 1974 und 1995 als Lehrbeauftragter für Mathematik und betriebliche Umweltinformationssysteme an der Universität Linz[1] und lehrte von 1975 bis 1991 Chemie an der Pädagogischen Akademie des Bundes in Linz. Ab 2005 arbeitete er als Lektor für Finanzwirtschaft an der Donau-Universität Krems.[2]

Wissenschaft

In seiner Promotion und Habilitation arbeitete Glötzl zu Gibbsschen Punktprozessen.[2][5][6][7]

1994 begann Glötzl, sich mit volkswirtschaftlichen Fragestellungen zu befassen und engagierte sich in Arbeitskreisen, die sich mit Grundsatzfragen der Ökonomie auseinandersetzen wie dem Wiener Wirtschaftskreis,[8] dem Föhrenbergkreis,[9] dem Linzer Kreis[10] und dem Arbeitskreis Dr. Benedikt Kautsky.

Sein Interesse galt der Stabilität des kapitalistischen Geld- und Wirtschaftssystems, die Problematik der gesamtwirtschaftlichen Verschuldung, der „Macht des Geldes“ und der „Ohnmacht der Schuldner“, die ihre Schulden in Summe nicht begleichen können. Er begründete dies mit zwei „Hauptsätzen der Volkswirtschaftslehre“:[11][12][13] Erstens entspricht die Summe der Schulden gerade den Guthaben,[11][14] was auch der Kernidee von Stock-Flow Consistent Models entspricht.[15] Zweitens steigt diese Gesamtheit der Guthaben und Schulden ständig, weil Teile der Zins- und Gewinneinkommen akkumuliert werden. Steigen dadurch die Kapitaleinkommen exponentiell, während das Nationaleinkommen nur linear wächst, müssen irgendwann die Arbeitseinkommen sinken, wodurch es zur Krise kommt.[11][8][16] Eine weitere Ursache der Eurokrise sei die ungleiche Entwicklung der Inflationsraten innerhalb der Eurozone, weil sich die Löhne in den einzelnen Ländern anders als die Produktivität entwickelten.[17]

Glötzl befasste sich mit der Rolle der Giralgeldschöpfung sowie Vollgeld-Systemen.[18][19][20] Er argumentiert, Banken hätten bei Eigengeschäften durch die nahezu zinsfreie Giralgeldschöpfung[21] gegenüber Nichtbanken einen wettbewerbswidrigen Vorteil, weil „sie ihre Investmentgeschäfte nur zum Bruchteil finanzieren müssen, während alle Nichtbanken, ob institutionelle oder Kleinanleger, ihre Geldanlagen zu 100% finanzieren müssen“.[22] Dies führe bei den Banken zu einer „Verschiebung vom Kreditgeschäft zum Investmentbanking“.[23]

 
General Constrained Dynamics model einer reinen Tauschwirtschaft in einer Edgeworth-Box. Die Dynamik beginnt in der oberen linken Ecke und konvergiert zur Kontraktkurve, aber wegen Pfadabhängigkeiten nicht zum durch Optimierung bestimmten Marktgleichgewicht.[24]

Im Ruhestand entwickelte Glötzl das ökonomische Modellierungskonzept der „General Constrained Dynamics“, das auf einer Analogie zwischen ökonomischen Modellen und der Bewegung unter Zwangsbedingungen und dem Lagrange-Formalismus der klassischen Mechanik aufbaut. Dadurch können sowohl die dynamische Konvergenz zum neoklassischen Marktgleichgewicht als auch postkeynesianische Stock-Flow Consistent Models sowie spieltheoretische Ansätze beschrieben werden, und die Allgemeine Gleichgewichtstheorie ergänzt werden.[25][26][24][15][27]

In der mathematischen Physik erarbeitete Erhard Glötzl Konzepte, wie die Helmholtz-Zerlegung als Fundamentalsatz der Vektoranalysis auf n-dimensionale, nicht beschränkte Vektorfelder erweitert werden kann.[28][29]

Kunstmärchen

Sein Kunstmärchen „Die Geschichte von Henry Ford und seinen Kindern“[30] behandelt den Unterschied zwischen Mikroökonomie und Makroökonomie, die Brisanz von Konsumkrediten und Auswege aus einem Gefangenendilemma. Es wurde im Programm Diagonal – Radio für Zeitgenossen des Radiosenders Österreich 1 ausgestrahlt.[31]

Auszeichnungen

  • Umweltschutzmedaille der Stadt Linz[1]
  • Ehrennadel des ÖWAV für seine Verdienste um die Wasser- und Abfallwirtschaft (2007)[1]
  • Großes Goldenes Ehrenzeichen der Stadt Linz für „Verdienste um Umwelt und Wirtschaft“ (2009)[32]

Bücher

  • Das Ökonomische Testament: Ökonomie in der Sprache der Bilder und Gleichnisse. Selbstverlag, 2023, ISBN 978-390349904-1 (PDF).
  • Das Politisch-Ökonomische Manifest: Der Wohlstand der Menschheit. Selbstverlag, 2023, ISBN 978-390349920-1 (PDF).
  • Tractatus logico oeconomicus: Theorie der Finanzkrisen. Selbstverlag, 2023, ISBN 978-390349912-6 (PDF).
  • General Constrained Dynamic Models in Economics for almost everything. Selbstverlag, 2023, ISBN 978-390349916-4 (PDF).
  • Allgemeine Evolutionstheorie von allem: Beyond Darwin: Vom Ursprung des Lebens bis zur Marktwirtschaft. Selbstverlag, 2023, ISBN 978-390349900-3 (PDF).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 1,9 Goldene Ehrennadel des ÖWAV für Erhard Glötzl. In: Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft 60, 2008, S. a17–a30, ISSN 0945-358X, doi:10.1007/s00506-008-0149-y.
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Lebenslauf, Website von Erhard Glötzl. Abgerufen am 28. April 2021.
  3. Der Spaß an der Selbstständigkeit. In: economyaustria 58, S. 3, 29. April 2008.
  4. Konarka Technologies acquires Quantum Solar Energy Linz. In: www.power-eng.com. Abgerufen am 28. April 2021.
  5. Erhard Glötzl: Lokale Energien und Potentiale für Punktprozesse. In: Mathematische Nachrichten 96(1), 1980, S. 195–206, doi:10.1002/mana.19800960117.
  6. Erhard Glötzl: Time reversible and Gibbsian point processes. I: Markovian spatial birth and death processes on a general phase space. In: Mathematische Nachrichten 102(1), 1981, S. 217–222, doi:10.1002/mana.19811020118.
  7. Erhard Glötzl: Time reversible and Gibbsian point processes, II. Markovian particle jump processes on a general phase space. In: Mathematische Nachrichten 106(1), 1982, S. 63–71, doi:10.1002/mana.19821060107.
  8. 8,0 8,1 Erhard Glötzl: Über die langfristige Entwicklung der Schulden und Einkommen. Diskussionsgrundlage für den Wiener Wirtschaftskreis, 9. Jänner 2006.
  9. About. Föhrenbergkreis Finanzwirtschaft. Abgerufen am 28. April 2021.
  10. Annalen des Linzer Kreises. Abgerufen am 28. April 2021.
  11. 11,0 11,1 11,2 Erhard Glötzl: Das Wechselfieber der Volkswirtschaften – Anamnese, Diagnose, Therapie. In: Zeitschrift für Sozialökonomie 121, Juni 1999, (PDF; 432 kB).
  12. Erhard Glötzl: 21 Thesen zur Finanzkrise. In: Humane Wirtschaft 03/2009, S. 2–5.
  13. Helmut Creutz: Das Geld-Syndrom: Wege zu einer krisenfreien Wirtschaftsordnung, Mainz 2004, S. 567.
  14. Erhard Glötzl: Schuldenbremse und Tubensenf: Oder was Ökonomen von Physikern lernen sollten. In: Der Standard, 16. Jänner 2012.
  15. 15,0 15,1 Oliver Richters, Erhard Glötzl: Modeling economic forces, power relations, and stock-flow consistency: a general constrained dynamics approach. In: Journal of Post Keynesian Economics 43(2), S. 281–297, 2020. doi:10.1080/01603477.2020.1713008 (Discussion Paper 2018).
  16. Oliver Richters, Andreas Siemoneit: Consistency and Stability Analysis of Models of a Monetary Growth Imperative. In: Ecological Economics 136, Juni 2017, S. 114–125, doi:10.1016/j.ecolecon.2017.01.017: “Glötzl (1999, 2009) objected that it is unrealistic that creditors decide to fully spend their interest income, which is why credit claims increase and the collective of debtors is powerless to repay the debt.”
  17. Erhard Glötzl: Staatsschulden: Schuldenbremse führt ins Desaster. In: Der Standard, 14. Dezember 2011.
  18. Erhard Glötzl: Keynesianische Geldpolitik mit Vollgeld effizienter. In: Der Standard, 26. Juni 2014.
  19. Erhard Glötzl: Fragen zur Problematik der Giralgeldschöpfung durch Geschäftsbanken–Banken haben einen ungerechtfertigter Vorteil im Wettbewerb mit Nichtbanken. Website der eidgenössischen Vollgeld-Initiative. 10. November 2013.
  20. Erhard Glötzl: Eine Analyse von Vollgeld im Vergleich zum bestehenden Geldsystem. Website der eidgenössischen Vollgeld-Initiative, 8. August 2016.
  21. Thomas Mayer, Roman Huber: Vollgeld: Das Geldsystem der Zukunft. Unser Weg aus der Finanzkrise. Tectum Wissenschaftsverlag, 2014, ISBN 978-3-82886106-0 (books.google.de).
  22. Joseph Huber: Giralgeld, Vollgeldreform und ihre Bedeutung für die Geschäftsmodelle von Banken. Plädoyer für eine Vollgeldreform. Geldgipfel der GLS Gemeinschaftsbank, 2014.
  23. Geldtheorie, Website von Joseph Huber. Abgerufen am 28. April 2021.
  24. 24,0 24,1 Erhard Glötzl, Florentin Glötzl, Oliver Richters: From constrained optimization to constrained dynamics: extending analogies between economics and mechanics. In: Journal of Economic Interaction and Coordination 14(3), S. 623–642, September 2019. doi:10.1007/s11403-019-00252-7 (Discussion Paper 2017).
  25. Erhard Glötzl: Why and How to overcome General Equilibrium Theory. MPRA Paper 66265, 2015.
  26. Erhard Glötzl: Continuous time, continuous decision space prisoner’s dilemma: A bridge between game theory and economic GCD-models. MPRA Paper 72965, 2016.
  27. Sıdıka Başçi, Asad Zaman: New Directions in Macroeceonomics. In: International Econometric Review 12(1), 2020, S. 1–23, ISSN 1308-8793, doi:10.33818/ier.747603.
  28. Erhard Glötzl, Oliver Richters: Helmholtz Decomposition and Rotation Potentials in n-dimensional Cartesian Coordinates. Dezember 2020, arXiv:2012.13157.
  29. Erhard Glötzl, Oliver Richters: Helmholtz decomposition and potential functions for n-dimensional analytic vector fields. In: Journal of Mathematical Analysis and Applications 525.2, 2023, doi:10.1016/j.jmaa.2023.127138, arXiv:2102.09556v3. Mathematica-Arbeitsblatt unter doi:10.5281/zenodo.7512798.
  30. Erhard Glötzl: Die Geschichte von Henry Ford und seinen Kindern. In: Die Zukunft 11/2013, S. 32–35.
  31. Diagonal – Radio für Zeitgenoss/innen, 7. Dezember 2013 (MP3, 8 MB).
  32. Bürgermeister ehrte elf verdiente Persönlichkeiten. In: linz news, Kommunale Vierteljahresschrift der Stadt Linz, 2008, S. 64 (PDF, archiviert am 6. Juli 2015 im Internet Archive).