Ulrich I. von Liechtenstein

Ulrich (I.) von Liechtenstein (* im 12. Jahrhundert, um 1198; † 26. Jänner 1275 oder 1276, vielleicht in Unzmarkt-Frauenburg)[A 1] war ein im Herzogtum Steier begüterter Adliger, der im Spätmittelalter als Politiker, Minnesänger und Dichter tätig war. Außerdem die bekannteste Persönlichkeit seiner Familie. Als Künstler erfreut er sich bis heute noch immer einer relativ großen Bekanntheit, wobei die Wertschätzung seit den 1968er-Jahren gestiegen ist. In der Literaturwissenschaft verdankt er seine aktuelle herausragende Bedeutung dem Umstand, dass er als der Autor des ersten „Ich-Romans“ in deutscher Sprache gilt.

Ulrich von Liechtenstein. Sgraffito von Hans Vonmetz auf der Fassade des Hauses "Zum weißen Rössl" in Wiener Neustadt aus dem Jahr 1937

Herkunft und Familie

 
Siegel von Ulrich von Liechtenstein aus dem Jahr 1241. Abbildung aus dem "Heraldischen Atlas" von Hugo Gerhard Ströhl (1851–1919) aus dem Jahr 1899

Ulrich (I.) von Liechtenstein entstammte der Familie der steirischen Liechtensteiner und war ein Nachfahre der Familie Edlen von Traisen und Feistritz. Einer seiner Vorfahren war Dietmar von Reidling († um / nach 1145).

Ulrich (I.) von Liechtenstein war einer der Söhne von Dietmar (III.) von Liechtenstein († 1218) aus dessen Ehe mit einer Gertrud. Verheiratet war er mit Perchta von Weißenstein.[1] Aus seiner Ehe hatte er mehrere Kinder:

  • Ulrich (II.) von Liechtenstein († um 1285), genannt 1250-1285 ∞ mit Kunigunde von Goldegg[1]
  • Otto II. († um 1311) ∞ (1. Ehe) mit Agnes von Wildon; ∞ (2. Ehe) mit Diemut von Liechtenstein; ∞ (3. Ehe) mit Adelheid von Pottendorf, genannt 1252-1311[1]
  • Diemut von Liechtenstein ∞ (um 1250) mit Wulfing von Trennstein[1]
  • Perchta von Liechtenstein ∞ (seit ca. 1260) mit dem Adligen und Minnesänger Herrand (II.) von Wildon († um 1278)[1]

Unter seinen Enkeln teilte sich die Ulrichs Familie in zwei Hauptzweige auf. Otto (III.) von Liechtenstein (genannt 1340) benannte sich nach der im Herzogtum Steier gelegenen Herrschaft Murau, sein Bruder Rudolf (I.) von Liechtenstein († um 1343) nach Judenburg.[2]

Leben

 
Briefmarke aus dem Jahr 1961 mit Ulrich von Liechtenstein. Die Bild gibt die Darstellung im Codex Manesse wieder.

Ulrich von Liechtenstein benannte sich nach der Liechtenstein (heute Teil der Gemeinde Judenburg).[3] 1215-1218 diente er als Knappe bei Markgraf Heinrich von Istrien († 1228). 1218 trat er das Erbe seines Vaters an. 1222 wurde er in Wien[A 2] unter Herzog Leopold (VI.) "dem Glorreichen" († 1230) zum Ritter geschlagen. Ulrich von Liechtenstein nahm 1227 an einem großen Turnier in Friesach und 1230 an einem Turnier in Brixen teil. Bei Letzteren soll er einen Finger verloren haben. 1230 hielt er sich außerdem in Rom auf.[4]

Ulrich von Liechtenstein soll 1238, als "Königin Venus" verkleidet, eine Reise unternommen haben, die ihn von Venedig über Wien bis ins böhmische Königreich führte und auf der er viele Turniere besuchte. Diskutiert wird, ob diese Reise nicht im Zusammenhang mit der Ächtung von Herzog Friedrich (II.) "den Streitbaren" († 1246) gestanden haben und Ulrich von Liechtenstein als Tarnung für Agitationen zugunsten des Herzogs gedient haben könnte. Dieser betrieb etwa zeitgleich die erfolgreiche Wiederherstellung seiner Herrschaft über die Herzogtümer Österreich und Steier. 1240 soll Ulrich von Liechtenstein, als König Artus verkleidet, eine weitere Reise unternommen haben, welche ihn durch die heutige Steiermark bis an die Donau und schließlich nach Wiener Neustadt an den Hof seines Herzogs führte. Unter dessen Herrschaft war Ulrich von Liechtenstein 1244/45 Truchsess des Herzogtums Steier.[4]

Unter dem "Böhmenkönig" Ottokar II. († 1278), mit dem er zeitweilig getrübte Beziehungen unterhielt, war Ulrich von Liechtenstein 1267-1272 Marschall des Herzogtums Steier und 1272 dort auch Landrichter[A 3] Die Anfänge von dessen Scheitern, nachdem Graf Rudolf (IV.) von Habsburg († 1291) zum "römischen" König gewählt worden war, dürfte Ulrich von Liechtenstein noch erlebt haben.[4]

Bekannt ist Ulrich von Liechtenstein bis heute aber als Dichter und Minnesänger. Als seine Hauptwerke gelten die Dichtungen "Frauendienst" und "Der Frauenbuch". Das erste Werk erzählt die Geschichte eines Minnesängers und gilt als das erste deutschsprachige Werk, das in der Ichform verfasst ist. In der älteren Forschung wurde es häufig als eine Autobiographie Ulrichs interpretiert. In beiden Werke sind Minnelieder eingestreut.[4] Ulrichs Minnelyrik wurde in die große Sammlung des Codex Manesse aufgenommen.

Erinnerungsstätten an Ulrich (I.) von Liechtenstein im heutigen EU-Land Österreich

Ulrich von Liechtenstein wurde 1961 auf einer österreichischen Briefmarke verewigt.

Niederösterreich

  • Wiener Neustadt: Ulrich von Liechtenstein ist auf der Fassade des Hauses "Zum weißen Rössl" beim Stadtplatz mit einem Sgraffito verewigt.

Steiermark

  • Graz: In der Grazer Burg findet sich ein Denkmal für Ulrich von Liechtenstein in der "Ehrengalerie". An der Fassade des Grazer Rathauses auf Höhe des 2. Stockes findet sich eine Büste von ihm.[5] In Graz ist außerdem die Ulrich-Lichtenstein-Gasse nach ihm benannt.
  • Judenburg: In Judenburg ist die Ulrich-von-Liechtenstein Musik- und Kunstschule nach Ulrich von Liechtenstein benannt.[6]
  • Seggau: Ulrich von Liechtenstein wurde nach seinem Tod im Stift Seckau beigesetzt worden sein, vermutlich in der von ihm gestifteten Johanneskapelle, die auch die "Liechtensteinerkapelle" genannt wurde. In ihr wurden auch seine Ehefrau Perchta und viele seiner Nachkommen aus der "Judenburger Linie" beigesetzt. 1832 wurde die Johanneskapelle abgebrochen.[7][8].
  • Unzmarkt-Frauenburg: Über dem Ortsteil Frauenburg befindet sich die gleichnamige Burgruine, Überreste einer Burg, als deren Erbauer Ulrich (I.) von Liechtenstein gilt. Sie soll ihm als Hauptsitz gedient haben. Auf der Frauenburg soll er gestorben und nach einer Überlieferung, die umstritten ist, dort auch beigesetzt worden sein.[7] Die Grabplatte eines Ulrich von Liechtenstein, die sich auf der Frauenburg befindet und in der älteren Forschung als Beweis dafür galt, wird in der neueren Forschung aber einem gleichnamigen Nachfahren von Ulrich (I.) von Liechtenstein, meistens seinem Enkel Ulrich (III.) von Liechtenstein, zugeordnet.[9]

Ulrich (I.) von Liechtenstein auf der Bühne

 
Die Frauenburg heute. Sie gilt als Hauptsitz von Ulrich von Liechtenstein.
  • Gerhart Hauptmann: "Ulrich von <sic!>Lichtenstein", Komödie, Uraufführung: 11. November 1939, Burgtheater Wien

Liste der von Ulrich (I.) von Liechtenstein im "Frauendienst" genannten Adligen (unvollständig)

  • Herzog Heinrich (II.) von Mödling[10]
  • Markgraf Heinrich von Istrien[10]
  • Graf Meinhard von Görz, Statthalter von Kaiser Friedrich II. im Herzogtum Steier, verkehrte mit dem Erzähler im "Frauendienst" freundschaftlich, beinahe familiär, obwohl er als Reichsfürst höher gestellt ist als der Ministeriale Ulrich von Liechtenstein [10]
  • Otto (II.) von Lengenbach, Sohn von Hartwig (I.) von Lengenbach aus dessen Ehe mit Gräfin Beatrix von Görz, in der Nachfolge der Grafen von Sulzbach Domvogt von Regensburg, ansässig in Neulengbach, verwandt mit Ulrich von Liechtenstein[11]
  • Ulrich von Hasendorf (heute Teil der Gemeinde Sitzenberg-Reidling), ansässig in der näheren Umgebung des Stammsitzes der Liechtensteiner im Traisental, nach zwei Urkunden ein ritterlicher Eigenmann der Edlen von Reidling, wird im "Frauendienst" als Dienstmann des Erzählers bezeichnet und schlägt dort seinem Herrn einen Finger ab, den der Erzähler dann seiner Dame übersenden lässt[12]
  • Reinbot von Mechters, ansässig in der näheren Umgebung des Stammsitzes der Liechtensteiner im Traisental[13]
  • Heinrich von Lienz, im "Frauendienst" der bedeutendste Gefolgsmann des Grafen Meinhard von Görz[13]
  • Gottfried von Totzenbach, im "Frauendienst" als Bote des Domvogts genannt[13]
  • Heinrich von Wasserburg, österreichischer Kämmerer, ansässig in der näheren Umgebung des Stammsitzes der Liechtensteiner im Traisental und ein Schwager von Ulrich von Liechtenstein, leistet dessen Erzähler im "Frauendienst" in einer verzweifelten Situation moralischen Beistand[13]

Ulrich (I.) von Liechtenstein in Legende und Sage

Ulrich von Liechtenstein fand auch Eingang in die Welt der Legende und Sage. Da der "Frauendienst" lange für eine Autobiographie von Ulrich von Liechtenstein gehalten wurde, wurden die dort beschriebenen Geschehnisse immer wieder für tatsächliche Erlebnisse des Dichters gehalten und besonders in seine beiden Verkleidungen als "Frau Venus" und "König Artus" wurde eine ganze Menge hineininterpretiert.[5] Häufig ist es dabei schwer, zwischen Fiktion und Fakt zu unterscheiden. So soll Ulrich von Liechtenstein angeblich eine verwachsene Unterlippe oder Hasenscharte gehabt haben, weshalb er sich 1224 in Graz einer kosmetischen Operation unterzog.[4] Das wäre immerhin vorstellbar. Weniger glaubwürdig wirkt dagegen, dass er sich den Finger auf dem Turnier in Brixen freiwillig abhacken ließ, um ihn seiner Angebeteten als Liebesbeweis zukommen zu lassen.[5]

Werke

Literatur

Weblinks

  Ulrich I. von Liechtenstein – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien auf Wikimedia Commons

Wikisource: Ulrich I. von Liechtenstein – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 nach Heinz Dopsch - Karl Brunner - Maximilian Weltin (Hrsg.): Österreichische Geschichte 1122–1278, 1999, S. 283 (Stammtafel)
  2. vgl. Heinz Dopsch - Karl Brunner - Maximilian Weltin (Hrsg.): Österreichische Geschichte 1122–1278, 1999, S. 282 und S. 283
  3. vgl. Heinz Dopsch: Der Dichter Ulrich von Liechtenstein und die Herkunft seiner Familie, 1977, S. 97f.
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 vgl. Felix Czeike (Hrsg.): Ulrich von Liechtenstein. In: Historisches Lexikon Wien. Band 5, Kremayr & Scheriau, Wien 1997, ISBN 3-218-00547-7–502.
  5. 5,0 5,1 5,2 vgl. Jörg Schwaiger: Die erste Schönheits-Operation von Graz. In: Kronenzeitung online, 1. Oktober 2020
  6. vgl. Ulrich von Liechtenstein Musik- und Kunstschule, Judenburg.AT, abgerufen am 11. November 2022
  7. 7,0 7,1 vgl. Felix Czeike (Hrsg.): Ulrich von Liechtenstein. In: Historisches Lexikon Wien. Band 5, Kremayr & Scheriau, Wien 1997, ISBN 3-218-00547-7, S. 501.
  8. vgl. Heinz Dopsch: Der Dichter Ulrich von Liechtenstein und die Herkunft seiner Familie, 1977, S. 100
  9. vgl. Heinz Dopsch: Der Dichter Ulrich von Liechtenstein und die Herkunft seiner Familie, 1977. S. 113
  10. 10,0 10,1 10,2 vgl. Heinz Dopsch: Der Dichter Ulrich von Liechtenstein und die Herkunft seiner Familie, 1977, S. 112
  11. vgl. Heinz Dopsch: Der Dichter Ulrich von Liechtenstein und die Herkunft seiner Familie, 1977, S. 96 und S. 114 mit Fußnote 99
  12. vgl. Heinz Dopsch: Der Dichter Ulrich von Liechtenstein und die Herkunft seiner Familie, 1977, S. 96 und S. 114
  13. 13,0 13,1 13,2 13,3 vgl. Heinz Dopsch: Der Dichter Ulrich von Liechtenstein und die Herkunft seiner Familie, 1977, S. 114

Anmerkungen

  1. Angaben nach Felix Czeike (Hrsg.): Ulrich von Liechtenstein. In: Historisches Lexikon Wien. Band 5, Kremayr & Scheriau, Wien 1997, ISBN 3-218-00547-7, S. 501.
  2. Die Stadt Wien war damals die größte Stadt im Herzogtum Österreich und gehörte zu dessen Landständen. Sie war unter der Herrschaft der Babenberger seit Herzog Heinrich (II.) ("Heinrich Jasomirgott") Sitz des Herzogs von Österreich und gehörte zu den wichtigsten Residenzen der Habsburger. Im 15. Jahrhundert behauptete Wien sich als Hauptstadt des Herzogtums Österreich "unter der Enns", aber erst im 17. Jahrhundert wurde es die Hauptstadt des "Habsburgerreiches". Bis Mitte des 19. Jahrhunderts umfasste die Stadt Wien im Wesentlichen jenen Stadtteil, der heute den ersten Bezirk bildet. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden durch Eingemeindung die Wiener Bezirke 2-9. Ende des 19. Jahrhunderts beziehungsweise in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden durch Eingemeindung die Bezirke 10-23.
  3. Der Landrichterwar im Mittelalter in den im heutigen Land Österreich gelegenen Herzogtümern einer der Anführer der Landstände. Zunächst war das Amt einem Grafen vorbehalten, später auch Angehörigen des Herrenstandes. Der Amt des Landrichters gilt als eines der Vorläuferämter der späteren Landeshauptleute der Kronländer und heutigen Bundesländer. Vermutlich deswegen wurde Ulrich von Liechtenstein häufig in der älteren Literatur als Landeshauptmann der Steiermark gesehen, was er allerdings nie war.
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