Anna Altmann

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Anna Altmann, um 1910

Anna Altmann (geborene Urbantschky; * 17. November 1851 in Böhmisch Leipa; † 9. März 1941 in Tuchomyšl/Schönfeld[1]) war eine cisleithanische Fabriksarbeiterin, Frauenrechtlerin und Funktionärin der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP). Sie war eine der ersten sozialdemokratischen Agitatorinnen des Habsburger-Reiches.

Leben und Werk

Anna Altmann entstammte einer sehr armen Familie in einem Industriegebiet Nordböhmens und musste bereits im Alter von fünfeinhalb Jahren in einer Druckfabrik arbeiten. Als sie das Alter von sechs Jahren erreichte, besuchte sie zusätzlich die Elementarschule, allerdings nicht morgens, sondern abends zwischen sieben und neun Uhr, in den Wintermonaten ohne geeignete Beleuchtung. Im Alter von zwölf Jahren trat sie ein Arbeitsverhältnis in einer Flachsspinnerei an, wo sie nicht mehr geschlagen wurde. Doch währte der Arbeitstag von fünf Uhr morgens bis sieben Uhr abends. Im Laufe der Jahre wurde ihr die ungerechte Verteilung der Löhne bewusst und sie initiierte, als 15-jährige, gemeinsam mit zwei Kolleginnen, einen Streik. Daraufhin wurde sie entlassen. In den frühen 1860er Jahren erfolgte schrittweise ihre Politisierung, teils durch Bücher, teils durch die Zeitung Volkswille, die sie durch ihren Vater kennen lernte. Schließlich heiratete sie 1877 einen Mann, der sich ebenfalls für Aufklärung und Bildung für die Arbeiterschaft einsetzte. Das Paar übersiedelt nach Aussig und bekam drei Kinder. 1886 übersiedelte die Familie nach Bensen im Polzental, das heutige Benešov nad Ploučnicí.

Hainfelder Parteitag

Zur Jahreswende 1888/89 wurde der Gründungsparteitag der SDAP nach Hainfeld einberufen. Obwohl das Hainfelder Programm jede Diskriminierung nach Geschlecht ablehnte, nahm keine einzige Frau teil. Anna Altmann wurde zwar von der Polzentaler Sektion als Delegierte gewählt, doch blieb ihr dennoch die Teilnahme verwehrt. Als sie die Meldung nach Wien erstattete, antworteten die Genossen aus der Reichshauptstadt, dass sie einen männlichen Delegierten wünschten. Argument war, die Frauen wären noch nicht so weit. Altmann ließ die Angelegenheit auf sich beruhen und dachte sich: „Wir geigen wieder“. Ihre Zuversicht war unerschütterlich, noch Jahre später:

„Und mögen auch noch Jahre vergehen, auch für uns wird der Tag kommen, wo wir als dem Manne gleichberechtigt, als vollwertige Staatsbürgerinnen Österreichs mit dem Stimmzettel in der Hand zur Wahlurne gehen werden.“

Anna Altmann: Blätter und Blüten[2]

Rednerin in Böhmen und in Wien

Die Sozialdemokratin war eine gefragte Rednerin in ganz Böhmen, beispielsweise trat sie 1890 in Reichenberg auf. Nach ihrer Rückkehr erreichte sie eine Einladung aus Wien. Im Juni 1890 sollte in Wien ein eigener „Arbeiterinnen-Bildungsverein“ ins Leben gerufen werden – vermeintlich unpolitisch, um die Vereinsgesetzgebung zu umgehen, die Frauen politische Vereinstätigkeit untersagte. Die Sozialdemokratinnen hatten nicht nur mit repressiven Gesetzen zu kämpfen, sie mussten auch die Vorbehalte sozialdemokratischer Männer überwinden, die den Emanzipationsbemühungen kritisch bis ablehnend gegenüber standen. Bei der Gründungsversammlung hielt Altmann das Hauptreferat, sie motivierte die Frauen zur Organisation und zur politischen Arbeit. Bei dieser Veranstaltung sprach auch Victor Adler, der Gründer der SDAP. Er sollte Anna Altmann in der Folge das Parlament in Wien zeigen, in welches die Sozialdemokraten erst elf Jahre später einziehen sollten.[3]

Gründung böhmischer Frauenvereine

Im Jahre 1891 wurde eine Hausdurchsuchung angeordnet und die gesamte Korrespondenz mit Wien beschlagnahmt, ebenso alles Agitationsmaterial. Anna Altmann wurde insgesamt sieben Male vor Gericht gestellt, davon wurde sie fünf Male verurteilt, einmal wegen Mangels an Beweisen freigesprochen und ein weiteres Mal erfolgte der Freispruch nach einer Berufung. Sie ließ sich nicht einschüchtern. Trotz aller Hürden wuchs die sozialdemokratische Frauenbewegung rasch, auch mit Hilfe der 1892 begründeten „Arbeiterinnen-Zeitung“. Der Schriftleitung oblag der Frauenrechtlerin Adelheid Popp.[4] 1893 berief Altmann in Bensen eine öffentliche Frauenversammlung ein, bei der Adelheid Popp sprach. Später kamen noch andere Genossinnen nach Nordböhmen, beispielsweise 1895 Anna Boschek. Sie selbst engagierte sich unermüdlich in Gewerkschaft und Frauenorganisationen.[5] Altmann, Boschek, Popp und ihre Mitstreiterinnen setzten sich durch. 1898 wurde eine eigene Reichsfrauenkonferenz veranstaltet, es folgten die Gründungen von Frauengewerkschaften ab 1902 und 1907 wurde eine monarchieweite Sozialdemokratische Frauenorganisation gegründet. 1912 konnte sie zufrieden zurückblicken:

„1912: Mein sehnlichster Wunsch war erfüllt, ich stand nicht mehr allein da. [...] 20 Jahre sind es her, dass die ‘Arbeiterinnen-Zeitung’ als junge Kämpferin auf den Plan getreten ist, um die Interessen des weiblichen Proletariats zu verfechten, um allerorts Bildung zu säen, Wissen zu pflanzen und das Klassenbewusstsein in die weitesten Kreise zu tragen. Langsam und sicher, aber mit zäher Ausdauer wurde gearbeitet, bis der Bann gebrochen war“

Anna Altmann: Blätter und Blüten[2]

Anlässlich ihres 80. Geburtstages wurde sie umfassend gewürdigt – in der Arbeiterinnen-Zeitung, die nunmehr den Titel Die Frau trug,[6] und in der Arbeiter-Zeitung[7] Anlässlich von Victor Adlers 80. Geburtstag wurden Altmanns Erinnerungen an den Parteigründer ebenfalls in der Arbeiter-Zeitung veröffentlicht.[8]

Gedenken

Im Oktober 2021 veranstaltete die Seliger-Gemeinde in Bad Alexandersbad inBayern eine Ausstellung des Titels Böhmen liegt nicht am Meer, in welcher das Wirken Anna Altmanns ausführlich gewürdigt wurde.

Die Wiener Parteischule benannte 2022 ihren 50. Lehrgang nach Anna Altmann und Bruno Pittermann.

Texte

  • Aus dem Leben eines Proletarierkindes. In: Buch der Jugend: für die Kinder des Proletariats, hg. von Emma Adler. Berlin 1895, S. 186–191 (brema.suub.uni-bremen.de)
  • Blätter und Blüten. In: Gedenkbuch 20 Jahre österreichische Arbeiterinnenbewegung. Vorwärtsverlag, Wien 1912, S. 23–34 (literature.at)
  • „Kaum sechs Jahre zurückgelegt, musste ich in die Fabrik, um auch einen Teil für meinen Lebensunterhalt zu erwerben“, In: Kein Jahrhundert des Kindes: Kinderarbeit im Spannungsfeld von Schul- und Sozialgesetzgebung, Wien et al.: Lit Verlag 2010, S. 116–117

Literatur

  • Eva Geber (Hg.): Der Typus der kämpfenden Frau, Frauen schreiben über Frauen in der Arbeiterzeitung von 1900–1933; Wien: Mandelbaum 2013
  • Gabriella Hauch: Frauen bewegen Politik : Österreich 1848–1938, Innsbruck [u. a.]: Studienverlag 2009
  • Charlotte Heinritz: Auf ungebahnten Wegen : Frauenautobiographien um 1900; Königstein im Taunus: Helmer 2000
  • Alfred Kleinberg, Fanni Blatny: Das Denkmal der unbekannten Proletarierin : die sudentendeutsche Arbeiterinnenbewegung bis zum Weltkrieg, Karlsbad: Graphia 1937 (kramerius.kvkli.cz)
  • Richard Klucsarits, Friedrich G. Kürbisch (Hg.): Arbeiterinnen kämpfen um ihr Recht, autobiographische Texte zum Kampf rechtloser und entrechteter „Frauenspersonen“ in Deutschland, Österreich und der Schweiz des 19. und 20. Jahrhunderts, Wuppertal: Hammer [1975]
  • Elke Krasny: Stadt und Frauen : eine andere Topographie von Wien, anlässlich der Ausstellung „Frauen und Stadt. Eine andere Topographie von Wien“ 24.10.2008 – 26.06.2009 in der Wienbibliothek im Rathaus, Wien: Metroverlag 2008
  • Brigitte Lehmann, Adelheids Schleier: Pionierinnen der Arbeiterbewegung, in: Die ersten 100 Jahre : österreichische Sozialdemokratie 1888–1988, Wien [u. a.]: Brandstätter 1988, 44–50
  • Adelheid Popp: Der Weg zur Höhe : die sozialdemokratische Frauenbewegung Österreichs, Ihr Aufbau, ihre Entwicklung und ihr Aufstieg / hg. vom Frauenzentralkomitee der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs, Wien 1929 (resolver.obvsg.at)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Es bestehen divergierende Angaben zu Sterbejahr und -ort: Alle österreichischen und bayerischen Quellen nennen das Todesjahr 1937, der ursprünglich hier angegebene Sterbeort Aussig stammt aus der Website der Seliger-Gemeinde. Hier übernommen wurden die Sterbedaten der tschechischen Sprachversion. Tuchomyšl/Schönfeld ist ein heute aufgelassener Ort. Die Angaben stammen von der Website Biografický slovník, erstellt vom Historischen Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik.
  2. 2,0 2,1 Gedenkbuch 20 Jahre Arbeiterinnenbewegung, im Auftrag des Frauenreichskomitees hg. von Adelheid Popp, Wien 1912, S. 23–34
  3. Seliger-Gemeinde (Bayern): Anna Altmann 1851-1937, abgerufen am 27. Mai 2023
  4. Ralf Hoffrogge: Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland und Österreich – von den Anfängen bis 1914. 2. Auflage, Stuttgart 2017, S. 215–219
  5. Seliger-Gemeinde: Anna Altmann, abgerufen am 27. Mai 2023
  6. Anna Altmann.Die Frau, Jahrgang 1932, S. 36 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/abg
  7. Fanny BlatnyWeit und breit die Erste und Einzige!. In: Arbeiter-Zeitung, 23. November 1931, S. 3 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/aze
  8. Anna Altmann: Erinnerung. In: Arbeiter-Zeitung, 24. Juni 1932, S. III f. (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/aze