Benutzer Diskussion:Ernst Heim/Anschlussbewegung an die Schweiz
Kanton Übrig
Wie Arnulf Häfele in seinem Gastkommentar richtig feststellt, stammt dieser Begriff nicht aus der Schweiz sondern vom deutschnationalen Landtagsabgeordneten Dr. Anton Zumtobel aus Dornbirn.
Am Sonntag, dem 11. Mai 1919 fand die Volksabstimmung statt. Es stimmten dabei 47.208 (80,75%) für einen eventuellen Eintritt in die Schweiz. Und 11.248 (19,25%) dagegen.
Warum kam es nicht zum Anschluss? Hat sich der Lustenauer Ferdinand Riedmann, der Initiator des Werbeausschusses für den Anschluss an die Schweiz zu sehr auf die Politiker verlassen?
Mit einem Anschluss an die Schweiz wäre Vorarlberg großes Leid, wäre uns der Blutzoll im zweiten Weltkrieg erspart geblieben. Tausende Väter und Söhne haben ihr Leben auf dem Schlachtfeld gelassen, stellvertretend dafür sei mein Papa [...] erwähnt, wodurch meine Mama [...] zur Witwe und vier unversorgte Kinder zu Halbwaisen wurden.
In diesem Zusammenhang verweise ich auf die erst kürzlich in Buchform erschienene Dissertation von Elfriede Auguste Zuderell (verh. Fischer): „DIE ANSCHLUSSBEWEGUNG VORARLBERGS AN DIE SCHWEIZ 1918-1921.“ Zu beziehen ist dieses interessante Traktat bei der Herausgeberin, Frau Renate Heim, Montfortstraße 30, 6922 Wolfurt.
- Leserbrief eines guten Bekannten
Doktorarbeit von Elfriede Zuderell
„Vorstellung des Buches „Die Anschlussbewegung Vorarlbergs an die Schweiz 1918 – 1921“ von Elfriede Auguste Zuderell
Ernst Heim hat mich angefragt, ob ich bereit wäre, das Patronat dieser Buchvorstellung zu übernehmen. Was mich veranlasst hat, zunächst einmal darüber nachzudenken, was es mit einem „Patronat“ überhaupt auf sich habe.
Patronat – ein Begriff ursprünglich aus dem Römischen Recht, womit die Schutzherrschaft des Grundbesitzers über seine Untergebenen gemeint war. Das ging später im katholischen Kult über auf Heilige, deren Schutz man sich anvertraut hat. Der Namenspatron ist ein Heiliger, dessen Name dem Träger des Namens als Schutzheiliger für das Leben gilt.
In diesem Sinne kann mein Patronat über Ihre Veranstaltung kaum gemeint sein. Denn zur Heiligkeit habe ich es bisher noch nicht gebracht. Also Patronat im Sinne ganz allgemein von „Schutzherrschaft“? Aber was gibt es denn da zu schützen? Es geht um die Doktorarbeit von Elfriede Zuderell, die sie 1946 der Universität Innsbruck eingereicht hat und die seither nur in einer schlecht lesbaren Kohlepapier-Kopie vorhanden war. Sie erscheint hier erstmals als Buch im Druck, dank einer mühsam erarbeiteten Abschrift von Frau Renate Heim die Dissertation „Die Anschlussbewegung Vorarlbergs an die Schweiz 1918 – 1921“.
Die ausgezeichnete Dissertation von Frau Dr. Elfriede Fischer, die heute noch in Feldkirch lebt, ist die erste umfassende historisch-wissenschaftliche Monographie über dieses Thema. In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen 1918 – 1939 war das Thema in Österreich und in Deutschland tabu und von 1938 bis 1945 sowieso. Es war eine für die damalige Zeit (1946) bahnbrechende Arbeit. Erst der Schweizer Daniel Witzig hat sich 1974 mit seinem Buch „Die Vorarlberger Frage“ in vergleichbarer wissenschaftlicher Gründlichkeit des Themas wieder angenommen. Elfriede Fischer-Zuderells Buch zeichnet sich aus durch die zusammengetragene reiche Fülle an Fakten und Daten (insbesondere aus der Presse jener Zeit), durch eine klare methodische Bewältigung des Stoffes und nicht zuletzt durch eine angenehm lesbare sprachliche Gestaltung. Das Buch liest sich spannend wie ein Roman. Der Kampf für und wider den Anschluss tobt hin und her. Er spiegelt eine dramatische Epoche Vorarlberger Geschichte zwischen Österreich, dem Deutschen Reich, der Schweiz und der alliierten Siegermächte.
Wieso bedarf die Vorstellung dieses Buches eines Patronats, einer Schutzherrschaft? Ist denn diese Anschlussfrage heute noch ein aktuelles und heikles Thema? Fast könnte man es meinen, weil auch das Vorarlberger Landesmuseum dem „Kanton Übrig“ vom 25. Oktober 2008 bis 25. Januar 2009 in Bregenz eine Ausstellung widmet, die erste seit jenen Ereignissen vor 90 Jahren. Ich kann mir aber nicht recht vorstellen, dass jene Anschlussfrage von anno dazumal heute noch irgendwie akut und aktuell sein könnte, weder in Vorarlberg, noch in Österreich und schon gar nicht in der Schweiz.
Man kann grosse Entwicklungslinien der Weltgeschichte untersuchen, wie sich historische Bewegungen über Jahrhunderte hinziehen (z.B. das Auf und Ab und Hin und Her in 700 Jahren Schweizer Geschichte). Man könnte das die „Macro-Geschichte“ nennen. Diese grossen Entwicklungslinien setzen sich zusammen aus Hunderten von kleineren Einzelereignissen. So richtig spannend wird Geschichte gerade in solchen Episoden, in denen sich oft dramatische Kleinkriege abspielen und in denen sich Menschliches im Guten wie im Bösen sichtbar enthüllt. Das ist eine Art „Micro-Geschichte“. Sie ist immer besonders fruchtbar und ergiebig. Durch sie stossen wir in den innersten Kern vergangener Ereignisse vor. Die „Vorarlberger Frage“ ist so ein historisches Micro-Ereignis im Rahmen einer welthistorischen Situation (Friedensschluss nach dem ersten Weltkrieg, Neuordnung Europas). Und sie enthält ein Kernproblem, mit dem es sich auch noch zu beschäftigen lohnt.
Eine erste Frage, die sich stellt: Sind die Ergebnisse dieser Einzelstudie von der zünftigen Geschichtsschreibung zur Kenntnis genommen worden? Wie wurde diese Vorarlberger Episode in den Geschichtsbüchern des Landes dargestellt? Wurde sie bisher verfälscht, trägt die Studie etwas zur besseren Wahrheitsfindung bei? Seit 1946 liegt die Arbeit von Elfriede Zuderell vor. Hat sie seither Eingang in die Geschichtsbücher der Schulen gefunden? Das sind Fragen, welche die Untersuchung jener Vorgänge von 1918 – 1921 wachrufen und die zur Diskussion Anlass geben können.
Die Studie löst aber auch eine Kernfrage aus, die nach einer heutigen Antwort verlangt: Nachdem sie einleitend die Situation nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie und die deutsch-österreichische Situation geschildert hat, kommt Elfriede Zuderell gleich auf das zentrale Problem des damaligen Vorarlbergs zu sprechen. Ihr erstes Kapitel trägt den Titel „Das Selbstbestimmungsrecht“ – und das ist das Thema, das auch heute noch nichts an Aktualität und Bedeutung eingebüsst hat. In diesem Kapitel untersucht die Autorin „Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und seine Anwendbarkeit auf Vorarlberg“. Und nachdem sie uns die Ereignisse rund um diese Frage ausführlich, anschaulich und lebhaft bis in alle Einzelheiten geschildert hat, kommt sie – das Vorarlberg betreffend – zu folgendem Schluss: „Für Vorarlberg bedeutete die Anschlussfrage einen zweijährigen hartnäckigen Kampf um seine freiheitlichen Ideale, um sein Recht der Selbstbestimmung und um seinen Anschluss an die Schweiz, den jeder, der das Land Vorarlberg, die Sitten und Gewohnheiten seiner Menschen und seine Geschichte kennt, wenn nicht billigen, so doch verstehen und gerecht beurteilen wird.“
Das ist ungeheuer vorsichtig und zurückhaltend formuliert. Elfriede Zuderell befleissigt sich in diesem Satz möglichster historischer Objektivität. Sie hütet sich, gefährliche oder gar polemische Fragen zu formulieren. Es ist an uns, solche Fragen zu stellen: Hat man dem Vorarlberg dieses „Recht auf Selbstbestimmung“ damals hinreichend eingeräumt oder blieb es beschränkt durch die drohende Auflösung Österreichs und durch den Machtanspruch der Alliierten im Frieden von St. Germain? Darüber gingen damals wie heute die Meinungen weit auseinander. Keine Meinungsunterschiede dürften uns aber trennen, wenn es um unser Selbstbestimmungsrecht heute geht. Die Selbstbestimmung ist ein Aspekt der Freiheit, der Freiheit des Individuums, aber auch der Völker und Nationen, besonders auch von Minderheiten. Wie weit kann, darf und muss ein freies Volk über sein Schicksal selbst bestimmen? Es gibt Grenzen der Selbstbestimmung. Aber diese Grenzen festzulegen, ist äusserst schwierig, oft sogar eine unlösbare Aufgabe. Selbstbestimmung gibt es nur von Fall zu Fall. Und jeder Fall ist anders. Gibt zum Beispiel die Republik Österreich ihren Ländern, also auch dem Vorarlberg, ein hinreichendes Selbstbestimmungsrecht? Oder könnte das Selbstbestimmungsrecht der Länder noch erweitert werden? Wenn ja, wie?
Die gleiche Frage beschäftigt uns auch in der Schweiz. Aber eher in einem negativen Sinn: Das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden gegenüber den Kantonen, der Kantone gegenüber dem Bund und des Landes gegenüber der Europa-Union ist bedroht. Wir müssen auf der Hut sein, dass unsere föderalistische Staatsstruktur nicht mehr und mehr zerstört wird und unsere Volksrechte nicht langsam aber sicher ausgehöhlt, geschwächt werden und schliesslich verloren gehen.
Die Anschlussbewegung Vorarlbergs an die Schweiz war eine Frage des Selbstbestimmungsrechts. Und darum beschäftigt uns dieses Thema heute noch – nicht weil wir die Geschichte rückgängig machen wollten oder könnten. Das Beispiel Vorarlberg reizt und zwingt uns, die Frage nach dem Selbstbestimmungsrecht ernst zu nehmen, damit wir nicht eines Tages mit Schrecken feststellen müssen, dass es politischen Scharlatanen gelungen ist, unser Selbstbestimmungsrecht Stück um Stück – und damit die Freiheit – wegzuzaubern und wir zu Hörigen anonymer Mächte geworden sind. In diesem Sinne, im Einstehen für Freiheit und Selbstbestimmung vereinigt sich mein Patronat mit Ihrer Veranstaltung.“
Unterschriftensammlung von Riedmann & Co
Ferdinand Riedmann und seine Verbündeten (im sog "Werbeausschuss für den Anschluss an die Schweiz") haben von Nov 1918 bis Feb 1919 40.334 Unterschriften für den Anschluss Vorarlbergs an die Schweiz gesammelt und der damaligen (prov. Landesregierung) übergeben.
Mir stellt sich die Frage, was Unterschriften wert sind, wenn sie nichts kosten. Wenn Riedmann 5.000,- Schweizer Franken statt Unterschriften gesammelt und diese sinnvoll investiert hätte, wären wir heute vermutlich ein Stück weiter, oder ?
- 5.000,- Schweizer Franken von 1919 wären heute ca 50.000,- EUR wert. --Ernst Heim (Diskussion) 17:26, 22. Mär. 2023 (CET)