Elementares Musiktheater

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Wilhelm Keller
Muwota Baum

Der Begriff und das Konzept Elementares Musiktheater entwickelte sich um 1970 aus der Arbeit von Wilhelm Keller (1920 – 2008, Komponist, Musiktheoretiker und Musikpädagoge), und wurde von seiner Tochter Manuela Widmer[1] weiterentwickelt.[2]

Er entdeckte die pädagogisch-künstlerischen Möglichkeiten des szenischen Spiels mit Musik und Bewegung in der Arbeit mit geistig- und mehrfachbehinderten jungen Erwachsenen. Er beobachtete, dass diese Menschen in höchstem Maße ihre Individualität leben und durch ein genormtes Regelwerk nicht zu erreichen sind. Da es ihm aber ein Anliegen war, mit diesen Menschen ein Gruppenmusizieren und -tanzen durchzuführen, um sie auch in den Genuss des Miteinanderspielens kommen zu lassen, suchte er nach einer Möglichkeit, ein Thema für alle gemeinsam zu finden, aber die jeweilige Partizipation zu individualisieren.

Er begann mit Spielliedern und überlegte sich für deren Gestaltung viele verschiedene Aufgaben, aus denen die Mitglieder der Gruppe auswählen können, was sie am liebsten tun und am besten können.

Das erste szenisch-musikalische Spiel war die Umsetzung der Weihnachtsgeschichte. Da viele gerne singen, aber es nicht vermögen, eine vorgegebene Melodie gemeinsam mit anderen zu intonieren, ging Wilhelm Keller dazu über, solistisch singend improvisieren zu lassen. Es entstanden einzigartige Rezitative – oftmals verbunden mit einer besonderen Gestik und Bewegung im Raum. Die Gruppenmitglieder nahmen fasziniert und konzentriert an den Aufführungen teil. Waren sie gerade nicht selbst aktiv, verfolgten sie mit Spannung und Interesse das Spiel, den Gesang und den Tanz der anderen Mitwirkenden.

Für jede und jeden dieser Lebenshilfe-Gruppe hat Wilhelm Keller Aufgaben und Rollen gefunden, die gerne und gut ausgeführt werden können. Die Freude, die dadurch entstand, dass alle die Möglichkeit haben, etwas Eigenes in das gemeinsame Spiel einzubringen und dabei Anerkennung zu erfahren, wirkte sich einerseits auf die Wachheit und Konzentriertheit aller im Moment der Aufführung aus, wie auch auf die Gedächtnisleistung, sich noch ein Jahr später an vieles zu erinnern.

Nach der Durchführung dieses Weihnachtsspiels befand Keller sehr rasch, dass auch Kinder des Vor- und Grundschulalters das Recht haben sollten, ihren Wünschen und Fähigkeiten entsprechend im szenischen Spiel beteiligt zu werden. Er führte erste Versuche in Grundschulen durch und erlebte dieselbe Begeisterung. Auch diese Kinder brachten ihre individuellen Begabungen und Wünsche ein und für jede und jeden kann eine angemessene Aufgabe und Rolle gefunden werden. So bildeten sich Kurzgeschichten, Märchen und Bilderbücher als Grundlage der Spiele.

Da Keller durch seine Tätigkeit am Orff-Institut am Salzburger Mozarteum der Elementaren Musik- und Bewegungs-/Tanzerziehung in der Tradition des Orff-Schulwerks nahesteht, nannte er die Spielform Elementares Musiktheater“. Während eines Elementaren Musiktheaterprojektes werden von einer Spielgruppe nicht nur Lieder, Tänze und Texte erfunden, gelernt und gestaltet, sondern die einzelnen Gruppenmitglieder entwickeln und steigern dabei auch ihre Konzentrationsfähigkeit, ihre soziale Sensibilität, ihre Selbstständigkeit und ihre persönlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Solche wertvollen „Nebenprodukte“ kann ein Elementares Musiktheaterprojekt als Früchte „abwerfen“, wenn u. a. die Individualität und die Übernahme von Eigen- und Mitverantwortung von der Gruppenleitung ins Spiel gebracht werden

1970 startete Wilhelm Keller mit der Veröffentlichung seiner Reihe „Ludi musici“ (1970-1978, Alle: Fidula Verlag, Boppard/Koblenz). Unter diesem Obertitel erscheinen „Spiellieder“, „Sprachspiele“, „Schallspiele“ und als eine Art Conclusio der vierte Band unter dem Titel „Minispectacula – Kleinstschauhörspiele“, die er im Vorwort als MUWOTA-Spiele bezeichnet, wobei er sinnbildlich die jeweils zwei Anfangsbuchstaben von MUsik, WOrt und TAnz aneinanderhängt und zu einem eigenen Begriff für die Spielform des Elementaren Musiktheaters erhebt.

Literatur

  • Angelika Albrecht-Schaffer: Theaterwerkstatt für Kinder. 100 und eine Idee rund ums Theaterspielen, Don Bosco Verlag, München 2006. ISBN 978-3-7698-1548-1, ISBN 3-7698-1548-3
  • Erich Heiligenbrunner/Marion Seidl: Ich zeig Dir meine Welt. Menschen mit Behinderungen im szenischen Spiel, Ökotopia Verlag, Münster 1994. ISBN 3-925169-62-8
  • Wilhelm Keller: Spiellieder für Kindergarten und Grundschule. Band 1 aus der Reihe: Ludi musici. Fidula Verlag, Boppard 1970.
  • Wilhelm Keller: Minispectacula - Gestaltung von MUWOTA (MUsik,WOrt,TAnz)-Spielen, Band 4 aus der Reihe: Ludi musici. Fidula Verlag, Boppard 1975.
  • Manuela Widmer: Spring ins Spiel. Elementares Musiktheater für schulische und außerschulische Gruppen - ein Handbuch. Fidula Verlag, Boppard 2004. ISBN 3-87226-925-9
  • Manuela Widmer/Michel Widmer: Elementares Musiktheater als integrative und integrierende Spielform der Musik und Bewegungserziehung in: Shirley Salmon/Karin Schumacher (Hrsg.): Symposion Musikalische Lebenshilfe. Die Bedeutung des Orff-Schulwerks für Musiktherapie, Sozial- und Integrationspädagogik, Hamburg (Books on Demand) 2001, S. 193-208. ISBN 3-8311-1892-2
  • Manuela Widmer: Das Elementare Musiktheater – ein interdisziplinärer Ansatz für den Musikunterricht der Grundschule in: Mechthild Fuchs/Georg Brunner (Hrsg.): Welchen Musikunterricht braucht die Grundschule Konzeptionelle und unterrichtsspezifische Beiträge zu einem nachhaltigen Musikunterricht. Essen (Blaue Eule) 2006, 119-125. ISBN 3-8992-4173-8
  • Manuela Widmer: Elementares Musiktheater in Schule und Musikschule. Spring ins Spiel – Musik, Bewegung, Tanz und Sprache in: Schneidewind/Widmer: Die Kunst der Verbindung. Innsbruck (Helbling) 2016, S. 191 - 204. ISBN 978-3-99035-639-5

DVD

  • Manuela Widmer/Hannes Valtiner: Spring ins Spiel – Elementares Musiktheater mit dem Märchen „Die Mäusebraut“, DVD (+ ausführlichem Booklet). Koblenz (Fidula) 2015.

Einzelnachweise