Gemeinwichtige Anlage

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Unter dem Begriff gemeinwichtige Anlage (auch: gemeingewichtige Anlage oder Anlagen im besonderen Allgemeininteresse) wird eine private oder öffentlich-rechtliche Anlage verstanden, an der ein erheblich gesteigertes Interesse am Betrieb durch die Gesellschaft besteht und die unmittelbar dem Gemeinwohl dienen.

Gemeinwichtige Anlagen könne z. B. Straßen, Eisenbahnen bzw. Eisenbahnanlagen, Flugplätze, Krankenhäuser, Abwasserreinigungsanlagen, Seilbahnen, Energieversorgungsunternehmen, Umspannwerke, Mülldeponien etc. sein.

Begriffabgrenzung

Gemeinwichtig können sowohl Anlagen allgemein, Betriebsanlagen als auch Versorgungsaufträge (z. B. Energieversorgung) als z. B. auch Nachrichten sein. Meist sind diese Aufgaben bzw. Anlagen auch gleichzeitig im öffentlichen Interesse.

Anlagen von volkswirtschaftlichem Interessen hingegen müssen nicht zwingend gemeinwichtige Anlage sein (z. B.: Banken, Industrieunternehmen etc.). Unterscheidungsmerkmal zwischen Anlagen im volkswirtschaftlichem Interesse und Anlagen im besonderen Allgemeininteresse (gemeinwichtige Anlagen) ist etwa, wenn dem Betreiber zu Zwecken des Anlagenbaus und -betriebs die gesetzliche Möglichkeit der Enteignung eingeräumt wurde[1] oder eine gesetzlich angeordnete Betriebspflicht besteht (z. B. Eisenbahnen, Seilbahnen). Ebenfalls ist nach dem Obersten Gerichtshof davon auszugehen, wenn die einschlägigen Verwaltungsvorschriften keine Verfahrensbeteiligung der Nachbarn vorsehen, das besonders hohes öffentliches Interesse vorliegen.[2]

Bei hoheitlicher Tätigkeiten scheidet eine Anwendung von § 364 bzw. 364a ABGB bereits dem Grunde nach aus[3], da die Grundlagen dafür im Öffentlichen Recht liegen und nicht dem Zivilrecht.

Rechtliche Grundlagen

In Österreich ist das Eigentumsrecht vielfältigen Beschränkungen unterworfen. Grundlage für einen Unterlassungsanspruch eines Eigentümers gegenüber einem anderen ist grundsätzlich § 364 ABGB. Danach kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn Einwirkungen z. B. durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusche, Erschütterungen etc. untersagen lassen, soweit diese die örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen.

Durch § 364a ABGB wird dieser Anspruch auf Untersagung aus § 364 ABGB eingeschränkt, wenn es sich um eine behördlich genehmigte Anlage handelt.[4] Dann hat der Eigentümer des Nachbargrundstückes keinen Unterlassungsanspruch gegen den Störer, sondern kann nur den Ersatz des zugefügten Schadens gerichtlich verlangen, selbst wenn bei der behördlichen Verhandlung diese Störungen gar nicht Teil des Genehmigungsverfahrens waren.

Voraussetzung nach § 364a ABGB ist jedoch, dass der Nachbar überhaupt Parteistellung im behördlichen Genehmigungsverfahren hatte (ergibt sich auch aus Artikel 6 EMRK – Recht auf ein faires Verfahren). In vielen Fällen wurden die letzten Jahrzehnte vom Gesetzgeber die Nachbarrechte ausgehöhlt (siehe z. B. § 359b GewO – vereinfachtes Bewilligungsverfahren) und die Parteistellung des Nachbarn durch Anhörungsrechte ersetzt. Durch fehlende Parteirechte hätte der gestörte Nachbar, weil § 364a ABGB nicht anzuwenden ist, nach § 364 ABGB wieder einen Unterlassungsanspruch gegen den Störer.

Um diesen Unterlassungsanspruch dennoch nicht zu Anwendung gelangen zu lassen, wurde das Rechtsinstitut der gemeinwichtigen Anlage von der Rechtsprechung entwickelt. Es besteht somit dann kein Unterlassungsanspruch, auch wenn die Parteirechte nicht eingehalten wurden, wenn am Betrieb der Anlage ein erheblich gesteigertes Interesse durch die Gesellschaft besteht. Dann wird die fehlende Beteiligung des Nachbarn am Genehmigungsverfahren durch das „öffentliche Interesse“ ersetzt.[5] Der gestörte Nachbar soll nur dann noch einen Abwehranspruch und schutzwürdige Interessen haben, wenn von der Behörde vorgeschriebene und für die Anlage typische Grenzwerte (auf deren Festlegung zuvor der Nachbar wegen fehlender Parteistellung jedoch keinen Einfluss hatte) überschritten werden.[6] Der Störer kann, wenn dies wirtschaftlich für ihn vertretbar ist, zu Maßnahmen angehalten werden, um die Störung zu verringern.[7]

Nicht zu dulden hat der gestörte Nachbar auch einer genehmigten Anlagen die unmittelbare Zuleitung grobkörperlicher Stoffe oder deren Einwirkung.[8]

Offene Fragen

Noch nicht geklärt ist bislang, inwieweit z. B. Windkraftanlagen, Kleinwasserkraftanlagen, Photovoltaikanlagen oder sonstige Kleinanlage gemeinwichtige Anlage sind bzw. sein können, die zwar als Einzelanlage die bisher von den Gerichten geforderten Kriterium nicht erfüllen aber in der Gesamtheit einen wichtigen Beitrag zum Beispiel zur Energieversorgung bzw. Netzstabilität leisten.

Einzelnachweise

  1. Zum Beispiel im: Eisenbahnrecht, im Wasserrecht, im Starkstromwegerecht oder im Straßenrecht.
  2. Siehe OGH in 8 Ob 61/19g.
  3. Siehe z. B.: OGH in 1 Ob 139/10p; 8 Ob 135/06w.
  4. OGH meint in 8 Ob 128/09w, wenn in einem Verwaltungsverfahren zudem auch über „zivilrechtliche“ Ansprüche entschieden werde und die Parteien beteiligt werden, könne es sich auch um eine Anlage iSd § 364a ABGB aus zivilrechtlicher Sicht handeln. Dies sei in jedem Einzelfall zu prüfen.
  5. Siehe z. B. OGH in 6 Ob 126/24h; 8 Ob 128/09w; 1 Ob 47/15s; 1 Ob 10/88).
  6. Siehe z. B. zu Salzstreuung auf Bundesstraßen OGH in 3 Ob 534/90. Siehe auch dazu § 24 Abs. 5 Bundesstraßengesetz (BStG) 1971 – Unterscheidung von Bau/Ausbau bzw. den Betrieb von Bundesstraße (8 Ob 636/88).
  7. Siehe z. B.: 8 Ob 61/19g; 1 Ob 239/14z; 4 Ob 619/74. Siehe aber auch: Oberlandesgericht Düsseldorf in I-9 U 169/03.
  8. Siehe dazu z. B.: OGH 1 Ob 307/75; 10 Ob 37/05x; 5 Ob 3/99y; 1 Ob 12/82; 4 Ob 239/08p; 2 Ob 67/84; 5 Ob 130/95 etc.