Hand- und Zugdienste (Vorarlberg)

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Als Hand- und Zugdienste (auch: Hand- und Spanndienste oder Robot bzw. allgemein Frondienst) werden vereinfacht die Leistungen für Gemeindeerfordernisse in Vorarlberg bezeichnet. Es handelt sich dabei um Leistungen, für die Bürger zum Wohl des Gemeinwesens in Vorarlberg verpflichtet sind, oder eine bestimmte Geldsumme als Zahlung zur Ablösung derselben an die Gemeindekasse.

Gesetze und Grundlagen

Bundesgesetze

Gemäß § 176 Abs. 1 Zif. 4 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG[1]) und nach § 148c Abs. 2 Zif. 15 des Bauern-Sozialversicherungsgesetz[2] sind Unfälle bei Hand- und Zugdienste (Robot) sowie sonstige Arbeitsleistungen, wenn sie auf Grund gesetzlicher oder statutarischer Verpflichtung oder auf Grund alten Herkommens erbracht werden Arbeitsunfälle.

Landesgesetz

Das Gesetz betreffend die Gemeindeordnung für das Land Vorarlberg (Gemeindeordnung 1935) ist nach wie vor im Rechtsbestand des Landes Vorarlberg enthalten.[3]

Auf Grundlage dieses Gesetzes können die Gemeinden Verordnungen zur Verpflichtung von Haushaltsvorständen in der Gemeinde erlassen, verpflichtende Dienste für das Gemeinwohl zu erbringen.

Gemeindeverfassung

Die Gemeindeverfassung ist nach der Familie die nächste Ebene, die das Zusammenleben der Individuen regelt. Sinn und Zweck der Gemeindeverfassung ist es, innerhalb der Gemeinden den Individuen und Familien die größtmögliche Freiheit zu geben, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es möchten, solange dadurch die Interessen der anderen Gemeindemitglieder nicht beeinträchtigt wird. Aus dieser Freiheit folgt aber auch die Pflicht der Gemeindemitglieder, diese für alle zu Gewährleisten.

Dies umfasst auch, gemeinsam die Möglichkeiten des Zusammenlebens zu erhalten. Dies wird in Österreich seit Jahrhunderten auch mit solchen gemeinsamen freiwilligen oder verpflichtenden Diensten gelebt und teilweise auch gesetzlich vorgeschrieben.[4][5][6][7]

Der Vorarlberger Gemeindeverband sieht daher keine Notwendigkeit, die verpflichtenden Hand- und Zugdienste abzuschaffen. Diese seien ein gelebter Ausdruck von Gemeinschaft und Solidarität in vielen Gemeinden (Walter Gohm) und die „Gemeinschaftsarbeit trage wesentlich zum Zusammenhalt“ bei.[8]

Dienste für das Gemeinwohl sind auch im restlichen Österreich nicht unbekannt. So ist z. B. jede Gemeinde verpflichtet aus feuerpolizeilichen Gründen eine Feuerwehr aufzustellen. Würden sich dafür nicht genügend Freiwillige melden, so müsste der Bürgermeister bestimmte geeignete Personen dafür zum Schutz des Gemeinwesens mit Hoheitsgewalt bestimmen.

Selbstverwaltung der Gemeinden

Nach der österreichischen Bundes- und der Vorarlberger Landesverfassung haben die Gemeinden in Vorarlberg ein Recht auf Selbstverwaltung und sind auch Verwaltungssprengel. Diese Rechte hatten verschiedene die Vorarlberger Gemeinden bereits vor dem Mittelalter, einige auch noch im Mittelalter (z B. Walsergemeinden) und diese Rechte wurden erst im Zuge des Absolutismus immer mehr eingeschränkt. In Vorarlberg erhielten die Gemeinden während der Zeit der bayrischen Herrschaft 1805 bis 1814 geänderte Kompetenzen unter strenger Aufsicht der Oberbehörden. Die alten Rechte vor 1805 wurden dann mit der Rückkehr in die österreichische Monarchie zum Bedauern der Vorarlberger nicht wieder hergestellt[9] und erst mit der Revolution 1848 wurde 1849 die Gemeindeselbstverwaltung auch in Vorarlberg wieder eingeführt (Provisorisches Gemeindegesetz, RGBl 170/1850).[10] Seit damals gilt, dass die Grundfeste des freien Staates die freie Gemeinde ist.[11] Nachdem im Neoabsolutismus faktisch die Gemeinden wieder eingeschränkt bzw. strenger staatlicher Kontrolle unterstellt wurden, kam es ab 1862 durch das Reichsgemeindegesetz (RGBl 18/1862) zur Gemeindeselbstverwaltung in Österreich. 1948 folgte das Finanzverfassungsgesetz, wodurch die Gemeinden auch finanziell abgesichert wurden und 1962 zum Gemeindeverfassungsgesetz, mit dem den Gemeinden bestimmte Kompetenzen zur eigenverantwortlichen Erledigung übertragen wurde. Erst im Rahmen des Beitritts zur Europäischen Union erfolgte wieder eine Einschränkung, als nun auch Entscheidungen auf Gemeindeebene dem Recht der Europäischen Union entsprechen müssen (Vorrang des Unionsrechts. Bereits zuvor durfte Gemeinderecht nicht dem Bundesrecht bzw. Landesrecht widersprechen).

Aufgabenbereich der Gemeinden

Wichtigster Aufgabenbereich der Gemeinden ist es, den Bürger die grundlegenden Voraussetzungen zu geben, damit sie in der Gemeinde leben können (z. B.: Bauwesen, Polizeiwesen und Sicherheit, Feuerwehr, Brandvergütung, Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Gemeindestraßen, Sicherung des sozialen Lebens auch im Bereich der Alters- und Krankenfürsorge, Familienbetreuung, Gemeindesanitätsdienst etc.). Hinzu kommt die Förderung des sozialen Zusammenlebens, insbesondere auch in Vereinen und für den Bereich Sport, Kultur, Freizeit, etc.). Sowie Vorbildwirkung, z.B. im Bereich Umweltschutz oder Energieeinsparung.

Im Rahmen dieses Aufgabenbereichs der Gemeinden muss sich auch die Verpflichtung zum Dienst für das Gemeinwohl bewegen, während Freiwiligenarbeit auch darüber hinaus gehen kann.

Gemeindeordnung 1935

Gemäß § 91 der Gemeindeordnung 1935 kann eine Gemeinde für Gemeindeerfordernisse Arbeiten und Dienste verlangen. Die Dienste können in Hand- und Zugdiensten bestehen; sie sind in Geld nach den ortsüblichen Preisen abzuschätzen. Besteht in einer Gemeinde eine besondere gültige Übung hinsichtlich der Verteilung und des Ausmaßes solcher Dienste, kann die Gemeinde diese Dienste nach dieser Übung weiterhin verlangen. Wenn eine solche besondere gültige Übung nicht besteht oder wenn die Gemeinde davon keinen Gebrauch machen will, so kann sie den Haushaltungsvorstand zur Leistung von Handdiensten im Ausmaße von höchstens 3 Tagschichten jährlich heranziehen. Ob die Dienste durch den Verpflichteten selbst oder durch einen tauglichen Vertreter geleistet werden, oder ob stattdessen der geschätzte Betrag in die Gemeindekassa bezahlt wird, bestimmt der Verpflichtete.[12]

Diese Dienste sind somit nach der Gemeindeordnung 1935 nicht auf Hand- und Zugdienste beschränkt, sondern können auch andere Dienste umfassen.

Diese Dienste sind Natural(arbeits)leistungen und keine öffentlichen Abgaben.[13]

Verpflichtete

Wie sich aus § 176 Abs. 1 Zif. 4 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) und § 148c Abs. 2 Zif. 15 des Bauern-Sozialversicherungsgesetz ergibt, sind Verpflichtete grundsätzlich nicht nur natürliche Personen, sondern können dies grundsätzlich auch Unternehmen sein. Nach § 91 der Vorarlberger Gemeindeordnung 1935 sind diese Dienste für Gemeindeerfordernisse jedoch an Haushalte geknüpft.[4] Wer jedoch genau der verpflichtete Haushaltsvorstand ist, ist auszulegen.

In einer Verpflichtung eines Haushaltsvorstandes muss auf die persönliche Leistungsfähigkeit des Haushaltsvorstandes von der Gemeinde Rücksicht genommen werden.[14] Wer körperliche Arbeit z. B. aufgrund seines Alters oder einer Behinderung nicht oder nur teilweise erbringen kann, kann nicht einem gesunden Menschen bei der Erbringung von Naturalarbeitsleistung (Handdiensten) gleichgestellt werden bzw. mehr Dienststunden verlangt werden. Wer keine Zugtiere oder kein Fahrzeug hat, kann nicht zu Zugdiensten verpflichtet werden.

Gleichberechtigung

Diese Dienste für die Gemeindeerfordernisse galten ursprünglich nur für den männlichen Haushaltsvorstand. Nachdem die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein wesentlicher Grundsatz des heutigen staatlichen Zusammenlebens ist, treffen die Hand- und Zugdienste bzw. die Verpflichtung zur Ausgleichszahlung auch Frauen, die Haushaltsvorstand sind.[15]

Keine Zwangsarbeit

Gemäß dem österreichischen Verfassungsgerichtshof verstößt die Verpflichtung zu solchen Diensten für das Gemeinwohl, die alle Haushaltsvorstände in einer Gemeinde gleichermaßen trifft, nicht gegen das Verbot der Zwangsarbeit nach Artikel 4 EMRK.[16] Es sind dies Bürgerpflichten.

Leistungen für die Gemeindeerfordernisse

Gemeindeerfordernisse

Abgesehen von der Fronarbeit für den Gutsherrn oder die Kirche[17], war die Fronarbeit in der bäuerlichen Gesellschaft den Gemeindegenossen gemeinsam auferlegt.[18] Es betraf dies vor allem die in der bäuerlichen Gesellschaft wichtigen Tätigkeiten, wie z. B. die Errichtung, Erweiterung und Erhaltung der Allmende oder das Zäunen. Auch damals gab es Zeitgenossen, die willig zum Wohl des Gesamten handelten und andere, die unwillig nur das Notwendigste taten oder dazu gezwungen werden mussten. Auch später, als es zur Vereinödung kam, mussten alle die einen Vorteil davon hatten zusammenhelfen, um diese Landzusammenlegung zum Wohle aller zu ermöglichen.

Ebenfalls betraf die Fronarbeit der Gemeindebewohner den Bau und Erhalt der örtlichen Kirche bzw. Kapelle.

Die Fronarbeit an Straßen war in Vorarlberg bei Saum- und Karrenwegen, richtige Straßen gab es erst mit Ende des 17.Jahrhunderts[19], vor allem den Anrainern auferlegt. Als Konkurrenzstraßen, Interessentenstraßen und Autonome Straßen entstanden, den Mitglieder derselben.[20] Wobei bereits damals sich ein Mitglied einer Straßengemeinschaft von seiner Verpflichtung z. B. zum Winterdienst freikaufen konnte.[21]

Das in § 91 der Vorarlberger Gemeindeordnung 1935 normierte für Gemeindeerfordernisse Arbeiten und Dienste ist eine Fortschreibung dieser Frondienste aus früheren Zeiten.

Ausgleichsabgabe

Anstelle den Diensten für die Gemeinde (Gemeindeerfordernisse) kann auch vom Haushaltsvorstand eine Ausgleichsabgabe in die Gemeindekasse bezahlt werden. In Bartholomäberg beträgt diese, anstelle von acht Stunden Arbeit, 105 Euro jährlich, in Lochau 40 Euro anstelle von 4 Stunden gemeinnützige Arbeit.[22]

Die Ausgleichsabgabe ist mittels Bescheid vorzuschreiben und kann bei fristgerechter Nichtbezahlung auch exekutiert werden. Jedoch ist die Ausgleichsabgabe keine Finanzierungsquelle der Gemeinde. Sie darf nur für tatsächlich angeordnete und für die Gemeinschaft nützliche Dienste eingehoben werden und nicht eine versteckte Abgabe sein.[23]

Freiwilligkeit versus Pflicht

Inwieweit die verpflichtenden Dienste für das Gemeinwesen im Sinne des § 91 Gemeindeordnung 1935 noch zeitgemäß sind, ist umstritten. Beispiele, wie die jährliche Flurreinigung in den Gemeinden zeigen, dass auch eine auf Freiwilligkeit und Motivation begründete Gemeinschaftsarbeit durchaus und über Jahre hinweg erfolgreich möglich ist (siehe auch die Clean Up the World – Bewegung).[24] Die Verpflichtung aller Bewohner einer Gemeinde in Notfällen zu helfen (Naturkatastrophen, Feuersbrunst, Lawinenabgang etc.), würde von einer Abschaffung der Hand- und Zugdiensten in Vorarlberg nicht beeinträchtigt.

Kritik

Bereits 2005 haben die Vorarlberger SPÖ und die Grünen einen Antrag gestellt, diese Bestimmung des § 91 Gemeindeordnung 1935 aufzuheben.[4]

In Kritik gekommen ist diese Bestimmung der Gemeindeordnung 1935 neuerlich 2025, als die Gemeinde Lochau diese Dienste wieder eingeführt hat. Jeder Haushalt soll nunmehr einmal jährlich 40 Euro bezahlen oder der Gemeinde für vier Stunden solche Dienste leisten. Haushalte, deren Haushaltsvorstand über 60 Jahre alt ist, sollen 20 Euro bezahlen, Haushaltsvorstände über 70 Lebensjahre sind nicht mehr zu Diensten für die Gemeinde verpflichtet.[22]

Die Vorarlberger SPÖ und die Grünen fordern jedoch, dass dieses Gesetz ersatzlos abgeschafft werden soll. Gemeinden hätten andere Möglichkeiten, um leere Gemeindekassen aufzufüllen.[4][25][26]

Weblinks

Einschränkung bzw. Aufhebung des Robots

Medien

Einzelnachweise

  1. BGBl. Nr. 189/1955
  2. BGBl. Nr. 559/1978
  3. Anhang A zu LGBl. 78/2017, Webseite: ris.bka.gv.at.
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 Pflichtarbeit für Gemeinden in der Kritik, Webseite: vorarlberg.orf.at vom 2. November 2024.
  5. 9. Sitzung des Vorarlberger Landtags am 28. und 29. Oktober 1965, Webseite: agi-imc.de, abgerufen am 7. Dezember 2025.
  6. § 13 bayrisches Gemeindeedikt 1808, Webseite: digitale-sammlungen.de, abgerufen am 7. Dezember 2025.
  7. Siehe auch: § 81, Vorarlberger Gemeindeordnung 1864, Webseite: alex.onb.ac.at, abgerufen am 7. Dezember 2025.
  8. „Abschaffung der Hand- und Zugdienste wäre ein Fehler“, Webseite: vorarlberg.orf.at vom 21. Oktober 2025.
  9. Siehe z. B. in Gerhard Blank, Konrad Blank, Elmar Haller, Ernst Wirthensohn: Sulzberg, Stationen der Geschichte, Sulzberg 1999, S. 66 f.
  10. Nicolaus Drimmel: Die Revolution von 1848: „150 Jahre freie Gemeinde“, Webseite: kommunal.at vom 1. April 1998.
  11. Artikel 1 des Provisorischen Gemeindegesetzes: „„Die Grundfeste des freien Staates ist die freie Gemeinde.““, RGBl 170/1850.
  12. Gesetz vom 24. Juli 1935 betreffend die Gemeindeordnung für das Land Vorarlberg (Gemeindeordnung 1935), LGBl.Nr. 25/1935, Webseite: ris.bka.gv.at, abgerufen am 7. Dezember 2025.
  13. Verfassungsgerichtshof in B330/66, B169/62, B152/53; B153/53, V7/32.
  14. Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 3934/1961, V40/95, G27/60; V34/60; V22/61; V69/61; V73/61; V83/61, G15/60; V26/60; V27/60; V5/61; V6/61.
  15. Siehe auch Verfassungsgerichtshof in V231/91; V232/91 (Vorarlberg).
  16. V231/91; V232/91.
  17. Alois Niederstätter: Fronen (Frondienste), Webseite: historisches-lexikon.li vom 31. Dezember 2011.
  18. Bernd Marquardt: Gemeinwerk, Webseite: historisches-lexikon.li vom 31. Dezember 2011.
  19. Siehe exemplarisch in Julius Fritsch: Die Entwicklung des Straßenwesens in Vorarlberg, UT: von den Uranfängen bis zum Jahre 1937, Eigenverlag, Bregenz August 1937 und Doris Klump: Die Straße im Bregenzerwald, Wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Arbeitskreis, 1967.
  20. Für Doren und Sulzberg siehe z. B.: Doren 1847 – 1997, herausgegeben von der Gemeinde Doren, Doren 1997, S. 30.
  21. Siehe auch Julius Fritsch: Die Entwicklung des Straßenwesens in Vorarlberg, UT: von den Uranfängen bis zum Jahre 1937, Eigenverlag, Bregenz August 1937
  22. 22,0 22,1 Lochau führt ‚Hand- und Zugdienste‘ wieder ein, Webseite: vorarlberg.orf.at vom 14. Oktober 2025.
  23. Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 3934/1961; V83/97 (Vorarlberg); V1/53; V2/53 (Oberösterreich); G15/60; V26/60; V27/60; V5/61; V6/61 (Steiermark).
  24. Termine für die Frühjahrs-Landschaftsreinigungen 2025, Webseite: umweltv.at, abgerufen am 8. Dezember 2025.
  25. Hand- und Zugdienste abschaffen: Außerkraftsetzung der Gemeindeordnung 1935, Webseite: suche.vorarlberg.at vom 9. Oktober 2025.
  26. Regierung hält an Relikt aus grauer Vorzeit fest, Webseite: krone.at vom 5. Dezember 2025.