Rosa Plečko

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Rosa Plečko – auch in der Schreibweise Pletschko – (* 22. März 1906 in Seiersberg bei Graz[1]; † Februar 1941 in Alkoven bei Linz) war ein Opfer des nationalsozialistischen Euthanasie-Mordprogramms „Aktion T4“.[2]

Leben

Kindheit und Jugend

Rosa war das erste Kind von Martin Plečko[3] (1875 bis 1915) und Rosalia Plečko[4] geb. Logar (* 1881 bis 1971), das nicht als Totgeburt auf die Welt kam. Vor Rosa hatte das Ehepaar zwei Totgeburten, beides Mädchen.[5] Rosas Taufe erfolgte noch am Tag ihrer Geburt nach römisch-katholischem Ritus.[6] Sie wuchs mit der Schwester Theresia[7] (* 1908) und den beiden Brüdern Ludwig[8] (* 1907) und Friedrich[9] (* 1910) auf.

Von allen vier Kindern war nur ihrem Bruder Ludwig[10] († 1981) eine normale Lebensspanne beschieden. In Rosas Lebenszeit trafen schwere Schicksalsschläge die Familie. Im Jahr 1912 kam Schwester Anna[11] zur Welt, die aber nach neun Tagen starb. Als Todesursache vermerkt das Sterbebuch „Fraisen“.[12] Der volksmedizinische Begriff umschrieb damals häufig auftretende Krämpfe und Zuckungen bei Säuglingen, denen sie bald erlagen. Die Ursache dafür war Kalk- und damit Vitamin-D-Mangel, der durch zu häufige Schwangerschaften in zu kurzer Folge entstand.[13]

Rosas Vater war Hilfsarbeiter in der Brauerei Puntigam.[14] Als sie vier Jahre alt war, kaufte der Vater im Jahr 1910 ein bäuerliches Anwesen in Großsulz südlich von Graz[15] ; im Taufregister ist der Vater 1910 als „Keuschler“ und 1912 als „Grundbesitzer“ ausgewiesen.[16] Zuvor hatte die Familie in der Mietwohnung eines Mehrfamilienhauses in Rudersdorf gelebt.[17] Die Familienerzählung besagt, dass es dort einen ganz ekelhaften Hausherrn gab, der immer gemeckert hat, wenn die Kinder im Hof etwas gemacht haben, wenn sie zum Beispiel irgendwo ein Loch gegraben haben. Das hat Rosas Vater immer geärgert, daher wollte er ein eigenes Haus mit Grund und Acker dabei.

Rosa war geistig eingeschränkt auf die Welt gekommen, wofür es allerdings kein offizielles Dokument gibt. Aus der Familienerzählung ist weiter bekannt, dass die geistige Einschränkung nur leichter Natur war; sie war in der Lage, auf dem elterlichen Hof mitzuarbeiten.

In Österreich gab es seit 1885 sonderpädagogische Klassen für geistig behinderte Kinder, die Hilfsklassen genannt wurden.[18] Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Österreich 65 Hilfsschulen, neun davon in der Steiermark.[19] Es ist nicht bekannt, ob Rosa in eine solche Klasse ging.

Zu Kriegsbeginn 1914 – Rosa war acht Jahre alt – wurde ihr Vater zum österreich-ungarischen Militär eingezogen. Er fiel am 21. Dezember 1915 als Landsturmschütze an der russischen Front bei Rafalowka, rund 100 Kilometer östlich von Kowel (Nordwestukraine). [20] Für den 21. Dezember 1915 meldete der österreich-ungarische Heeresbericht: „Russischer Kriegsschauplatz: Gegenüber Rafalowka am Styr wurde eine russische Aufklärungsabteilung zersprengt. Sonst stellenweise Geschützkampf.“[21]

Dass die Nachricht vom Tod des Vaters kurze Zeit später in Großsulz eintraf, dafür gibt es keine offizielle Quelle, nur die Familienerzählung, die besagt, dass der Vater genau zu Weihnachten gefallen sei. Für die Witwe und die vier kleinen Kinder müssen es schreckliche Weihnachtstage gewesen sein.

Im April 1918 verstarb Rosas Bruder Friedrich im Alter von acht Jahren. Als Todesursache vermerkt das Sterbematrikel „Ulcus Auris“ (Tumor im Gehörgang).[22]

Die Mutter heiratete später noch zwei Mal, in den Jahren 1922[23] und 1925[24] . Die Stiefväter von Rosa hießen Alois Frisch[25] (1866 bis 1924) und Bonifazius Stocker[26] (1857 bis 1926). Aus diesen späteren Ehen gingen keine Kinder hervor; die Eheleute waren im fortgeschrittenen Alter, ganz besonders die Männer, und die Ehen währten nur kurz.

Geburt einer Tochter

Am 30. April 1929 brachte Rosa eine Tochter auf die Welt, die sie auf den gleichen Namen – nämlich Rosa – taufen ließ.[27] Das Kind wurde im Landeskrankenhaus Graz, das zur Pfarre Heiligster Erlöser gehört, geboren und damit dort im Taufmatrikel geführt.

Die Familie lebte damals schon in Enzelsdorf bei Fernitz.[28] Der Status der Mutter wird im Taufbuch als „Besitzerstocher in Enzelsdorf, ledig“ beschrieben. Die Rubrik zum Vater des Kindes blieb im Taufbuch leer.[29] Aufgezogen wurde das gesund geborene Kind im Haushalt der Großmutter Rosalia; auch die Kindesmutter lebte dort weiterhin.[30]

Der Grund für die Geburt im LKH Graz scheint nicht die geistige Einschränkung von Rosa gewesen zu sein, sondern der Umstand, dass sie nicht verheiratet war. In den 1920er und 1930er Jahren brachten tausende von unverehelichten Müttern aus Graz und Umgebung ihre Kinder im Gebärhaus des späteren LKH zur Welt.[31]

Im Oktober 1930 ging Rosas Schwester Theresia im Alter von 22 Jahren in den Freitod. Sie stürzte sich bei Enzelsdorf in den Mühlgang. Als Todesursache steht im Sterbematrikel „Selbstmord aus Liebeskummer“.[32]

Aufenthalt in der Heil-und Pflegeanstalt am Feldhof

Am 4. April 1938 wurde Rosa im Alter von 32 Jahren in der Heil-und Pflegeanstalt am Feldhof in Graz aufgenommen.[33] Die Aufnahmediagnose ist nicht bekannt.[34] Rosa lebte dort knapp drei Jahre.

Deportation nach Schloss Hartheim

Am 7. Februar 1941 verließ ein Transport mit ihr und 75 weiteren Patienten die Grazer Anstalt in Richtung Tötungsanstalt Hartheim.[35] Im gleichen Transport befand sich Elisabeth Bundschuh. Offizielles Ziel des Transportes vom 7. Februar 1941 war die Gau-Heil und Pflegeanstalt Niedernhart in Linz. Niedernhart war die Zwischenanstalt für Hartheim und stand unter der Leitung von Rudolf Lonauer, der zugleich der Tötungsanstalt vorstand.[36] Ob der Transport von Rosa und den anderen Patienten direkt nach Hartheim ging oder tatsächlich über Niedernhart geführt wurde, ist nicht bekannt. In Hartheim angekommen wurden alle Personen, unter dem Vorwand duschen zu gehen, in der Gaskammer mit Kohlenmonoxid ermordet.[37]

Der Transportbus, der die Menschen nach Hartheim brachte, hielt üblicherweise in einem Schuppen, der an der Westseite des Schlosses errichtet worden war, um die Vorgänge im Schloss vor neugierigen Blicken zu schützen. Durch ein kleines Eingangstor betraten die Opfer einen mit Brettern abgegrenzten Bereich im Schlossinnenhof. Die erste Station der Registrierungprozedur war der Auskleideraum. Dort entkleideten sich die Menschen unter Anleitung des T4-Personals. Anschließend erfolgte im Untersuchungsraum eine Überprüfung der Personalien und eine Untersuchung auf Goldzähne durch einen T4-Arzt. Von ihm als interressant befundene Personen wurden im gleichen Raum noch fotographiert. Danach erfolgte in der angrenzenden Gaskammer der Tötungsvorgang. Die Leichen der Opfer wurden, manchmal auch nach Zwischenlagerung im Leichenraum, in weiterer Folge von den sogenannten "Brennern" im Krematorium verbrannt.[38]

Aus der Steiermark fielen circa 1.500 Menschen dem Euthanasie-Mordprogramm zum Opfer.[39] Vom Grazer Feldhof wurden zwischen Mai 1940 und Juni 1941 rund 1.200 Patienten nach Hartheim transportiert und dort vergast.[40] Außerdem starben etwa 200 bis 300 Kinder durch bewusste Unterversorgung und gezielte Tötungen in den Jahren 1940 bis 1945 direkt im Grazer Feldhof.[41]

Aus Beschuldigtenvernehmungen in Nachkriegsprozessen ist bekannt, dass die Aufenthalte in Linz im Schnitt nur etwa drei bis fünf Tage dauerten. Aus diesem Grund kann die Dokumentationsstelle Hartheim kein exaktes Todesdatum nennen. Rosa wurde entweder am 7. Februar 1941 oder wenige Tage danach in Hartheim ermordet.[42]

In den Sterberegistern von Feldkirchen, Wundschuh und Fernitz gibt es keinen Hinweis über ihren Tod.[43]

Anmerkung zur Schreibweise

Die Familie hat zu verschiedenen Zeiten und zum Teil auch gleichzeitig zwei Schreibweisen des Namens verwendet – die slowenische Form Plečko und die eingedeutsche Version Pletschko. In den Taufmatrikeln wurde Rosas Nachname als Plečko geschrieben. Ungefähr ab 1929 erscheint in Dokumenten auch die Schreibweise Pletschko; in dieser Form ist Rosas Nachname in den Unterlagen der Dokumentationsstelle Hartheim erfasst.

Belege

  1. Diözese Graz-Seckau – Taufbuch VI 1901 - 1913 – Feldkirchen, S. 63
  2. Mitteilung der Dokumentationsstelle Hartheim des OÖLA vom 12. Oktober 2015
  3. Diözese Graz-Seckau – Taufbuch VI 1886 - 1935 – Wundschuh, S. 261
  4. Diözese Graz-Seckau – Taufbuch VI 1886 - 1935 – Wundschuh, S. 261
  5. Diözese Graz-Seckau – Taufbuch VI 1901 - 1913 – Feldkirchen, S. 35, 48
  6. Diözese Graz-Seckau – Taufbuch VI 1901 - 1913 – Feldkirchen, S. 63
  7. Diözese Graz-Seckau – Taufbuch VI 1901 - 1913 – Feldkirchen, S. 123
  8. Diözese Graz-Seckau – Taufbuch VI 1901 - 1913 – Feldkirchen, S. 91
  9. Diözese Graz-Seckau – Taufbuch VI 1886 - 1935 – Wundschuh, S. 240
  10. Sterbeurkunde / Diözese Graz-Seckau – Taufbuch VI 1901 - 1913 – Feldkirchen, S. 91
  11. Diözese Graz-Seckau – Taufbuch VI 1886 - 1935 – Wundschuh, S.
  12. Diözese Graz-Seckau – Sterbebuch IV 1912 - 1938 – Wundschuh, S. 5
  13. Wolfgang Regal/Michael Nanut: Mit Magie gegen den Bockerlfraß, Ärzte Woche 22/2007
  14. Diözese Graz-Seckau – Taufbuch VI 1901 - 1913 – Feldkirchen, S. 35, 48, 63, 91, 123
  15. Diözese Graz-Seckau – Taufbuch VI 1886 - 1935 – Wundschuh, S. 240
  16. Diözese Graz-Seckau – Taufbuch VI 1886 - 1935 – Wundschuh, S. 240, 261
  17. Diözese Graz-Seckau – Taufbuch VI 1901 - 1913 – Feldkirchen, S. 91
  18. Österreich-Lexikon, E. Bruckmüller, Verlagsgemeinschaft Österreich-Lexikon, 2004, Band III, S. 225
  19. Statistik Austria, Öffentliche und private Schulen 1923/24 bis 2015/16 (ausgewählte Jahre)
  20. Kriegsarchiv Wien – Karteikarte aus der Totenkartei, Karton Nr. 149
  21. Amtliche Kriegs-Depeschen, Band 3, Nationaler Verlag, Berlin 1916
  22. Diözese Graz-Seckau – Sterbebuch IV 1912 - 1938 - Wundschuh, S. 43
  23. Diözese Graz-Seckau – Trauungsbuch V 1892 - 1924 – Wundschuh, S. 182
  24. Diözese Graz-Seckau – Trauungsbuch VI 1924 - 1938 – Wundschuh, S. 3
  25. Diözese Graz-Seckau – Sterbebuch IV 1912 - 1938 – Wundschuh, S. 90
  26. Diözese Graz-Seckau – Trauungsbuch VI 1924 - 1938 – Wundschuh, S. 3
  27. Diözese Graz-Sekau – Taufindex N - Z 1911 - 1938 - Graz Heiligster Erlöser
  28. Diözese Graz-Sekau – Taufbuch Graz Heiligster Erlöser – Band 46, S. 213
  29. Ebenda
  30. Ebenda
  31. Auskunft von Dr. Matthias Perstling, Leiter des Diözesanarchivs Graz-Sekau vom 29. August 2017
  32. Diözese Graz-Seckau – Sterbebuch XV 1927 - 1938 – Fernitz, S. 43
  33. Mitteilung der Dokumentationsstelle Hartheim des OÖLA vom 12. Oktober 2015
  34. Ebenda
  35. Ebenda
  36. Mitteilung der Dokumentationsstelle Hartheim des OÖLA vom 12. Oktober 2015
  37. Ebenda
  38. Mitteilung Dokumentationsstelle Hartheim des OÖLA vom 12. Jänner 2015
  39. Joachim Heinzl: Vergessene Opfer – gefeierte Täter: NS-Euthanasie in der Steiermark, Dezember 2000
  40. Birgit Poier: NS-Euthanasie in der Steiermark, Österreichische Pflegezeitschrift, November 2003, S. 30
  41. Ebenda, S. 31
  42. Ebenda
  43. Diözese Graz-Seckau – Sterberegister Feldkirchen, Wundschuh und Fernitz