Sicherungseinsatz des Bundesheeres während der Ungarnkrise 1956
Der Sicherungseinsatz des Bundesheeres während der Ungarnkrise 1956 fand ab 24. Oktober im Burgenland bzw. in den angrenzenden Bundesländern Niederösterreich und Steiermark statt. Es war dies die erste Bewährungsprobe des noch jungen Bundesheeres.
Historischer Hintergrund
Gründung Bundesheer
Die Wurzeln des Bundesheeres der 2. Republik reichen bis in das Jahr 1949 zurück, als man in den drei westlichen Besatzungszonen noch im Geheimen begann, Personal für zukünftige österreichische Militäreinheiten zu rekrutieren. Diese Bemühungen mündeten schließlich am 1. August 1952 in der offiziellen Aufstellung der sogenannten B-Gendarmerie[1], welche bis zum Jahre 1955 eine Stärke von 340 kriegsgedienten Offizieren, Unteroffizieren und 6460 Mannschaften erreichte.[2]
Nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages erfolgte in mehreren Etappen eine Umbenennung bzw. Umgliederung der B-Gendarmerie in das Bundesheer. Nachteilig bei diesem Prozess war, dass dabei rund 2000 Mann verloren gingen, weil sie wegen zu geringer Bezahlung oder der unsicheren Zukunft entweder bei der Bundesgendarmerie verblieben oder in die Privatwirtschaft übertraten.[2] Am 15. Juli 1956 übernahm Ferdinand Graf das Amt des ersten Verteidigungsministers der 2. Republik.
Mit 1. August 1956 gliederte sich das Verteidigungsministerium in die Sektionen I (Leiter General Emil Liebitzky), II (Leiter Oberst Erwin Fussenegger, der zugleich zum Generaltruppeninspektor ernannt wurde) und III. Die Landstreitkräfte gliederte sich in drei Gruppenkommanden, denen neben diversen Sondertruppen acht Brigadekommanden mit jeweils zwei bis fünf Bataillonen unterstanden.[2]
Am 1. Oktober 1956 rückten die ersten Einjährig-Freiwilligen ein, zwei Wochen später, am 15. Oktober, folgten ihnen 13.000 Präsenzdiener.[2]
Ungarischer Volksaufstand
Nach dem Tode von Josef Stalin 1953 keimte in Ungarn Hoffnung auf, sich aus der Umklammerung der Sowjetunion lösen zu können. Der Reformkommunist Imre Nagy wurde Ministerpräsident, doch während Österreichs Außenminister Leopold Figl am 15. Mai 1955 seine Unterschrift unter den Staatsvertrag setzte, war Ungarn einen Tag zuvor dem neugegründeten Warschauer Pakt beigetreten. Vier Tage später, am 18. Mai, musste Imre Nagy seinen Platz als Ministerpräsident für András Hegedüs räumen, der die Reformen seines Vorgängers wieder rückgängig machte. Unbeschadet dessen besserten sich aber die Beziehungen zum Nachbarn Österreich im Jahre 1956, so wurde der Minengürtel entlang der Grenze durch ein weniger gefährliches Signalsystem ersetzt.[2]
Am 23. Oktober kam es in Budapest zu einer genehmigten Demonstration ungarischer Studenten, welche sich solidarisch mit den polnischen Werftarbeitern in Posen erklärten, deren Aufstand gegen die Staatsmacht einige Wochen zuvor gescheitert war. Ihre Kundgebung war zwar genehmigt, doch begannen die Studenten im Zuge der Kundgebung eigene politische Forderungen aufzustellen. Sie versuchten in ein Gebäude des staatlichen ungarischen Rundfunks einzudringen, um ihre politischen Absichten über das Radio zu veröffentlichen. Dabei wurden sie aus dem Gebäude heraus beschossen. Mit den Waffen ungarischer Soldaten setzten sie sich zur Wehr und stürmten anschließend das Gebäude. Bis zum Abend schwoll die Menschenmenge auf bis zu 200.000 Menschen an, unter denen die Rote Armee ein Blutbad anrichtete.
Ablauf des Sicherungseinsatzes
Dienstag, 23. Oktober 1956
Österreichs Politik wurde von den Ereignisses in Ungarn völlig überrascht. Bundeskanzler Julius Raab hielt sich an diesem Tag anlässlich eines Staatsbesuches in der Bundesrepublik Deutschland auf. Außenminister Leopold Figl weilte in Straßburg, um dem Europarat einen Besuch abzustatten.[2]
Einziges Indiz in Österreich, das auf die bevorstehende Entwicklungen in Ungarn schließen ließ, war der plötzliche Abbruch aller Verbindungen nach Budapest am Abend des 23. Oktobers.
Mittwoch, 24. Oktober 1956
Am Morgen des 24. Oktobers meldete der ungarische Rundfunk fälschlicherweise, dass Imre Nagy neuer Regierungschef war und die Sowjetunion gebeten hätte, die Konterrevolution niederzuschlagen. Tatsächlich stand aber KP-Chef Ernő Gerő an der Spitze des Staatsapparates und die Aufforderung an die Rote Armee einzugreifen, stammte von ihm.[3]
Aufgrund der Entwicklungen im östlichen Nachbarland trafen im Bundeskanzleramt Verteidigungsminister Ferdinand Graf und Innenminister Oskar Helmer mit Vizekanzler Adolf Schärf zusammen. Man verständigte sich rasch auf eine Verstärkung der Gendarmeriekräfte im Burgenland und die Alarmierung des Bundesheeres.
Um 15.00 Uhr beauftrage die Sektion II des Verteidigungsministeriums die drei Gruppenkommanden zur Aufstellung von Alarmeinheiten:[2]
- Die 1., 2., 5. und 7. Brigade hatten pro Bataillon eine Alarmeinheit in der Stärke einer Kompanie zu bilden.
- Das Heerespionierbataillon hatte eine Pionierkompanie und die Infanteriekampfschule eine gemischte Kompanie bereit zustellen.
- Die Militärakademie Enns musste aus dem 2. und 1. Jahrgang zwei vollmotorisierte Alarmkompanien aufstellen.
- Eine Aufklärungskompanie hatte die Panzertruppenschule Hörsching zu stellen.
- Die Mobilmachung einer Alarm-Batterie musste durch die Artillerieschule erfolgen.
- Die Fliegerkräfte hatten einen Hubschrauber und ein Flächenflugzeug (Jak-11) für Aufklärungs- und Erkundungszwecke bereitzustellen.
- Die 5. Brigade hatte einen Infanteriezug nach Fürstenfeld zu verlegen.
Lediglich dieser Infanteriezug der 5. Jägerbrigade hatte auszurücken und sollte als Rückhalt für die im Raum Fürstenfeld eingesetzten Exekutivbeamten dienen.
Um 16.00 Uhr kam es im Innenministerium zu einer Besprechung zwischen den höchsten Vertretern von Gendarmerie und Bundesheer und den zuständigen Ministern. Als Sofortmaßnahme wurde beschlossen 34 Beamte der Gendarmerieschule Rust mit Funkwagen auszustatten und sie für einen beweglichen Einsatz bereitzustellen. 40 Mann der Gendarmerieschule Wien wurden in die Jägerkaserne Pinkafeld verlegt, weitere 50 Mann aus der Grazer Gendarmerieschule in einen Stützpunkt nach Fürstenfeld und 30 Mann nach Bruck an der Mur. Verteidungsminister Graf holte sich während der Besprechung telefonisch von anderen Regierungsmitgliedern die Erlaubnis zur Verschiebung von Bundesheereinheiten ein.[2]
Um 17.00 Uhr folgten weitere Aufträge an das Bundesheer durch die Sektion I, die teilweise den Anordnungen der Sektion II widersprachen. Neben dieser Doppelgleisigkeit bei der Auftragserteilung traten im Zuge der Alarmierung viele weitere Probleme zutage, wie zum Beispiel die Befehlsübermittlung an untergeordnete Einheiten, mangelnde Kommunikationseinrichtungen oder das Fehlen von verschiedenen Experten für wichtige Schlüsselfunktionen.
Nachdem endlich die Zuständigkeiten zwischen Sektion I und II geklärt worden waren, ordnete Generaltruppeninspektor Fussenegger, der Leiter der Sektion II, folgende Maßnahmen an:[2]
- Marschbereitschaft für die aufzustellenden Alarmeinheiten innerhalb von 30 Minuten.
- Alarmeinheiten hatten zu stellen: das Heereswachbataillon, die Infanteriekampfschule, das Feldjägerbataillon 1, das Infanteriebataillon 2, die Artillerieschule (eine Batterie, teilbar) und das Heerestelegraphenbataillon.
- Für das Feldjägerbataillon 5 und das Infanteriebataillon 2 wurde die Alarmbereitschaft aufgehoben.
- In Pinkafeld war die behelfsmäßige Unterbringung von 40 Gendarmen sicherzustellen.
- Ein Schützenzug der Gruppe II war nach Fürstenfeld in Marsch zu setzen.
- Die Staatsgrenze überschreitende fremde Truppen waren darauf aufmerksam zu machen, dazu sei je nach Lage einzuschreiten.
- Die Luftstreitkräfte erhielten den Auftrag, zwei Hubschrauber und eine Jak-11 für Aufklärungszwecke vorzubereiten.
Bei der Aufstellung der Alarmeinheiten trat das Problem auf, dass nicht ausreichend kriegserfahrenes Kaderpersonal zur Verfügung stand, sodass man auf Rekruten zurückgreifen musste, die gerade erst seit zwei Wochen Uniform trugen. Auch beim Munitionsnachschub gab es große Schwierigkeiten, hier halfen sich die meisten Einheiten mit ihren gehorteten Schwarzbeständen.
Im Laufe des frühen Abends meldeten die Alarmeinheiten der 1. und 2. Brigade, die beide zum Gruppenkommando I gehörten, ihre Marschbereitschaft, sodass 650 Mann dieser Einheiten zur Verfügung standen. Beim Gruppenkommando II wurde die Alarmbereitschaft einzelner Verbände aufgrund der Weisungen des Ministeriums wieder zurückgenommen. Dieses Gruppenkommando entsandte aber auch einen Offiziersspähtrupp zu den Gendarmerieposten von Fehring und Mogersdorf, um die Lage im Grenzraum zu erkunden. Dieser Spähtrupp meldete dann doch Bewegungen ungarischer Soldaten auf österreichischem Territorium sowie Schüsse auf ungarischem Gebiet und Panzergeräusche.[2]
In einem ersten Resümee am späten Abend bilanzierte der Generaltruppeninspekteur, dass es teilweise ein großes Durcheinander und gravierende Mängel bei der Alarmierung gegeben hatte, aber dass es dann doch gelungen war, alle befohlenen Maßnahmen befehlsgemäß durchzuführen.
Donnerstag, 25. Oktober 1956
Am Morgen des 25. Oktobers meldete der ungarische Rundfunk, dass der Aufstand niedergeschlagen sei. Man kündigte außerdem die Rückkehr zur alten Ordnung für den nächsten Tag an, weil angeblich sämtliche Kampfhandlungen eingestellt worden waren.
Obwohl keine Verbindung zur österreichischen Botschaft in Budapest bestand, befahl die Sektion II des Verteidigungsministeriums die Aufhebung der Bereitschaftsmaßnahmen für die meisten Alarmverbände. Zu dieser Entscheidung hatten auch positive Meldungen der an der Grenze eingesetzten Verbände sowie die Einschätzung der österreichischen Nachrichtendienste beigetragen, welche den Aufstand als niedergeschlagen ansahen und daher ihre Abhöraktivitäten zurückfuhren.[2]
Tatsächlich ging dieser Tag als Blutiger Donnerstag in die ungarische Geschichte ein. Die ungarische Staatssicherheits-Polizei ÁVH richtete vor dem Parlament und in der Provinzstadt Mosonmagyaróvár ein Massaker an. Gerö wurde daraufhin aufgrund einer sowjetischen Intervention durch János Kádár ersetzt, aber das Volk war dadurch nicht mehr zu beruhigen.[3]
Freitag, 26. Oktober 1956
An diesem Tag jährte sich zum ersten Mal der Beschluss der immerwährenden Neutralität Österreichs. Die Regierung hatte aber ganz andere Sorgen, denn mittlerweile musste die militärische Führung eingestehen, dass sie die Entwicklung der Lage in Ungarn falsch eingeschätzt hatte. Bundeskanzler Julius Raab, der in der Zwischenzeit aus Deutschland zurückgekehrt war, ordnete im Rahmen einer Konferenz nach wenigen Minuten einen massiven Einsatz des Bundesheeres an der Staatsgrenze an. Die Gruppenkommanden I, II und III erhielten neuerlich den Auftrag Alarmeinheiten aufzustellen. Außerdem mussten die Kommandobehörden I und II Jeeppatrouillen an die Grenze schicken.[2]
Am Abend erging an die österreichischen Truppen der Schießbefehl unter folgenden Bedingungen:[2]
- Feuereröffnung dann, wenn die Grenze von bewaffneten Einzelpersonen oder Gruppen überschritten wird und der Aufforderung zum Zurückgehen oder zur Niederlegung der Waffen nicht Folge geleistet wird.
- Das Feuer ist zu erwidern, wenn Eindringlinge selbst das Feuer eröffnen.
- Eine Feuereröffnung darf nicht erfolgen, wenn das Feuer von jenseits der Grenze eröffnet wird.
Verteidigungsminister Graf ließ am Abend den sowjetischen Militärattaché zu sich bitten, um ihm die österreichische Position zu erklären. Der Abend endete für beide mit viel Alkohol und laut Graf soll der Sowjetoffizier irgendwann erklärt haben, dass die österreichischen Grenzen respektiert werden würden.
Die Alarmierung der Bundesheereinheiten verlief wie schon zwei Tage zuvor nicht reibungslos. Wieder kam es zu einem Befehlschaos, an dem auch der Verteidigungsminister seinen Anteil hatte, weil er persönlich bis zur Bataillonsebene hinunter Befehle erteilen ließ, ohne die übergeordneten Kommanden davon zu informieren. Es trat auch ein Mangel an ausgebildeten Kraftfahrern auf, sodass kurzerhand Führerscheinbesitzer unter den Rekruten ermittelt werden mussten, die nach einigen Proberunden im Kasernenhof den Militärfahrzeugen kurzerhand zugeteilt wurden.[2]
Samstag, 27. Oktober 1956
Der Einsatz des Heeres an der Grenze begann an diesem Samstag. Die eingesetzten Truppen wurden vom Verteidigungsminister und dem Generaltruppeninspektor sowie weiteren hohen Beamten und Offizieren besichtigt. Sie mussten dabei zur Kenntnis nehmen, dass die Ausrüstung der Truppe in vielerlei Hinsicht große Mängel aufwies. Es fehlte an Munition, Kartenmaterial, Taschlampenbatterien und vielen anderen Dingen.
Folgende taktischen Maßnahmen wurden im Raum des Gruppenkommando I befohlen:[2]
- Das Kommando der 1. Brigade verlegte von Eisenstadt nach Wiener Neustadt.
- Das Kommando der 2. Brigade verlegte von Wien nach Bruck an der Leitha.
- Die Aufklärungskompanie wurde nach Neusiedl am See verlegt und erhielt den Auftrag im Raum Gols-Halbturn-Frauenkirchen zu patroullieren.
- Die Grenze zu den Einheiten des Gruppenkommando II wurde festgelegt mit Raum Hirschenstein-Bernstein-Hochneukirchen-Gschaidt.
- Innerhalb des Gruppenkommandos I bildete die Linie Sommerein-Neusiedl am See die Grenze zwischen 1. und 2. Brigade.
Im Raum des Gruppenkommandos II wurden folgende Maßnahmen befohlen:[2]
- Der Gefechtsstand der 5. Brigade hatte nach Fürstenfeld zu verlegen.
- Das Infanteriebataillon 2 wurde der Gruppe II unterstellt. Ein Zug des Bataillons verlegte nach Großpetersdorf.
- Ein Zug des Jägerbataillons 17 wurde nach Fehring beordert.
Für das Wochenende wurde befohlen, dass die Soldaten in den Garnisonen zu verbleiben hatten. Jeweils um 12:00 Uhr und um 20:00 Uhr mussten sie in den Kasernen anzutreten, um weitere Befehle entgegenzunehmen. Alle höheren Offiziere hatten ständig erreichbar zu sein.
Sonntag, 28. Oktober 1956
Bis auf die motorisierten Patrouillen erhielten alle eingesetzten Truppen den Befehl, sich der Staatsgrenze nicht mehr als 500 Meter zu nähern. Damit wollte man verhindern, dass die Bundesheereinheiten in Zufallsgefechte verwickelt werden. Außerdem erließ die Sektion I einen eindeutigen Schießbefehl, der den österreichischen Soldaten sowohl die Feuereröffnung auf ungarische Einheiten aber auch auf Einheiten der Roten Armee erlaubte, für den Fall, dass sie sich auf österreichischem Hoheitsgebiet befinden und der Aufforderung dieses wieder zu verlassen, nicht nachkommen.[2]
Das Verteidigungsministerium alarmierte zusätzliche Einheiten in Westösterreich. Dabei traten neben Personal- und Ausstattungsmängel auch Probleme hinsichtlich der vorhandenen Transportkapazitäten auf. So konnten zum Beispiel die beiden Alarmkompanien der Militärakademie Enns erst am 29. Oktober 9.30 Uhr ihre Marschbereitschaft melden.
Erfolgreicher verlief hingegen der Aufbau einer Kommunikationsstruktur mit den Kommandostellen der eingesetzten Einheiten. Hier konnte sowohl von seiten des Bundesheeres mit den eingesetzten Fernmeldekräften als auch über die Postämter im Einsatzgebiet die Verbindung zu den vorgeschobenen Einheiten gewährleistet werden.
Gegen Mittag trat der Ministerrat zusammen und billigte nachträglich, nach einigen Diskussionen, alle von Verteidigungsminister Graf getroffenen Maßnahmen. Der Innenminister wurde beauftragt, das Grenzgebiet zu Ungarn zum Sperrgebiet zu erklären, um Neugierigen en Zutritt zu verwehren. Außerdem sollte das Straßennetz für Bundesheer und Hilfsorganisationen frei gehalten werden. Hauptthema des Ministerrates war aber die Formulierung eines Appells an die Sowjetunion, mit dem diese aufgefordert werden sollte, mitzuwirken, dass die Kampfhandlungen eingestellt werden und das Blutvergießen beendet wird. Natürlich ergaben sich heftige Diskussionen über das Verhalten des Bundesheeres bei einem Grenzübertritt von Truppen der Roten Armee. Vor allem die Minister Leopold Figl, Ferdinand Graf, Oskar Helmer und Otto Tschadek sprachen sich für den Einsatz von Waffen aus.[2]
Montag, 29. Oktober 1956
An diesem Tag entschied die Sektion I, dass die Staatsgrenze, aber auch Fahrzeuge des Bundesheeres und der Exekutive mit rot-weiß-roten Fahnen zu kennzeichnen seien, um eine eindeutige Identifizierung zu ermöglichen. Man rechnete nun auch mit großen Flüchtlingsströmen und befahl, dass Kasernen und das ehemalige Kriegsgefangenenlager Hörsching als Aufnahmestationen vorbereitet werden. Das Bundesheer musste die Bereitstellung von Decken, Feldküchen und Wirtschaftsgütern für zivile Organisationen vorbereiten. In den Kasernen Bruck an der Leitha, Wiener Neustadt und Pinkafeld wurden vorsorglich Truppenverbandsplätze eingerichtet.[2]
Nicht nur in Ungarn wurde in diesen Tagen Weltgeschichte geschrieben, sondern auch im Nahen Osten verschärfte sich die Suezkrise an diesem Tag mit der Invasion der Sinai-Halbinsel durch Israel zu einem Krieg.
Dienstag, 30. Oktober 1956
Um sowjetischer Propaganda entgegenzuwirken, lud das Verteidigungsministerium die Verteidigungsattachés der Signatarmächte des Staatsvertrages am 30. Oktober zu einer Besichtigung des Grenzraumes unter Leitung von General Liebitzky, des Leiters der Sektion I, ein. Besonders die westlichen Militärs zeigten sich zufrieden mit den getroffenen Maßnahmen.[2]
Mittwoch, 31. Oktober 1956
Während man in Österreich noch damit rechnete, dass der gemäßigte Imre Nagy die Lage noch beruhigen könnte, rückten starke sowjetische Panzereinheiten in den Osten Ungarns ein.
Die Eskalationsspirale drehte sich auch im Nahen Osten weiter, weil Frankreich und Großbritannien auf Seiten Israels in den Konflikt eingriffen und mit ihren Luftwaffen ägyptischen Flughäfen bombardierten.
Donnerstag, 1. November 1956
Am Vormittag besetzten sowjetische Truppen den Flughafen Budapest, offiziell um den Schutz der Ungarn verlassenden sowjetischen Bürger und der Verwundeten zu ermöglichen. In Wirklichkeit brachten die Sowjets damit frühzeitig den operativ wichtigen Flughafen in ihren Besitz.[2]
Freitag, 2. November 1956
Während in Ungarn aus allen Himmelsrichtungen sowjetische Einheiten in das Land eindrangen, war die Situation an der österreichischen Grenze noch entspannt. Das Bundesheer meldete völlige Ruhe und erfüllte auftragsgemäß alle Aufgaben. Die wenigen Flüchtlinge wurden an die Exekutive übergeben.[2]
Samstag, 3. November 1956
Auch am 3. November gab es vorerst keinerlei Hinweise auf die sich nun schlagartig verschärfende allgemeine Lage im Nachbarland. Die Nachrichtentruppe vermeldete sogar, dass an diesem Tag es seit langem zu keinerlei Kampfhandlungen im östlichen Nachbarnland gekommen sei.
Tatsächlich hatte die Regierung Nagy an diesem Tag Verhandlungen mit den Besatzern geführt und für die eigenen Einheiten eine strikte Feuereinstellung befohlen. Während die Unterhändler sich an einen Tisch setzten, nutze die sowjetische Armeeführung die Gunst der Stunde und brachte ihre Einheiten ohne Gegenwehr in günstige Ausgangsstellungen für die endgültige Niederschlagung des Aufstandes.[3]
Sonntag, 4. November 1956
Der Angriff der Roten Armee begann um 4.00 Uhr früh im ganzen Land. Bis zum Abend erreichten die ersten Einheiten der Roten Armee die österreichische Grenze, die aber von ihnen respektiert wurde.
Besonders beunruhigend für die österreichischen Behörden war aber die Meldung, dass auch die Tschechoslowakische Volksarmee große Truppenkontingente mobiliserte.
Im eigenen Land hatte man sich mit der Berichterstattung der Volksstimme herumzuschlagen, welche schon seit längerem Vorwürfe gegen Österreich erhob, dass es seine Neutralität in der Ungarnfrage verletze. Die Zeitung wurde an diesem Tag wegen Hochverrates und Verbreitung beunruhigender falscher Gerüchte beschlagnahmt. Dies löste natürlich in den kommunistischen Medien des Auslandes erst recht einen Proteststurm aus. In Österreich selbst stieg die Wut im Volk derart an, dass die Polizei einschreiten musste, um körperliche Verfolgungen österreichischer Kommunisten und Zerstörungen kommunistischer Einrichtungen zu verhindern.[2]
Die Zahl der Flüchtlinge begann nun stetig anzusteigen. Die Gruppe II meldete 3000 Flüchtlinge aus dem Raum Szentgotthárd, die von Zivilbehörden nach Graz abtransportiert wurden. Unter den Flüchtlingen befanden sich auch etwa 100 ungarische Soldaten, die interniert wurden. Im Norden bei der Gruppe I löste die Besetzung von Sopron durch die Rote Armee eine Fluchtwelle aus. Bis zu 7000 Flüchtlinge bewegten sich auf der Straße Richtung Eisenstadt und wurden von den Zivilbehörden ins Hinterland gebracht. Bis zu 200 weitere ungarische Soldaten wurden bei Klingenbach entwaffnet und nach Eisenstadt gebracht.[2][4]
Die bereitgestellten Aufnahmelager füllten sich rasch und hatten bald ihre Kapazitätsgrenzen erreicht, sodass neue Lager aktiviert werden mussten. Unter den Flüchtlingen befanden sich erstmals auch ungarische Soldaten. Während diese anfangs als Verbrecher eingestuft wurden, die ohne Kriegserklärung auf österreichisches Territorium vorgedrungen waren, erging schließlich ein Befehl an die österreichischen Einheiten, ungarische Militärangehörige entsprechend der Haager Landkriegsordnung zu behandeln. Die Pioniertruppenschule Klosterneuburg wurde innerhalb weniger Stunden in ein Internierungslager für 500 Personen umfunktioniert. Weitere Sammelstellen für Internierte wurden in Eisenstadt, Oberwart und Feldbach eingerichtet.[2]
Montag, 5. November 1956
An diesem Tag verschärfte sich die Lage sowohl in Österreich als auch in Ägypten weiter. Großbritannien und Frankreich setzten sogar Fallschirmjäger ein, um den Suezkanal zu besetzten. Die Sowjetunion drohte nun beiden Ländern mit der Anwendung von Gewalt um die Aggressoren zu vernichten. Parteichef Chruschtschow sprach sogar von der – militärisch nicht verwirklichbaren – Zerstörung der westlichen Hauptstädte mit Atomwaffen.
In Österreich traten in den Morgenstunden des 5. November allein im Bereich der Gruppe I 230 ungarische Militärpersonen über die Grenze. Bis zum Abend belegten bereits 577 Internierte das Lager von Klosterneuburg. Insgesamt waren bis zu diesem Zeitpunkt bereits rund 10.000 Personen nach Österreich geflüchtet. Im Laufe des Tages besetzten die Einheiten der Roten Armee die gesamte Grenze zu Österreich. Fremde Flugzeuge drangen in den österreichischen Luftraum ein, ohne dass irgendwelche Gegenmaßnahmen hätten unternommen werden können.[2]
In Wien brach unter der Bevölkerung Kriegspanik aus und es kam zu Hamsterkäufen bei Grundnahrungsmitteln und Toiletteartikeln.
Vorbereitungen für einen Angriff aus der Tschechoslowakei
Besondere Sorgen bereitete der österreichischen Regierung und dem Verteidigungsministerium die Mobilmachung in der Tschechoslowakei. Da die kommunistischen Medien weiterhin schwere Geschütze gegen die Haltung Österreichs auffuhren, musste im schlimmsten Fall sogar mit einem Angriff auf Österreich gerechnet werden.
Die österreichischen Militärs arbeiteten nun zwei Szenarien aus:[2]
- Konzentration auf eine mögliche Bedrohung aus der Tschechoslowakei
- Einsatz gegen die Tschechoslowakei und Aufrechterhaltung des Grenzschutzes gegen Ungarn
Die erste Operationsvariante sah den Einsatz der 4. Brigade im Mühlviertel, der 3. Brigade im Waldviertel und der 2. Brigade im Weinviertel vor. Das Infanteriebataillon 10 aus Klagenfurt sollte der 3. Brigade als Verstärkung zugeführt werden.
Bei der zweiten Variante hätte zuerst die 3. Brigade den Grenzschutz gegen die Tschechoslowakei übernehmen sollen. Ihr hätten dann so schnell wie möglich ein Alarmbataillon der Militärakademie, eine Aufklärungskompanie, das Feldjägerbataillon 9 und das Heerespionierbataillon 1 zugeführt werden sollen. In weiterer Folge noch die 6. Brigade, die dann das Kommando im Wald- und Mühlviertel hätte übernehmen sollen, während sich die 3. Brigade auf das Weinviertel hätte konzentrieren sollen.
Als Reserven standen die 5. und 8. Brigade bereit, die bereits seit 3. November geheim Vormarschstraßen nach Ostösterreich erkundeten. Die 8. Brigade litt aber unter einem großen Mangel an Transportfahrzeugen.
Der Generaltruppeninspekteur befahl, unter Missachtung seiner Befugnisse, Major Pribil, dem Kommandanten des Heerespionierbataillons 1, die Brücken (Tulln, Krems, Mauthausen, Steyregg, Linz) über die Donau für die Sprengung vorzubreiten. Pribil führte diesen Befehl, nachdem er ihn am Abend des 5. Novembers in Wien entgegengenommen hatte, auch aus.[2]
Rückzugsbefehl auf Verteidigungsstellungen
Die Entwicklungen in Ungarn und am Suezkanal führten dazu, dass selbst die USA nun einen Krieg in Mitteleuropa nicht mehr ausschlossen, wie Bundesminister Graf bei einem Besuch des amerikanischen Verteidigungsattache erfuhr. Er beauftragte daher den Generaltruppeninspektor zur Planung und Vorbereitung von Gegenmaßnahmen. Oberst Fussenegger ordnete die Bildung eines Führungsstabes an, der die Funktion eines Armeekommandos erfüllen sollte. Es wurde weiters ein weitreichender Operationsbefehl erstellt, der den Rückzug der österreichischen Einheiten auf Verteidigungsstellungen wie die Eisenstädter oder Wiener Neustädter Pforte befahl. Rund um diesen Befehl gab es zwischen Verteidigungsminister und Generaltruppeninspektor heftige Diskussionen, weil diese weitreichenden Maßnahmen nicht vom Ministerrat abgesegnet waren, obwohl es am Vormittag eine Regierungssitzung gegeben hatte. Die befohlenen Maßnahmen wurden daher als Nachtmarschübung bezeichnet, wobei das kriegserfahrene Kaderpersonal natürlich sofort erkannte, dass mit dem schlimmsten zu rechnen sei.[2][5]
Den Bundesheereinheiten der Gruppe I wurde befohlen auf die allgemeine Linie Sauerbrunn - Großhöflein, Bruck an der Leitha - Petronell-Carnuntum zurückzugehen, um dort eine stützpunktartige Verteidigung vorzubereiten. Bei einem Angriff sollten sich die Einheiten hinhaltend kämpfend weiter auf die Wienerwaldeingänge und dann in den Raum St. Pölten zurückziehen.[2]
Bei der Gruppe II sollte die 5. Gebirgsbrigade stützpunktartig die Linie Fehring - Fürstenfeld - Markt Allhau besetzen, und dann weiter hinhaltend kämpfend in die Graz-Schutzstellung zurückgehen und sich in der Linie Wildon - Hausmannstätten - Raum südlich von Sankt Radegund bei Graz zur Verteidigung einrichten.[2]
Die Diskussionen um die Legitimation des Befehles führte dazu, dass die Gruppen I und II die Anordnung für die Verlegung erhielten, während die Einheiten der Gruppe III in den Garnisonen verblieben.
Es regnete in Strömen als die eingesetzten Einheiten in die befohlenen Einsatzräume abrückten, um dort Stellungen zu graben und Stützpunkte anzulegen. Die Rekruten, die nicht Teil der Einsatzeinheiten waren, mussten die Kasernen verlassen und im Umland campieren, um nicht Ziel von Luftangriffen zu werden.
Dienstag, 6. November 1956
Am Morgen des 6. Novembers meldeten die Brigadekommanden den Vollzug des Befehles. An der Grenze selbst verblieben nur motorisierte Spähtrupps. Diese versuchten auch möglichst viele Flüchtlinge zu befragen, um sich ein Bild über die militärische Lage in Ungarn zu verschaffen.[2]
Zur Erleichterung aller blieb ein sowjetischer Angriff auf Österreich aus.
Aktionen bis zum Jahresende
Da der sowjetische Angriff ausgeblieben war, galt es nun den zivilen Organisationen bei der Bewältigung des Flüchtlingsstromes zu helfen. Vor allem im Seewinkel überschritten viele Ungarn die Grenze zu Österreich. So kamen allein in der Nacht vom 18. auf den 19. November 2.000 Personen über die Brücke von Andau ins Burgenland.
Obwohl die weltpolitische Lage noch immer sehr unsicher war, so bereiteten die USA in diesen Tagen eine Teilmobilmachung vor, entwickelte sich bei den Bundesheereinheiten schön langsam ein Routinebetrieb. Erste Truppenteile, wie die Alarmkompanien der Militärakademie am 12. November, wurden in ihre Heimatgarnisonen verlegt. Durch Heranziehen der nun besser ausgebildeten Rekruten des Einrückungstermines 15. Oktober begann man die Alarmkompanien in Orgplan-mäßige Einheiten umzuwandeln. Trotzdem war der Gefechtswert vieler Einheiten noch sehr gering. So fehlte unter anderem den Rekruten das Tragegerüst für das Sturmgepäck oder gab es Probleme bei der Verlegung von Panzereinheiten.
Der Generaltruppeninspektor sah sich gezwungen ein Memorandum zu verfassen, in dem er die Feststellung traf, dass mit den derzeitigen Kräften weder der Schutz der Zivilbevölkerung noch eine Verteidigung möglich sei. Er stellte daher folgende Forderungen auf:[2]
- Einberufung von Kader für Neuaufstellungen
- Überstellung 2.000 ehemalig Kriegsgedienter oder ehemaliger Angehöriger der B-Gendarmerie in das Bundesheer
- Genehmigung zur Anwendung des Reichsleistungsgesetzes
- Veranlassung der schnellsten Lieferung von Waffen, Munition und Gerät
- Beginn der Anlage von Feldbefestigungen und Sperren in den meistbedrohten Abschnitten
- Zusammentritt einer interministeriellen Kommission für Zivilschutz
- Vereinbarung mit der Bundespolizeidirektion Wien und der Sicherheitsdirektion NÖ für die Steuerung der Flüchtlingsströme
- Aufklärung der Zivilbevölkerung über die Notwendigkeiten der vorbereitenden Maßnahmen der militärischen Landesverteidigung.
Seine Wünsche fanden jedenfalls keinen Anklang und versandeten, wie vieles andere auch.
Am 21. November sprengten ungarische Soldaten die Brücke bei Andau über den Einser-Kanal. Zwei Tage später wurde auf österreichischer Seite der Bundesheereinsatz weiter zurückgefahren, in dem die Brigadenkommanden 1, 3 und 5 in ihre Heimatstandorte zurückverlegt wurden.
Aber gerade an diesem 23. November passierte der schwerste Zwischenfall während des Einsatzes an der Grenze. Bei Rechnitz verfolgten drei sowjetische Soldaten ein ungarisches Flüchtlingsmädchen auf österreichisches Territorium, um es zu berauben und zu vergewaltigen. Eine zufällig vorbeikommende Patrouille der Gendarmerie stellte die drei Soldaten und verhaftete einen von ihnen. Den beiden anderen, die flüchteten, wurde nach einigen Warnschüssen nachgeschossen, wobei einer im Bauch getroffen wurde, während der dritte Soldat entkam. Der Getroffene verstarb noch auf dem Transport ins Krankenhaus Oberwart. Das alarmierte Infanteriebataillon 2 verlegte noch am gleichen Tag einen verstärkten Infanteriezug nach Rechnitz. Der Leichnam des erschossenen Soldaten wurde am 26. November in Anwesenheit des sowjetischen Verteidigungsattachés an die Rote Armee in Ungarn übergeben. Der gefangene Sowjetsoldat wurde am 1. Dezember in Wien übergeben.[2]
In den nächsten Tagen und Wochen befahl das Verteidigungsministerium das weitere Zurückfahren des Einsatzes. Als letzter Verband kehrte am 24. Dezember das Feldjägerbataillon 13 in die Heimatgarnison zurück, wodurch der erste Einsatz des Bundesheeres sein Ende fand.
Folgen
Literatur
- Ingrid Schramm: Ungarnkrise 1956 - der erste Großeinsatz des Bundesheeres in Pannonische Streifzüge, S.60ff., 2021, Verlag Morawa, ISBN 978-3-99129-321-7
Weblinks
- Norbert Sinn: Volksaufstand in Ungarn 1956 - der erste Einsatz des jungen Bundesheeres, www.bundesheer.at, Beitrag des ehemaligen Kommandanten der Theresianischen Militärakademie Generalmajor Norbert Sinn.
Einzelnachweise
- ↑ Christoph Hatschek: Die Geschichte der B-Gendarmerie von 1952 bis 1955, Webseite www.bundesheer.at, abgerufen am 17. April 2015
- ↑ 2,00 2,01 2,02 2,03 2,04 2,05 2,06 2,07 2,08 2,09 2,10 2,11 2,12 2,13 2,14 2,15 2,16 2,17 2,18 2,19 2,20 2,21 2,22 2,23 2,24 2,25 2,26 2,27 2,28 2,29 2,30 2,31 2,32 2,33 Norbert Sinn: Volksaufstand in Ungarn 1956 - der erste Einsatz des jungen Bundesheeres, Webseite www.bundesheer.at, abgerufen am 17. April 2015
- ↑ 3,0 3,1 3,2 Ungarn 1956 - Timeline, Webseite www.demokratiezentrum.org, abgerufen am 9. Juni 2015
- ↑ Rotes Kreuz Burgenland, Webseite www.roteskreuz.at, abgerufen am 9. Juni 2015
- ↑ Zeitgeschichte: In großer Stunde - 50 Jahre Ungarn-Aufstand - Drama an der Grenze, Webseite www.profil.at, abgerufen am 9. Juni 2015