Hugo Kraus: Unterschied zwischen den Versionen
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Geboren wurde Hugo Kraus am 8. Juni 1872 in [[Čáslav|Czaslau]] bei [[Pardubice]]/Böhmen. Er stammte aus einer traditionellen jüdischen Akademikerfamilie, sein Vater, Julius Kraus, war praktischer Arzt in Czaslau. Kraus besuchte das [[ | Geboren wurde Hugo Kraus am 8. Juni 1872 in [[Čáslav|Czaslau]] bei [[Pardubice]]/Böhmen. Er stammte aus einer traditionellen jüdischen Akademikerfamilie, sein Vater, Julius Kraus, war praktischer Arzt in Czaslau. Kraus besuchte das Deutsche [[Gymnasien in Prag|Gymnasium in Prag]], es folgte das [[Medizinstudium]] an der [[Karls-Universität|Universität Prag]], wo er 1897 [[Promotion (Doktor)|promovierte]]. Danach war er Aspirant im [[Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien|Allgemeinen Krankenhaus Wien]]. Kraus spezialisierte sich vorerst auf Pädiatrie, später auf [[Lungenheilkunde]] und Kehlkopferkrankungen. Danach wurde er Assistent des Vorstandes der med. Universitätsklinik Wien und Gründers der Lungenheilstätte Alland, [[Leopold Schrötter von Kristelli|Leopold von Schrötter]], in dessen Sanatorium Alland. Um 1900 unternahm der Mediziner ausgedehnte Studienreisen in die Schweiz, mehrmals besuchte er das Basler Sanatorium in Davos Dorf. | ||
1903 kaufte er auf Anraten seines väterlichen Freundes Leopold von Schrötter gemeinsam mit seinem ehemaligen Studienkollegen Baer drei Bauernhöfe in Feichtenbach und es erfolgte die Gründung des Sanatoriums Wienerwald. Am 1. Juli 1904 eröffneten die beiden Pulmologen ihr Sanatorium. Der praktisch veranlagte Kraus widmete sich nun verstärkt der [[Tuberkulose]]forschung und entwickelte einige technische Hilfsmittel, wie etwa die kalte Quarzlampe<ref name="Kraus Hugo">''Eine kalte Quarzlampe für die Kehlkopfbestrahlung'', Lung, Springer New York, Vol. 81, Nov. 1932, S. 635 bis 638.</ref> zur [[Kehlkopf]]bestrahlung, und führte 1930 die erste künstliche [[Pneumothorax]]-Operation in Österreich durch. Er galt als umtriebiger Wissenschaftler, zielstrebig und geschäftstüchtig. Zahlreiche Publikationen in internationalen Fachzeitschriften festigten seinen Ruf als einen der führenden Lungenspezialisten Europas. Über seine Ära hinausweisend und bis dato bekannt ist etwa seine Abhandlung ''Zur Diagnostik kleiner Gasblasen über pleuritischen Ergüssen'' von 1911.<ref name="Lung">''Zur Diagnostik kleiner Gasblasen über pleuritischen Ergüssen'', Lung, Springer New York, Vol 21, Okt. 1911, S. 297 bis 302.</ref> Auf der anderen Seite wird Kraus als emotionaler, gemütlicher Mensch, kontaktfreudig und leutselig beschrieben.<ref name="Hackermüller, Rotraut">Hackermüller, ''Das Leben, das mich stört'', S. 100.</ref> In Feichtenbach und Umgebung wurde Kraus von der Bevölkerung hochgeschätzt, denn er mischte sich nicht nur gern unters Volk, sondern behandelte auch die Einheimischen ohne auf Bezahlung zu bestehen.<ref name="Knotzninger_S4_15_55" /> | 1903 kaufte er auf Anraten seines väterlichen Freundes Leopold von Schrötter gemeinsam mit seinem ehemaligen Studienkollegen Baer drei Bauernhöfe in Feichtenbach und es erfolgte die Gründung des Sanatoriums Wienerwald. Am 1. Juli 1904 eröffneten die beiden Pulmologen ihr Sanatorium. Der praktisch veranlagte Kraus widmete sich nun verstärkt der [[Tuberkulose]]forschung und entwickelte einige technische Hilfsmittel, wie etwa die kalte Quarzlampe<ref name="Kraus Hugo">''Eine kalte Quarzlampe für die Kehlkopfbestrahlung'', Lung, Springer New York, Vol. 81, Nov. 1932, S. 635 bis 638.</ref> zur [[Kehlkopf]]bestrahlung, und führte 1930 die erste künstliche [[Pneumothorax]]-Operation in Österreich durch. Er galt als umtriebiger Wissenschaftler, zielstrebig und geschäftstüchtig. Zahlreiche Publikationen in internationalen Fachzeitschriften festigten seinen Ruf als einen der führenden Lungenspezialisten Europas. Über seine Ära hinausweisend und bis dato bekannt ist etwa seine Abhandlung ''Zur Diagnostik kleiner Gasblasen über pleuritischen Ergüssen'' von 1911.<ref name="Lung">''Zur Diagnostik kleiner Gasblasen über pleuritischen Ergüssen'', Lung, Springer New York, Vol 21, Okt. 1911, S. 297 bis 302.</ref> Auf der anderen Seite wird Kraus als emotionaler, gemütlicher Mensch, kontaktfreudig und leutselig beschrieben.<ref name="Hackermüller, Rotraut">Hackermüller, ''Das Leben, das mich stört'', S. 100.</ref> In Feichtenbach und Umgebung wurde Kraus von der Bevölkerung hochgeschätzt, denn er mischte sich nicht nur gern unters Volk, sondern behandelte auch die Einheimischen ohne auf Bezahlung zu bestehen.<ref name="Knotzninger_S4_15_55" /> | ||
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== Arthur Baer == | == Arthur Baer == | ||
Arthur Baer wurde am 1. August 1872 als Sohn des jüdischen Maierhofpächters Moritz Bär in Roschowitz/[[Böhmen]] geboren. Wie Kraus besuchte auch er das Deutsche [[Gymnasium]] | Arthur Baer wurde am 1. August 1872 als Sohn des jüdischen Maierhofpächters Moritz Bär in Roschowitz/[[Böhmen]] geboren. Wie Kraus besuchte auch er das Deutsche [[Gymnasien in Prag|Gymnasium in Prag]], es folgte das Medizinstudium an der [[Karls-Universität|Universität Prag]], wo er 1897 [[Promotion (Doktor)|promovierte]]. Danach war er ebenfalls Aspirant im Allgemeinen Krankenhaus Wien. Später ging Baer als Assistent in [[Peter Dettweiler (Mediziner)|Peter Dettweilers]] [[Falkenstein Grand|Heilanstalt Falkenstein]] im [[Taunus]]. Dort lernte er auch seine spätere Frau Elisabeth Matwejewa Spitzmacher, eine Moskauer Deutschrussin aus reichem Hause, kennen, deren Vermögen den Grundstein zum Sanatorium Wienerwald bildete. | ||
Es folgen zwei Jahre Studienaufenthalte in [[Frankreich]] und der [[Schweiz]]. Nach Gründung des Sanatoriums ist Baer der pragmatische Part des Ärzteduos. Er ist Mitglied der „[[Gutenstein (Niederösterreich)|Gutensteiner]] Sommergesellschaft“,<ref name="Ast, Hiltraud">Hiltraud Ast: ''Sommerfrische der Kaiserzeit. Die großbürgerliche Sommergesellschaft und ihre einheimischen Gastgeber, Begegnung zweier sozialer Schichten'', Perlach-Verlag, Augsburg [u. a.] 1990, ISBN 3-922769-21-7, S. 65.</ref> gilt als ernst und verschlossen, pflegt wenig persönlichen Kontakt zu den Patienten. Wie auch seine Gattin war der begeisterte [[Jäger]] eine elegante Erscheinung, aber von völlig anderem Naturell. Das führte nicht nur zu Spannungen zwischen ihm und seiner Gattin, sondern auch zu einem Zerwürfnis mit Kraus.<ref name="Hackermüller, Rotraut"/> In den späten 1920ern und 1930ern ordinierten die beiden Sanatoriumsleiter schließlich völlig getrennt voneinander. Die Patienten des Einen bekamen den Anderen zumeist nicht zu Gesicht. | Es folgen zwei Jahre Studienaufenthalte in [[Frankreich]] und der [[Schweiz]]. Nach Gründung des Sanatoriums ist Baer der pragmatische Part des Ärzteduos. Er ist Mitglied der „[[Gutenstein (Niederösterreich)|Gutensteiner]] Sommergesellschaft“,<ref name="Ast, Hiltraud">Hiltraud Ast: ''Sommerfrische der Kaiserzeit. Die großbürgerliche Sommergesellschaft und ihre einheimischen Gastgeber, Begegnung zweier sozialer Schichten'', Perlach-Verlag, Augsburg [u. a.] 1990, ISBN 3-922769-21-7, S. 65.</ref> gilt als ernst und verschlossen, pflegt wenig persönlichen Kontakt zu den Patienten. Wie auch seine Gattin war der begeisterte [[Jäger]] eine elegante Erscheinung, aber von völlig anderem Naturell. Das führte nicht nur zu Spannungen zwischen ihm und seiner Gattin, sondern auch zu einem Zerwürfnis mit Kraus.<ref name="Hackermüller, Rotraut"/> In den späten 1920ern und 1930ern ordinierten die beiden Sanatoriumsleiter schließlich völlig getrennt voneinander. Die Patienten des Einen bekamen den Anderen zumeist nicht zu Gesicht. | ||
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[[Datei:Sanatorium Wienerwald Plan1.jpg|mini|Planentwurf Bezugsebene (1903)]] | [[Datei:Sanatorium Wienerwald Plan1.jpg|mini|Planentwurf Bezugsebene (1903)]] | ||
Der Gründungsbau ist ein 13-achsiges, fünfgeschoßiges Gebäude mit in der [[Dachlandschaft]] integrierter [[Mansarde]] im Stil des Spät[[historismus]]/[[ | Der Gründungsbau ist ein 13-achsiges, fünfgeschoßiges Gebäude mit in der [[Dachlandschaft]] integrierter [[Mansarde]] im Stil des Spät[[historismus]]/[[Heimatstil]]. Es zeigt von seiner Südseite eine deutliche Dreiteilung, wobei im zurückspringenden Mitteltrakt ein Pseudo-Mittel[[risalit]] nur durch Dach und fehlende [[Balkon]]e angedeutet ist. Da das Gebäude in Hanglage steht, ist die [[Bezugsebene]] eigentlich ein Obergeschoß, der Eingang lag ursprünglich nordseitig. Westseitig schloss sich eine hölzerne Liegeterrasse an das Gebäude an. | ||
[[Datei:Bauphoto Wienerwald.jpg|mini|Rohbau des Sanatoriums (1904)]] | [[Datei:Bauphoto Wienerwald.jpg|mini|Rohbau des Sanatoriums (1904)]] | ||
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Die [[Säuglingssterblichkeit]] lag in den Heimen in etwa gleichauf mit der im „[[Altreich (Deutschland)|Altreich]]“, also bei rund 6 %. Die Totgeburten scheinen aber ebenfalls nur bedingt in den Geburtenbüchern auf. Was mit diesen Totgeburten und verstorbenen [[Säugling]]en geschah, liegt daher weitgehend im Dunklen. Im Falle des Heimes Wienerwald handelt es sich immerhin um rund 100 Babys. Der vormalige Hausmeister des Heimes, Herr Josef P., gab am 30. Dezember 1994 in einem Interview zu, im Auftrage des Verwalters Decker zumindest eines davon „beim Heim“ verscharrt zu haben.<ref name="Knotzninger_S55">''Das SS-Heim Wienerwald'', 2001, S. 55.</ref> | Die [[Säuglingssterblichkeit]] lag in den Heimen in etwa gleichauf mit der im „[[Altreich (Deutschland)|Altreich]]“, also bei rund 6 %. Die Totgeburten scheinen aber ebenfalls nur bedingt in den Geburtenbüchern auf. Was mit diesen Totgeburten und verstorbenen [[Säugling]]en geschah, liegt daher weitgehend im Dunklen. Im Falle des Heimes Wienerwald handelt es sich immerhin um rund 100 Babys. Der vormalige Hausmeister des Heimes, Herr Josef P., gab am 30. Dezember 1994 in einem Interview zu, im Auftrage des Verwalters Decker zumindest eines davon „beim Heim“ verscharrt zu haben.<ref name="Knotzninger_S55">''Das SS-Heim Wienerwald'', 2001, S. 55.</ref> | ||
In das Heim kamen Frauen aus ganz Deutschland zur Entbindung: Wenn die Rassenmerkmale „passten“, bezahlte der Verein die Fahrt- und Unterbringungskosten; die Mütter blieben meist noch einige Wochen nach der Geburt im Heim. Wegen der guten medizinischen Betreuung kamen nicht nur ledige Schwangere, sondern auch Ehefrauen von SS-Mitgliedern. Im Heim wurde über jede Frau Buch geführt (Alter, Körperbau, Charakter usw.), wobei sogar das Verhalten während der Geburt notiert wurde (Schreien wurde als „undeutsch“ stigmatisiert). Mit dem Näherrücken der Ostfront kamen weniger Schwangere aus dem „Altreich“, dafür aber mehr Wöchnerinnen aus der Umgebung.<ref>Quelle: „Herrenmenschen“ und arische Frauen. Barbara Schleicher über das SS-Lebensbornheim Wienerwald: Die kurios-skandalöse Geschichte eines Hauses, in: morgen, März 2003, S. 28–30, hier S. 28–29. Die Zeitschrift [ | In das Heim kamen Frauen aus ganz Deutschland zur Entbindung: Wenn die Rassenmerkmale „passten“, bezahlte der Verein die Fahrt- und Unterbringungskosten; die Mütter blieben meist noch einige Wochen nach der Geburt im Heim. Wegen der guten medizinischen Betreuung kamen nicht nur ledige Schwangere, sondern auch Ehefrauen von SS-Mitgliedern. Im Heim wurde über jede Frau Buch geführt (Alter, Körperbau, Charakter usw.), wobei sogar das Verhalten während der Geburt notiert wurde (Schreien wurde als „undeutsch“ stigmatisiert). Mit dem Näherrücken der Ostfront kamen weniger Schwangere aus dem „Altreich“, dafür aber mehr Wöchnerinnen aus der Umgebung.<ref>Quelle: „Herrenmenschen“ und arische Frauen. Barbara Schleicher über das SS-Lebensbornheim Wienerwald: Die kurios-skandalöse Geschichte eines Hauses, in: morgen, März 2003, S. 28–30, hier S. 28–29. Die Zeitschrift [https://www.noel.gv.at/noe/Kunst-Kultur/Kulturzeitschrift_morgen.html ''morgen''] wird vom Land Niederösterreich herausgegeben; ältere Ausgaben sind leider nicht online verfügbar.</ref> | ||
Zwar kam der „Lebensborn“ im erklärten Lieblingsheim des Reichsführers (er scheint auch immer wieder als Pate in den Namensgebungsurkunden des Heimes auf) [[Schutzstaffel|SS]] [[Heinrich Himmler]] (RFSS), auch unehelichen Müttern in Not zugute, aber es diente den SS- und NS-Parteiführern doch eher dazu, ihre schwangeren Geliebten dorthin abzuschieben, ohne dass die Ehefrau (die unter Umständen später ebenfalls dort entband) etwas davon mitbekam. Schwangerschaft und Geburt wurden geheim gehalten und in eigenen „Lebensborn“-[[Standesamt|Standesämtern]] (in diesem Fall: Pernitz 2) attestiert. Das Heim Wienerwald war das einzige reine Mütterheim im System des Lebensborn. In allen anderen Heimen wurde der „Lebensborn“ auch für die Verschleppung und „Eindeutschung“ mittel- und osteuropäischer Kinder missbraucht. | Zwar kam der „Lebensborn“ im erklärten Lieblingsheim des Reichsführers (er scheint auch immer wieder als Pate in den Namensgebungsurkunden des Heimes auf) [[Schutzstaffel|SS]] [[Heinrich Himmler]] (RFSS), auch unehelichen Müttern in Not zugute, aber es diente den SS- und NS-Parteiführern doch eher dazu, ihre schwangeren Geliebten dorthin abzuschieben, ohne dass die Ehefrau (die unter Umständen später ebenfalls dort entband) etwas davon mitbekam. Schwangerschaft und Geburt wurden geheim gehalten und in eigenen „Lebensborn“-[[Standesamt|Standesämtern]] (in diesem Fall: Pernitz 2) attestiert. Das Heim Wienerwald war das einzige reine Mütterheim im System des Lebensborn. In allen anderen Heimen wurde der „Lebensborn“ auch für die Verschleppung und „Eindeutschung“ mittel- und osteuropäischer Kinder missbraucht. | ||
Seit 2020 wird die Geschichte des Entbindungsheims von Forschern des [[Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung|Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung]] aufgearbeitet; dazu werden Zeitzeugen gesucht.<ref>{{Internetquelle |url=https://noe.orf.at/stories/3073433/ |titel=Nazi-Entbindungsheim. Zeitzeugen gesucht |werk=orf.at |datum=2020-10-28 |abruf=2020-10-28}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://bik.ac.at/lebensborn-heim-wienerwald-1938-1945 | Seit 2020 wird die Geschichte des Entbindungsheims von Forschern des [[Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung|Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung]] aufgearbeitet; dazu werden Zeitzeugen gesucht.<ref>{{Internetquelle |url=https://noe.orf.at/stories/3073433/ |titel=Nazi-Entbindungsheim. Zeitzeugen gesucht |werk=orf.at |datum=2020-10-28 |abruf=2020-10-28}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://bik.lbg.ac.at/forschung/programmlinie-kindheit/lebensborn-heim-wienerwald-1938-1945/ |titel=Lebensborn-Heim Wienerwald 1938 – 1945 |werk=[[Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung]] |datum=2020-02 |abruf=2020-10-28}}</ref> Im Jahre 2024 haben drei im Lebensbornheim Feichtenbach geborene Menschen der Tageszeitung „Der Standard“ ihre Familiengeschichte geschildert.<ref>Printausgabe: 29./30. Mai 2024, S. 15–17; die [https://www.derstandard.at/story/3000000209466/geboren-im-lebensborn-heim-der-nazis-drei-menschen-erzaehlen-ihre-geschichte online Ausgabe] ist etwas ausführlicher.</ref> | ||
== Nachkriegsgeschichte als ÖGB-Heim == | == Nachkriegsgeschichte als ÖGB-Heim == | ||
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Von 1945 bis Ende 1948 führte vorerst das Wiener Jugendhilfswerk ein Kindererholungsheim für unterernährte Kinder aus Wien in den Räumlichkeiten des Sanatoriums. Dadurch blieb das Gebäude vor dem Zugriff der russischen Besatzung verschont. In dieser Zeit wurden insgesamt über 4100 (!) Kinder in Feichtenbach aufgepäppelt. Der Plan eines Umbaus in eine Lungenheilstätte der Stadt [[Wien]] zerschlug sich bereits Mitte 1948, ein [[Restitution (Österreich)|Restitutionsverfahren]] wurde eingeleitet. | Von 1945 bis Ende 1948 führte vorerst das Wiener Jugendhilfswerk ein Kindererholungsheim für unterernährte Kinder aus Wien in den Räumlichkeiten des Sanatoriums. Dadurch blieb das Gebäude vor dem Zugriff der russischen Besatzung verschont. In dieser Zeit wurden insgesamt über 4100 (!) Kinder in Feichtenbach aufgepäppelt. Der Plan eines Umbaus in eine Lungenheilstätte der Stadt [[Wien]] zerschlug sich bereits Mitte 1948, ein [[Restitution (Österreich)|Restitutionsverfahren]] wurde eingeleitet. | ||
Im Jahre 1950 mussten die Besitzer die schwer in Mitleidenschaft gezogene Anlage verkaufen,<ref>In einem Beitrag über das Haus schreibt Barbara Schleicher in der niederösterreichischen Kulturzeitschrift "morgen", dass von den Nachkommen horrende Steuerlasten für das heruntergekommene Gebäude und das 34 Hektar große Areal verlangt wurden, so dass den Erben nichts anderes übrig blieb, als die Immobilie zu verkaufen. Quelle: „Herrenmenschen“ und arische Frauen. Barbara Schleicher über das NS-Lebensbornheim Wienerwald: Die kurios-skandalöse Geschichte eines Hauses, In: morgen, März 2003, S. 28–30, hier S. 29 f.</ref> und der [[Österreichischer Gewerkschaftsbund|Österreichische Gewerkschaftsbund]] (ÖGB) begann 1951 nach Plänen des Architekten [[Franz Mörth]] einen großangelegten Umbau, der dem Haus nun ein völlig neues Aussehen verlieh. Freitragende [[Stahlbeton]]balkone und ein flaches [[Satteldach]] bestimmten nun die Wirkung des neuen „Urlauberheimes [[Karl Maisel]] der Metall- und Bergarbeiter“ des ÖGB in Feichtenbach.<ref name="AZ_19520402"> | Im Jahre 1950 mussten die Besitzer die schwer in Mitleidenschaft gezogene Anlage verkaufen,<ref>In einem Beitrag über das Haus schreibt Barbara Schleicher in der niederösterreichischen Kulturzeitschrift "morgen", dass von den Nachkommen horrende Steuerlasten für das heruntergekommene Gebäude und das 34 Hektar große Areal verlangt wurden, so dass den Erben nichts anderes übrig blieb, als die Immobilie zu verkaufen. Quelle: „Herrenmenschen“ und arische Frauen. Barbara Schleicher über das NS-Lebensbornheim Wienerwald: Die kurios-skandalöse Geschichte eines Hauses, In: morgen, März 2003, S. 28–30, hier S. 29 f.</ref> und der [[Österreichischer Gewerkschaftsbund|Österreichische Gewerkschaftsbund]] (ÖGB) begann 1951 nach Plänen des Architekten [[Franz Mörth]] einen großangelegten Umbau, der dem Haus nun ein völlig neues Aussehen verlieh. Freitragende [[Stahlbeton]]balkone und ein flaches [[Satteldach]] bestimmten nun die Wirkung des neuen „Urlauberheimes [[Karl Maisel]] der Metall- und Bergarbeiter“ des ÖGB in Feichtenbach.<ref name="AZ_19520402">{{Webarchiv |wayback=20131203092107 |url=http://www.arbeiter-zeitung.at/cgi-bin/archiv/flash.pl?seite=19520402_A06;html=1 |text=E. Th.: ''Neues Leben in Feuchtenbach. Ein Urlaubsheim der Metall- und Bergarbeiter''}}. In: ''[[Arbeiter-Zeitung]]'', 2. April 1952, S. 6.</ref> | ||
Im Jahre 1952 entstanden nach den Plänen Mörths ein Freibad und eine [[Jugendherberge]] auf dem Gelände der 1920 abgebrannten Kriegerheilstätte, 1962 wurde ein Restaurationspavillon südostseitig angefügt. Weitere Umbauten im Jahr 1967 (sie betrafen vorwiegend die Aufstockung des Mörthschen Restaurationspavillons, den Angestelltenspeisesaal sowie den Ausbau der Wäscherei zum Angestelltenwohnhaus), nun durch Viktor Adler, sowie die Errichtung einer Miniaturgolfanlage, auf der 1984 die österreichische Staatsmeisterschaft im [[Bahnengolf]] ausgetragen wurde, folgten. | Im Jahre 1952 entstanden nach den Plänen Mörths ein Freibad und eine [[Jugendherberge]] auf dem Gelände der 1920 abgebrannten Kriegerheilstätte, 1962 wurde ein Restaurationspavillon südostseitig angefügt. Weitere Umbauten im Jahr 1967 (sie betrafen vorwiegend die Aufstockung des Mörthschen Restaurationspavillons, den Angestelltenspeisesaal sowie den Ausbau der Wäscherei zum Angestelltenwohnhaus), nun durch Viktor Adler, sowie die Errichtung einer Miniaturgolfanlage, auf der 1984 die österreichische Staatsmeisterschaft im [[Bahnengolf]] ausgetragen wurde, folgten. | ||
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Im Januar 2009 erschien der Roman „Feichtenbach – eine Faction“ der Autorin Eleonore Rodler im Verlag Vabene (ISBN 3851672240). Das Buch beleuchtet die Lebensborn-Ära des Hauses und erzählt das Schicksal zweier Knaben, die in Feichtenbach geboren, nach Deutschland gebracht und getrennt zur Adoption freigegeben wurden. | Im Januar 2009 erschien der Roman „Feichtenbach – eine Faction“ der Autorin Eleonore Rodler im Verlag Vabene (ISBN 3851672240). Das Buch beleuchtet die Lebensborn-Ära des Hauses und erzählt das Schicksal zweier Knaben, die in Feichtenbach geboren, nach Deutschland gebracht und getrennt zur Adoption freigegeben wurden. | ||
Der „Quit Club“, eine private Organisation zur Suchttherapie, versuchte 2008/09 das ehemalige Sanatorium über einen privaten Investor zu einer „Allgemeinen öffentlichen psychosomatischen Sonderkrankenanstalt“ umzufunktionieren. Das Projekt konnte aber nicht umgesetzt werden.<ref>{{Webarchiv|url=http://www.sozialmarie.org/projekte/quit_club_allg._offentliche_psychosomatische_sonderkrankenanstalt_no_sud.1006.html |wayback=20160129235856 |text=Projektbeschreibung bei sozialmarie.org | Der „Quit Club“, eine private Organisation zur Suchttherapie, versuchte 2008/09 das ehemalige Sanatorium über einen privaten Investor zu einer „Allgemeinen öffentlichen psychosomatischen Sonderkrankenanstalt“ umzufunktionieren. Das Projekt konnte aber nicht umgesetzt werden.<ref>{{Webarchiv|url=http://www.sozialmarie.org/projekte/quit_club_allg._offentliche_psychosomatische_sonderkrankenanstalt_no_sud.1006.html |wayback=20160129235856 |text=Projektbeschreibung bei sozialmarie.org}} (Abgerufen am 12. Oktober 2012)</ref> Derzeitiger Eigentümer des ehemaligen Sanatoriums Wienerwald ist eine deutsche Holding Gesellschaft. Als rechtlicher Vertreter und Verwalter fungiert eine Wiener Rechtsanwälte GmbH.<ref>{{Webarchiv|url=http://www.dascitymagazin.at/de/rubriken/get/page/vom-nobelsanatorium-zum-geisterhaus/ |wayback=20120603154011 |text=Das Citymagazin: Vom Nobelsanatorium zum Geisterhaus, Ausgabe 05/10}} (Abgerufen am 12. Oktober 2012)</ref> | ||
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* ''Geheimsache Lebensborn'', Dokumentarfilm 2003. Regie: [[Beate Thalberg]]. Film über das bis dahin nicht untersuchte, einzige Lebensborn-Heim in Österreich im ehemaligen Sanatorium Wienerwald Pernitz. ORF/Cultfilm<ref> | * ''Geheimsache Lebensborn'', Dokumentarfilm 2003. Regie: [[Beate Thalberg]]. Film über das bis dahin nicht untersuchte, einzige Lebensborn-Heim in Österreich im ehemaligen Sanatorium Wienerwald Pernitz. ORF/Cultfilm<ref>[https://www.cultfilm.at/film/dokumentar-filme/9-dokumentarfilme/31-lebensborn-feichtenbach.html ''Lebensborn Feichtenbach''], Dokumentarfilme bei Cultfilm.</ref> | ||
== Weblinks == | == Weblinks == |