Waisenhaus Mödling: Unterschied zwischen den Versionen
Zeile 72: | Zeile 72: | ||
* [[w:Edwin Grienauer|Edwin Grienauer]] (1893-1964), Bildhauer und Medailleur<ref name ="klassenbuch">Lt. Klassenbuch 1903 bzw. 1906</ref> | * [[w:Edwin Grienauer|Edwin Grienauer]] (1893-1964), Bildhauer und Medailleur<ref name ="klassenbuch">Lt. Klassenbuch 1903 bzw. 1906</ref> | ||
* [[Hans Toifl]] (1900-1989), Pianist und Komponist<ref name ="klassenbuch"/> | * [[Hans Toifl]] (1900-1989), Pianist und Komponist<ref name ="klassenbuch"/> | ||
* [[Rudolf Knarr]] (1880-1981), Musiker und Komponist | |||
== Nachnutzung == | == Nachnutzung == |
Version vom 4. März 2020, 10:27 Uhr
Das Waisenhaus in Mödling auch Hyrtl'sches Waisenhaus war ein Waisenhaus in Mödling, das seinen Ursprung in Verein des Anatomen Josef Hyrtl fand und diese Funktion bis 1939 hatte. Heute besteht die Bezeichnung Waisenhaus für die Gebäude und den damit verbundenen Einrichtungen nach wie vor.
Geschichte
Vorgeschichte
Begonnen hat es im Jahre 1885 mit Josef Schöffel und Josef Hyrtl. Schöffel - ein äußerst kapriziöser, eigenwilliger Bürgermeister - hat sich sehr für Mödling eingesetzt. 1885 war er allerdings seit über zwei Jahren nur mehr einfaches Gemeinderatsmitglied im Rathaus. Schöffel hat 1891 die einzige Ehrung vom Land Niederösterreich bekommen, die das Land Niederösterreich je in dieser Form gemacht hat, eine Medaille von Heinrich Jauner mit einem Bildnis des Waisenhauses.
Josef Hyrtl war einer der berühmtesten Anatomen seiner Zeit, manche meinen im gesamten deutschsprachigen Raum, manche sogar weltweit. Wenn der Kaiser eine Frage zum Thema Anatomie hatte, fragte er Hyrtl. Dieser war dadurch äußerst angesehen und enorm reich. Er investierte allein in das Waisenhaus insgesamt 600.000,- Gulden (5,5 Millionen Euro). Nachdem Hyrtl keine Kinder hatte, richtete zuerst einmal auf der Wiener Universität, wo er unterrichtete, eine Stiftung von 40.000,-- Gulden österreichische Goldrente mit der Widmung ein, dass von den Zinsen vier Studenten ein Stipendium erhalten sollten. Als er diese ein Jahr später aufsuchen wollte musste er feststellen, dass die Studenten nie Geld gesehen hatten, weil die Erträge gesetzlich erst nach vier Jahren ausbezahlt werden mussten und die Universität dieses Geld zum Stopfen von Finanzlöchern verwendet hatte. Der darüber verärgerte Hyrtl - er nannte es einen „Seeräuberstaat“ - avisierte ein ähnliches Projekt in Deutschland, in Heidelberg an.
Als sein Freund Josef Schöffel auf ihn zukam und meinte, dass er doch in Mödling die Errichtung eines Waisenhauses finanzieren sollte. Einmal geschädigt, versprach Schöffel ihm, sich darum zu kümmern um einen korrekten Ablauf des Projektes zu kümmern.
Auf den Rat von Statthalter von Niederösterreich, Heinrich Baron von Possinger, hin gründete Schöffel einen Verein, womit gewährleistet sei, dass die Gelder zweckgebunden verwendet würden. Dieser wurde 1888 aber doch in eine Stiftung umgewandelt.
Mit Unterstützung des Ministerpräsidenten Koerbers erwirkte Schöffel im Jahr 1901 ein Gesetz, dass die die Verwendung von Überschüssen der kumulativen Waisenkassen für die Erziehung und Ernährung armer Waisen erlaubte. Geregelt wurde im Waisenkassengesetz die Veranlagung und Verwaltung der Vermögen von minderjährigen Waisen durch k.k. Gerichte bzw. Finanzämter bis zur Volljährigkeit. Diese Mittel erregten die Begierde verschiedenster Stellen, wie beispielweise dem k.k. Justizministerium, das wollte beispielsweise die Überschüsse zum Bau von Gerichten in Galizien verwenden. Schöffel erreichte, dass diese Gelder zur Finanzierung von Waisenhausplätzen verwendet wurden, worunter auch 300 Plätze im Hyrtl’schen Waisenhaus in Mödling fielen.
Entstehung
Angedacht war ein Haus für 44 Zöglinge und, nachdem Hyrtl sehr religiös war, mit einer kleinen Hauskapelle. Da meinte Schöffel, er solle doch gleich eine richtige Kirche hinstellen. Nun, eine „richtige“ Kirche wie zum Beispiel die Othmarskirche wäre sich zwar finanziell ausgegangen, nur hätte es dann kein Waisenhaus gegeben. So hat sich Hyrtl für die Variante Waisenhaus mit einer kleineren Kirche entschieden. Diese beiden Bauwerke entstanden 1886 auf den Gründen des ehemaligen Mödlinger Friedhofs, des Martinsfriedhofs. Die Gemeinde Mödling unter Bürgermeister Specht ließ daneben noch eine Volksschule im gleichen, englischen Stil errichten. Ein Jahr später entstanden dann gegenüber zwei Häuser, in einem befindet sich heute die Bank Austria und im anderen das Café Grande. Dies war der Beginn der Stefaniegasse (Kronprinzessin Stefanie war bei der Einweihung der Kirche und des Waisenhauses 1886 anwesend). Das Projekt Waisenhaus wurde so gut angenommen, dass es sehr schnell ausgebaut wurde und 15 Jahre später eine große Anlage entstanden war. Begonnen von der Duursmagasse (Straßengabelung Wienerstraße - Neudorferstraße) bis knapp vor die Südbahn. Und im Süden weit über den Mödlingbach hinaus. Die heutigen Gründe der EVN, des Gymnasiums Bachgasse, sowie der Fußballplatz hinter dem Restaurant Bachstub‘n gehörten alle zum Waisenhaus.
1906 bot der Komplex Platz für 700 Waisenkinder sowie Sportwiesen, große Sportplätze, Exerzierplatz, Rodel-, Eis- und Kegelbahnen, Sommer-Turngarten, Turnsaal, Schwimmbad, geräumige Schlaf-, Speise-, Spiel- und Aufenthaltsräume, Anstaltskrankenzimmer mit geschulten geistlichen Krankenschwestern sowie Stall- und Landwirtschaft, Gärtnerei sowie Schülerwerkstätten mit Schneiderei, Tischlerei, Töpferei, Schlosserei, Wäscherei und Schuhmacherei, Korbflechterei, Bürstenbinderei, Kerbschnitter, Buchbinder, Papparbeiter und Drechsler.
Kaiser Franz Josef, der oberste Protektor, Gönner und Förderer des Waisenhauses, war hier zweimal auf Besuch: 1894 und 1904 bei der 1000-Jahrfeier von Mödling. Wenn der Kaiser kam, mussten die Kinder etwas vorsingen und vorspielen, aber auch vorexerzieren und vorschießen. Der Kaiser war von den Schießkünsten so begeistert, dass er nach seinem Besuch 1894 gleich einige hundert Gewehre ins Waisenhaus liefern ließ (es gab eigene Kindergewehre der oberösterreichischen Gewehrfabrik Werndl). In einem Brief eines ehemaligen Zöglings liest man, wer aller bei dem Kaiserbesuch 1904 anwesend war:
„Knapp vor der ersten Kompanie hast Du Aufseher Karl Seipel, weiter vorn als Bataillonsführung Verwalter Josef Mayer, links daneben Schöffels Schwiegersohn Major Freiherr Edler von Velten-Schöffel, etwas links davon mit dem Federbusch Kaiser Franz Josef I. und Vater Josef Schöffel. Und wieder links, die Gruppe, die zwei nebeneinanderstehenden Herrn mit den Federbüschen die Adjutanten von Kaiser F.J. I. einer davon General der Infanterie Graf Paar, der andere General der Infanterie Freiherr von Bolfras, Inhaber des Infanterie Regiments Freiherr von Bolfras Nr. 48, nebstbei bemerkt, bei diesem Infanterie-Regiment war ich. Dann sieht man noch einen Herrn mit einem Federbusch, das ist Erzherzog Salvator. Die anderen Herren sind Mitglieder der damaligen Regierung und der Bezirkshauptmann. Noch etwas, beim Kücheneck, bei der Musik mit dem Tschacko, das ist Musikprofessor Fr. Mayer.“
Der bedeutendste Direktor des Waisenhauses war Regierungsrat Heinrich Dressler (1879-1976). Dressler hat mit 32 Jahren, also im Jahre 1911, die Leitung der Anstalt übernommen. Dieses Amt übte Dressler ein viertel Jahrhundert lang bis zu seiner Pensionierung[1] im Jahr 1936 aus. Es gab vor ihm und nach ihm einige Direktoren, diese aber spielten alle nur sehr kleine Rollen. Unter Dressler war die Blütezeit des Waisenhauses, bei ihm gab mit es 712 Kindern die meisten Kinder. Dressler war auch zugleich Schuldirektor und so musste er auch Jahresberichte verfassen, die er sehr ausführlich geschrieben hat und wodurch seine Schulchroniken wahre Geschichtsbücher geworden sind. Zwei Punkte sind es hier besonders wert, hervorgehoben zu werden:
Erstens war es der Besuch von Erzherzog Leopold Salvator mit seiner Frau Blanca, im Jahr 1916.[2] Zweitens wurden in den Schuljahren 1915/1916 und 1916/1917 die Lehrer des Waisenhauses für den Kriegsdienst eingezogen und die Klassen zusammengelegt. Am Beginn des nächsten Schuljahres hat dann Dressler Gedenkveranstaltungen zu Ehren der gefallenen Lehrer abgehalten. Man muss sich vorstellen, dass diese Lehrer zwischen 20 und 30 Jahre jung waren! Es sind aber nicht nur Lehrer vom Waisenhaus eingezogen worden und gefallen, sondern auch Zöglinge. Es existieren zwei Postkarten von der Front in Frankreich 1915 an das Waisenhaus an einen gewissen Herrn Holzer. Holzer war Schießausbildner der Kinder. Die jungen Männer trugen deutsche Uniformen, was insofern unbegreiflich ist, nachdem sie Franz Josef sehr verehrt haben. Im Waisenhaus gab es aber nicht nur Knaben, sondern auch Mädchen. Und so bestehen zwei Urkunden, eine davon aus dem Jahre 1904, wo eine Marie Bauer dem Marianischen Orden in der Waisenhauskirche beigetreten ist. Diese beiden Mädchen waren später geistliche Schwestern im Waisenhaus zur Betreuung der Kinder. Es war überhaupt so, dass sich das meiste Personal aus ehemaligen Zöglingen rekrutiert hat.
Josef Schöffel ist am 7. Februar 1910 gestorben. Er hat sich in den letzten Jahren völlig frustriert von der Politik zurückgezogen und war die letzten fünf Jahre täglich im Waisenhaus, um „seine“ Kinder zu besuchen. Er ließ sich – ebenso wie auch Hyrtl - als „Vater“ ansprechen. Das hat ihm so gefallen, dass er beschlossen hat, seinen Lebensabend im Waisenhaus zu verbringen. Leider war ihm das nicht mehr vergönnt – er starb kurz darauf. Schöffel wurde am 9. Februar in der Waisenhauskirche aufgebahrt, in der Kirche, zu deren Bau er Hyrtl 25 Jahre zuvor überredet hat. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass zwar an diesem Tag ganz Mödling auf den Beinen war, es aber kaum einen Niederschlag in der Presse gegeben hat. Die wirkliche Wertschöpfung Schöffels hat erst wieder viel später, nämlich im Jahre 1970, stattgefunden, wo nach elf Jahren langer, zäher Vorarbeit der ehemaligen Zöglinge eine Briefmarke zu Ehre Schöffels herausgegeben wurde.[3]
Für das Jahr 1922 wurde von der Feuerwehr Mödling vermerkt, dass die Betriebsfeuerwehr Hyrtl'sche Waisenanstalt Mödling, von der sonst nicht viel bekannt ist aufgelöst wurde.[4]
Direktor Dressler war ein sehr kinderliebender Mann. So gab es unter ihm fast wöchentlich Tagesausflüge, in der Regel auf den nahegelegenen Anninger. Dabei zogen in der Früh einige hundert Kinder mit Musikinstrumenten lautstark musizierend durch Mödling Richtung Goldene Stiege und am Abend wieder zurück. Diese musizierenden Waisenkinder waren über Jahrzehnte fixer Bestandteil des Mödlinger Stadtbildes. Zu Schulschluss gab es dann noch mehrere Tagestouren, z. B. nach Zwettl, Mariazell oder in die Wachau. Da wurden die Kinder vom jeweiligen Bürgermeister, manchmal auch im Beisein des Bundespräsidenten, empfangen. Die Kinder spielten dann ein Konzert und bekamen als Belohnung dafür Essen, ein Eis oder Torte. Dressler sorgte darüber hinaus dafür, dass gleich fünf verschiedene Zeitungen darüber berichteten.
Die Kinder hatte für jede Fertigkeit eine eigene Werkstätte, wo sie spielerisch die gesamte Schulzeit hindurch alles lernen konnten und am Ende haben viele gewusst, welchen Beruf sie ergreifen möchten. Das Waisenhaus war überdies ein Vorzeigeobjekt. So war Kaiser Franz Josef zweimal anwesend, weiters Kronprinzessin Stefanie, Erzherzog Salvator, drei Bundespräsidenten – wobei Bundespräsident Hainisch allein drei Mal hier war -, zwei Bundeskanzler, die höchsten Herren des österreichischen Militärs, viele Staatsminister, sieben verschiedene Kardinäle und Bischöfe und noch viele andere bekannte Persönlichkeiten.
Um die Erinnerung an die Waisenhauszeit zu bewahren, gründeten die Zöglinge nach dem Tod Schöffels einen Verein, der das Erbe Hyrtls und Schöffels für immer erhalten sollte. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die Waisenhausstiftung aber aufgelöst und das Waisenhaus der Stadt Wien einverleibt. Bei der Rückstellung 1957 hat zwar das Land Niederösterreich das Waisenhaus übernommen. Da es aber nur ein Erziehungsheim war und keine Erträge brachte, hat man sehr schnell Gründe verkauft. 1960 an die EVN, 1963 hat das Rote Kreuz das Urgebäude Hyrtlplatz 1 und das Schwimmbad aufgekauft, sowie 1979 das Gymnasium, das ursprünglich ein reines Mädchengymnasium war, in der Bachgasse.
50-Jahrfeier des Waisenhauses 1936
Im Sommer 1936 fand die 50-Jahrfeier des Waisenhauses statt. Bei der Feier waren 1.000 Festgäste anwesend. Allen voran: Bundespräsident Wilhelm Miklas, Kardinal Fürsterzbischof Theodor Innitzer, Landesrat Haller, für den Bundeskanzler Unterrichtsminister Ministerialrat Neudek, Ministerialrat Lavotzky, für den Handelsminister Oberst Walter Adam, Generalmajor Odelga, Hofrat Vititz, für Staatssekretär Zernato war Bezirkshauptmann Pamperl hier. Staatsrat Leopold Kunschak und Direktor Regierungsrat Heinrich Dressler hielten eine Festansprache. Kardinal Innitzer suchte mit dem Bundespräsidenten und den weiteren hohen Festgästen vorerst die Waisenhauskirche auf, um sich auf die Messe einzustimmen, hielt jedoch die Pontifikalmesse im Freien (Feldmesse) ab. An diesem Tag fanden 40 Firmungen der Waisenhauskinder statt. Innitzer war überhaupt neben noch drei anderen Kardinälen drei Mal im Waisenhaus, um Waisenhauskinder zu firmen. Maßgebend für diese Veranstaltung, aber auch für das gesamte Waisenhaus, waren Glangl und Dressler. Beide waren später lange Zeit Mitglieder des Vereins der Ehemaligen Zöglinge des Waisenhauses und ihnen verdanken wir, dass das Waisenhaus immer noch für Kinder und Jugendliche genützt wird.
NS-Zeit
Der Spiegelgrund war im Zweiten Weltkrieg in den Jahren 1940 bis 1945 im Psychiatrischen Krankenhaus am Steinhof eine eigene kinderpsychiatrische Abteilung. In dieser Abteilung gab es verschieden schwere Erkrankungen der Kinder. Die schwereren waren z. B. Epilepsie, Down-Syndrom und Wasserkopf (Kopfverformungen), die mittleren Behinderungen Hör-, Seh-, Sprach- und Körperbehinderungen. Die leichteren Fälle waren überhaupt nur verhaltensauffällige Kinder (im Volksmund: schlimme Kinder). Offiziell war der Spiegelgrund eine Heilanstalt, inoffiziell jedoch eine von Adolf Hitler angeordnete Tötungsmaschinerie für Menschen, die ein „Unwertes Leben“ führen, so stand es damals im Deutschen Reichsgesetz. Diese Kinder wurden sehr bestialischen, sadistischen Qualen ausgesetzt. Da gab es zum Beispiel Tabletten und Giftinjektionen, nach denen die Kinder tagelang schwerste körperliche Krämpfe und Durchfall hatten. Oder es gab eine „Eiswasserbehandlung“. Man zog ein Kind nackt aus und zwei Männer drückten es so lange in eine mit eiskaltem Wasser gefüllte Badewanne, bis keine Luftblasen mehr aufstiegen. Man war der Meinung, dass man so den Willen des Kindes brechen könnte. Eine Schwester hat dem Kind das Essen auf den Boden geschüttet und gesagt: „schleck es auf“. Alle Mädchen wurden sterilisiert. Letztendlich wurden die Kinder mit sehr starken Schlafmitteln ermordet. Euthanasie - εὐϑανασία - kommt aus dem Griechischen und bedeutet „schöner Tod“. Ein Affront diesen Kindern gegenüber. Offizielle Todesursache war Lungenentzündung, in Wahrheit wurden die Testate jedoch meist gefälscht und gleich wieder vernichtet. Man hat die Gehirnpräparate und Kinderköpfe angeblich zu Forschungszwecken im Keller des Pavillons gelagert. So wurden auf diese Weise über 800 Kinder getötet. Heute gibt es auf den Steinhofgründen, dem heutigen Otto-Wagner-Spital, eine Gedenkstätte an diese Kinder. Gleich nach dem Krieg wurden die Ärzte und Schwestern zur Verantwortung gezogen. So bekam Ernst Illing die Todesstrafe (damals gab es sie noch in Österreich), Marianne Türk zehn Jahre, Schwester Anna Katschenka acht Jahre und Heinrich Gross zwei Jahre schweren Kerker. All diese detaillierten Unterlagen sind im Waisenhaus aufgehoben. Daneben eine Liste von rund 100 Kindern, die vom Spiegelgrund in das Waisenhaus überstellt wurden und dadurch dem Tode entronnen sind. Das Waisenhaus war im Zweiten Weltkrieg keine normale Schule oder Heim, sondern ein Erziehungsheim der Gemeinde Wien für schwererziehbare Kinder (Mödling war in dieser Zeit der 24. Wiener Gemeindebezirk von Groß-Wien). Weiters gibt es sehr detaillierte Aufzeichnungen vom Ende des Zweiten Weltkrieges. Am 30. März 1945, als die russische Befreiungsarmee bereits in Wiener Neustadt, also knapp vor Mödling war, haben die Nazis angeordnet, das Waisenhaus zu evakuieren. Angedacht war, dass die Gemeinde Wien Städtische Busse nach Mödling kommen lässt, um die Kinder entweder auf den Spiegelgrund oder in eine Schule in Prackenbach bei Turnau in Niederbayern zu bringen. Nachdem die Busse nicht gleich kamen, hat man zuerst die Lebensmittel mit Pferdefuhrwerken auf den Spiegelgrund gebracht und ein Teil der Kinder musste zu Fuß durch die Wälder zum Spiegelgrund gehen. Spät abends kamen dann doch noch zwei Busse, die die Kinder über den Gürtel nach Steinhof brachten.
Da viele Kinder bereits schon vorher am Spiegelgrund waren und die dortigen Vorgänge kannten, sind einige von ihnen bei diesem Transport geflüchtet. Weiters wird berichtet, dass die Russen in diesen Tagen Wien stark bombardiert haben und halb Wien gebrannt hat. Viele Menschen sind vor den Russen geflüchtet und da waren jetzt unsere „getürmten“ Waisenhauskinder dabei. Nichts als ihr Gewand am Leibe, nichts zu essen, nichts zu trinken, nichts zum Schlafen, keine Vision, zum Teil waren sie schwer krank. Eine nicht mehr zu überbietende Tragödie. Und den Kindern in Prackenbach ging es auch nicht viel besser. Hier hatten sie zum Teil starke Mundfäule und schwersten Durchfall. Sie haben es oft nicht bis auf das Klo geschafft. Es gab kein warmes Wasser. So musste man mit kaltem Wasser die Kleider reinigen und man kann sich ausrechnen, wie lange eine Hose im April zum Trocknen braucht. Mitte Oktober 1945, als die Alliierten sich in Wien etabliert haben, wurde der Spiegelgrund geschlossen und die Kinder von Prackenbach in das Waisenhaus rücküberstellt.
Von zwei der Kinder sind viele Details bekannt, von Rudolf Karger und Friedrich Zawrel. Karger hat vom Unterrichtsministerium den Auftrag bekommen, seine Erlebnisse von Spiegelgrund und Waisenhaus in den Schulen vorzutragen. In seinem Brief an die Waisenhausschule 2005 steht Folgendes:
„Mit 11 Jahren - 1941 - kam ich am Spiegelgrund. Eingestuft durch das Reichsjugendamt als u n w e r t e s L e b e n des damaligen Reichsgesetzes. Am Spiegelgrund, wo es nur Leid, Schmerz und Tötung gab an Kindern, an uns jugendlichen beiderlei Geschlechtes. Hitler fand gute willige Helfer für seine mörderischen Ideen. Alles was gegen seine Vorstellung war, u. rassistisch nicht einwandfrei sollte vernichtet werden. Am Spiegelgrund waren das Pflegepersonal sowie auch die Ärzte tätig, zu morden u. Leid zu bringen an uns Kinder u. Jugendlichen, die auch präzise Hitlers Anordnung befolgten.“
Einer der bekanntesten Zöglinge, die das überlebt haben, war Friedrich Zawrel. Er wurde 1942 vom Spiegelgrund in das Waisenhaus überstellt, musste aber ein Jahr später wieder auf den Spiegelgrund zurück. Zawrel, ein Kleinkrimineller, ist immer wieder aus dem Spital ausgebrochen. 1975 wurde er Primarius Gross am Steinhof wegen eines Gutachtens vorgeführt. Auf die Frage, ob er schon einmal psychiatriert worden sei, antwortete Zawrel: „Herr Doktor, für einen Akademiker haben sie aber ein sehr schlechtes Gedächtnis. […] Herr Doktor, können Sie überhaupt noch gut schlafen? Haben sie schon vergessen die vielen toten Kinder vom Pavillon 15, haben sie schon die gemarterten und misshandelten Kinder vom Pavillon 17 vergessen?“ Gross fragt Zawrel, ob er noch andere von damals kenne und ob er jemandem davon erzählt habe. Nachdem Zawrel die Fragen verneinte – er habe seiner Mutter wegen der jüngeren Geschwister versprochen, nie wieder über den Spiegelgrund zu sprechen – meinte Gross, das ändere die Lage und er versprach Zawrel in kameradschaftlicher Weise jede gutachterliche Hilfe. Mit dem Gutachten, das er anfertigte, sprach er sich jedoch dafür aus, Zawrel in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter für immer hinter Gitter zu behalten, und untermauerte dies u. a. mit dem Gutachten Illings aus dem Jahr 1943.
Schließlich kam es Ende 1997 doch noch zu einer Mordanklage gegen Gross. Er konnte sich jedoch wegen angeblicher Demenz dem Prozess und einer Verurteilung entziehen. Zawrel wurde 2008 mit dem Goldenen Verdienstzeichen der Stadt Wien ausgezeichnet. 2013 bekam er das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Nach seinem Ableben wurde er auf dem Zentralfriedhof in einem Ehrengrab bestattet. In weiterer Folge wurd eine Neue Mittelschule in Wien 3 nach ihm benannt.[5]
Der Waisenhausfriedhof auf dem Areal des Eichkogelfriedhofs
Ein sehr wichtiger Teil der Waisenhausgeschichte ist mit dem Waisenhausfriedhof verbunden. Am 1. Oktober 1886 wurde das Waisenhaus eröffnet und bereits nach nur gut drei Jahren, zu Beginn 1890, starb der erste Waisenhauszögling mit 10 Jahren, den man gleich neben der Waisenhauskirche beerdigt hat. Bis 1904, also 14 Jahre hindurch, sind 35 Zöglinge gestorben, die man alle neben der Kirche begraben hat. Dies wurde ein unhaltbarer Zustand. Schöffel - Hyrtl war zu diesem Zeitpunkt bereits 10 Jahre tot - kaufte daraufhin auf dem Eichkogelfriedhof ein Areal von über 800 m². So knieten im Laufe der Geschichte vor dem Jauneraltar in der Waisenhauskirche sieben verschiedene Kardinäle und Bischöfe, Josef Schöffel war hier aufgebahrt, und 100 Kindersärge standen hier, um sich von ihnen für immer zu verabschieden. Weitere bekannte Waisenhaus-Zöglinge. Der berühmteste Zögling des Waisenhauses war der Lyriker Josef Weinheber. Er war von 1901 bis 1908 hier. Weinheber hat über diese Zeit ein Buch geschrieben: „Das Waisenhaus“. Und obwohl Hyrtl und Schöffel das Waisenhaus mit viel Liebe beseelt haben, ist es ein sehr schwermütiges Buch, wo von seiner Schwester Amalie, die mit 14 Jahren starb und seinem besten Schulfreund Johann Seifert (in Weinhebers Buch kommt er als Treffeis vor = Seifert von hinten nach vorne gelesen) die Rede ist. Berühmtheit erlangte auch Rudolf Knarr. Auch er war Waisenhauszögling, hat 20 Jahre lang im Waisenhaus Musik unterrichtet und im Jahre 1936 die Beethoven-Musikschule gegründet, die heute 1.300 Schüler ausbildet. Der Komponist wurde auf dem Waisenhausfriedhof beerdigt. Weitere bekannte Zöglinge waren Rechnungshofpräsident Leopold Petznek, sowie der Wiener Bankdirektor Paast.
Hier liegen exakt 100 Zöglinge des Waisenhauses. Die 35 bis 1904 verstorbenen wurden im Jahr 1910 am Waisenhausfriedhof exhumiert und am neuen Kommunalfriedhaf bestattet.[6] Es gibt noch viele weitere tote Kinder, die nicht hier begraben wurden. Haupttodesursache waren Tuberkulose, Gehirnhautentzündung, aber auch Epidemien wie Scharlach und Diphtherie. Einen einzigen tödlichen Unfall gab es: in der Dampfwäscherei fiel ein 13-jähriges Mädchen in einen kochenden Kessel.
Der einzige nicht aus dem Waisenhaus stammende Tote, der auf diesem Friedhofsteil begraben ist, ist der Pfarrer Ferdinand Herrmann der Pfarre St. Othmar, der sich sehr für die Institution eingesetzt hat.
Bekannte Zöglinge (Auszug)
- Friedrich Zwarel
- Josef Weinheber
- Edwin Grienauer (1893-1964), Bildhauer und Medailleur[7]
- Hans Toifl (1900-1989), Pianist und Komponist[7]
- Rudolf Knarr (1880-1981), Musiker und Komponist
Nachnutzung
Die Gebäude, die denkmalgeschützt sind[8], und Grundstücke werden heute alle ebenfalls für Jugendeinrichtungen verwendet. Es sind dies ein Kindergarten, eine Volksschule, die Höhere Lehranstalt für Mode- und Bekleidungstechnik sowie Produktmanagement und Präsentation, eine Schule für Sonderpädagogik, das Gymnasium in der Bachgasse, eine Behindertenwerkstätte der Lebenshilfe und ein Psycho-Soziales Gesundheitszentrum.
Denkmäler im Bereich des Waisenhauses
Auf dem weitläufigen Areal des ehemaligen Waisenhauses bestehen oder bestanden einige Denkmäler, mit dem jene Persönlichkeiten mit der Schaffung oder dem Betrieb des Waisenhauses verdient machten. So bestehen heute die beiden im Jahr 1902 errichteten unter Denkmalschutz stehenden Denkmäler für Kaiser Franz Joseph, sowie für den Stifter Joseph Hyrtl.
Nicht mehr original erhalten sind die beiden im selben Jahr vom Wiener Bildhauer Josef Beyer Büsten auf ihren Sockeln, die schon noch bestehen. Die beiden Bronzebüsten von Ministerpräsident Ernest von Koerber und dem Justizminister Alois von Spens-Boden (1835-1919) verschwanden während des Zweiten Weltkrieges. Der Sockel für das Spens-Boden-Denkmal bekam entsprechend seinem Standort vor dem Katastrophenlager in der Zwischenzeit eine Tafel und eine Büste von w:Henri Dunant. Für das Körber-Denkmal wurde 2018 eine dreidimensionale Kopie eines alten Fotos angefertigt und nach dieser eine neue Aluminiumbüste durch die Mödlinger Firma Becker Guss gegossen. Der Standort, der vorerst in einem Schulgarten war, wurde in den öffentlichen Bereich nahe dem Mödlingbach verlegt. [9]Mit dem Auszug des Roten Kreuzes aus dem Waisenhaustrakt, wurde auch die Büste und die Tafel für Dunant vom Sockel wieder entfernt, sodass aktuell der Sockel ohne Büste vor dem Gebäude steht und die Schrift schwach sichtbar wurde.
Außer diesen Monumenten sind noch einige Gedenktafeln an ehemalige Zöglinge, wie an Weinheber an verschiedenen Gebäudeteilen angebracht.
Literatur
- Walter Jirka: Das Waisenhaus Mödling, 2018, Eigenverlag
- Walter Jirka: Die Kinder vom Waisenhaus, 2018, Eigenverlag
Quellen
- Waisenhausarchiv, Wienerstraße 18 in Mödling
- Stadtarchiv Mödling „Marienheim“, Hauptstraße 47, (Kartons 366, 367, 368, 374)
Einzelnachweise
- ↑ Auszeichnung. In: Neues Wiener Journal, 23. Juli 1936, S. 9 (online bei ANNO).
- ↑ Hoher Besuch in Mödling. In: Mödlinger Zeitung. Christlich-soziales/Christlichsociales Organ des pol(itischen) Bezirkes Mödling / Mödlinger Zeitung. Organ zur Vertretung der Interessen des pol(itischen) Bezirkes Mödling und der Bewohner desselben mit besonderer Berücksichtigung des Gewerbestandes und der Landwirtschaft / Mödlinger Zeitung mit der Beilage „Illustriertes Sonntags-Blatt“. Deutsch-christlichsociales Organ zur Vertretung der Interessen des polit(ischen) Bezirkes Mödling mit besonderer Berücksichtigung des Gewerbestandes und der Landwirtschaft / Mödlinger Zeitung. Organ zur Vertretung der Interessen des polit(ischen) Bezirkes Mödling mit besonderer Berücksichtigung des Gewerbestandes und der Landwirtschaft / Mödlinger Zeitung. Mit der Beilage „Illustriertes Sonntagsblatt“. Wochenblatt für den polit(ischen) Bezirk Mödling und den Gerichtsbezirk Liesing, 17. September 1916, S. 2 (online bei ANNO).
- ↑ Eintrag zu 60. Jahrestag von Josef Schöffel in: Austria-Forum, dem österreichischen Wissensnetz – online (als Briefmarkendarstellung)
- ↑ 23. April in der Festschrift 150 Jahre der FF Mödling.
- ↑ Schule Hörnesgasse: 130-Jahr-Feier mit Benennung in "Friedrich Zawrel-Schule" vom 16. Juni 2016 abgerufen am 8. August 2018
- ↑ Massen-Exhumierung. In: Mödlinger Zeitung. Christlich-soziales/Christlichsociales Organ des pol(itischen) Bezirkes Mödling / Mödlinger Zeitung. Organ zur Vertretung der Interessen des pol(itischen) Bezirkes Mödling und der Bewohner desselben mit besonderer Berücksichtigung des Gewerbestandes und der Landwirtschaft / Mödlinger Zeitung mit der Beilage „Illustriertes Sonntags-Blatt“. Deutsch-christlichsociales Organ zur Vertretung der Interessen des polit(ischen) Bezirkes Mödling mit besonderer Berücksichtigung des Gewerbestandes und der Landwirtschaft / Mödlinger Zeitung. Organ zur Vertretung der Interessen des polit(ischen) Bezirkes Mödling mit besonderer Berücksichtigung des Gewerbestandes und der Landwirtschaft / Mödlinger Zeitung. Mit der Beilage „Illustriertes Sonntagsblatt“. Wochenblatt für den polit(ischen) Bezirk Mödling und den Gerichtsbezirk Liesing, 25. September 1910, S. 3 (online bei ANNO).
- ↑ Hochspringen nach: 7,0 7,1 Lt. Klassenbuch 1903 bzw. 1906
- ↑ Niederösterreich – unbewegliche und archäologische Denkmale unter Denkmalschutz. (PDF) abgerufen am 8. Juli 2018
- ↑ Das rekonstruierte Denkmal von Ministerpräsident Dr. Ernest von Koerber in Mödling abgerufen am 17. Jänner 2020
Weblinks
Waisenhaus Mödling – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien auf Wikimedia Commons
Waisenhaus Mödling – Datensatz in der freien Datenbank WikiData
48.08627777777816.299444444444Koordinaten: 48° 5′ 11″ N, 16° 17′ 58″ O