Jüdische Gemeinde Güssing
Die Jüdische Gemeinde Güssing gehörte neben Rechnitz und Schlaining sowie den im heutigen Ungarn liegenden Körmend und Groß-Kanisza zu jenen fünf jüdischen Gemeinden, welche unter besonderem Schutz der Magnatenfamilie Batthyány standen.[1]
siehe auch: Geschichte der Juden im Burgenland
Geschichte der jüdischen Gemeinde
Von der Entstehung der Gemeinde bis zur Gründung des Burgenlandes 1921
Wann die ersten Juden in Güssing siedelten kann durch Urkunden nicht genau belegt werden. Der erste Beleg dafür stammt aus dem Jahre 1686 und ist eine Drohung des Christoph Batthyány den Bürgern der Stadt Ödenburg gegenüber, die in Güssing wohnenden jüdischen Handelsleuten den Zugang zu ihrer Stadt zu ermöglichen.[2] Die Batthyánys hoben seit 1684 eine Judensteuer ein, welche jüdische Kaufleute und Handwerker zu entrichten hatten und dafür unter dem Schutz der Magnatenfamilie standen.
Die jüdische Gemeinde Güssing war anfangs eine Tochtergemeinde der Rechnitzer Judengemeinde. Ab 1728 strebte sie danach sich von dieser loszulösen. Die Gemeinde wandte sich mit ihrem Anliegen an Ludwig Batthyány und wurde 1732 selbständig. 1746 wohnten bereits 76 Personen in Güssing, die sich zum Judentum bekannten. 1750 wurde der Gemeinde ein Teil des Stadtmeierhofes überlassen.[2]
Der jüdische Historiker Hugo Gold beschrieb in seinem Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden des Burgenlandes die bauliche Situation:[2]
„Der Marktplatz ist umsäumt vom Stadtmeierhof, vom Spitalhaus, der Fleischbank, des Hofstetter Michael, von drei Wohnungen und Kaufläden, in denen die Juden Micherl, Samuel und Mayerl Handel treiben. [...] Die heutige Graf Draskovichsche Kanzlei diente 1750 den Juden gegen einen jährlichen Zins von 20 Gulden als Synagoge (Conscriptio LVIII, Nr. 15). Gleich daneben war die Einfahrt, neben dieser eine Küche, Zimmer und Handkammer für den Juden Fischer, die Wohnung des Rabbiners (Zimmer, Küche, Kammer). Unterhalb befand sich ein Käsekeller, darunter die Wohnung des Juden Baruch Moyses mit einem Vorhaus, von wo eine Schneckenstiege in den oberen Schüttboden führte, nebenan die Wohnung des jüdischen Kürschners Klein, darunter ein gewölbter Keller, wo die Juden Tunk gehalten haben, ferner eine Wohnung für Glaser Josef, dann die des Juden Schmied Lewe, darüber ein Schüttboden und am Ende dieses Gebäudes der Schachter Marx. Hier befand sich also unter dem Schutz der Herrschaft das JudenGhetto.“
Mit dem Toleranzpatent[3] von Kaiser Joseph II. begann die jüdische Emanzipation und legte den Grundstein für das Aufblühen der jüdischen Gemeinde in Güssing, die eine rege Handelstätigkeit mit Wolle und Häuten entwickelte. 1799 willigte Graf Karl Batthyány einem Gesuch der Kultusgemeinde zur Errichtung eines Friedhofes ein, der im Mühlwinkel geschaffen und Mustafaischer Garten genannt wurde.[4] Während es in Rechnitz und Schlaining zu einer Abnahme der jüdischen Bevölkerung in den nächsten Jahren kam, stieg die Bevölkerungszahl in Güssing weiter an.
Unter der Regentschaft von Fürst Philipp Batthyány erlebte die jüdische Gemeinde ihre Hochblüte. Er ließ 1840 eine Synagoge errichten, die er um 6000 Gulden an die Gemeinde weitergab. Ab 1854 gab es eine jüdische Schule, in der neben den vorgeschriebenen Fächern auch Hebräisch und mosaische Religion unterrichtet wurden.[4]
Die Fortschritte in der jüdischen Emanzipation in der Habsburgermonarchie wirkten sich auf die jüdische Gemeinde von Güssing negativ aus, da nun viele Juden in die großen Städte wie Wien oder Budapest abwanderten.[4] Nach dem Ende des 1. Weltkrieges kam es in Ungarn vielerorts zu Unruhen, denen oft Personen mit jüdischem Glauben zum Opfer fielen. Viele der verbliebenen Güssinger Juden sehnten daher den Anschluss an Österreich im Jahre 1921 herbei.[5]
Bevölkerungsentwicklung der jüdischen Gemeinde
Die folgende Tabelle zeigt wie viele jüdische Bewohner im jeweiligen Jahr in Güssing lebten.[6]
Jahr | Bewohner |
---|---|
1735 | |
1746 | |
1800 | |
1808 | |
1822 | |
1839 | |
1848 | |
1859 | |
1880 | |
1910 | |
1920 | |
1933 | |
1938 |
Leben in der jüdischen Gemeinde
Berth Rothstein[7] beschrieb in seinem autobiographischen Buch Der 'Bela von Güssing' aus dem Burgenland (Österreich) erzählt seine 70jährige Lebensgeschichte (1918-1988) folgende Episode:[8]
„Der Güssinger Rabbiner hieß Jakob Grünfeld und war ein Mann mit schönem Äußeren und gutem Aussehen, einem langen, schönen Bart, geehrt von Juden und Nicht-Juden. Wenn Begräbnisse stattfanden, kamen mehr Nicht-Juden, immer um dem Rabbiner seine Predigt zu hören. Oder auch zu Versöhnungsabenden. Da konnten die Synagogenbesucher aus 75% Christen bestehen und nur aus einem Viertel Juden ... Das Verhältnis zwischen jüdischer und christlicher Bevölkerung war gut und freundschaftlich. Der Rabbiner und der Pfarrer pflegten brüderlichen Kontakt. Oft konnte man beide spazieren sehen durch die Straßen von Güssing: Einmal, in Deutschkreutz (nahe der ungarischen Grenze) im Burgenland, erlebte ich, als Kardinal Innitzer den Rabbiner auf Hebräisch begrüßte, worauf dieser den großen Segen in Hebräisch spendete, den der Kardinal ehrfurchtsvoll entgegennahm.“
Zerstörung der Gemeinde 1938
Nach dem Anschluss Österreichs im März 1938 übernahm Tobias Portschy als Gauleiter die Macht im Burgenland. Am 2. April forderte er neben der Lösung der Zigeunerfrage auch die Lösung der Judenfrage.[9]
Die Welt der Güssinger Juden brach durch diese Entwicklung in wenigen Wochen zusammen. Die schwierige Situation des Burgenlandes als Gebiet ohne Binnenidentifikation und die schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bildeten nicht nur den Nährboden für einen regen Zulauf zu den Nationalsozialisten sondern auch für einen latenten Antisemitismus, der sich nach dem Anschluss Österreichs entlud.[10][11]
„In Güssing habe ich 16 gute Jahre verlebt, eine schöne Kindheit. [...] Also ich habe nichts gemerkt von Antisemitismus. Im März 1938 waren dann viele wie ausgewechselt.“
„Ich wusste nichts von Antisemitismus. [...] Wir waren total assimiliert, würde ich sagen. [...] Wir waren nur wenige jüdische Familien in Güssing und ich fühlte mich so wie alle anderen Kinder. Als die Nazis kamen, war das ein schrecklicher Schock für mich, denn ich <<wusste>> bis dahin nicht, dass ich <<anders>> war.“
Was nun folgte, war nicht nur von Tobias Portschy und der NSDAP gelenkt, sondern kam direkt aus der Bevölkerung, wie Aussagen von Überlebenden belegen:[12]
„[Nikolaus] ist verhaftet worden, durch die Stadt geführt worden, mit dem Hund, sogar den Hund haben sie beschimpft damals, Judenhund oder Sauhund, weil der ja neben ihm hergelaufen ist, [...] er war ja Jäger und so haben sie ihn durch die Stadt geführt, vor der johlenden Menge und dann ist er ins Gefängnis [...] und dort wurde er gefangen gehalten [...] bis zum 31. Juli [1938].“
„Da wohnte vis-à-vis von uns eine Familie, [...] das waren lauter Frauen: Großmutter, Mutter und Tochter. Die Tochter ist mit mir in die Schule gegangen, Hannele. Später hat sich herausgestellt, dass die von der >>fünften Kolonne<< waren, um alles vorzubereiten sozusagen. Ich kann mich auch erinnern, wie diese Leute einfach Sachen aus unserer Wohnung herausgeschleppt haben, gestohlen, Bilder, Stühle und alles. Ich war draußen und habe gesagt: "Das ist das Schlafzimmer von meinen Eltern, das ist aus Mahagoni." Die hat nicht einmal gewusst was das war. Sagt sie: "Du wirst noch froh sein, wenn du einen Sessel hast!"“
Es gab aber auch Menschen, welche ihren jüdischen Nachbarn und Freunden halfen:[13]
„Unsere Familie hatte sehr gute Freunde, die haben meinen Vater [Aladar Latzer] wirklich geschützt. Er war der Einzige, der nicht eingesperrt wurde. Wir waren die Einzigen, die nicht an die Grenze getrieben wurden. Der Miki [Nikolaus] Latzer, der Cousin meines Vaters, wurde geschlagen und war im Gefängnis, Papa nicht...Aber die Freunde von meinem Vater konnten ihn nicht mehr schützen und haben gesagt, sie werden uns nach Wien bringen mit unserem eigenen Lastwagen, bei Nacht.“
Verhaftungen und Misshandlungen durch Organe der Behörden und der Partei standen am Beginn der Deportation der Juden. Diese erfolgte aber nicht nur nach Wien, wie in den Judengemeinden im Norden, sondern man brachte sie auch an die Grenze zu Ungarn und Jugoslawien. Dort wurde ihnen von den jugoslawischen und auch von den ungarischen Behörden der Übertritt verwehrt. So irrten diese Familien tage- bzw. wochenlang im Niemandsland umher.[13]
Opferbilanz des Holocausts
Die Burgenländische Forschungsgesellschaft hat aus verschiedenen Quellen Daten über die burgenländischen Opfer des Holocausts ermittelt und mit diesen Informationen eine Datenbank erstellt.[14][15] In der Opferdatenbank des Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes finden sich weitere Informationen über Juden, die in Güssing geboren wurden oder gewohnt haben[16] und schließlich hat Philip Halper bei den Nachforschungen für seine Diplomarbeit Die jüdische Gemeinde in Güssing. Vertreibungen, "Arisierungen" und Rückstellungen. weitere Details ans Licht gebracht.
Halper verwendete als Ausgangspunkt für diese Recherche die sogenannte Naziliste März 1938 aus dem Buch von Berth Rothstein/Béla Rothstein, welche 74 Namen jüdischer Bewohner mit Geburtsdatum und Beruf anführt. Von 31 dieser Personen fand er Belege, dass sie ins Exil gehen konnten, wobei 17 davon nachweislich den Holocaust überlebten. Aber auch das Exil bedeutete noch keine Rettung, denn der Krieg holte die Flüchtlinge in Westeuropa, in Südosteuropa und in Asien ein, wie zum Beispiel Benö Heuberger, der am 1. Mai 1943 im Shanghaier Ghetto ermordet wurde.[17] Für 14 Personen konnte Halper eindeutige Belege finden, dass sie der Shoah zum Opfer gefallen waren.[18] In den Datenbanken der Burgenländischen Forschungsgesellschaft und dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes finden sich weitere 12 Personen mit einem Bezug zu Güssing. Da viele von ihnen schon vor 1900 in Güssing geboren wurden, waren die meisten von ihnen nicht mehr in Güssing ansässig als die Verfolgungen begannen.
Siehe auch: Liste der Holocaust-Opfer mit Bezug zu Güssing
Situation heute
Rückkehr nach Güssing
Nach dem Krieg kehrte die Familie Latzer nach Güssing zurück. Nikolaus Latzer lebte trotz der Demütigungen, die er 1938 erfahren hatte, bis zu seinem Tode in den 1990er Jahren in seiner Heimatstadt. Er ist einer der ganz wenigen Juden des Burgenlandes, die nach der Shoah wieder zurückkehrten und hier den Lebensabend verbrachten.[19]
Gedenktafel am Rathaus
Nachdem die Nationalsozialisten die Synagoge 1938 als Festhalle zweckentfremdet hatten, wurde sie 1953 abgerissen und an ihrer Stelle das Rathaus errichtet.[8] Eine Gedenktafel, die am Rathaus angebracht ist, erinnert an diesen historischen Ort:
„Zum Gedenken an den Leidensweg unserer jüdischen Bürger. Hier stand ihre Synagoge, die von den Nationalsozialisten durch Plünderung und Zweckentfremdung entweiht wurde. Die Stadtgemeinde“
Jüdischer Friedhof Güssing
1939 entfernten Mitglieder der NSDAP über Nacht die Grabsteine vom Friedhof und verkauften sie unter anderem an einen Steinmetz.[20] 2001 entdeckte man einige von ihnen in Graz und brachte sie anschließend nach Güssing zurück, wo sie, sowie weitere symbolische Grabsteine, vom Friedhofsverein Schalom aufgestellt wurden.[8][21] Wie Recherchen ergaben, besteht jedoch die Möglichkeit, dass die Grabsteine nicht vom Güssinger Friedhof stammen.[20] Der unter Denkmalschutz stehende Friedhof wird heute vom Bauhof der Stadtgemeinde Güssing gepflegt.[22]
Literatur
- Philip Halper: Die jüdische Gemeinde in Güssing. Vertreibungen, "Arisierungen" und Rückstellungen, Diplomarbeit Universität Wien 2012
- Berth Rothstein/Béla Rothstein: Der 'Bela von Güssing' aus dem Burgenland (Österreich) erzählt seine 70jährige Lebensgeschichte (1918-1988), Frankfurt am Main 1988
Einzelnachweise
- ↑ Das Ende der jüdischen Gemeinden im Burgenland, Webseite www.hagalil.com, abgerufen am 25. Februar 2015
- ↑ 2,0 2,1 2,2 Philip Halper: Die jüdische Gemeinde in Güssing. Vertreibungen, "Arisierungen" und Rückstellungen, Seite 12 bis 14, Diplomarbeit Universität Wien 2012
- ↑ Universität Graz - Toleranzpatent für die Juden in Wien und in Niederösterreich, Webseite www.jku.at, abgerufen am 6. Februar 2015
- ↑ 4,0 4,1 4,2 Philip Halper: Die jüdische Gemeinde in Güssing. Vertreibungen, "Arisierungen" und Rückstellungen, Seite 15 bis 19, Diplomarbeit Universität Wien 2012
- ↑ Philip Halper: Die jüdische Gemeinde in Güssing. Vertreibungen, "Arisierungen" und Rückstellungen, Seite 22, Diplomarbeit Universität Wien 2012
- ↑ Philip Halper: Die jüdische Gemeinde in Güssing. Vertreibungen, "Arisierungen" und Rückstellungen, Seite 49, Diplomarbeit Universität Wien 2012
- ↑ Schwedisches Wikipedia - Berth Rothstein, Webseite sv.wikipedia.org, abgerufen am 26. Februar 2015
- ↑ 8,0 8,1 8,2 Österreichisches Jüdisches Museum - Güssing, Webseite www.ojm.at, abgerufen am 25. Februar 2015
- ↑ Österreichisches Jüdisches Museum - Jüdische Gemeinden des Burgenlandes, Webseite www.ojm.at, abgerufen am 10. Februar 2015
- ↑ Philip Halper: Die jüdische Gemeinde in Güssing. Vertreibungen, "Arisierungen" und Rückstellungen, Seite 32ff, Diplomarbeit Universität Wien 2012
- ↑ Philip Halper: Die jüdische Gemeinde in Güssing. Vertreibungen, "Arisierungen" und Rückstellungen, Seite 35 und 36, Diplomarbeit Universität Wien 2012
- ↑ Philip Halper: Die jüdische Gemeinde in Güssing. Vertreibungen, "Arisierungen" und Rückstellungen, Seite 41 und 44, Diplomarbeit Universität Wien 2012
- ↑ 13,0 13,1 Philip Halper: Die jüdische Gemeinde in Güssing. Vertreibungen, "Arisierungen" und Rückstellungen, Seite 46 und 47, Diplomarbeit Universität Wien 2012
- ↑ Die burgenländisch-jüdischen Opfer der NS-Zeit, Webseite www.forschungsgesellschaft.at, abgerufen am 6. Februar 2015
- ↑ Burgenländische Forschungsgesellschaft: Opferdatenbank abgerufen am 12. Februar 2015
- ↑ DÖW Opferdatenbank, Webseite www.doew.at, abgerufen am 23. Februar 2015
- ↑ Philip Halper: Die jüdische Gemeinde in Güssing. Vertreibungen, "Arisierungen" und Rückstellungen, Seite 57, Diplomarbeit Universität Wien 2012
- ↑ Philip Halper: Die jüdische Gemeinde in Güssing. Vertreibungen, "Arisierungen" und Rückstellungen, Seite 67, Diplomarbeit Universität Wien 2012
- ↑ VHS Burgenland - Güssing, Webseite www.vhs-burgenland.at, abgerufen am 25. Februar 2015
- ↑ 20,0 20,1 Philip Halper: Die jüdische Gemeinde in Güssing. Vertreibungen, "Arisierungen" und Rückstellungen, Seite 147 und 148, Diplomarbeit Universität Wien 2012
- ↑ Jüdische Friedhöfe: Güssing, Webseite www.juedische-friedhoefe.at, abgerufen am 25. Februar 2015
- ↑ Jüdische Friedhöfe: Pflege und Erhalt, Webseite oe1.orf.at, abgerufen am 25. Februar 2015
Weblinks
Geschichte der Juden im Burgenland
Ehemalige jüdische Gemeinden im Burgenland:
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