Jüdische Gemeinde Kittsee

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Die Jüdische Gemeinde Kittsee gehörte ab 1716 zu den Fürstlich Esterházyschen Gemeinden, den berühmten Siebengemeinden (Scheva Kehillot) auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes. 1885 wurde ihr noch zusätzlich die jüdische Gemeinde Gattendorf angegliedert.[1]

siehe auch: Geschichte der Juden im Burgenland

Geschichte der jüdischen Gemeinde

Von der Entstehung der Gemeinde bis zur Gründung des Burgenlandes 1921

Bevölkerungsentwicklung der jüdischen Gemeinde

Die folgende Tabelle zeigt wie viele jüdische Bewohner im jeweiligen Jahr in Kittsee lebten.[2] Der Höchststand wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreicht, während es in den 1930er-Jahren noch knapp 60 Juden in Kittsee gab.

Jahr Bewohner
1648
mind. 3 Familien
1735
266
1780
363
1821
789
1880
111
1934
62

Jüdisches Gemeindeleben um 1927

Im Jahr 1927 besuchte der Journalist Otto Abeles die Siebengemeinden und veröffentlichte seine Reiseberichte in Form der Artikelserie Altes und neues Judentum im Burgenland in der Wiener Morgenzeitung.[3] In Heft 2867 vom 20. Februar 1927[4] erschien der Bericht von seinem Besuch in Kittsee. Dieser Artikel wirkt aus heutiger Sicht wie eine Zeitkapsel, in der eine Welt beschrieben wird, die längst versunken ist. Zwischen den Zeilen ist aber bereits das drohende Unheil, dass einige Jahre später über die Juden Europas hereinbrechen sollte, herauszulesen:

„"Die Judenseich kimmt!!" Ein Schwarm von Juden trägt diesen Ruf über die Dorfstraße und rennt zum Hauptplatz, der willkommenen Abwechslung froh. Die Bauern treten vor das Wirtshaus - es ist Sonntag - drinnen im Schanklokal setzt die Zigeunermusik aus, immer zahlreicher versammeln sich die Bäuerinnen des Ortes. Kittsee ist ein ungewöhnlich großes, gut gehaltenes Dorf. Die Hauptstraße ist breit wie der Opernring und von nicht zu überblickender Ausdehnung. Das herrliche Schloss des Grafen Batthyány mit dem wunderschönen schmiedeeisernen Tor, ein rühmliches Spital, in das man Operationsbedürftigte bis aus Hainburg bringt, Ortskirche mit Kriegerdenkmal. Als ich mit der Wien - Pressburger elektrischen Straßenbahn kommend, vom Grenzörtchen Berg den Omnibus benützte und beim Bürgermeisteramt abgesetzt wurde, wollte ich ohne Führer die Judengemeinde suchen. Nun erübrigt der traurige Zufall, dass ich mich auf den Weg mache. Von dort kommen mir die Juden von Kittsee entgegen, die gesamte Kehilla, vermehrt durch die Wiener und Pressburger Angehörigen des Greises, den man unter dem schwarzen Tuch zur Bestattung trägt. Höchst bemerkenswert, dieser jüdische Leichenzug.“

„Keine "Pompfuneberer"[5], keine Priesterornate, kein Leichenwagen mit schwarzen Pferden, keine Blumen, keine Kantoren, keine Musik. Und schon gar nicht der gemessen-feierliche Gleichschritt, die disziplinierte, organisierte Trauerkundgebung der Beine. Nicht einmal der Rabbiner geht gesondert an bevorzugter Stelle, sondern mitten drin im Knäuel seiner Gemeinde. Dieser dicht gescharrte, ungeregelte Haufen, von nichts überragt, als von der ungehobelten, schwarz gedeckten Kiste, wirkt bezwingend in seiner stummen Einfachheit. Sinnbild der Richtigkeit alles Irdischen. Was Staub war, wird zum Staube. Die Brüder der Chewra Kadischa tragen abwechselnd die Truhe auf den Schultern, die jungen Leute der Kehilla, die "Melatsches" (die noch unverheirateten Chewramitglieder) lösen sie später ab. Zwei Balbattim halten altsilberne Gefäße in Händen, von ungewohnter Form und seltener Art. Sie nahmen diese Kleinodien nicht auf den Friedhof mit, um den nackten, ernsten Leichenzug mit Schmuckstücken zu zieren: Es sind die alten Zdoke(Anmerkung: Almosen)-Büchsen von Kittsee. Die eine langgestreckt, im gotischen Stil gehalten - Nachbildung eines "Rabbonim-Häuschens", wie es über den Gräbern der frömmsten, verehrtesten Männern errichtet wurde - geht schon länger als vierhundert Jahre mit auf den Guten Ort. Die andere ein Barockstück, ist erst zwei Jahrhunderte im Besitz der Gemeinde.“

„Jetzt biegen sie von der Hauptstraße ab, um den Toten an der Synagoge vorbeizutragen. Unter allen Judensiedlungen des Burgenlandes hat Kittsee die eigenartigste und merkwürdigste Synagoge. Es ist nämlich - bestimmt kein häufiger Fall - in einem ehemaligen Nonnenkloster untergebracht. Der Schutzherr der Kittseer hat ihnen vor 420 Jahren das schon damals betagte Gebäude überlassen. Es ist gut erhalten, mit Verständnis renoviert, sieht mit dem bizarren Erker und dem uralten Ziehbrunnen unter den Bauernhäusern wie ein romantisches Stück Mittelalter, das man abzuräumen vergessen hat und beherbergt nebst der kleinen Schul', in die man durch eine Seitentür gelangt, eine Anzahl von Judenwohnungen. Schon dieses Haus der Judengemeinde von Kittsee kennenzulernen lohnt die kurze angenehme Fahrt mit der elektrischen Bahn vom Wiener Hauptzollamt zur Landesgrenze, an dem berühmten "Heidentor" vorüber und an den schönen Donauorten Petronell, Deutsch-Altenburg und Hainburg. Und überraschend wie dieser Judentempel im Nonnenkloster, wirkt dieser Judenfriedhof, umschlossen von den riesigen Mauern einer Ritterburg. Die Burg Kittsee, welche den Gottesacker der Juden in sich aufnahm, ist zu einem Teil von ihrem kunstverständigem Bewohner, einem Arzt, in alter Vornehmheit erhalten, zum anderen in einen riesigen Getreideschüttkasten umgewandelt. Hügelan, längs dem verwitterten Burggemäuer bewegt sich der jüdische Leichenzug und es gehört nicht viel Phantasie dazu, den Judenhaufen so zu sehen, wie er einst hinter der Truhe hier hinaufkam: in Schnallenschuhen, Pumphosen, die dunkelgrüne Mantille umgeschlagen, am Kopf den Schiffhut. Jetzt freilich tragen die Juden Bauernstiefel und Wirtschaftspelz oder sie sind gar nach der vorvorletzten Stadtmode gekleidet. Das kleine Tor lässt die Sargträger und allmählich den stark angeschwollenen Leichenzug passieren, dem sich sehr zahlreiche christliche Ortsbewohner angeschlossen haben. Sie hören alle zu, wie der Rabbi zu seiner Gemeinde spricht, von dem Verblichenen und von seiner Sorge um den Fortbestand der alten Treue und Frommheit - ganz freimütig und ganz intim, denn vollzählig umsteht die Kehilla das offene Grab und man hat es hier noch nicht erlernt, geheim zu tun vor den anderen - sie hören, wie einer den Toten um Verzeihung bittet und wie der kleine, verwachsene Mann mit der Schirmmütze, der Ärmsten einer und doch hochgeachtet ob seiner Kenntnisse und geistigen Fähigkeiten, kein "Oischer" und doch Sprecher der Chewa Kadischa, in bewegter Rede Abschied für alle nimmt. Dann klappern die Zdoke-Büchsen“

„Der Zufall ließ mich Zeuge einer Bestattung sein und zeigte mir, kurz nach der Ankunft, das Antlitz der Judengemeinde von Kittsee. Sie ist klein geworden, zählt kaum 100 Seelen, lebt mit der Bauernschaft in gutem Einvernehmen - das Leichenbegräbnis erwies durch die große Teilnahme von Nichtjuden, dass man hier über "gutes Einvernehmen" hinaus sogar befreundet ist, Tempel und Gemeindefunktionäre sind in einem hochinteressanten Gebäude untergebracht, der Friedhof ist von einer Rittersburg behütet. Da ich dann mit einigen Juden von Kittsee Fühlung nahm, weiß ich jetzt auch, dass die Kehilla aus erwerbsfleißigen Leuten besteht, ihre Traditionen wahrt, von schweren Schicksalsschlägen verschont blieb, aber natürlich durch Abwanderung schon recht sehr ausgeblutet ist. Draußen sind viele Söhne der Gemeinde zu Reichtum und Ruhm gelangt und - abgefallen. Der größte Sprössling der Kehilla Kittsee war der Geiger Joachim, an dessen Geburtshaus eine künstlerisch ausgeführte ungarische Gedenktafel - angebracht wurde. Die Familien Mautner, Figdor, Singer kommen von hier. Bekanntlich hat auch Frau Bundespräsident Hainisch (Anmerkung: Emilie Auguste Figdor[6]) ihr Stammhaus in der Kittseer Judengemeinde.“

„"Es hat mir weh getan", sagte mir Herr Rabbiner Perls, "als mich Joachim aus Berlin um Übersendung seines Geburtsscheines anging, denn ich wusste, dass er das Dokument benötigte, um den Austritt aus dem Judentum zu vollziehen." - Als ich mich vorstellte, meinte der starke greise Mann: "Auch mein Amtsvorgänger hieß Abeles, aber sein Sohn heißt schon Andor." - So erfährt man zwischen Tür und Angel die Geschichte der Entfremdung und des Verfalles. Es gibt in Kittsee keine Gaß mehr. Aber Herr Rabbiner Perls konnte mich immerhin dessen versichern, dass die Gemeinde in den 35 Jahren seiner Wirksamkeit nicht kleiner geworden, sondern sogar gewachsen sei, allerdings nur mehr 19 Steuerträger zähle, darunter solche, denen die Aufbringung über Erhaltungsbeiträge nicht gerade leicht wird.“

„Das soeben stattgefundene (?) Leichenbegräbnis brachte dem Rabbiner ein charakteristisches Dokument in Erinnerung, eine Zuschrift vom 9. Oktober 1832, ein Zirkular der Ofener Stadthalterei, in das er mir Einblick gibt. Es heißt dort: "Nachdem es hieher amtlich einberichtet worden ist, dass jener Missbrauch stattfindet, wonach die Verzeichnisbücher über Geborene, Vermählte, Gestorbene israelitischer Nation, wenn die führenden Rabbiner absterben, mit ihnen begraben werden..." - wird nachdrücklichst gefordert, dafür zu sorgen, dass dieser Missbrauch sich nie wieder ereignet. Das Schriftstück ist namens der königlich-ungarischen Statthalterei zu Ofen also unterfertigt: "Euer gewogener und dienstverpflichteter Stephan von Begh." Doppelt interessantes Dokument. Bezeichnend, dass damals noch der böswilligen Angabe Glauben geschenkt wurde, die Rabbinen nähmen die Matrikelbücher mit ins Grab. Bezeichnend aber auch die Liebenswürdigkeit, ja Herzlichkeit der Schlussklausel.“

„Die neuen österreichischen Behörden ziehen andere Seiten auf! Sie schicken Beamte ins Burgenland, die sich als kämpferische Rassenantisemiten der "israelitischen Nation" weder "dienstverpflichtet" fühlen, noch ihr gar "gewogen" sind. In Kittsee kam mit den österreichischen Verwaltungsorganen der wirtschaftliche Boykott an und unter Führung des Lehrers wird jetzt der Bauer dazu erzogen, beim Juden nicht einzukaufen.“

Zerstörung der Gemeinde 1938

[7]

Opferbilanz des Holocausts

Siehe auch: Liste der Holocaust-Opfer mit Bezug zu Kittsee

Situation heute

Joachimhaus

Der berühmteste Spross der jüdischen Gemeinde war der 1831 geborene Violinist, Dirigent und Komponist Joseph Joachim. Bevor seine Familie im Jahre 1833 aus wirtschaftlichen Gründen nach Pest auswanderte, bewohnte sie in Kittsee ein Haus, das heute umgangssprachlich "Joachimhaus" genannt wird. An dem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude wurde 1931 eine Gedenktafel mit folgendem Inhalt angebracht:

„In diesem Hause erblickte am 28. Juni 1831 der Geigenkünstler Joseph Joachim, Direktor der Staatlichen Akademischen Hochschule für Musik in Berlin (1869 - 1907) das Licht der Welt. Burgenländische Landesregierung im Verein mit Gesangsverein Liedertafel Kittsee und Ortsbevölkerung von Kittsee.“

Jüdischer Friedhof Kittsee

Der unter Denkmalschutz stehende Jüdische Friedhof Kittsee grenzt an den Schüttkasten des Alten Schlosses. Auf einer Fläche von mehr als 11000 Quadratmetern befinden sich etwa 150 Grabsteine.

Der jüdische Autor Leopold Moses schrieb 1927 in einem Reisebericht über den Friedhof:[8]

„Der Friedhof liegt eine Viertelstunde von Gattendorf entfernt, von dichten Hecken umgeben. Er ist mindestens hundertfünfzig Jahre alt ... die zum Teil von fast undurchdringlichem Gestrüpp umgebenen Grabsteine weisen Namen von Familien auf, die man heute in Gattendorf vergebens suchen würde. Sie sind längst nach Wien oder Pressburg, wenn nicht gar nach Budapest abgewandert. Eine von diesen Familien führt den Namen Materna, der wohl von dem ... Frauennamen Matrona hebräisch abgeleitet sein dürfte ... und so kann man auch hier eine Fülle anregender Dinge finden, die unsere Kenntnis um unser eigenes Sein vermehren ...“

Literatur

  • Klaus Derks: Kattondorff. Die vergessene Judengemeinde von Gattendorf., Herausgegeben vom Verein zur Erforschung der Ortsgeschichte von Gattendorf 2010, ISBN 978-3-200-01970-6

Einzelnachweise

  1. VHS Burgenland - Gattendorf, www.vhs-burgenland.at, abgerufen am 23. September 2015
  2. VHS Burgenland - Kittsee, www.vhs-burgenland.at, abgerufen am 9. Februar 2016
  3. Wiener Morgenzeitung, Webseite www.wien.gv.at, abgerufen am 9. Februar 2016
  4. Goethe Universität Frankfurt am Main - Wiener Morgenzeitung 1927, Webseite sammlungen.ub.uni-frankfurt.de, abgerufen am 9. Februar 2016
  5. Austria-Forum Dialektworte: Pompfüneberer, Webseite austria-forum.org, abgerufen am 10. Februar 2016
  6. Stammbaumprofil Emilie Emmy Auguste Hainisch, Webseite www.geni.com, abgerufen am 10. Februar 2016
  7. Österreichisch Jüdisches Museum - Jüdische Gemeinden des Burgenlandes, Webseite www.ojm.at, abgerufen am 10. Februar 2015
  8. Österreichisch Jüdisches Museum - Kittsee/Gattendorf, Webseite www.ojm.at, abgerufen am 24. Februar 2015