Ludwig Schenker-Angerer
Ludwig Gottfried Schenker-Angerer OCist. (*18. August 1895 zu Wien, Österreich-Ungarn; † 8. Jänner 1980 in Heiligenkreuz (Niederösterreich)) war ein österreichischer Speditionskaufmann, Gesellschafter der Firma Schenker & Co sowie seit 1956 Ordensmönch in der Zisterzienserabtei Stift Heiligenkreuz im Wienerwald.
Leben
Ludwig Gottfried Schenker-Angerer kam als Gottfried Franz Josef Angerer am Wiener Alsergrund als Sohn des Wiener Schiffsreeders und Juristen August Angerer und dessen in Mainz gebürtige Gattin Maria Gertrude Barbara geb. Schulz im Sommer des Jahres 1895 zur Welt[1]. Seine Taufe nach römisch-katholischem Ritus fand in der Wiener Votivkirche statt, wobei als Taufpate der österreichische Unternehmer Schweizer Herkunft Gottfried Schenker fungierte. Sein Taufpate hatte im selben Jahr gemeinsam mit seinem Vater die Schifffahrts-Gesellschaft Austro-Americana gegründet. Da sein Taufpate Gottfried Schenker keine eigenen Kinder hatte, adoptierte er im November 1896 seinen Geschäftspartner August Angerer und dieser nahm damit den Familiennamen „Schenker-Angerer“ an, welcher auch auf seinem Sohn Gottfried überging[1].
Im Ersten Weltkrieg, an dessen Beginn sein Vater im 49. Lebensjahr[2] und an dessen Ende seine Mutter im 47. Lebensjahr verstarb[3], diente Gottfried Schenker-Angerer im K.u.k. Dragonerregiment „Erzherzog Albrecht“ Nr. 9 und brachte es dort bis zum Oberleutnant.
Nach dem Krieg ehelichte er im April 1919 in der Wiener Pfarre Heiligenstadt seine gleichalterige Braut „Manzi“ Margit Rupp von Nyilhegyi [4], welche 1895 in Budapest als Tochter des dortigen Bezirksvorstandes Ladislaus Rupp von Nyilhegyi und dessen Ehefrau Ilona geborene Süttö von Süttöfalva zur Welt kam. Seine Gattin Margit Schenker-Angerer legte später als Opern- und Konzertsängerin an der Wiener Staatsoper und bei den Salzburger Festspielen bis Mitte der 1930er Jahre eine beachtliche Karriere hin.
Das Ehepaar war gesellschaftlich Mitglied der Wiener Prominenz und wohnte in den 1920er Jahren in ihrer Villa Schenker in Döbling, Hohe Warte Nr. 52. Die Villa, welche als Landhaus vom Architekten Julius Mayreder erbaut worden war, verkaufte er 1932 wieder [5]. Im Jänner 1922 kam die gemeinsame Tochter Maria Helene Margareta Schenker-Angerer im Wiener Sanatorium Löw am Alsergrund in der Pelikangasse zur Welt[6] und wuchs in diesem Anwesen auf. Sie war später mit einem gewissen Herrn Cody in London verheiratet und hatte einen Sohn namens Sebastian. Dieser veröffentlichte nach einer vorausgestellten Einleitung des Wiener Militärhistorikers Erwin Schmidl im Jahre 2023 eine umfangreich recherchierte Studie über Ludwig Gottfried Schenker-Angerer in der wissenschaftlichen Zisterzienser-Fachzeitschrift Analecta Cisterciensia.
Schenker war eine führende Persönlichkeit im Wiener Wirtschafts- und Kunstleben, war Teil zahlreicher Gruppierungen von Freunden und Geschäftsbekannten, sowie ein begeisterter Rotarier. In seinem konservativen und aristokratischen Freundes- und Bekanntenkreis fanden sich Namen wie Schwarzenberg, Esterházy und Liechtenstein. Aber auch kulturelle Größen wie die musikalischen Künstler Leo Slezak und Lotte Lehmann sowie die Tänzerin Tilly Losch sowie Dutzenden von Diplomaten, Unternehmern und künstlerische Kontakte auf der ganzen Welt zählten dazu. Auch waren die meisten seiner Geschäftspartner Juden. Schenker-Angerer's Vater August war vor dem Ersten Weltkrieg mit einem der Brüder von Sigmund Freud Bruder befreundet gewesen.
Als Adolf Hitler 1933 in Deutschland an die Macht kam und in den Folgejahren die deutsche Wirtschaft sich zu erheben begann, glaubte Schenker-Angerer, wie so viele österreichische Industrielle an die Eindämmung der Arbeitslosigkeit und an große wirtschaftliche Verbesserungen und war damit vorerst positiv gegenüber den Nationalsozialismus gestimmt.
„Meine Meinung war damals, dass der Nationalsozialismus und die Annexion Österreichs die einzigen Wege waren, unserer unglücklichen Isolation und dem vorhergesehenen Zusammenbruch zu entkommen. Diese meine Ansicht wurde von dem untermauert, was ich vom großen ökonomischen Aufschwung in Deutschland sah. Was für eine schreckliche Illusion!“
Schenker-Angerer und seine Frau Margit hatten in der NS-Zeit vertrauensvolle Beziehungen zu Juden und unterhielten auch nach 1933 zahlreichen Kontakt zu zahlreichen jüdischen Firmen. Selbst nichtarische Mitarbeiter, die laut den Nazis gekündigt werden sollten, wurden bei den Schenker-Niederlassungen am Balkan wieder eingestellt. Auch wurden die erzwungenen Arisierungen nur im Schneckentempo vorangetrieben. Nachdem die Nazi-Präsenz in Wien nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland im Jahre 1938 immer deutlicher wurde, wich die anfängliche Begeisterung Schenker-Angerer’s für den Nationalsozialismus und wurde durch die Angst um seine Position, Beschäftigung und um seine Familie ersetzt. 1939 wurde Gottfried Schenker-Angerer von der seit 1931 im Besitz des deutschen Staates befindlichen Firma Schenker entlassen[8].
Schenker-Angerer musste in die Wehrmacht einrücken. Im Russlandfeldzug wurde er 1941 verwundet, anschließend befördert und als Militärgeheimdienstoffizier in die neutrale Türkei entsandt, wo er in der Abwehr unter Wilhelm Canaris diente. Ab Frühling 1943 wirkte er heimlich im Widerstand gegen das NS-Regime[9]. Im Februar 1944 wurde Schenker-Angerer verhaftet und schließlich im Konzentrationslager Sachsenhausen als Hochverräter bis Ende des Krieges im Mai 1945 interniert[10]. Da sich seine Gattin zum politischen Widerstand zählte, ereilte sie ein ähnliches Schicksal und kam im Oktober 1944 in Gestapohaft. Nach seiner Befreiung zu Kriegsende lebte Gottfried Schenker-Angerer einige Monate in Gmunden. Im August 1946 wurde er von der österreichischen Polizei wegen Verdacht auf eine illegale NS-Vergangenheit während der Ersten Republik verhaftet. Im April 1947 kam er wieder frei. Im Februar 1948 wurden die Ermittlungen gegen ihn eingestellt[11].
Im Oktober 1947 übersiedelten seine Frau Margit und die Tochter nach London zum ehemaligen Geschäftspartner Karpeles-Schenker. Im Februar 1948 ließ sich das Ehepaar Schenker-Angerer auf Initiative von seiner Frau Margit scheiden[4] [12]. Gottfried Schenker-Angerer ging eine Zeitlang nach Uganda.
Nach seiner Rückkehr aus Uganda trat Gottfried Schenker-Angerer 1956 in das Zisterzienserkloster Heiligenkreuz ein, wurde im März 1957 als Novize eingekleidet und erhielt den Ordensnamen „Ludwig“. Seine feierliche Profess legte er am 1. Mai 1960 ab[13] und wirkte bis zu seinem Tod im Jahre 1980 als Chormönch in diesem Kloster. Das Grab von P. Ludwig Gottfried Angerer befindet sich auf dem Mönchsfriedhof im Stift Heiligenkreuz.
Literatur
- Analecta Cisterciensia 73 (ANNUS LXXIII) 2023 S. 13-157, Be&Be Verlag, ISBN 978-3-903518-06-3
- Erbe und Auftrag 3/24, Benediktinische Zeitschrift – Monastische Welt, 2007, Seite 297
- Webseite des Stiftes Heiligenkreuz im Wienerwald > Wer war Pater Ludwig Schenker-Angerer?
- RES Regesta Ecclesiastica Salisburgensia > Schenker-Angerer, Ludwig Gottfried (1895–1980)
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Wien, Alsergrund – Votivkirche – Taufbuch 1895-1897 (fol.18)
- ↑ Wien, Döbling – Pfarre Heiligenstadt – Sterbebuch 1911-1923 (fol. 93)
- ↑ Wien, Döbling – Pfarre Heiligenstadt – Sterbebuch 1911-1923 (fol.184)
- ↑ 4,0 4,1 Wien, Döbling – Pfarre Heiligenstadt – Trauungsbuch 1912-1919 (fol.195)
- ↑ vgl. Sebastian Cody: Pater Ludwig Gottfried Schenker-Angerer O.Cist., in: Analecta Cisterciensia 73 (2023) S. 13-157, hier S. 20, Fußnote 28.
- ↑ Wien Döbling – Pfarre Heiligenstadt – Taufbuch 1916-1930 (fol.165)
- ↑ vgl. Dieses Zitat ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Vgl. Cody, S. 37.
- ↑ vgl. Cody, S. 51 und 65.
- ↑ vgl. Cody, S. 76-82.
- ↑ vgl. Cody, S. 83-86.
- ↑ vgl. Cody, S. 107-115.
- ↑ vgl. Cody, S. 119.
- ↑ vgl. Cody, S. 125.
Weblinks
Fotos zum Schlagwort Schenker-Angerer in der Topothek der Gemeinde/Region Heiligenkreuz (Urheberrechte beachten)
